Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (3. Kammer) - 3 B 24/17

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.

Der Streitwert wird auf 5.000,-- € festgesetzt.

Gründe

1

Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den angefochtenen Bescheid ist nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässig, jedoch unbegründet.

2

Die Sofortvollzugsanordnung aufgrund eines besonderen Vollzugsinteresses nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ist in dem angefochtenen Bescheid gesondert in ausreichendem Maße begründet worden, so dass die Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO erfüllt sind und die Anordnung der sofortigen Vollziehung in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden ist.

3

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist auch in materieller Hinsicht nicht zu beanstanden. Die Entscheidung über einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ergeht aufgrund einer Interessenabwägung. In diese Abwägung ist die Erfolgsaussicht des eingelegten Rechtsbehelfs dann maßgeblich einzustellen, wenn sie in der einen oder anderen Richtung offensichtlich ist. An der Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Bescheides besteht kein öffentliches Interesse. Ist der Bescheid hingegen offensichtlich rechtmäßig, ist ein Aussetzungsantrag regelmäßig abzulehnen. Lässt sich nach der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen summarischen Prüfung weder die Rechtmäßigkeit noch die Rechtswidrigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, so ergeht die Entscheidung aufgrund einer weiteren Interessenabwägung, in der gegenüber zu stellen sind zum einen die Auswirkungen in Bezug auf das öffentliche Interesse in dem Fall, dass dem Antrag stattgegeben wird, die Klage im Hauptsacheverfahren aber erfolglos bleibt, und zum anderen die Auswirkungen auf den Betroffenen für den Fall, dass es zunächst bei der vorläufigen Vollziehung des Verwaltungsaktes bleibt, sein Rechtsschutzbegehren im Hauptsacheverfahren dann jedoch Erfolg hat.

4

Vorliegend ist entscheidend, dass der streitige Bescheid nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtmäßig anzusehen ist.

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Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) iVm § 46 Abs. 1 Satz 2 Fahrerlaubnisverordnung (FeV). Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich jemand als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Ein solcher Fall liegt gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere dann vor, wenn Erkrankungen oder Mängel iSd Anlage 4 zur FeV vorliegen. Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV schließt die Einnahme von Betäubungsmitteln iSd Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen aus. Nach Nr. 9.2.2 ist eine Fahreignung bei gelegentlicher Einnahme von Cannabis insbesondere dann zu verneinen, wenn eine Trennung von Konsum und Fahren nicht gewährleistet ist.

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Nach dem jetzigen Sach- und Streitstand ist von einer Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen im Sinne der Nr. 9.2.2 der Anlage zur FeV auszugehen.

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Eine fehlende Trennungsfähigkeit in dem vorgenannten Sinne ist hier aufgrund des Ergebnisses der Begutachtung einer Blutprobe des Antragstellers durch das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) erwiesen.

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Maßgebend für die Annahme eines unzureichenden Trennungsvermögens ist, ob der oder die Betroffene objektiv unter dem Einfluss einer Cannabiskonzentration am Straßenverkehr teilgenommen hat, bei der nach wissenschaftlichen Erkenntnissen fahrsicherheitsrelevante Beeinträchtigungen möglich sind (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 23.10.2014, 3 C 3/13). Die Kammer geht davon aus, dass eine gemessene THC-Konzentration ab 1,0 ng/ml im Blutserum im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges in der Regel ein Beleg für eine mangelnde Trennungsfähigkeit im Sinne der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ist. Damit folgt sie der Rechtsprechung des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts (Beschluss vom 09.05.2005 – 4 MB 43/05; so auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 15.11.2004 – 10 S 2194/04 = ZfS 2005, 155; OVG Lüneburg, Beschluss vom 11.07.2003 – 12 ME 287/03 = NVwZ-RR 2003, 899 ff.). Grundlage dieser Rechtsprechung ist insbesondere der Beschluss der sog. Grenzwertkommission vom 20.11.2002, aktualisiert durch Beschluss vom 22.05.2007 (Blutalkohol 44 -2007-, 311). Danach ist ab 1,0 ng/ml THC im Blutserum eine fahrsicherheitsrelevante Beeinträchtigung möglich, so dass dies als Grenzwert für die Annahme einer Ordnungswidrigkeit nach § 24 a Abs. 2 StVG festgelegt wurde. Die im September 2015 aktualisierten Empfehlungen der Grenzwertkommission zur Beurteilung des Trennungsvermögens beinhalten keine Abkehr von dem vorgenannten Grenzwert, so dass sie keine Veranlassung zu einer anderen Bewertung dieses Gesichtspunktes bieten (vgl. OVG Schleswig, Beschluss vom 08.09.2016 - 3 MB 36/16 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).

