Beschluss vom Verwaltungsgericht Münster - 3 L 232/22
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2500 Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e
2Der sinngemäße Antrag des Antragstellers,
3die aufschiebende Wirkung seiner Klage 3 K 996/22 gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 23. 2. 2022 anzuordnen,
4ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zulässig, aber unbegründet.
5Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO gebotene Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Sein privates Aussetzungsinteresse überwiegt nicht ausnahmsweise das nach der gesetzlichen Wertung des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 7 AufenthG bzw. § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO i. V. m. § 112 JustG NRW grundsätzlich vorrangige öffentliche Interesse an der Vollziehung. Die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, die Abschiebungsandrohung und das angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot mit einer Befristung auf 24 Monate ab dem Tag der Abschiebung sind offensichtlich rechtmäßig.
6Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis nach § 16 b Abs. 2 Satz 4 AufenthG. Danach wird die zu Studienzwecken erteilte Aufenthaltserlaubnis verlängert, wenn der Aufenthaltszweck noch nicht erreicht ist und in einem angemessenen Zeitraum noch erreicht werden kann. Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben, weil der Antragsteller den Aufenthaltszweck nicht mehr in einem angemessenen Zeitraum erreichen kann.
7Was unter einem angemessenem Zeitraum zu verstehen ist, regelt das Gesetz nicht. Entscheidend ist, ob unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und der Normalzeitdauer für die Absolvierung eines derartigen Studiums noch mit einem ordnungsgemäßen Abschluss gerechnet werden kann.
8Vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 20. 8. 2018 – 10 CS 18.789 –, juris, Rdn. 10; Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, 119. Aktualisierung, März 2021, § 16 b AufenthG, Rdn. 41 c.
9Als Anhaltspunkt kann die durchschnittliche Studiendauer an der betreffenden Hochschule in dem jeweiligen Studiengang zugrundegelegt werden. Soweit diese um mehr als drei Semester überschritten ist, ist im Allgemeinen davon auszugehen, dass ein ordnungsgemäßer Abschluss nicht mehr erwartet werden kann (vgl. auch Nr. 16.1.1.6.2 AVwV AufenthG). Die prognostische Beurteilung hat anhand aller Umstände des konkreten Einzelfalls zu erfolgen; besondere Schwierigkeiten für Ausländer in einem Studium in Deutschland sind angemessen zu berücksichtigen.
10Vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 9. 8. 2017 – 13 ME 1677/17 – juris, Rdn. 5; Samel in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Kommentar, 12. Aufl., 2018, § 16 AufenthG, Rdn. 18.
11Die Prognose fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Er hat gerade das siebte Fachsemester des Masterstudiengangs Chemical Engineering an der Fachhochschule N. beendet. Nach Auskunft der Fachhochschule, die nach § 16 b Abs. 2 Satz 5 AufenthG zur Beurteilung der Frage beteiligt werden konnte, liegt die regelmäßige Studiendauer in diesem Studiengang bei vier, die durchschnittliche bei sechs Semestern. Auch wenn man berücksichtigt, dass die Hochschulen in Nordrhein-Westfalen das Sommersemester 2020, das Wintersemester 2020/2021 und das Sommersemester 2021 nach § 10 Abs. 1 Corona-Epidemie-Hochschulverordnung NRW a. F. und darüber hinaus auch das Wintersemester 2021/2022 nach § 9 a Abs. 1 Corona-Epidemie-Hochschulverordnung NRW in der vom 29. 1. 2022 bis 30. 3. 