Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (12. Kammer) - 12 B 32/14

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.500,-- € festgesetzt.

Gründe

1

Der Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 29. Oktober 2013 idF des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 2014 ist zulässig, aber unbegründet.

2

Gegen die Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung des Antragsgegners bestehen weder in formeller noch in materieller Hinsicht durchgreifende rechtliche Bedenken.

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In formeller Hinsicht sind die Voraussetzungen der Vorschrift des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO erfüllt. Nach dieser Bestimmung ist im Falle des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO, in dem die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von einer Behörde angeordnet wird, das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Sinn und Zweck dieses Begründungszwanges ist es, die Behörde zu veranlassen, sich des Ausnahmecharakters der Vollzugsanordnung bewusst zu werden, und die Frage, ob das öffentliche Interesse die sofortige Vollziehung erfordert, sorgfältig zu prüfen. Außerdem soll die Begründung dem Betroffenen die Beurteilung der Erfolgsaussichten eines Aussetzungsantrages ermöglichen und dem Gericht die Erwägung der Verwaltungsbehörde, die zu der Anordnung der sofortigen Vollziehung geführt haben, nachvollziehbar und überprüfbar machen (vgl. OVG Schleswig, Beschluss vom 30. Juni 2004 - 3 M 41/04 -; Beschlüsse der Kammer vom 13. Juli 2009 - 12 B 53/09 - und vom 17.10.2011 - 12 B 5/11 -).

4

Diesen Anforderungen genügt die für die sofortige Vollziehung gegebene Begründung des Antragsgegners. Sie lässt erkennen, dass er sich des Ausnahmecharakters des Sofortvollzuges bewusst gewesen ist und die sachlichen Gründe für die sofortige Vollziehung in der Verhinderung eines unerlaubten Wettbewerbsvorteils des Antragstellers gegenüber anderen Gewerbetreibenden durch die Nichtzahlung von Steuern und anderen Beiträgen sowie in der Befürchtung bzw. Erwartung sieht, dass der Antragsteller weitere Abgaben - bzw. Beitragsrückstände entstehen lässt. Dass diese Gründe (teilweise) auch bei der Begründung der Gewerbeuntersagung selbst aufgeführt sind, ist nicht zu beanstanden. Denn das besondere Vollzugsinteresse kann mit dem allgemeinen Interesse am Erlass des Verwaltungsaktes zusammenfallen (vgl. Beschlüsse der Kammer vom 13. Juli 2009 und vom 17. Februar 2011 a.a.O. unter Hinweis auf Tettinger/Wank, GewO, § 35 Rn. 170 f).

5

In materieller Hinsicht wiegt das öffentliche Interesse an der Vollziehung der Untersagungsverfügung schwerer als das private Aufschubinteresse des Antragstellers. Der streitgegenständliche Bescheid erweist sich bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig.

6

Die gerichtliche Entscheidung nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO ergeht auf der Grundlage ei- ner umfassenden Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind einerseits das private Aufschubinteresse des Antragstellers daran, vom Vollzug der Untersagungsverfügung vorerst verschont zu bleiben, und andererseits das öffentliche Interesse an deren Vollziehung. Im Rahmen dieser Interessenabwägung können Erkenntnisse wie Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes Bedeutung erlangen, wenn aufgrund der gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung Erfolg oder Misserfolg des Rechtsbehelfs offensichtlich erscheinen. Ergibt die rechtliche Prüfung des angefochtenen Bescheides, dass dieser offensichtlich rechtmäßig ist, führt dies regelmäßig zu Ablehnung des Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO.

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So liegt es hier.

8

Zur Begründung nimmt die Kammer zunächst Bezug auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Bescheides des Antragsgegners und des Widerspruchsbescheides des Kreises   …    (§ 117 Abs. 5 VwGO).

9

Ergänzend bzw. vertiefend ist noch Folgendes auszuführen:

10

Gewerberechtlich unzuverlässig im Sinne des § 35 Abs. 1 GewO ist derjenige, der keine Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe in Zukunft ordnungsgemäß ausüben kann. Unzuverlässigkeit in diesem Sinne ist u. a. anzunehmen im Falle der Nichterfüllung steuerlicher Erklärungs- und Zahlungsverpflichtungen (vgl. Marcks in: Landmann/Rohmer, GewO, § 35 Rn. 49 mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus Literatur und Rechtsprechung). Steuerverbindlichkeiten können im Rahmen der Unzuverlässigkeitsprognose dann negativ bewertet werden, wenn sie sowohl nach absoluter Höhe als auch im Verhältnis zur Gesamtbelastung des Gewerbetreibenden von einigem Gewicht sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Januar 1994 - 1 ZB 5/04 - Juris). Darüber hinaus kann die Annahme der Unzuverlässigkeit aus einer lange andauernden wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit abzuleiten sein, die infolge des Fehlens von Geldmitteln eine ordnungsgemäße Betriebsführung im Allgemeinen und die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Zahlungsverpflichtungen im Besonderen verhindert, ohne dass Anzeichen für eine Besserung erkennbar sind (BVerwG, Beschluss vom 19. Januar 1994 a.a.O.).

