Urteil vom Verwaltungsgericht München - M 19 K 17.39041

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der 1999 geborene Kläger, ein irakischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volks- und islamischer Religionszugehörigkeit, reiste auf dem Landweg im Januar 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er stellte am 26. September 2016 einen förmlichen Asylantrag.

Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 16. Januar 2017 gab er an, den Irak Ende 2015 verlassen zu haben. Er habe bis zu seiner Ausreise in der Provinz Dohuk in der Gemeinde Faide gelebt. Er habe vier Jahre lang die Grundschule besucht. Im Irak seien seine Mutter, seine ältere Schwester, die nach dem Tod des Vaters für den Lebensunterhalt der Familie gesorgt habe und ein jüngerer Bruder. Als Grund für seine Flucht gab er an, das Leben im Irak sei nicht schön gewesen. In seinem Ort habe es verschiedene Nationalitäten und Glaubensrichtungen gegeben. Er sei zusammen mit seinen jezidischen Nachbarn ausgereist. Er habe Angst vor dem Irak herrschenden Krieg zwischen den Peschmerga und dem IS. Ein Cousin seines Vaters, ein Peschmergakämpfer sei 2014 oder 2015 in Zumar getötet worden.

Mit Bescheid vom 25. April 2017, zugestellt mit Postzustellungsurkunde am 26. April 2017, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) und auf subsidiären Schutz (Nr. 2) ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 3) und drohte dem Kläger mit einer Ausreisefrist von 30 Tagen die Abschiebung in den Irak an (Nr. 4). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 5). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes lägen nicht vor. Der Kläger sei nach eigenen Angaben keiner individuellen Bedrohung im Heimatland ausgesetzt gewesen. Die Voraussetzungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz seien ebenfalls nicht gegeben. Dem Kläger drohe bei Rückkehr in den Irak aufgrund der dortigen Situation keine erheblichen individuellen Gefahren aufgrund willkürlicher Gewalt. Ebenso lägen die Tatbestandsmerkmale von Abschiebungsverboten nicht vor.

Am 8. Mai 2017 erhob der Kläger mittels Niederschrift Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München und beantragte,

den Bescheid der Beklagten vom 25. April 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft und hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, sowie weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG vorliegen.

Mit Beschluss vom 16. Juli 2020 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen, § 76 Abs. 1 AsylG.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 6. Oktober 2020 wurde der Kläger informatorisch gehört. Die Prozessbevollmächtigte legt dem Gericht ein Gutachten zum Eingliederungsbedarf des Klägers vom 5. Oktober 2020 vor, dem ein ärztlicher Bericht vom 1. September 2020 des Facharztes für Neurologie Dr. K. beiliegt, demzufolge eine Behinderung gemäß § 53 SGB XII in Verbindung mit § 2 SGB IX vorläge. Auf Antrag der Prozessbevollmächtigten wurde weitere Schriftsatzfrist bis zum 27. Oktober 2020 gewährt und ins schriftliche Verfahren übergegangen. Mit Schriftsatz vom 27.10.2020 teilt die Prozessbevollmächtigte des Klägers im Wesentlichen mit, kein sozialmedizinisches Gutachten vorlegen zu können und beantragt, durch Einholung eines sozialmedizinischen Gutachtens Beweis darüber zu erheben, dass bei dem Kläger eine Behinderung vorliege, die seine Fähigkeit zur selbständigen Lebensführung so einschränke, dass er nicht in der Lage sei, dass menschenrechtliche Existenzminimum zu erwirtschaften und zu sichern, ebenso wenig, wie sich selbständig um Wohnung und medizinische Versorgung zu kümmern.

Die Beklagte hat die Verwaltungsakte auf elektronischem Weg vorgelegt und beantragte mit Schriftsatz vom 2. November 2020,

die Klage abzuweisen.

Die von Klägerseite übermittelten Dokumente könnten weder eine Schutzfeststellung noch ein Abschiebungsverbot begründen. Der ärztliche Bericht vom 1. September 2020 entspräche nicht den Anforderungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung, die vorgelegte Behördenakte und die Gerichtsakte Bezug genommen.