2022 geltenden Fassung nicht auf die Studiendauer anrechnen und die regelmäßige Studiendauer damit aktuell acht Semester und die durchschnittliche Studiendauer zehn Semester beträgt, müsste der Antragsteller sein Studium spätestens nach neun zu zählenden (eigentlich dreizehn) Semestern mit dem Wintersemester 2024/25 abschließen, um die durchschnittliche Studiendauer nicht um mehr als drei Fachsemester zu überschreiten. Dies ist nach dem bisherigen Studienverlauf nicht zu erwarten. Der Antragsteller benötigt 120 Leistungspunkte für den erfolgreichen Abschluss seines Masterstudiums, die sich auf 90 Leistungspunkte aus den Modulprüfungen und 30 Leistungspunkte für die Masterarbeit verteilen. Bisher hat er in den vergangenen sechs Semestern 30 Leistungspunkte erreicht, wobei dieser Punktestand immer noch demjenigen nach vier Fachsemestern entspricht. Legt man diese 30 Leistungspunkte aus sechs Semestern zugrunde, fehlen immer noch 60 Leistungspunkte aus den Modulen und 30 Leistungspunkte aus der Masterarbeit, die in sieben Semestern erreicht werden müssten, also fast dreimal so viel wie bisher. Auch wenn der Antragsteller angegeben hat, dass er wegen der Corona-Pandemie nur eine geringere Anzahl an Punkten erreichen konnte als üblich, kann dennoch nicht angenommen werden, dass die fehlenden Leistungspunkte bis zum Ende des Wintersemesters 2024/25 (neuntes zu zählendes Fachsemester) erreicht werden können. Denn die Schwierigkeiten durch die Corona-Pandemie werden nach dem oben Gesagten bereits dadurch kompensiert, dass vier Semester für die Angemessenheit der Studiendauer nicht mitgezählt werden. Außerdem haben zeitweise auch verstärkt Präsenz- und Hybridveranstaltungen stattgefunden, wie die Fachhochschule N. angegeben hat. Der Antragsteller hat trotz mancher Einschränkungen bei den Präsenzvorlesungen während der Corona-Pandemie zumindest nicht ausreichend die Gelegenheit wahrgenommen, die gleichwohl angebotenen Prüfungen abzulegen und dadurch die Zahl seiner Leistungspunkte in den letzten zwei Semestern zu erhöhen. Das Leistungskonto weist nach der Bescheinigung vom 7. 1. 2022 immer noch lediglich 30 Leistungspunkte auf. Die Fachhochschule N. hat mit Schreiben vom 7. 1. 2022 mitgeteilt, dass der Antragsteller seit dem Wintersemester 2020/21 zwar für Vorlesungen und Veranstaltungen angemeldet gewesen sei, jedoch nur in zwei Modulen Prüfungsversuche unternommen habe; die Prüfungen seien nicht bestanden worden. Ferner hat die Fachhochschule N. der Antragsgegnerin telefonisch mitgeteilt, dass der Antragsteller aufgrund der aktuellen Anmeldungen für Prüfungen im März 2022 nur maximal 14 Leistungspunkte erreichen könnte.
12Die Angaben des Antragstellers, er sei „aktuell ein bisschen krank“ und er plane, sein Studium in maximal drei Semestern abzuschließen, ändern an der negativen Prognose nichts. Krankheitsbedingte Gründe für seinen geringen Studienfortschritt hat er nicht substantiiert geltend gemacht und erst recht keine aussagekräftigen ärztlichen Bescheinigungen mit konkreten Diagnosen vorgelegt. Die Planung, das Studium nunmehr innerhalb von drei Semestern abzuschließen, erscheint vor dem Hintergrund der zuletzt gezeigten Leistungen und der noch ausstehenden 90 Leistungspunkte illusorisch, denn es hat in den letzten Semestern keine Leistungssteigerung gegenüber früheren Semestern gegeben. Im Gegenteil ist ein Leistungsabfall festzustellen, der die Prognose, der Antragsteller werde in den nächsten Semestern mehr Leistungspunkte erreichen als bisher, nicht zulässt. Auch die Angaben der Fachhochschule N. zum voraussichtlichen Studienende in den Bescheinigungen vom 3. 9. 2020 und 29. 11. 2021, der sich ohnehin kontinuierlich nach hinten verschiebt, können daher für die Prognose nicht mehr als aktuell zugrundegelegt werden. Vom Wintersemester 2019/20 bis zum Sommersemester 2021 hat der Antragsteller von den Prüfungen, zu denen er sich angemeldet hat, vier nicht bestanden und ist von den restlichen zurückgetreten; bestanden hat er keine. Auf die im Bescheid beispielhaft angestellten Berechnungen, wie viele Leistungspunkte zukünftig durchschnittlich pro Semester erreicht werden müssten, um zu einem Studienabschluss in angemessener Zeit zu kommen, wird ergänzend Bezug genommen; sie illustrieren anschaulich, dass der bisherige Studienverlauf und insbesondere die zuletzt (mehrfach) nicht bestandenen Klausuren hierfür bei weitem nicht ausreichen.
13Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis nach § 16 f Abs. 1 AufenthG. Die Absolvierung eines Sprachkurses von nur 4 Stunden in der Woche rechtfertigt schon nicht die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, weil für § 16 f Abs. 1 AufenthG ein Intensivsprachkurs mit täglichem Unterricht und einer wöchentlichen Mindestzahl von Unterrichtsstunden erforderlich ist, die jedenfalls fünf überschreiten muss. Erforderlich ist, dass anhand des zeitlichen Umfanges des Sprachkurses ersichtlich ist, dass der Aufenthalt im Inland hauptsächlich dem Erwerb deutscher Sprachkenntnisse dient.
14Vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. 3. 2018 – OVG 2 B 6.17 – juris, Rdn. 30; vgl. auch Nr. 16.5.1.1 AufenthG-VwV: 18 Unterrichtsstunden wöchentlich.
15Dies ist hier nicht der Fall. Außerdem steht der Verlängerung nach dieser Anspruchsgrundlage das Zweckwechselverbot des § 16 b Abs. 4 AufenthG entgegen. Danach darf während eines Aufenthalts zu Studienzwecken nach § 16 b Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis für einen anderen Aufenthaltszweck nur zum Zweck einer qualifizierten Berufsausbildung, der Ausübung einer Beschäftigung als Fachkraft, der Ausübung einer Beschäftigung mit ausgeprägten berufspraktischen Kenntnissen nach § 19 c Abs. 2 AufenthG oder in Fällen eines gesetzlichen Anspruchs erteilt werden. Dazu gehört die Aufenthaltserlaubnis nach § 16 f Abs. 1 AufenthG, die im Ermessen der Ausländerbehörde steht, nicht.
16Der Antragsteller hat schließlich aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Bescheids auch keinen Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Dass seine Ausreise aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich sein könnte, lässt sich seinem Vorbringen nicht entnehmen. Soweit er zielstaatsbezogene Gründe wegen kriegerischer Zustände im Jemen geltend macht, sind diese unsubstantiiert; warum er nicht zu seinen Eltern nach Saudi-Arabien zurückkehren könnte, bleibt nebulös und eine bloße Behauptung.
17Die Abschiebungsandrohung rechtfertigt sich aus § 59 AufenthG und ist rechtlich nicht zu beanstanden.
18Die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots rechtfertigt sich aus § 11 Abs. 1 AufenthG und ist offensichtlich rechtmäßig. Hinsichtlich der Befristung auf 24 Monate im Fall der Abschiebung liegt insbesondere ein Ermessensfehler bei der Bestimmung der Frist nicht vor. Die Maximalfrist beträgt nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG fünf Jahre. Entgegenstehende Gründe, die die Frist von nicht einmal der Hälfte der Maximalfrist unangemessen erscheinen ließen, sind weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.
19Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Referenzen
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- VwGO § 80 3x
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- § 16 b Abs. 2 Satz 4 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
- § 16 f Abs. 1 AufenthG 3x (nicht zugeordnet)
- § 16 b Abs. 4 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
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- VwGO § 154 1x
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