11

Unter Steuerrückständen sind solche Steuern zu verstehen, die der Steuerpflichtige noch nicht gezahlt hat, obwohl er sie von Rechts wegen hätte entrichten müssen. Die Verwaltungsbehörde, die die weitere Gewerbeausübung untersagen will, und die Verwaltungsgerichte, die diese Verfügung überprüfen, sind nicht verpflichtet, die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung durch die Finanzbehörden zu prüfen (BVerwG, Beschluss vom 12. Januar 1976 - 1 B 177/95 - Juris). Unerheblich ist auch, ob sich die Steuerschulden gemäß § 162 Abgabenordnung - AO - aus geschätzten oder exakt ermittelten Besteuerungsgrundlagen ergeben (BVerwG, Beschluss vom 29. Januar 1988 - 1 B 164/87 - Juris).

12

Ein Verschulden im Sinne eines moralischen oder ethischen Vorwurfs oder ein Charaktermangel auf Seiten des Gewerbetreibenden sind nicht Voraussetzung einer Gewerbeuntersagung wegen Unzuverlässigkeit (ständige Rechtsprechung seit BVerwG, Urteil vom 02. Februar 1982 - 1 C 146/80 - Juris).

13

Unter Zugrundelegung dieser Kriterien ist der Antragsgegner zutreffend zu der Überzeugung gelangt, dass der Antragsgegner gewerberechtlich unzuverlässig ist. Bereits unter dem 08. Juli 2013 hat das Finanzamt B-Stadt dem Antragsgegner mitgeteilt, dass die Steuerrückstände des Antragstellers sich auf 7.585,13 € beliefen; zum Zeitpunkt des Zugangs der Gewerbeuntersagung am 01. November 2013 beliefen sie sich auf 9.345,63 € (Bl. 2 R der Beiakte A). Diese Rückstände sind im Laufe der Zeit stetig gewachsen; sie beliefen sich am 04. Juni 2014 bereits auf 83.824,50 €. Weiterhin bestanden zum Zeitpunkt des Erlasses der Gewerbeuntersagung Forderungen seitens der …    in Höhe von 15.150,89 €, bei der    …   waren Rückstände in Höhe von 7.356,57 € aufgelaufen.

14

Zwar wurde zwischen den Beteiligten am 21. November 2013 vereinbart, dass der Antragsteller bis zum 29. November 2013 mit einer Summe von 5.000,-- € kleinere Rückstände ausgleichen und Zahlungen an das Finanzamt und die  …  aufnehmen sollte. Darüber hinaus sollten fehlende Erklärungen beim Finanzamt eingereicht und ab Anfang 2014 die privaten Beiträge des Antragstellers bei der    …  getilgt werden. Diese Abrede war Grund für den Antragsgegner, den Sofortvollzug (zunächst) nicht umzusetzen.

15

Unter dem 10. Juli 2014 beliefen sich die Gesamtrückstände des Antragstellers nach den Ermittlungen des Antragsgegners und der Widerspruchsbehörde indes auf 115.180,45 € (vgl. die Aufstellung des Kreises  … , Bl. 115 f Beiakte A). Dies war Anlass für den Kreis , den Widerspruch des Antragstellers vom 15. November 2013 durch Bescheid vom 10. Juli 2014, dem Antragsteller bzw. seinem Verfahrensbevollmächtigten am 16. Juli 2014 zugestellt, unter Hinweis auf die Unzuverlässigkeit des Antragstellers wegen der erheblichen und stark angewachsenen Rückstände zurückzuweisen. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass der Widerspruchsbescheid des Kreises …   im Einleitungssatz und im Tenor irrtümlich davon ausgeht, dass der Antragsgegner dem Antragsteller nicht nur die Ausübung des Gewerbes „ …   “, sondern auch die Ausübung aller weiteren Gewerbe, die dem Anwendungsbereich des § 35 GewO unterliegen, untersagt habe. Dabei handelt es sich nur um eine unschädliche Falschbezeichnung.