Gründe

Das Gericht konnte ohne Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung im schriftlichen Verfahren entscheiden, da die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO). Der Kläger hat mit Erklärung seiner Bevollmächtigten vom 6. Oktober 2020, die Beklagte durch allgemeine Prozesserklärung vom 27. Juni 2017 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft oder den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen oder zu seinen Gunsten das Vorliegen der Voraussetzungen nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen. Auch an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung und der Befristungsentscheidung bestehen keine Zweifel.

Maßgeblich für die Entscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG).

1. Ein Anspruch auf die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz besteht nicht.

1.1 Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 - Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.

Die einzelnen Verfolgungshandlungen werden in § 3a AsylG näher umschrieben; die einzelnen Verfolgungsgründe werden in § 3b AsylG einer näheren Begriffsbestimmung zugeführt. Eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG kann nach § 3c AsylG ausgehen vom Staat (Nr. 1), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen (Nr. 2), oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern der Staat oder die ihn beherrschenden Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3).

1.2 Die Furcht vor Verfolgung ist im Sinne des § 3 Absatz 1 AsylG begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, das heißt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - juris Rn. 19) drohen. Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erfordert die Prüfung, ob bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Maßgebend ist in dieser Hinsicht damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage der Kläger nach Abwägung aller bekannten Umstände eine (hypothetische) Rückkehr in den Herkunftsstaat als unzumutbar erscheint. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29/17 - juris Rn. 14; U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - juris Rn. 32; BayVGH, U.v. 14.2.2017 - 21 B 16.31001 - juris Rn. 21).

Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist unabhängig davon, ob der Betroffene bereits vor seiner Ausreise verfolgt worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 5.09 - juris Rn. 22). Bei einer Vorverfolgung gilt kein herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Vorverfolgten kommt jedoch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU, der keine nationale Entsprechung hat, zugute (vgl. BVerwG, B.v. 15.8.2017 - 1 B 123.17 u. a. - juris Rn. 8; B.v. 11.7.2017 - 1 B 116.17 u. a. - juris Rn. 8). Danach ist die Tatsache, dass ein Ausländer bereits verfolgt wurde bzw. von einer solchen Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Ist der Ausländer hingegen unverfolgt ausgereist, muss er glaubhaft machen, dass ihm mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr von Verfolgung droht, wenn er in sein Heimatland zurückkehrt (VG Oldenburg, U.v. 21.5.2019 - 15 A 748/19 - juris Rn. 20).

1.3 Darüber, ob die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gegeben sind - also festgestellt werden kann, dass die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung in Anknüpfung an die Konventionsmerkmale besteht -, entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Gericht muss sowohl von der Wahrheit und nicht nur von der Wahrscheinlichkeit des vom Schutzsuchenden behaupteten individuellen Schicksals als auch von der Richtigkeit der Prognose einer beachtlich wahrscheinlichen Verfolgungsgefahr die volle Überzeugung gewinnen. Es darf jedoch insbesondere hinsichtlich relevanter Vorgänge im Verfolgerland keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig auszuschließen sind (BVerwG, U.v. 16.4.1985 - 9 C 109/84 - juris Rn. 16). In der Regel kommt dem persönlichen Vorbringen eines Rechtsuchenden und dessen Würdigung besondere Bedeutung zu. Insbesondere wenn keine weiteren Beweismittel zur Verfügung stehen, kann schon allein der Tatsachenvortrag des Asylsuchenden zur Anerkennung führen, sofern sich das Gericht von der Richtigkeit seiner Behauptungen überzeugen kann.

1.4 Die von dem Kläger im Verwaltungsverfahren vorgetragenen Gründe, die er im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 6. Oktober 2020 ergänzt hat, rechtfertigen gemessen an den vorstehend geschilderten Anforderungen nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Das Gericht ist nicht im vorgenannten Sinne davon überzeugt, dass dem Kläger im Falle einer Rückkehr in den Irak Verfolgung droht. Das Gericht verweist vorbehaltlich der nachfolgenden Ausführungen auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG).

