Urteil vom Verwaltungsgericht Münster - 1 K 1383/75
Tenor
Der Beklagte wird unter Aufhebung seiner Bescheide vom 30. Januar 1975 und 27. März 1975 und des Widerspruchsbescheides des Landesamtes für Ausbil- dungsförderung Nordrhein-Westfalen in Aachen vom 15. Oktober 1975 verpflichtet, dem Kläger für die Zeit ab 1. Oktober 1974 Ausbildungsförderung als Zuschuß zu bewilligen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei.
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Der Kläger nahm zum Wintersemester 1971/72 an der X. X.-Universität in N. das Studium der Betriebswirtschaftslehre mit dem Ziel auf, die Diplomkaufmannsprüfung abzulegen. Als Nebenfächer wählte er ab dem 2. Semester Sport und Pädagogik. Der Beklagte förderte das Studium des Klägers ab dem Wintersemester 1972/73 nach den Regeln des Bundesausbildungsförderungsgesetzes - BAföG -.
2Mit Schreiben vom 28. September 1974 teilte der Kläger dem Beklagten mit, daß er sich "aufgrund der derzeit ungünstigen Arbeitsmarktlage für Betriebswirte" entschlossen habe, vom Studium der Betriebswirtschaftslehre umzuwechseln auf das Studium der Wirtschaftswissenschaften für das Lehramt an Gymnasien. Dieser Wechsel brächte keinen Zeitverlust mit sich, da ihm u.a. die 6 Semester Betriebswirtschaftslehre voll angerechnet würden. Zugleich bat der Kläger um Weiterförderung. Der dazu angehörte Förderungsausschuß sah in den vom Kläger vorgetragenen Umständen keinen wichtigen Grund für einen Fachrichtungswechsel im Sinne von § 7 Abs. 3 BAföG. Dementsprechend lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 30. Januar 1975 den Antrag des Klägers auf Weiterförderung ab. Dagegen legte der Kläger am 20. Februar 1975 Widerspruch ein.
3Mit Bescheid vom 27. März 1975 bewilligte der Beklagte ihm für den Zeitraum vom 1. Oktober 1974 bis zum 30. September 1975, beschränkt auf 4 Monate, je 72,- DM als unverzinsliches Darlehen; diesen Bescheid focht der Kläger nicht an.
4Durch Widerspruchsbescheid vom 15. Oktober 1975 - dem Kläger zugestellt am 20. Oktober 1975 - wies das Landesamt für Ausbildungsförderung Nordrhein-Westfalen den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 30. Januar 1975 zurück.
5Zur Begründung seiner dagegen am 20. November 1975 erhobenen Klage macht der Kläger im wesentlichen geltend:
6Vor der Änderung seines Berufszieles habe er wegen der Weiterförderung ein Telefonat mit der Sachbearbeiterin des Beklagten geführt. Diese habe ihm gesagt, dass der Wechsel unproblematisch sei, und er in seinem Antrag lediglich einen Grund dafür angeben müsse. Diese Auskunft habe er dahin gedeutet, dass es sich bei der Angabe des Grundes lediglich um eine Formsache handele. Dementsprechend habe er als naheliegendes Motiv die schlechten Berufsaussichten für Betriebswirte genannt. Entscheidend sei aber folgendes für die Änderung seines Berufszieles gewesen: Im Laufe seines Studiums sei er immer mehr zu der Überzeugung gelangt, dass der Beruf des Diplomkaufmannes seinem Charakter und seinen Fähigkeiten nicht entspreche. Während zweier Praktika habe er festgestellt, dass ihm die für einen Diplomkaufmann wesentliche Eigenschaft fehle, sich ständig und mit Eifer für die Umsatz- und Gewinnsteigerung des jeweiligen Unternehmers einzusetzen. Auch habe sich gezeigt, dass er den Anforderungen eines vollen betriebswirtschaftlichen Studiums nicht gewachsen gewesen sein; so habe er zwei Semester lang vergeblich versucht, zwei notwendige Scheine zu erwerben. Demgegenüber habe er während seiner Tätigkeit als Gruppenleiter bei der Deutschen Jugendkraft in sich pädagogische Fähigkeiten entdeckt, die er bis dahin nicht für möglich gehalten habe; es habe ihm Freude bereitet, mit jungen Menschen zu arbeiten.
7Im übrigen liege gar kein Fachrichtungswechsel vor, weil er ja weiterhin Wirtschaftswissenschaften studiere und sich seine Studiendauer nicht bzw. nur unwesentlich verlängere.