16

Soweit der Antragsteller in seiner Antragsbegründung vorträgt, dass die Defizite im Wesentlichen abgebaut seien und er zwischenzeitlich die Einkommens- und Umsatzsteuererklärung für die Jahre 2011 bis 2013 beim Finanzamt eingereicht habe, ändert dies nichts an seiner Unzuverlässigkeit. Zwar ist es richtig, dass am 18. Juli 2014 Einkommenssteuererklärungen für die Jahre 2011 bis 2013 vorgelegt wurden. Dieser Umstand kann dem Antragsteller aber deshalb nicht zugutekommen, weil dies erst nach Zustellung des Widerspruchsbescheides (16. Juli 2014) geschehen ist und maßgeblich für die Beurteilung der Zuverlässigkeit die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Zugangs des Widerspruchsbescheides ist. Danach eintretende Entwicklungen können allenfalls in einem Wiedergestattungsverfahren nach § 35 Abs. 6 GewO Berücksichtigung finden. Entscheidend ist ohnehin, dass der Antragsteller seinen steuerlichen Pflichten bis zur letzten Behördenentscheidung nicht nachgekommen ist und auch weiterhin nicht nachkommt (Auskunft des Finanzamtes vom 05. September 2014, Bl. 141 der Beiakte A). Auch die Rückstände (Einkommenssteuer und Umsatzsteuer) haben sich nicht verringert, sondern noch erhöht (vgl. die Aufstellung des Finanzamtes vom 05. September 2014 (Bl. 142 ff Beiakte F).

17

Die Absicht des Antragsgegners, den Sofortvollzug nunmehr umzusetzen, ist auch nicht überraschend. Dem Antragsteller musste klar sein, dass er - sollte er die in der Vereinbarung vom 29. November 2013 festgelegten Verpflichtungen nicht erfüllen - der Antragsgegner den Sofortvollzug betreiben würde. Spätestens nach Erhalt des Widerspruchsbescheides, in dem dem Antragsteller noch einmal deutlich dargelegt wurde, wie hoch seine Verbindlichkeiten bzw. auf welchem Betrag sie inzwischen angewachsen sind, musste der Antragsteller damit rechnen, dass der Antragsgegner im Hinblick auf den Sofortvollzug tätig werden würde.

18

Die Gewerbeuntersagung war auch erforderlich und verhältnismäßig. Die Interessen des Steuerfiskus fallen in den Schutzbereich des Untersagungstatbestandes und rechtfertigen eine Gewerbeuntersagung und die Verhinderung der gewerblichen Betätigung. Eine solche Untersagung ist regelmäßig nicht unverhältnismäßig. Der Umstand, dass der Antragsteller durch die Untersagung der Gewerbeausübung die Möglichkeit der (selbständigen) Einkommenserzielung genommen und er möglicherweise auf die Inanspruchnahme von Sozialleistungen angewiesen sein wird, vermag die Verhältnismäßigkeit der Gewerbeuntersagung nicht in Frage zu stellen.

19

Schließlich liegt die sofortige Vollziehung auch im besonderen öffentlichen Interesse. Ein solches Interesse an der sofortigen Vollziehung (Dringlichkeitsinteresse) an der Gewerbeuntersagungsverfügung ist dann gegeben, wenn die begründete Besorgnis besteht, dass der unzuverlässige Gewerbetreibende einen der vielfältigen berechtigten Belange der Allgemeinheit, zu denen u.a. die des Steuerfiskus gehören, dadurch weiterhin gefährdet, dass er sein Fehlverhalten im Anschluss an die behördliche Gewerbeuntersagung, gegebenenfalls auch während des Hauptsacheverfahrens, fortsetzt (vgl. Beschluss der Kammer vom 17. Februar 2011 - 12 B 5/11 - mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des BVerwG). Eine solche Gefährdung ist dann anzunehmen, wenn zu erwarten ist, dass dem Fiskus die jeweils neu entstehenden Abgaben erneut und über längere Zeit hinweg vorenthalten werden und die Abgabenrückstände steigen oder der Gewerbetreibende seine steuerrechtlichen Pflichten nach wie vor nicht erfüllt. Dies ist - wie oben dargestellt - vorliegend der Fall.

20

Die Androhung unmittelbaren Zwangs findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 236 Abs. 1, 235 Abs. 1 Nr. 3 Landesverwaltungsgesetz (LVwG).

21

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; der Wert des Streitgegenstandes ist gemäß §§ 52 Abs. 1, 63 Abs. 2 iVm Nr. 54.2.1., Nr. 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit festgesetzt worden.


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