Der Kläger ist nicht vorverfolgt ausgereist und es droht ihm nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr von Verfolgung, wenn er in sein Heimatland zurückkehrt. Der Kläger schildert, die letzten zwei Jahre vor seiner Flucht mit seiner Familie in der Provinz Dohuk gelebt zu haben. Einen konkreten Fluchtanlass schildert er nicht; das Leben im Irak habe ihm keine Freude gemacht. Individuelle Fluchtgründe für das Verlassen des Iraks nennt der Kläger nicht. Wirtschaftliche Gründe begründen nach § 3 Abs. 1, § 3b Abs. 1 AsylG nicht die Flüchtlingseigenschaft. Der Kläger hat somit keine Vorfälle geschildert, aus denen sich eine Verfolgung „wegen“ seiner „Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“ ergebe. Er begründet seinen Antrag im Wesentlichen mit der allgemeinen Sicherheitslage im Irak.

Ebenso ist keine Verfolgung aufgrund seiner kurdischen Volkszugehörigkeit zu befürchten (vgl. VGH BW, U.v. 5.3.2020 - A 10 S 1272/17 -, juris Rn. 26ff). Die irakische Verfassung konstituiert eine weitgehend autonom regierte irakische Region Kurdistan als ein nicht unwesentlicher Teil des irakischen Staatsgebiets, das unter der Kontrolle von Kurden sunnitischer Glaubenszugehörigkeit steht. Insofern steht eine Gruppenverfolgung für den Kläger als Kurden islamischer Glaubenszugehörigkeit nicht zu befürchten.

2. Auch das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Zuerkennung des subsidiären Schutzes hat die Beklagte zutreffend verneint.

2.1 Ein Ausländer ist nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Es darf auch keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen. Voraussetzung ist nach § 4 Abs. 3 AsylG zudem, dass der Schaden von einem Akteur i.S.v. § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c AsylG auszugehen droht. Hinsichtlich Wahrscheinlichkeitsmaßstab und Beweiserleichterung im Falle einer Vorverfolgung gelten die Ausführungen zu § 3 AsylG entsprechend (vgl. Nds. OVG, U.v. 24.9.2019 - 9 LB 136.19 - juris Rn. 53).

2.2 Diese Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus erfüllt der Kläger nicht.

2.2.1 Er kann keinen Sachverhalt vortragen, wonach ihm im Heimatland die Verhängung oder die Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG) droht.

2.2.2 Ebenso fehlen konkrete Anhaltspunkte für das Drohen eines ernsthaften Schadens nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Die Formulierung „Folter oder unmenschli-che oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG wird weder im Asylgesetz noch in der dadurch umgesetzten RL 2011/95/EU definiert. Bei der Auslegung der Norm, die die Vorgaben des - an Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) orientierten - Art. 15 Buchst. b der RL 2011/95/EU in das nationale Recht umsetzt, ist die Rechtsprechung des EGMR zu berücksichtigen (vgl. NdsOVG, U.v. 24.9.2019 - 9 LB 136/19 - juris Rn. 59 f.; OVG NW, U.v. 28.8.2019 - 9 A 4590/18.A - juris Rn. 137 ff.). Nach der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK ist unter einer unmenschlichen Behandlung die vorsätzliche Zufügung entweder körperlicher Verletzungen oder intensiven physischen oder psychischen Leids zu verstehen. Erniedrigend ist eine Behandlung, wenn sie geeignet ist, das Opfer zu demütigen, zu erniedrigen oder zu entwürdigen (vgl. hierzu mit weiteren Nachweisen OVG NW, U.v. 28.8.2019 - 9 A 4590/18.A - juris Rn. 142).

(1) Der Kläger hat - aus den bereits genannten Erwägungen - keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass er bei einer Rückkehr in den Irak aus einer individuell geltend gemachten Gefährdung Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht.

(2) Auch die schlechte humanitäre Lage im Irak rechtfertigt nicht die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Denn diese ist nicht auf einen Akteur i.S.v. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3c AsylG zurückzuführen. Es ist den Erkenntnismitteln nicht zu entnehmen, dass der irakische Staat oder die autonome Region Kurdistan-Irak als staatliche Akteure ein Interesse an einer Verschärfung oder Aufrechterhaltung der schlechten humanitären Lage zeigen und diese auf ihre Handlungen oder Unterlassungen zurückzuführen ist (vgl. NdsOVG, U.v. 24.9.2019 - 9 LB 136/19 - juris Rn. 68 ff. m.w.N.). Die in weiten Teilen des Iraks bestehende allgemein schwierige Lage hat vielfältige Ursachen, wird aber nicht zielgerichtet vom irakischen Staat, von herrschenden Parteien oder Organisationen oder von nichtstaatlichen Dritten herbeigeführt.