8Der Kläger beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 30. Januar 1975 sowie des Bescheides vom 27. März 1975 und des Widerspruchsbescheides des Landesamtes für Ausbildungsförderung Nordrhein-Westfalen in B. vom 15. Oktober 1975 zu verpflichten, dem Kläger für die Zeit ab 1. Oktober 1974 Ausbildungsförderung als Zuschuß zu bewilligen.
9Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
10Dazu trägt er u.a. vor:
11Die Änderung des Berufszieles des Klägers stelle sich als Fachrichtungswechsel im Sinne des § 7 Abs. 3 BAföG dar. Insoweit sei eine Förderung nur dann möglich, wenn für den Fachrichtungswechsel ein wichtiger Grund vorliege, was bei dem Kläger jedoch nicht der Fall sei.
12Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im einzelnen wird auf die Streitakte sowie auf die von dem Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
13Entscheidungsgründe:
14Die Klage ist - als Verpflichtungsklage - in vollem Umfang zulässig.
15Zwar hat der Kläger gegen den Bescheid des Beklagten vom 27. März 1975 weder Widerspruch eingelegt noch Klage erhoben; auch war dieser Bescheid nicht ausdrücklich Gegenstand des Widerspruchsbescheides. Gleichwohl muß der Bescheid vom 27. März 1975 in dem durch den Klageantrag gekennzeichneten Umfange als mit angefochten gelten. Dieser Bescheid ist ausdrücklich unter dem Vorbehalt der Rückforderung ergangen, "weil einzelne zur Entscheidung über den Antrag erforderliche Feststellungen nicht rechtzeitig getroffen werden konnten (Par. 51 Abs. 2 BAföG)." Somit handelte es sich nur um eine vorläufige Bewilligung, die jederzeit, namentlich bei Abschluß der notwendigen Feststellungen, einer Neuregelung zugänglich sein sollte. Verständlicherweise mußte angesichts dessen dem Widerspruchsbescheid vom 15. Oktober 1975, der seinem Wesen nach eine umfassende und abschließende Entscheidung im Verwaltungsverfahren traf, der Erklärungswert beigemessen werden, dass er auch insoweit die zu erwartende Neuregelung enthielt. Mit der "endgültigen" Versagung einer Weiterförderung der Ausbildung des Klägers dem Grunde nach für den Bewilligungszeitraum ab Oktober 1974 wurde in ihm zugleich schlüssig die für einen Teil dieses Zeitraumes ausgesprochene Bewilligung von Vorausleistungen im Sinne von § 51 Abs. 2 BAföG aufgehoben.
16Die somit insgesamt zulässige Klage ist auch sachlich gerechtfertigt. Das Klagebegehren ist auf Bewilligung von Ausbildungsförderung als Zuschuß für den Bewilligungszeitraum vom 1. Oktober 1974 bis zum 30. September 1975 dem Grunde nach gerichtet. Es findet seine Rechtsgrundlage in § 7 Abs. 1 in Verbindung mit § 17 Abs. 1 und 2 BAföG in der hier maßgeblichen Fassung des Änderungsgesetzes vom 31. Juli 1974 (BGBl I 1649).
17Nach § 7 Abs. 1 BAföG wird Ausbildungsförderung für eine erste Ausbildung, die nach dem BAföG gefördert werden kann, bis zu deren berufsqualifizierendem Abschluß geleistet. Bei dem vom Kläger ab dem Wintersemester 1974/75 betriebenen Studium, für welches er die streitige Förderung begehrt, handelte es sich nach wie vor um die erste Ausbildung und nicht - wie der Beklagte meint - um eine andere im Sinne von § 7 Abs. 3 BAföG; der Kläger hat nämlich weder die Ausbildung abgebrochen noch die Fachrichtung gewechselt. Nach § 15 a Abs. 4 BAföG in der o.g. Fassung, welcher eine gesetzliche Definition für den Abbruch der Ausbildung enthält, ist ein solcher dann gegeben, wenn der Auszubildende das Ziel eines förderungsfähigen Ausbildungsabschnittes endgültig nicht mehr anstrebt und nicht in derselben Fachrichtung die Ausbildung an einer Ausbildungsstätte anderer Art im Sinne von § 2 Abs. 1 (BAföG) weiterführt. Letztes trifft jedenfalls auf den Kläger nicht zu. Er führt nämlich die Ausbildung in derselben Fachrichtung (vergl. dazu unten) weiter. Zwar geschieht dies nicht an einer Ausbildungsstätte anderer Art im Sinne von § 2 Abs. 1 BAföG, sondern an der von ihm von Anfang an besuchten. Dies ist jedoch nach Auffassung der Kammer unerheblich; wenn schon die Fortsetzung der Ausbildung in derselben Fachrichtung an einer Ausbildungsstätte anderer Art nicht als Abbruch der Ausbildung zu werten ist, so muß dies erst recht gelten, wenn der Auszubildende an der von ihm besuchten Ausbildungsstätte verbleibt.
