Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (8. Kammer) - 8 B 17/15

Tenor

Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung vom 25.04.2014 wird angeordnet.

Der Antragsgegner und der Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.

Der Streitwert wird auf 7.500,-- € festgesetzt.

Gründe

I.

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Der Antragsteller ist Eigentümer des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks A- Straße in A-Stadt. Südlich davon liegt das ebenfalls mit einem Wohnhaus bebaute Grundstück A. Im Süden daran schließt sich im Anschluss an einen Weg das Grundstück des Beigeladenen an (Flurstück A), auf dem sich die Gebäude eines landwirtschaftlichen Betriebes befinden. Der Antragsgegner hatte dem Beigeladenen mit Baugenehmigung vom 25.04.2014 den Neubau eines Rinderboxenlaufstalls sowie den Ausbau eines Rinderstallgebäudes mit Hallenanbau zum reinen Rinderstall und Erweiterung der Kälberhaltung für die Haltung von insgesamt 593,7 Großvieheinheiten (GV) genehmigt. Die Genehmigung enthält die Auflage (Nr. 7), dass die Immissionsschutzstellungnahme vom 08.07.2013 der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein eine Grundlage für die Zulässigkeit des Vorhabens sei, sie sei Bestandteil der Baugenehmigung und bei der Errichtung und dem Betrieb des Vorhabens zu beachten. In dieser Stellungnahme wird ausgeführt, dass die Häufigkeit der bewerteten Geruchsstunden am Gebäude des Antragstellers vor dem Umbau bei 24,7 liege und nach dem Umbau bei 22,8 liegen werde. Die nach der Geruchsimmissionsrichtlinie (GIRL) maßgebliche belästigungsrelevante Kenngröße von 15 % für Dorfgebiete werde zwar überschritten, im Laufe der Jahre habe sich jedoch um den Betrieb des Beigeladenen quasi als Schicksalsgemeinschaft ein räumlich enges Miteinander von landwirtschaftlichen Betrieben und Wohnhäusern ergeben, dieses sei historisch gewachsen, habe bisher gut funktioniert und sei daher als ortsüblich zu bezeichnen. Weiter sei zu berücksichtigen, dass sich durch die geplanten Maßnahmen - bezogen auf die bestehende Immissionssituation - die belästigungsrelevanten Kenngrößen an allen Monitorpunkten deutlich verbesserten, so dass hier keine Verschlechterung der Immissionssituation zu erwarten sei. Nachdem der Antragsteller mit Schreiben vom 19.09.2014 Immissionsschäden auf seinem Grundstück, die auf dem Betrieb des Beigeladenen beruhten, geltend gemacht hat und um Überprüfung des Betriebs gebeten hatte, bat er mit Schreiben vom 24.10.2014 um Mitteilung der für den Betrieb des Beigeladenen erteilten Genehmigungen. Nachdem er mit Schreiben vom 29.12.2014 um Zusendung der vollständigen Baugenehmigung in Kopie gebeten hatte, legte er mit Schreiben vom 21.01.2015 Widerspruch ein. Diesen wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 29.04.2015 zurück.

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Nachdem der Beigeladene am 05.05.2015 den Baubeginn angezeigt hatte, erhob der Antragsteller mit Schreiben vom 26.05.2015 Klage (8 A 90/15) und begehrte einstweiligen Rechtsschutz.

II.

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Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ist statthaft, da der Widerspruch gemäß § 212 a BauGB keine aufschiebende Wirkung hat. Er ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere nicht verwirkt.