Schlechte humanitäre Bedingungen, die nicht auf direkte oder indirekte Handlungen oder Unterlassungen staatlicher oder nichtstaatlicher Akteure zurückzuführen sind, können daher allenfalls nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ein nationales Abschiebungsverbot nach sich ziehen (vgl. NdsOVG, U.v. 24.9.2019 - 9 LB 136/19 - juris Rn. 64 ff.).

(3) Dem Kläger droht auch wegen der derzeitigen allgemeinen Sicherheitslage im Irak keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Eine solche Gefahr kann sich grundsätzlich auch aus einer allgemeinen Situation der Gewalt ergeben, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beidem. Allerdings begründet nicht schon jede allgemeine Situation der Gewalt eine solche Gefahr. Ein unionsrechtliches Abschiebungsverbot nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist nur in äußerst extremen Fällen anzunehmen; es setzt voraus, dass die Situation allgemeiner Gewalt so intensiv ist, dass die betreffende Person dieser Gewalt bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland tatsächlich ausgesetzt ist. Erforderlich ist danach eine Gefahrverdichtung, die zu einer individuellen Betroffenheit des Ausländers führt (vgl. OVG NW, U.v. 28.8.2019 - 9 A 4590/18.A - juris Rn. 146 ff.). Eine solche allgemeine Situation der Gewalt, die zur Folge hätte, dass jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit im Nordirak (Kurdistan-Irak) der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre, ist hier jedoch nicht anzunehmen. Eine besondere Bedrohungslage durch den IS besteht nach der Erkenntnislage des Gerichts in der autonomen Region Kurdistan-Irak nicht mehr. Der IS ist lediglich im Sommer 2014 kurzzeitig dorthin vorgedrungen. Allerdings konnte der Vormarsch des IS durch die kurdischen Sicherheitskräfte und Luftangriffe der internationalen Koalition gestoppt und der IS aus den kurdischen Gebieten zurückgedrängt werden. Schließlich konnte der IS in den Jahren 2016 und 2017 im gesamten Land territorial eingedämmt werden; das sogenannte „Kalifat“ des IS im Irak wurde in der Fläche besiegt. Seit Dezember 2017 gilt der IS im Irak als militärisch besiegt. In der Region Kurdistan-Irak können Kurden unter zumutbaren Bedingungen leben und sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt. Dort befinden sich auch viele Flüchtlingslager (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, Stand Dezember 2020, S. 4, 16 und 18; UK Home Office, Country Policy and Information Note, Iraq: Security and Humanitarian Situation, Version 5.0, 11/2018, S. 37; VG Köln, U.v. 10.9.2019 - 17 K 7760/17.A - juris Rn. 36 ff.).

2.2.3 Ferner ist der Kläger auch nicht subsidiär schutzberechtigt i.S.v. § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG. Ihm droht keine ernsthafte individuelle Bedrohung seines Lebens oder seiner körperlichen Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in ihrer Heimatregion. Mit der Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass in Kurdistan-Irak zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein bewaffneter Konflikt stattfindet (vgl. VG Köln, U.v. 10.9.2019 - 17 K 7760/17.A - juris Rn. 100 ff.; VG Bayreuth, Urteil vom 12. Juli 2019 - B 3 K 18.30379 - juris Rn. 64; VG Ansbach, U.v. 8. Juni 2017 - AN 2 K 16.31196 - juris Rn. 18).

3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG.