18Der Umstand, daß der Kläger nunmehr Wirtschaftswissenschaften (als Hauptfach) mit dem Berufsziel des Lehramtes an Gymnasien studiert, hat auch nicht einen Fachrichtungswechsel bewirkt. Außer in § 7 Abs. 2 und 3 findet sich der Begriff Fachrichtung noch in § 15 a Abs. 4 BAföG. Es kann davon ausgegangen werden, daß der Gesetzgeber diesem Begriff eine einheitliche Bedeutung zugemessen hat, zumal die genannten Vorschriften miteinander korrespondieren. § 15 a Abs. 4 BAföG ist jedoch zu entnehmen, daß bei der Bestimmung des Inhalts des Begriffes Fachrichtung nicht auf das Berufsziel abzustellen ist. Bei Anwendung dieser Vorschrift ist nämlich der Abbruch einer Ausbildung offensichtlich dann zu verneinen, wenn beispielsweise ein Auszubildender den Abschluß eines Studiums der Betriebswirtschaftslehre an einer Hochschule mit der Diplomkaufmannsprüfung nicht mehr anstrebt und statt dessen das Studium der Betriebswirtschaftslehre an einer Fachhochschule (vergl. § 2 Abs. 1 BAföG) mit dem Studienziel eines graduierten Betriebswirtes fortsetzt. Im Hinblick darauf kann daher nicht zweifelhaft sein, daß der Begriff Fachrichtung unabhängig von dem jeweiligen Berufsziel zu sehen ist. Diese Folgerung steht im übrigen auch im Einklang mit der Rechtsprechung der Kammer, die bereits hinsichtlich von Ausbildungen, die auf die Befähigung zu einem Lehramt abzielen, zur Bestimmung des Begriffes Fachrichtung nicht auf das Berufsziel abgestellt hat.
19Vergl. z.B. Urteil der Kammer vom 15. August 1975, Az.: 1 L 219/75.
20Umstände, die einen Wechsel der Fachrichtung bewirken könnten, sind im Falle des Klägers jedoch nicht ersichtlich.
21Daß der Kläger nicht mehr Betriebswirtschaftslehre, sondern Wirtschaftswissenschaften studiert, erscheint unerheblich. Bei dem Studium der Betriebswirtschaftslehre handelt es sich um eine besondere Ausprägung des Studiums der Wirtschaftswissenschaften, bei der andere Bereiche, wie z.B. Volkswirtschaftslehre, durchaus Berücksichtigung finden. Im übrigen spricht insoweit vorliegend gegen einen Wechsel der Fachrichtung, daß dem Kläger das Studium der Betriebswirtschaftslehre voll auf das Studium der Wirtschaftswissenschaften angerechnet worden ist, d.h. der Kläger so gestellt worden ist, als hätte er von Anfang an dieses Studium betrieben.
22Ohne Einfluß auf die Fachrichtung ist es schließlich auch, daß die vom Kläger bereits seit seinem zweiten Semester betriebenen Nebenfächer Sport und Pädagogik im Rahmen des nunmehr angestrebten Studienabschlusses einen anderen, d.h. prüfungsrelevanten Stellenwert erfahren haben. Dies führt nach Auffassung der Kammer allein zu einer Ergänzung der durch das Hauptfach Wirtschaftswissenschaften maßgeblich bestimmten Fachrichtung.
23Da sich nach Berechnung der Kammer der dem Kläger für den Bewilligungszeitraum vom 1. Oktober 1974 bis zum 30. September 1975 zustehende monatliche Förderungsbetrag auf - überschlägig - 120,- DM beläuft, steht dem Kläger die begehrte Ausbildungsförderung grundsätzlich auch als Zuschuß zu (§ 17 Abs. 1 BAföG).
24Nach allem war der Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1, § 188 Satz 2 BAföG stattzugeben.
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