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Verwirkung tritt ein, wenn der Berechtigte „längere Zeit" von seinem Abwehrrecht keinen Gebrauch macht und der Verpflichtete deswegen darauf vertraut, dass solche Abwehrrechte nicht geltend gemacht werden und die erfolgreiche Durchsetzung solcher Rechte mit erheblichen Nachteilen für den Verpflichteten verbunden wäre. Wann die Untätigkeit das Vertrauen der Verpflichteten rechtfertigt, Abwehrrechte würden nicht mehr geltend gemacht, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Maßgeblich ist insofern, wann und aufgrund welcher Umstände die Berechtigten Anlass hatten, sich bei dem Störer zu melden und sich über die Beeinträchtigung ihrer Rechte zu beschweren (Domning/Möller/Bebensee, Kommentar zur LBO, 3. Aufl., 16. Ergänzungslieferung 2013, § 59 Rnr. 123 m.w.N.). Hier liegen die Voraussetzungen für einen derartigen Verstoß gegen die Grundsätze von Treu und Glauben durch den Antragsteller nicht vor. Er hat sich im September 2014 bei dem Antragsgegner über die vom Betrieb des Beigeladenen ausgehenden immissionsbedingten Schäden auf seinem Grundstück beschwert, und nachdem ihm - nach längerer Prüfung durch den Antragsgegner - die hier streitige Baugenehmigung zur Kenntnis gegeben wurde, dagegen zeitnah Widerspruch eingelegt. Weder dem Verwaltungsvorgang des Antragsgegners noch dem Vorbringen der Beteiligten lassen sich Anhaltspunkte dafür nehmen, dass der Beigeladene vorher - also nach Erhalt der Baugenehmigung - darauf vertrauen durfte, der Antragsteller werde dagegen nichts unternehmen, da nicht erkennbar ist, dass er im Baugenehmigungsverfahren beteiligt wurde.

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Der Antrag ist auch begründet. Die gerichtliche Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 iVm § 80 a Abs. 3 Satz 2 VwGO ergeht aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung, in der das Aufschubinteresse des Antragstellers gegen das Interesse des Beigeladenen daran, von der Baugenehmigung Gebrauch zu machen, abzuwägen ist. Im Rahmen dieser Abwägung sind auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit oder die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Baugenehmigung zu berücksichtigen. Maßgeblich ist jedoch, dass ein Nachbar einen Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs oder einer Klage nicht schon dann hat, wenn die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist, sondern erst dann, wenn durch die Baugenehmigung Rechtsnormen verletzt werden, die zumindest auch dem Schutz des Nachbarn dienen, also dritt- schützende Wirkungen haben. Drittschützende Wirkung vermitteln nur solche Vorschriften des öffentlichen Baurechts, die auch der Rücksichtnahme auf individuelle Interessen oder deren Ausgleich untereinander dienen. Gegenstand der rechtlichen Überprüfung sind (nur) die in der Genehmigung getroffenen Regelungen, eine evtl. abweichende Bauausführung oder abweichende Tierbestandszahlen sind nicht (unmittelbar) entscheidungsrelevant.

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Bei der in diesem Verfahren nur möglichen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers, weil sich die Baugenehmigung als rechtswidrig erweist. Die Immissionen auf dem Grundstück des Antragstellers übersteigen die Grenze der Zumutbarkeit.