3.1 Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U. v. 11.11.1997 - 9 C 13.96 - BVerwGE 105, 322) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen (zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse). In diesem Zusammenhang kommt vor allem eine Verletzung des Art. 3 EMRK in Frage. Wegen des absoluten Charakters des garantierten Rechts ist Art. 3 EMRK nicht nur auf eine von staatlichen Behörden ausgehende Gefahr, sondern auch dann anwendbar, wenn die Gefahr von Personen oder Gruppen herrührt, die keine staatlichen Organe sind, jedenfalls dann, wenn die Behörden des Empfangsstaates nicht in der Lage sind, der Bedrohung durch die Gewährung angemessenen Schutzes vorzubeugen (NdsOVG, U.v. 24.9.2019 - 9 LB 136.19 - juris Rn. 66 und 105). Für die Beurteilung, ob eine Verletzung des Art. 3 EMRK in Betracht kommt, ist auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen und zunächst zu prüfen, ob entsprechende Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (Nds. OVG, U.v. 24.9.2019 - 9 LB 136.19 - juris Rn. 118; OVG NW, U.v. 28.8.2019 - 9 A 4590/18.A - juris Rn. 175).

3.2 Die Verbürgungen der EMRK begründen im vorliegenden Fall des Klägers kein Abschiebungsverbot, insbesondere nicht wegen der derzeitigen Sicherheitslage oder wegen den bestehenden humanitären Verhältnissen.

3.2.1 Wie bereits im Rahmen des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes ausgeführt, ist zunächst nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in den Irak unmenschliche oder erniedrigende Behandlung auf Grund der allgemeinen Sicherheitslage im Irak droht.

3.2.2 Schlechte sozio-ökonomische und humanitäre Verhältnisse im Bestimmungsland können nur in ganz außergewöhnlichen Fällen Art. 3 EMRK verletzten; dies ist dann der Fall, wenn die gegen die Abschiebung sprechenden humanitären Gründe „zwingend“ sind (vgl. VGH BW, U.v. 17.7.2019 - A 9 S 1566/18 - juris Rn. 28). Gemessen daran ist ein Ausnahmefall zu verneinen.

(1) Auch wenn die humanitäre Lage im Irak insgesamt und in der Region Kurdistan-Irak im Besonderen nach wie vor äußerst angespannt ist und die Lebensumstände insbesondere bei Binnenvertriebenen oder bei nur geringem Einkommen nach europäischen Standards als schwer erträglich erscheinen, ist nach gegenwärtiger Erkenntnislage mit der überwiegenden Rechtsprechung davon auszugehen, dass am Zielort einer Abschiebung in der Region Kurdistan keine derart prekäre humanitäre Situation und insbesondere keine derart unzureichende allgemeine Versorgungslage besteht, dass eine Rückführung in Anwendung von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK generell ausgeschlossen wäre. Die humanitäre Lage und die Lebensbedingungen im Zielort einer Abschiebung, die nicht ganz oder überwiegend auf Aktionen von Konfliktparteien beruhen (vgl. VG Aachen, U.v. 3.4.2019 - 4 K 1853/16.A - juris Rn. 25; VG Hamburg, U.v. 23.7.2019 - 8 A 635/17 - UA S. 24 f.), sind für den Kläger nicht derart ernst, dass er Gefahr liefe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein.

(2) Es bestehen auch keine gefahrerhöhenden individuellen Umstände (vgl. zu dieser Anforderung VGH BW, U.v. 24.1.2018 - A 11 S 1265/17 - juris Rn. 149; VGH BW, U.v. 17.7.2019 - A 9 S 1566/18 - juris Rn. 47; VG Oldenburg, U.v. 21.5.2019 - 15 A 748/19 - juris Rn. 53), die im Fall des Klägers zu einer anderen Bewertung führen könnten.

Für einen alleinstehenden, erwerbsfähigen Mann Anfang 20 wie den Kläger, der keine Unterhaltslasten zu tragen hat, besteht kein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots. Zwar hat er im Irak aufgrund seines jugendlichen Alters im Zeitpunkt seiner Ausreise noch keine eigentliche Berufstätigkeit ausgeübt, hat aber doch als Verkäufer auf der Straße gearbeitet. Die Schulausbildung in Deutschland hat er abgebrochen, arbeitet hier jedoch als Friseur, sodass er sich diese Arbeitserfahrung durchaus auch für ein Leben im Irak zunutze machen könnte. Außerdem können die im Irak noch vorhandenen familiären Strukturen dem Kläger im Falle der Rückkehr als Unterstützungsquelle dienen. Daher bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass er solchen Schwierigkeiten bei der Existenzsicherung ausgesetzt wäre, dass er bei einer Rückkehr in den Irak mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit alsbald verelenden würde.

