Beschluss vom Verwaltungsgericht Minden - 6 K 314/14
Tenor
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
1
Gründe:
2Die Entscheidung über den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ergeht durch die Kammer, da die mit Beschluss vom 22.4.2014 erfolgte Übertragung der Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter bis auf weiteres unwirksam ist. Der derzeitige Berichterstatter, Richter F. , darf gem. § 6 Abs. 1 S. 2 VwGO vorläufig nicht Einzelrichter sein. Die Entscheidungskompetenz ist daher an den Spruchkörper zurückgefallen.
3Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.1.2011 – A 9 S 2774/10 –, InfAuslR 2011, 261 = juris.
4Der Antrag der Klägerin auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil die Klage nicht die nach § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO i.V.m. § 166 Abs. 1 S. 1 VwGO erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Sie ist voraussichtlich unbegründet.
5Der angegriffene Bescheid des Beklagten vom 18.10.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2013, durch den der Klägerin die Weiterbewilligung eines monatlichen Budgets für eine Arbeitsassistenz über den 31.3.2011 hinaus versagt wurde, ist wahrscheinlich rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
6Der Beklagte ist voraussichtlich rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Klägerin jedenfalls ab dem 1.4.2011 ein Anspruch auf weitere Übernahme der Kosten einer Arbeitsassistenz gem. §§ 102 Abs. 4 SGB IX, 17 Abs. 1a SchwbAV nicht mehr zusteht.
7Nach diesen Vorschriften haben schwerbehinderte Menschen im Rahmen der Zuständigkeit des Integrationsamtes für die begleitende Hilfe im Arbeitsleben (§ 102 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB IX) aus den diesem aus der Ausgleichsabgabe zur Verfügung stehenden Mitteln Anspruch auf Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz. Begleitende Hilfe im Arbeitsleben ist dabei nicht auf unselbständige berufliche Betätigungen beschränkt, sondern kann auch als Hilfe zur Gründung und Erhaltung einer selbständigen beruflichen Existenz in Betracht kommen, wie sich aus § 102 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 lit. c SGB IX, § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. c, § 21 SchwbAV ergibt.
8Nach § 21 Abs. 4 SchwbAV sind die §§ 17 bis 20 und die §§ 22 bis 27 SchwbAV zugunsten von schwerbehinderten Menschen, die eine selbständige Tätigkeit ausüben oder aufzunehmen beabsichtigen, entsprechend anzuwenden. Damit hat der Verordnungsgeber ausdrücklich bestimmt, dass die Leistungen der begleitenden Hilfe im Arbeitsleben, die unselbständig beschäftigten Schwerbehinderten gewährt werden können, unter den entsprechenden Voraussetzungen auch an selbständige Schwerbehinderte erbracht werden können. Dies gilt auch für die Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz (§ 17 Abs. 1a SchwbAV). Während andere Leistungen der begleitenden Hilfe im Arbeitsleben regelmäßig als Ermessensleistungen ausgestaltet sind, besteht auf die Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz bei Vorliegen der Voraussetzungen ein Rechtsanspruch jedenfalls dem Grunde nach.
9Vgl. VG Augsburg, Urteil vom 9.10.2012 – Au 3 K 11.1545 –, juris.
10Unter Arbeitsassistenz ist die über gelegentliche Handreichungen hinausgehende, zeitlich wie tätigkeitsbezogen regelmäßig wiederkehrende Unterstützung von schwerbehinderten Menschen bei der Ausübung ihres Berufes in Form einer von ihnen selbst beauftragten persönlichen Arbeitskraft zur Erlangung oder Erhaltung eines Arbeitsplatzes auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verstehen.
11Vgl. VG Bremen, Urteil vom 26.5.2009 – 5 K 3056/07 –, juris; Ziffer 2.1 der Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH) für die Erbringung finanzieller Leistungen zur Arbeitsassistenz schwerbehinderter Menschen gem. § 102 Abs. 4 SGB IX.
12Die Übernahme der Kosten einer Arbeitsassistenz zur Unterstützung eines schwerbehinderten Selbständigen setzt u.a. voraus, dass die angestrebte oder bereits ausgeübte selbständige Berufstätigkeit erwarten lässt, dass der Schwerbehinderte seinen Lebensunterhalt durch die Tätigkeit voraussichtlich auf Dauer im Wesentlichen sicherstellen kann. Dies ergibt sich – worauf der Beklagte im Verwaltungsverfahren zu Recht hingewiesen hat – aus § 21 Abs. 1 Nr. 2 SchwbAV. Zwar gilt diese Vorschrift ihrem Wortlaut nach nur für die Gewährung von Geldleistungen in Form von Darlehen oder Zinszuschüssen, was bei der Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz nicht unmittelbar zutrifft. Aus dem Begriff der beruflichen „Existenz“, den der Verordnungsgeber in der amtlichen Überschrift zu § 21 SchwbAV verwendet, ergibt sich jedoch, dass mit der Tätigkeit ein „Auskommen“ ermöglicht sein muss, d.h. eine ausreichende wirtschaftliche Lebensgrundlage sichergestellt wird.