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Das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot soll gewährleisten, dass Nutzungen, die geeignet sind, Spannungen und Störungen hervorzurufen, so zugeordnet werden, dass Konflikte möglichst vermieden werden. Welche Anforderungen sich hieraus im Einzelnen ergeben, hängt maßgeblich davon ab, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Ist die Grundstücksnutzung aufgrund der konkreten örtlichen Gegebenheiten mit einer spezifischen gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet, so führt dies nicht nur zu einer Pflichtigkeit desjenigen, der Immissionen verursacht, sondern auch zu einer Duldungspflicht desjenigen, der sich solchen Immissionen aussetzt (BVerwG, Urteil vom 29.10.2012 - 4 C 8/11 -, juris, Rnr. 16). Äußerste Grenze dessen, was im Nachbarschaftsverhältnis hingenommen werden muss, ist die Gesundheitsgefährdung. Allerdings ergeben sich auch darunter Zumutbarkeitsschwellen, die sich an einer konkreten Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit der betroffenen Rechtsgüter ausrichten (BVerwG, Beschluss vom 28.07.2010 - 4 B 29/10 -, juris, Rnr. 8). Für die Frage, welche Geruchsimmissionen bei der - hier immissionsschutzrechtlich nicht genehmigungsbedürftigen - Anlage des Beigeladenen (gem. § 22 Abs. 1 Satz 1 iVm § 3 Abs. 1 BImSchG) hinzunehmen sind, ergeben sich Orientierungswerte aus der Geruchsimmissionsrichtlinie (GIRL), die gemäß gemeinsamem Erlass des Ministeriums für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume und des Innenministeriums vom 04.09.2009 (Amtsbl. 2009, S. 1006) bei der Durchführung von Genehmigungsverfahren nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz und der Landesbauordnung zu berücksichtigen sind (BVerwG, Beschluss vom 28.07.2010 aaO juris, Rnr. 3). Die dort aufgeführten Kriterien sind für Behörden und Gerichte nicht bindend, dürfen aber im Einzelfall im Rahmen der tatrichterlichen Bewertung als Entscheidungshilfe herangezogen werden. Ähnliches gilt für die seit Ende 2012 in Kraft befindliche VDI-Richtlinie 3894 Bl. 1 und 2, die sich mit Emissionen und Immissionen aus Tierhaltungsanlagen (Schweine, Rinder, Geflügel, Pferde) und der Methode zur Abstandsbestimmung hinsichtlich des Geruchs befassen. Danach ist die GIRL für nicht genehmigungsbedürftige Anlagen sinngemäß anzuwenden. Vor einer Immissionsbeurteilung ist grundsätzlich zu prüfen, ob die nach dem Stand der Technik gegebenen Möglichkeiten zur Verminderung der Immissionen ausgeschöpft sind (GIRL Abschnitt 2). Als Beurteilungskriterium gilt bei Wohn-/Mischgebieten ein Immissionswert von 0,10, für Dorfgebiete ein Wert von 0,15 (GIRL Abschnitt 3.1). Dabei handelt es sich um eine belästigungsrelevante Kenngröße, bei der berücksichtigt wird, dass der Geruch von Rinderhaltungsanlagen weniger belästigend wirkt als von Schweine- oder Geflügelställen. Gemäß GIRL Abschnitt 5 sind nur diejenigen Geruchsbelästigungen als schädliche Umwelteinwirkungen iSd § 3 Abs. 1 BImSchG zu werten, die erheblich sind. Die Erheblichkeit ist keine absolut festliegende Größe, sie kann in Einzelfällen nur durch Abwägung der dann bedeutsamen Umstände festgestellt werden. Dabei ist die Ortsüblichkeit, also die Prägung eines Gebiets durch eine bereits vorhandene Geruchsbelastung, der Charakter der Umgebung sowie besondere Verhältnisse in der tages- und jahreszeitlichen Verteilung der Geruchseinwirkungen sowie deren Art und deren Intensität zu berücksichtigen. Außerdem muss berücksichtigt werden, dass die Grundstücksnutzung mit einer gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet sein kann, die u.a. dazu führen kann, dass die Belästigten in höherem Maße Geruchseinwirkungen hinnehmen müssen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn einer emittierenden Anlage Bestandsschutz zukommt. In diesem Fall können Belästigungen hinzunehmen sein, selbst wenn sie bei gleichartigen Immissionen in anderen Situationen als erheblich anzusehen wären. In den Auslegungshinweisen zur GIRL (Amtsblatt 2009 S. 1022 ff) wird ausgeführt, dass bei der Anwendung auf nicht genehmigungsbedürftige landwirtschaftliche Anlagen in jedem Fall eine Einzelprüfung erforderlich sei, da z.B. aufgrund der Ortsüblichkeit ggfls. höhere Geruchsimmissionen toleriert werden könnten. In diesen Fällen könnten die Immissionswerte als Zielwerte in bestehenden Konfliktfällen herangezogen werden. Auch die Festlegung von Zwischenwerten sei denkbar. Für den Fall, dass ein Wohngebiet direkt an den Außenbereich angrenzt, sollte der festgelegte Zwischenwert den Immissionswert für Dorfgebiete nicht überschreiten. In der VDI-Richtlinie 3849 Bl. 2 S. 38 wird ausgeführt, sowohl für den Übergang vom Dorfgebiet zum Außenbereich als auch von der geschlossenen Wohnbebauung zum Außenbereich könnten, wiederum nach Prüfung des Einzelfalls, Zwischenwerte vertretbar sein (Dorfgebiet zum Außenbereich: bis 20 %, Wohnbebauung zum Außenbereich: bis 15 %). In der Rechtsprechung ist auch für den Fall, dass nicht privilegierte Wohnbebauung im Außenbereich von Emissionen landwirtschaftlicher Betriebe, die ebenfalls im Außenbereich liegen, betroffen ist, anerkannt, dass insoweit der in der GIRL für Dorfgebiete vorgesehene Immissionswert von 0,15 nicht übernommen werden könne, sondern ein höherer Immissionswert als 0,15 hinzunehmen sei. Es bleibe offen, ob ein Immissionswert von bis zu 0,20 „im Regelfall" zumutbar sei (OVG Schleswig, Urteil vom 09.12.2010 - 1 LB 6/10 -, juris, Rnr. 23).