Schließlich besteht für den Kläger - insbesondere im Fall der freiwilligen Ausreise - die Möglichkeit, in nicht unerheblichem Umfang Rückkehr- und Starthilfen im Rahmen des REAG/GARP- und des ERRIN-Programms sowie weitere Unterstützungsleistungen für Rückkehrer in Anspruch zu nehmen, die ihnen die Rückkehr erheblich vereinfachen und auch Startschwierigkeiten vermeiden helfen können (vgl. https://www.returningfromgermany.de/de/programmes/erin; s. a. VG Hamburg, U.v. 23.7.2019 - 8 A 635/17 - UA S. 25 f.; VG Oldenburg, U.v. 21.5.2019 - 15 A 748/19 - juris Rn. 65).

Der vorgelegte Ärztliche Bericht vom 1. September 2020 des Facharztes für Neurologie Dr. K. ist zur Einleitung von Maßnahmen/Hilfen der Eingliederungshilfe nach dem SGB VIII als Vorlage beim Sozialhilfeträger bestimmt. Die Angaben erfolgen im Wege des Ankreuzens eines Schemas, wonach eine seelische/ psychische Behinderung gemäß § 53 SGB XII in Verbindung mit § 2 SGB IX vorliege, die die Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft in den Bereichen „Selbstversorgung und Wohnen, Arbeit, arbeitsähnliche Tätigkeiten, Tagesgestaltung, Freizeitgestaltung, Kommunikation/ Soziale Beziehung“ einschränke oder mit hoher Wahrscheinlichkeit erwarten lasse.

Dieser Bericht dient damit allein der sozialhilferechtlichen und fachlichen Abklärung des individuellen Hilfebedarfs nach Maßgabe der §§ 53 und 9 SGB XII. Tragfähige Anhaltspunkte für eine Behinderung, die die Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit des Klägers infrage stellen könnten, sind hieraus nicht abzuleiten und wurden auch nicht innerhalb der gewährten Schriftsatzfrist vorgetragen. Gemäß des zwischenzeitlich aufgehobenen § 53 Abs. 1 SGB XII (aufgeh. m.W.v. 1.1.2020 - der Leistungsbereich der Eingliederungshilfe wurde aus dem SGB XII herausgelöst und in den neu geschaffenen Teil 2 des SGB IX verschoben), erhalten Personen, die durch eine Behinderung wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Inwiefern diese Voraussetzungen für den Kläger zutreffen, ist bislang nicht geklärt. Auf eine Erwerbserschwernis oder gar Erwerbsunfähigkeit des Klägers kann allein aus der Einleitung der Prüfung von Eingliederungshilfe nicht geschlossen werden; welche konkreten Umstände hier zur Gewährung von Eingliederungshilfe ausschlaggebend wären und wie konkrete Eingliederungsmaßnahmen auszusehen hätten, wurde im Übrigen nicht dargetan.

Unabhängig davon sehen die oben genannten Programme neben der Übernahme von Reisekosten auch die individuelle Unterstützung nach Rückkehr in das Herkunftsland durch ein Netzwerk lokaler Service Provider und Partner und Unterstützungsmaßnahmen für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge vor, die dem Kläger zusätzlich, zu seinen im Irak bestehenden Familienstrukturen zur Verfügung stehen.

Aufgrund der vorstehenden Darlegungen war auch der im schriftlichen Verfahren gestellte Antrag zu dem Umstand, dass bei dem Kläger eine Behinderung vorliege, die seine Fähigkeit zur selbständigen Lebensführung so einschränke, dass er nicht in der Lage sei, dass menschenrechtliche Existenzminimum zu erwirtschaften und zu sichern, Beweis durch Einholung eines sozialmedizinischen Fachgutachtens zu erheben nicht nachzukommen.