13Vgl. VG Augsburg, Urteil vom 9.10.2012 – Au 3 K 11.1545 –, a.a.O.; VG Ansbach, Urteil vom 2.7.2009 – AN 14 K 08.01859 –, juris; Seidel, in: Hauck/Noftz, SGB IX, Stand: Dezember 2009, § 102 Rn. 47 f.; Pahlen, in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, SGB IX, 10. Aufl. 2003, § 102 Rn. 19.
14Dies entspricht auch der gesetzgeberischen Intention, die der Einführung dieser Hilfe zugrunde lag. Dass der Verordnungsgeber insoweit in § 21 Abs. 1 SchwbAV nur für die Gewährung von Darlehen und Zinszuschüssen eine ausdrückliche Regelung getroffen hat, lässt nicht den (Umkehr-)Schluss zu, dass die Erzielung auskömmlicher Einkünfte bei anderen begleitenden Hilfen im Arbeitsleben an Selbständige, die nicht als Darlehen oder Zinszuschüsse erbracht werden, keine Voraussetzung sein soll.
15Vgl. VG Augsburg, Urteil vom 9.10.2012 – Au 3 K 11.1545 –, a.a.O.
16Wird begleitende Hilfe im Arbeitsleben, auch in der Form der Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz, bereits – wie vorliegend – über einen Zeitraum von mehreren Jahren gewährt, muss bereits genügendes Einkommen für eine ausreichende wirtschaftliche Lebensgrundlage erzielt werden. Ist dies immer noch nicht der Fall, kann die Behörde allenfalls dann weitere Hilfen gewähren, wenn sie insoweit unter Berücksichtigung der Marktsituation und auf der Grundlage eines vom Schwerbehinderten vorgelegten Betriebskonzeptes sowie einer detaillierten Beschreibung der Arbeitsanforderungen der selbständigen Tätigkeit eine prognostische Einschätzung der künftigen Erwerbschancen treffen kann.
17Vgl. VG Augsburg, Urteil vom 9.10.2012 – Au 3 K 11.1545 –, a.a.O; VG Ansbach, Urteil vom 2.7.2009 – An 14 K 08.01859 –, a.a.O.
18Ihr ist dabei ein Beurteilungsspielraum zuzubilligen, der nur eingeschränkt gerichtlich darauf nachprüfbar ist, ob der Beurteilung ein unrichtiger Sachverhalt zugrunde liegt und ob allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachwidrige Erwägungen angestellt wurden
19Vgl. VG Augsburg, Urteil vom 9.10.2012 – Au 3 K 11.1545 –, a.a.O; zur gerichtlichen Überprüfung von behördlichen Prognoseentscheidungen vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 114 Rn. 37.
20An diesen Grundsätzen gemessen erweist sich die ablehnende Entscheidung des Beklagten voraussichtlich als rechtmäßig. Die Klägerin hat weder vorgetragen, dass der Beurteilung der wirtschaftlichen Erfolgsaussichten ihrer Tätigkeit durch den Beklagten ein unrichtiger Sachverhalt zugrunde liegt, allgemein gültige Wertmaßstäbe missachtet oder sachwidrige Erwägungen angestellt wurden, noch ist dies sonst ersichtlich.
21Insbesondere begegnet die Einschätzung des Beklagten, dass die Klägerin bislang nicht hinreichend belegen konnte, durch ihre Tätigkeit in Zukunft ihren Lebensunterhalt sicherstellen zu können, keinen rechtlichen Bedenken. Denn die Klägerin hat dem Beklagten bislang keine zureichenden Informationen vorgelegt, die ihm eine belastbare Zukunftsprognose der selbständigen beruflichen Tätigkeit der Klägerin ermöglichen würden. Hierzu genügte es nicht, dem Beklagten lediglich die Honorareingänge der vergangenen Jahre und ALG II-Bescheide vorzulegen, aus denen sich Anrechnungen auf die Sozialleistungen ergaben. Denn diese Informationen ließen bestenfalls erkennen, dass das bislang erzielte Einkommen – in Ansehung der erheblichen behinderungsbedingten Mehrbedarfe der Klägerin – noch nicht ausreichte, um ihren Lebensunterhalt selbständig bestreiten zu können. Obschon die Entwicklung der Honorareingänge einen positiven Verlauf nahm, war dem Beklagten eine belastbare Zukunftsprognose bereits deshalb nicht möglich, weil es an der Vorlage eines nachvollziehbaren Betriebskonzeptes für die Zukunft nach der Art eines „Businessplans“ fehlte. Erst hierdurch wäre es dem Beklagten ermöglicht worden, unter Berücksichtigung der Marktsituation und der im Betriebskonzept beschriebenen zukünftigen Pläne für die Sicherung bestehender und den Ausbau zukünftiger Engagements die wirtschaftlichen Erfolgsaussichten der selbständigen Tätigkeit der Klägerin einzuschätzen.