9

Die vom Antragsteller angeführte Entscheidung des OLG Hamm, Urteil vom 15.06.2012 – III-2 RBs 50/12, steht der Annahme eines unzureichenden Trennungsvermögens nicht entgegen. Darin wird erkennbar darauf abgestellt, ob der sich Betroffene aufgrund bestimmter Umstände hätte bewusst machen können, dass der Konsum noch hätte Auswirkungen haben können. Dies entspricht nicht dem zugrunde liegenden Maßstab der Rechtsprechung der Kammer, wonach es darauf ankommt, ob der Betroffene nicht mit Sicherheit davon ausgehen durfte, dass der Rauschmittelwirkstoff noch nicht vollständig unter den analytischen Grenzwert abgebaut ist. Solange diese Sicherheit nicht gegeben ist, darf er kein Kraftfahrzeug führen. Ein bloßer Zeitablauf entlastet ihn daher nicht. Dabei ist auch zu beachten, dass der Abbau von THC im Gegensatz zu Alkohol nicht linear, sondern komplex verläuft und von einer Vielzahl von Faktoren abhängig ist (OVG Schleswig, Beschluss vom 22.12.2014 – 2 O 19/14).

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Darüber hinaus gebietet auch der vom Antragsteller angeführte Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung hier kein anderes Ergebnis. Da es im Ordnungswidrigkeitenrecht auf den subjektiven Fahrlässigkeitsvorwurf ankommt, sind bei Maßnahmen der Gefahrenabwehr – wie die hier vorliegende Fahrerlaubnisentziehung – nicht zwingend dieselben Maßstäbe anzuwenden. Dies folgt aus dem der Gefahrenabwehr zu Grunde liegenden Zweck des Schutzes der Allgemeinheit als Ausdruck der staatlichen Schutzpflicht vor Gefahren für Leib und Leben aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG. Eine Sanktionierung eines vorangegangenen Verhaltens, die ein schuldhaftes Verhalten erfordert, ist gerade nicht beabsichtigt.

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Aus dem forensisch-toxikologischen Gutachten des UKSH vom 02.01.2017 ergibt sich hier, dass in der Blutprobe des Antragstellers eine THC-Konzentration von 1,5 ng/ml festgestellt wurde; die Konzentration des THC-Abbauproduktes THC-COOH betrug 21 ng/ml. Damit ist belegt, dass der Antragsteller vor der Überprüfung durch die Polizei Cannabis konsumiert hat und dann unter dem Einfluss dieses Betäubungsmittels ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr geführt hat.

12

Diese festgestellte fehlende Trennungsfähigkeit reicht allein indes nicht aus, um von der Verwirklichung des Tatbestandes der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV und damit von einer Ungeeignetheit im Sinne des § 46 Abs. 1 FeV ausgehen zu können. Nach dem Wortlaut dieser Regelung ist kumulative Voraussetzung die gelegentliche Einnahme von Cannabis. Für die Annahme eines gelegentlichen Cannabiskonsums wird zumindest ein zweimaliger Konsum verlangt (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 10.02.2009 - 12 ME 361/08).

13

Nach dem jetzigen Sach- und Streitstand ist der Antragsteller als gelegentlicher Konsument von Cannabis im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV anzusehen.