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Nach diesen Grundsätzen überschreitet die in der Stellungnahme der Landwirtschaftskammer festgestellte Geruchssituation auf dem Grundstück des Antragstellers (die mit 24,7 % der gewichteten Jahresstunden berechnet worden ist) die Zumutbarkeitsschwelle. Der Umstand, dass nach Umsetzung der Baugenehmigung ein Wert von 22,8 % errechnet wurde, führt nicht zu einer anderen - für den Antragsteller günstigen - Beurteilung.

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Das Grundstück des Antragstellers liegt in einem Dorfgebiet, so dass als „Immissionswert" der Wert gemäß Abschnitt 3.1 der GIRL von 0,15 als Zumutbarkeitsschwelle anzusetzen ist. Wie in der Immissionsschutzstellungnahme ausgeführt wird, befinden sich - nach den überschlägigen Angaben des Antragstellers - im Bereich der Gemeinde A-Stadt noch zwei Rinderhaltungs- und zwei Pferdehaltungsbetriebe. Diese sind, wie sich aus dem Lageplan, der Anlage der Immissionsschutz-Stellungnahme ist, in räumlicher Nähe zum Betrieb des Beigeladenen gelegen, so dass die Voraussetzungen für die Annahme eines Dorfgebiets (iSv § 5 BauNVO) hier gegeben sind. Schon der gegenüber Wohngebieten (0,10) für Dorfgebiete erhöhte Immissionswert (0,15) berücksichtigt, dass dort auf Landwirtschaft vorrangig Rücksicht zu nehmen ist (§ 5 Abs. 1 Satz 2 BauNVO; OVG Lüneburg, Urteil vom 09.06.2015 - 1 LC 25/14 -, juris, Rnr. 34). Auch wenn zu Grunde gelegt wird, dass der Betrieb des Beigeladenen sich - wovon die Beteiligten übereinstimmend wohl zutreffend ausgehen - auf einem Außenbereichsgrundstück befindet und sich das Grundstück des Antragstellers somit am Dorfrand in der Nähe zum Außenbereich befindet, wäre allenfalls eine Erhöhung des noch zumutbaren Immissionswerts auf 0,20 diskutabel. Auch dieser Wert wird jedoch - selbst wenn der in der Immissionsschutz-Stellungahme errechnete Wert bei Verwirklichung des Bauvorhabens zugrundegelegt wird (0,228), überschritten. Eine noch weitergehende Überschreitung ist nur in ganz besonderen Ausnahmefällen hinzunehmen. In der Rechtsprechung werden in diesem Zusammenhang Fälle ehemaliger landwirtschaftlicher Betriebe genannt, deren Wohngebäude zu landwirtschaftsfremder Wohnnutzung umgenutzt worden sind, und die noch an den Nachwirkungen der (ehemaligen) Rücksichtnahmepflichten im Verhältnis benachbarter landwirtschaftlicher Betriebe zueinander teilnehmen (OVG Lüneburg, Beschluss vom 06.03.2013 - 1 ME 205/12 -, Rnr. 41 ff.).

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Hier ist schon fraglich, ob überhaupt eine Verbesserung der Geruchsimmissionen zu erwarten ist. Aus der Stellungnahme geht schon nicht hervor, wie die Änderung des Rinderbestands von (genehmigten) 410 Stück (369,5 GV) um 281 Tiere auf 691 Stück (593,7 GV) zu einer Verbesserung der Geruchsbelastung führen soll. Veränderungen im Baubestand, in der Futter- oder Entmistungstechnik, die emissionsmindernd wirken können, werden nicht beschrieben. In der Immissionsschutz-Stellungnahme wird lediglich die Veränderung der Tierzahlen beschrieben, bei der Berechnung der vorhandenen Immissionssituation beschreibt die Verfasserin die vorhandenen Quellen sowie die weiteren landwirtschaftlichen Tierhaltungen in der Umgebung. Hinsichtlich der geplanten Immissionssituation beschreibt die Verfasserin ebenfalls die Quellen sowie zusätzlich den Umstand, dass die Silage-Lagerung 3 (Quelle Nr. 10) nach Umsetzung der baulichen Maßnahmen nicht mehr genutzt und die Bullenmast (50 Tiere) eingestellt werde. Die emissionsrelevanten Betriebe der Umgebung werden sowohl bei der Berechnung des Bestands als auch der geplanten Situation berücksichtigt. Hinsichtlich der Silage-Lagerung, der Dungplatte und den beiden Güllebehältern ergeben sich keine Veränderungen, die Anzahl der Geruchseinheiten (GE/s) bleibt gleich. Zwar entfällt die Bullenmast (50 Tiere, was GE/s von 420 entspricht (Stellungnahme Seite 6) und wird das südlich des Wohnhauses gelegene Silagelager 3 (180 GE/s) aufgelöst, diese Minderung der Geruchsbelastung wird jedoch durch die hinzukommenden Tierzahlen weit überwogen (vorhandene Situation: 4254 GE/s, geplante Situation: 5670 GE/s).