4. Der Kläger hat schließlich auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

4.1 Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Konkret ist die Gefahr, wenn sie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Aus den Tatbestandsmerkmalen der „Konkretheit“ der Gefahr für „diesen“ Ausländer ergibt sich zudem das zusätzliche Erfordernis einer auf den Einzelfall bezogenen, individuell bestimmten und erheblichen, also auch alsbald nach der Rückkehr eintretenden Gefahrensituation. Diese Gefahrensituation muss landesweit drohen. Unerheblich ist allerdings, ob die Gefahr vom Staat ausgeht oder ihm zumindest zuzurechnen ist (OVG NW, U.v. 28.8.2019 - 9 A 4590/18.A - juris Rn. 224).

4.2 Die allgemeine humanitäre oder die Sicherheitslage im Irak begründet kein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Der Annahme eines Abschiebungsverbotes wegen allgemeiner Gefahren steht schon die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG entgegen (vgl. VG Aachen, U.v. 1.10.2019 - 4 K 597/19.A - juris Rn. 123; VG Augsburg, U.v. 22.10.2018 - Au 5 K 18.31266 - juris Rn. 69). Zwar dürfen die Gerichte ausnahmsweise und im Einzelfall Ausländern, die einer gefährdeten Gruppe angehören, für die kein Abschiebestopp besteht, Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG zusprechen, wenn dies zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke wegen einer im Zielstaat bestehenden extremen Gefahrenlage erforderlich ist (vgl. BayVGH, U.v. 8.11.2018 - 13a B 17.31960 - juris Rn. 60). Jedoch kann eine solche Gefahr wegen der weiten Auslegung von § 60 Abs. 5 AufenthG unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR und des Bundesverwaltungsgerichts von vorherein nicht angenommen werden, wenn bereits - wie hier - die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG wegen allgemeiner Gefahren zu verneinen sind (vgl. NdsOVG, U.v. 24.9.2019 - 9 LB 136/19 - juris Rn. 264; VGH BW, U.v. 17.7.2019 - A 9 S 1566/18 - juris Rn. 50). Für eine verfassungskonforme Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG besteht daher kein Bedarf mehr.

Darüber hinaus fehlt es ohnehin an einer verfassungswidrigen Schutzlücke, da die gegenwärtige ausländerrechtliche Erlasslage des Bayerischen Staatsministeriums des Innern dem betroffenen Ausländer einen vergleichbar wirksamen Schutz vor Abschiebung vermittelt (vgl. BVerwG, U.v. 13.6.2013 - 10 C 13.12 - juris Rn. 13 ff.; VG Aachen, U.v. 1.10.2019 - 4 K 597/19.A - juris Rn. 123). Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat mit Rundschreiben vom 10. August 2012 (Gz. IA2-2081.13-15) in den Fassungen vom 3. März 2014 und vom 22. Oktober 2018 verfügt, dass eine zwangsweise Rückführung zur Ausreise verpflichteter irakischer Staatsangehöriger grundsätzlich (Ausnahme: Straftäter und sog. „Gefährder“ aus den Autonomiegebieten oder dem Zentralirak - soweit ersichtlich fällt der Kläger nicht hierunter) nicht erfolgt und ihr Aufenthalt wie bisher weiter im Bundesgebiet geduldet wird (vgl. BayVGH, B.v. 13.7.2017 - 20 ZB 17.30809 - juris Rn. 9; VG Augsburg, U.v. 22.10.2018 - Au 5 K 18.31266 - juris Rn. 70).

4.3 Individuelle Anhaltspunkte in der jeweiligen Person des Klägers, die zu einer konkreten Gefahr führen und einer Abschiebung entgegenstehen könnten, bestehen ebenfalls im Ergebnis nicht. Aus dem Gutachten zum Eingliederungsbedarf vom 1. September 2020 kann insbesondere keine aus gesundheitlichen Gründen bestehende erhebliche konkrete Gefahr abgeleitet werden, da eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung, die sich durch die Abschiebung verschlechtern würde (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG) hierin nicht genannt wird. Abgesehen davon, wird der Arztbericht nicht den Anforderungen an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung im Sinne des hier gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG anzuwendenden § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG gerecht.

Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG ist daher nicht zu sehen.

5. Die von der Beklagten auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG gestützte Abschiebungsandrohung und das verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot auf der Grundlage der § 11 Abs. 1 AufenthG begegnen keinen rechtlichen Bedenken.

6. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordung (ZPO).

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