14

Das Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts hat zu diesem Problemkreis ausgeführt, es widerspreche jeglicher Lebenserfahrung und Wahrscheinlichkeit, dass ein Verkehrsteilnehmer, der unter Cannabiseinfluss am Straßenverkehr teilgenommen habe, bereits nach dem erst- und einmaligen Konsum von Cannabis in eine polizeiliche Kontrolle gerate. Zwar sei ein solcher Ausnahmefall nicht absolut auszuschließen, zu erwarten sei aber ein substantiierter Vortrag zu einem solchen atypischen Geschehensablauf (OVG Schleswig, Beschluss vom 13.01.2010, 2 MB 2/10; Beschluss vom 17.06.2013, 2 MB 9/13).

15

Hier fehlt bereits jeglicher Vortrag zum erstmaligen Konsum. Der Antragsteller beschränkt sich in seinem Vorbringen darauf, dass allein aufgrund der Werte der Blutuntersuchung auf einen einmaligen Konsum zu schließen sei. Zwar ist aufgrund der Werte ohne Kenntnis des Konsumzeitpunkts nicht zwingend auf einen gelegentlichen Konsum zu schließen. Die Werte schließen einen gelegentlichen Konsum aber nicht aus. Bereits aufgrund des fehlenden Vortrags des Antragstellers wäre schon wegen der vom OVG Schleswig aufgestellten Maßstäbe von einem gelegentlichen Konsum auszugehen.

16

Jedenfalls aber überwiegt in diesem Punkt in der Folgenabschätzung das öffentliche Vollzugsinteresse daran, dass der Antragsteller vorläufig keine Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr führt. Der Gesichtspunkt der Vermeidung einer Unfallgefahr aufgrund erneuter Fahrten unter Cannabiseinfluss wiegt schwerer als das Interesse, vorläufig weiter Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr führen zu dürfen. Denn selbst bei bestehender Unsicherheit über den gelegentlichen Konsum ist es im Hinblick auf die Sicherheit des Straßenverkehrs nicht vertretbar den Antragsteller, der möglicherweise nicht geeignet Führen von Kraftfahrzeugen ist, bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens am Straßenverkehr teilnehmen zu lassen.

17

Da die Nichteignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen somit feststeht, war ihm gemäß § 11 Abs. 7 FeV die Fahrerlaubnis zu entziehen, ohne die Beibringung eines Gutachtens anzuordnen. Der Schluss auf die Nichteignung ist auch im Hinblick auf § 14 FeV zulässig. Insbesondere war hier nicht über eine Anordnung einer medizinisch psychologischen Untersuchung im Ermessenswege gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV zu entscheiden. Auch schließt die Regelung des § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV keinen Schluss auf die Nichteignung und die daraus folgende Fahrerlaubnisentziehung aus.

18

Zu dieser Thematik hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof kürzlich folgendes ausgeführt:

