Beschluss vom Verwaltungsgericht Minden - 11 K 3847/13

Tenor

1. Das von den Beteiligten übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärte Verfahren wird in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO eingestellt.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte. Diese Kostenregelung entspricht billigem Ermessen i.S.d. § 161 Abs. 2 VwGO, weil die Beklagte bei Fortgang des Verfahrens voraussichtlich unterlegen gewesen wäre. Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob – so die Beklagte im Schriftsatz vom 06.06.2014 – der Massagebetrieb auf Grund einer nicht genehmigten Nutzungsänderung baurechtswidrig war. Auf baurechtliche oder gewerberechtliche Versagungsgründe ist die streitgegenständliche Betriebsschließung nicht gestützt worden. Für hierauf gestützte Untersagungsverfügungen existieren auch spezielle Ermächtigungsgrundlagen (vgl. § 61 BauO NRW und §§ 15 Abs. 2, 35 GewO), die soweit es baurechtliche Versagungsgründe betrifft, auch nicht von der Beklagten, sondern dem Kreis M.     als zuständige Bauaufsichtsbehörde zu prüfen sind (§ 60 Abs. 1 Nr. 3 lit. b BauO NRW).

Für den Vollzug der Verordnung zum Schutz der Jugend und des öffentlichen Anstandes in der Stadt C1.         und in Teilen der Kreise H.         , Q.         und M.     vom 17.04.1984 (im Folgenden: Sperrgebietsverordnung) – auf die die Beklagte die Betriebsschließung gestützt hat – ist sie zwar sachlich zuständig. Ungeachtet der Frage, ob die von der Klägerin angebotenen Dienstleistungen überhaupt den Begriff der Prostitution erfüllen, dürfte aber jedenfalls unter Berücksichtigung des Gesetzes zur Regelung der Rechtsstellung der Prostituierten vom 20.12.2001 (BGBl. I, S. 3983, im Folgenden: ProstG) nicht jede Form der Prostitution an jedem beliebigen Ort auf Grund der Sperrgebietsverordnung untersagt werden können.

Die Sperrgebietsverordnung findet ihre Ermächtigungs-grundlage in Art. 297 EGStGB. Schutzgut sowohl des Art. 297 EGStGB als auch der Sperrgebietsverordnung ist der Schutz der Jugend und des öffentlichen Anstands. Nur zu deren Schutz kann die Prostitution untersagt werden. Mit Blick darauf, dass zumindest seit dem Inkrafttreten des ProstG die Prostitution nicht mehr grundsätzlich als sittenwidrig angesehen werden kann und die Ausübung der Prostitution dem Schutzbereich des Art. 12 GG unterfällt,

vgl. BVerwG, Urteil vom 06.11.2002 – 6 C 16.02 –, GewArch 2002, 122  = juris Rn. 22,

müssen derartige Regelungen, die eine zulässige Berufsausübung reglementieren, durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt, die gewählten Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich und die durch sie bewirkte Beschränkung den Betroffenen zumutbar sein. Diese Voraussetzungen müssen für zumindest einen der genannten Schutzzwecke erfüllt sein.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 28.04.2009 – 1 BvR 224/07 –, juris Rn. 22.

Zwar stellen die sich insoweit aus Art. 12, 14 GG ergebenden Grenzen nicht die Rechtsgültigkeit der Ermächtigungsgrundlage – Art. 297 EStGB –, aber unter Umständen die Rechtsgültigkeit der Sperrbezirksverordnung in Frage. Erweist sich, dass deren Geltungsbereich nicht durch vernünftige Erwägungen des Allgemeinwohls – insbesondere den Schutz der in Art. 297 EGStGB genannten Schutzgüter – gerechtfertigt ist, verstößt sie gegen Art. 12 GG.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 28.04.2009, a.a.O., juris Rn. 27.

Das BVerfG hat ausgeführt, dass der Begriff des „öffentlichen Anstandes“ einer einschränkenden Auslegung bedarf und zumindest seit dem Inkrafttreten des ProstG nicht mehr an Moralvorstellungen zu messen ist. Maßgeblich ist, ob die Ausübung der Prostitution geeignet ist, das geordnete Zusammenleben der Menschen nachhaltig zu stören. Geeignet hierfür sind Handlungen und Zustände, die eine enge Beziehung zum Geschlechtsleben haben und einen Öffentlichkeitsbezug aufweisen. Eine nach außen in Erscheinung tretende Ausübung der Prostitution ist typischerweise mit Belästigungen Unbeteiligter – wie zum Beispiel das Werben von Freiern und anstößiges Verhalten gegenüber Passantinnen und Anwohnern – verbunden, die eine "milieubedingte Unruhe" befürchten lässt. Unter den Gesichtspunkt aber auch des Jugendschutzes ist eine Sperrgebietsfestsetzung gerechtfertigt, wenn das betroffene Gebiet durch eine besondere Schutzbedürftigkeit und Sensibilität, z.B. als Gebiet mit hohem Wohnanteil sowie Schulen, Kindergärten, Kirchen und sozialen Einrichtungen, gekennzeichnet ist.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 28.04.2009, a.a.O., juris Rn. 16.

Ob eine Wohnungsprostitution, die öffentlich nicht in Erscheinung tritt,  unter Bezugnahme auf Art. 297 EGStGB und eine hierauf gestützte Sperrgebietsverordnung verboten werden kann, ist fraglich. Der HessVGH,

vgl. Urteil vom 31.01.2013 – 8 A 1245/12 –, DÖV 2013, 441,

hat hierzu ausgeführt, dass im Lichte der Rechtsprechung des BVerfG Prostitution außerhalb von Sperrgebietszonen auf der Grundlage einer Sperrgebietsverordnung nur noch verboten werden könne, wenn die Prostitution nach außen in Erscheinung trete und eine „milieubedingte“ Unruhe befürchten lasse.

Das BVerwG hat infolgedessen die Revision gegen dieses Urteil zugelassen mit der Begründung das Verfahren gebe dem Gericht Gelegenheit „die Reichweite der Ermächtigung zum Erlass von sogenannten Sperrgebietsverordnungen gemäß Art. 297 Abs. 1 EGStGB weiterer Klärung zuzuführen.“

Vgl.  Beschluss vom 26.09.2013 – 6 B 18/13, 6 B 18/13 (6 C 28/13) –, juris.

Vor diesem Hintergrund spricht nach Auffassung der Kammer deutlich mehr dafür als dagegen, dass – unterstellt – eine Ausübung der Prostitution durch die Klägerin noch auf der Grundlage der Sperrgebietsverordnung untersagt werden kann. Es ist weder von der Beklagten vorgetragen worden noch für das Gericht ersichtlich, dass die Klägerin öffentlichkeitswirksam der Prostitution nachgegangen ist und dies in einem Gebiet stattfand, wo die Entstehung von Konflikten zu befürchten war, die im Zusammenhang mit schutzwürdigen Rechtsgütern wie etwa dem Schutz der Jugend bedeutsam wären.

3. Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt (§ 52 Abs. 2 GKG).


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