22Soweit die Klägerin geltend macht, derartige detaillierte Betriebskonzepte nicht erstellen zu können, weil hierfür keine Assistenzleistungen bewilligt worden seien, kann sie daraus nichts für sich herleiten. Denn als Selbständige und Existenzgründerin muss die Klägerin selbst in der Lage sein, die für die Beantragung staatlicher Leistungen erforderlichen Unterlagen zusammenzustellen und vorzulegen. Dies gehört zum Kernbereich der persönlichen Voraussetzungen, die bei einem Existenzgründer – sei er schwerbehindert oder nicht – vorliegen müssen. Das Schwerbehindertenrecht hat dagegen nicht die Aufgabe, einem Schwerbehinderten in jeder Lebenslage umfassend Hilfe zum Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile zu leisten.
23Vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 22.3.2006 – 19 K 5274/05 –, Behindertenrecht 2007, 83 = juris.
24Soweit die Klägerin vorträgt, die Teilhabe am Arbeitsleben sei für sie als schwerbehinderter Mensch ohne die Weitergewährung der Arbeitsassistenz unmöglich und sie müsse ihre berufliche Tätigkeit ohne die Assistenzleistungen einstellen, belegt gerade dies, dass der selbständigen Tätigkeit der Klägerin eine positive Prognose nicht erteilt werden kann. Wenn die Weiterführung der selbständig ausgeübten Tätigkeit als solche nämlich mit der Gewährung der Hilfeleistung steht und fällt, ist die weitere Hilfegewährung nicht mehr zweckmäßig. Denn Leistungen für die Kosten einer Arbeitsassistenz zur Gründung und Erhaltung einer selbständigen Existenz kommen nur insoweit in Betracht, als durch die Tätigkeit der Assistenzkraft ein durch die Behinderung bedingter Nachteil gegenüber Nichtbehinderten ausgeglichen wird. Die begleitende Hilfe soll Schwerbehinderten keinen Wettbewerbsvorteil gegenüber Nichtbehinderten verschaffen, was aber der Fall wäre, wenn sich die Klägerin nur mit staatlicher Hilfe überhaupt am Markt halten könnte.
25Vgl. VG Bayreuth, Urteil vom 9.5.2011 – B 3 K 10.886 –, juris; VG Augsburg, Urteil vom 9.10.2012 – Au 3 K 11.1545 –, a.a.O.; VG Düsseldorf, Urteil vom 22.3.2006 – 19 K 5274/05 –, a.a.O.
26Schließlich spricht gegen die Sicherstellung einer ausreichenden wirtschaftlichen Lebensgrundlage durch die selbständige Tätigkeit der Klägerin allein schon der Umstand, dass die Klägerin seit der Antragstellung im Jahr 2009 während des gesamten Bewilligungszeitraumes bis Anfang 2011 und sogar darüber hinaus durchgehend Arbeitslosengeld II bezogen hat. Selbst im Zeitpunkt der Klageerhebung bestand noch immer ein ALG II-Leistungsbezug. Dies dokumentiert deutlich, dass es die Klägerin – obschon sie mehr als zwei Jahre lang Hilfeleistungen durch den Beklagten erhielt – nicht geschafft hat, ein regelmäßiges Einkommen zu erzielen, das sie unabhängig von staatlicher Hilfe zum Lebensunterhalt gemacht hätte. Auch nach Beendigung der Gewährung eines monatlichen Budgets für eine Arbeitsassistenz mit Ablauf des 31.3.2011 hat die Klägerin ihre berufliche Tätigkeit ihrem eigenen Vortrag nach weiter ausgeübt und ihren bisherigen Assistenten weiterbeschäftigt. Trotz der weiteren Ausübung der Tätigkeit mit Unterstützung ihres Assistenten in den Jahren 2012, 2013 und 2014 ist es der Klägerin offensichtlich nicht gelungen, ein Einkommen zu erzielen, das einen Sozialleistungsbezug nicht mehr erforderlich machte. Sie kann daher nachweislich auch nach nunmehr fünf Jahren selbständiger Tätigkeit noch immer nicht eigenständig für ihren Lebensunterhalt aufkommen. Unter diesen Umständen steht nicht zu erwarten, dass ein Sozialleistungsbezug der Klägerin in absehbarer Zukunft dauerhaft entfallen kann.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- § 21 SchwbAV 1x (nicht zugeordnet)
- 5 K 3056/07 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 6 1x
- 9 S 2774/10 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 102 Abs. 4 SGB IX, 17 Abs. 1a SchwbAV 2x (nicht zugeordnet)
- §§ 22 bis 27 SchwbAV 6x (nicht zugeordnet)
- § 21 Abs. 4 SchwbAV 1x (nicht zugeordnet)
- § 102 Abs. 4 SGB IX 1x (nicht zugeordnet)
- § 17 Abs. 1a SchwbAV 1x (nicht zugeordnet)
- § 21 Abs. 1 Nr. 2 SchwbAV 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 166 1x
- § 102 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 lit. c SGB IX 1x (nicht zugeordnet)
- § 102 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB IX 1x (nicht zugeordnet)
- 19 K 5274/05 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 113 1x
- ZPO § 114 Voraussetzungen 1x
- § 21 Abs. 1 SchwbAV 1x (nicht zugeordnet)