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Selbst wenn der in der Stellungnahme errechnete verbesserte Wert von 0,228 zugrundegelegt wird, liegt dieser über der hier anzunehmenden Zumutbarkeitsgrenze, die bei einem Wert im Randbereich des Dorfgebiets im Übergang zum Außenbereich bei 0,20 liegt. Diese Verbesserung führt hier nicht zur Zumutbarkeit für die Nachbarschaft. Insoweit ist der überzeugenden Rechtsprechung des OVG Lüneburg zu folgen, wonach eine Verbesserung nicht automatisch zur Nachbarverträglichkeit führt, wenn die Zumutbarkeitsgrenzen überschritten sind (Beschluss vom 06.03.2013 - 1 ME 205/12 -, juris, Rnr. 28). Maßgeblich ist in solchen Fällen, ob die Gesamtbetrachtung der Immissionssituation des beeinträchtigten Nachbarn im Einzelfall die Bewertung rechtfertigt, die Situation sei trotz Überschreitung der Immissionsrichtwerte (noch) zumutbar. Wie oben beschrieben, kann ausnahmsweise im Randbereich eines Dorfgebiets im Übergang zum Außenbereich eine Überschreitung des Immissionswerts von 0,15 (bis zu 0,20) zumutbar sein. Eine darüber hinausgehende Zumutbarkeit kann nur in ganz besonderen Ausnahmefällen angenommen werden, die u.a auch voraussetzen, dass die nach dem Stand der Technik möglichen Maßnahmen zur Reduzierung der Geruchsbelastung (GIRL Abschnitt 2, VDI Richtlinie 3894 Bl. 1, Abschnitt 4.2, S. 39) durchgeführt wurden. Ein solcher Ausnahmefall ist hier jedoch nicht gegeben. In der Immissionsschutz-Stellungnahme und in den Bauvorlagen werden emissionsmindernde Maßnahmen nicht erwähnt. Das Grundstück des Antragstellers ist auch nicht (im Sinne der o.g. Rechtsprechung) durch landwirtschaftsbezogenes Wohnen im Außenbereich geprägt. Der Antragsteller hat insoweit - unwidersprochen - geltend gemacht, er sei Selbstversorger und habe bis vor einigen Jahren schottische Hochlandrinder gehalten. Selbst wenn es sich insoweit schon um Landwirtschaft gehandelt haben sollte, lag sein Grundstück schon immer im Bebauungszusammenhang, der hier ausweislich der vorliegenden Unterlagen einen Ortsteil bildet und somit im Dorfgebiet, also nicht im Außenbereich. Daher sind die Grundsätze, die für ehemalige landwirtschaftsbezogene Wohnnutzung eine Erhöhung der Zumutbarkeitsgrenze für gerechtfertigt halten, hier nicht anwendbar. Im Übrigen ist die Geruchsbelastung nur ein Ausschnitt aus den Emissionen des Betriebs des Beigeladenen auf seine Umgebung. Wie der Antragsteller zutreffend ausführt, sind zusätzlich der betriebsbezogene Lärm sowie die Belastungen durch Ammoniak, Lachgas und Methan zu berücksichtigen. Diese werden auch in der VDI-Richtlinie 3894, Blatt 1, S. 36 beschrieben und sind in eine Gesamtbetrachtung einzubeziehen. Die genehmigte Nutzung des erweiterten Rinderstalls und des neu gebauten Stalls durch die erhöhte Tierzahlen verfestigt und vertieft - trotz der (hier unterstellten) Verbesserung der Geruchsbelastung - die schon im Bestand nicht zumutbare Immissionssituation zu Lasten des Antragstellers.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über den Streitwert aus § 63 Abs. 2 iVm §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG (im Hauptverfahren 15.000 €, im Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes davon die Hälfte).


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