19

„Fraglich ist aber, ob der Inhaber einer Fahrerlaubnis bereits bei einer einzelnen Fahrt unter Cannabiseinfluss nach § 11 Abs. 7 FeV i. V. m. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist oder ob nicht entsprechend dem Vorgehen bei fahrerlaubnisrechtlichem Alkoholmissbrauch, der nach Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV zur Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen führt und bei dem nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV erst bei der zweiten Zuwiderhandlung die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen ist, auch bei einem gelegentlichen Cannabiskonsumenten bei der ersten Zuwiderhandlung zunächst ein Fahreignungsgutachten im Ermessenswege nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV angeordnet werden kann und erst bei der zweiten Zuwiderhandlung nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV zwingend ein Fahreignungsgutachten angeordnet werden muss (vgl. BayVGH, B.v. 29.8.2016 - 11 CS 16.1460). Dieser (vom Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 23.10.2014 - 3 C 3.13 - nicht erörterten) Frage wird im noch anhängigen Widerspruchsverfahren und in einem etwaigen anschließenden Klageverfahren nachzugehen sein. Hierbei wird einerseits zu berücksichtigen sein, dass die Vorschriften der §§ 13 und 14 FeV sehr ähnlich strukturiert sind. Darüber hinaus hat der Verordnungsgeber bei der Änderung des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e FeV und des § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV im Jahr 2008 die Vorschriften hinsichtlich Alkohol- und Cannabiskonsums nach der Verordnungsbegründung ausdrücklich angleichen wollen, da ihm aus Aspekten der Verkehrssicherheit eine Gleichbehandlung geboten erschien (BR-Drs. 302/08, S. 57 f. und 62 f.). Auch bliebe für § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV keinerlei Anwendungsbereich, wenn der erstmalige Verstoß gegen das Trennungsgebot bei gelegentlichem Cannabiskonsum nach § 11 Abs. 7 FeV zur sofortigen Entziehung der Fahrerlaubnis führt. Andererseits wird zu bedenken sein, ob eine Ungleichbehandlung eines fehlenden Trennungsvermögens bei Alkohol- und Cannabiskonsum angesichts der unterschiedlichen Wirkungsweisen der Substanzen gerechtfertigt ist und ob die Möglichkeit der Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung im Ermessenswege nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV diesen Unterschieden ausreichend Rechnung trägt.“ (VGH München Beschl. v. 14.9.2016 – 11 CS 16.1467, BeckRS 2016, 52318, beck-online; Beschl. V. 29.08.2016 – 11 CS 16.1460 551, BeckRS 2016, 51088; Beschl. V. 27.10.2016 – 11 CS 16.1388, BeckRS 2016, 110048)

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Die Kammer sieht keine Veranlassung aufgrund dieser aufgeworfenen Problematik von ihrer bisherigen Rechtsprechung abzuweichen.

21

Zunächst ist nach Auffassung der Kammer kein genereller Wille des Verordnungsgebers erkennbar, nachdem sämtliche Vorschriften hinsichtlich Alkohol- und Cannabiskonsums ausdrücklich angeglichen werden sollten. Die vom VGH München angeführte gebotene Gleichbehandlung aus Aspekten der Verkehrssicherheit bezieht sich ausweislich der Verordnungsbegründung auf die bis dahin unterschiedliche Beurteilung von früherer Alkoholabhängigkeit und früherer Drogenabhängigkeit (Br-Drs 302/08, S. 62) und betrifft eine Änderung des § 13 FeV, nicht des § 14 FeV. Durch die Änderung wurde die Gutachtensanforderung auch im Falle früherer Alkoholabhängigkeit neu aufgenommen. In diesem Zusammenhang erfolgte lediglich eine Verschärfung der Rechtslage bezüglich Alkoholabhängigkeit. Daher ist eine darüberhinausgehende beabsichtigte generelle Angleichung nach Ansicht der Kammer nicht ersichtlich. Darüber hinaus zeigt der Bezug zu einer früheren Alkoholabhängigkeit bzw. einer früheren Entziehung der Fahrerlaubnis, dass die Änderung Fallgestaltungen im Wiedererteilungsverfahren betrifft und nicht ohne weiteres auf das Entziehungsverfahren übertragbar ist.

22

Zwar ist zu berücksichtigen, dass die Vorschriften der §§ 13 und 14 FeV sehr ähnlich strukturiert sind. Auch mag eine weitergehende Gleichbehandlung zwischen Cannabiskonsumenten und Alkoholkonsumenten im Straßenverkehr in Einzelfällen im Hinblick auf eine tatsächlich eingetretene konkrete Gefahr grundsätzlich zulässig sein. Indes stimmen die Vorschriften nicht in dem Maße überein, dass ein solcher Wille des Verordnungsgebers, der für diese Angleichung maßgeblich ist, erkennbar ist; gerade der Wortlaut der hier relevanten Vorschriften § 13 Satz 1 Nr. 2 lit b) FeV und § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV ist unterschiedlich. Mit der letztgenannten Regelung sollte auch den Konstellationen Rechnung getragen werden, in denen neben einer Ordnungswidrigkeit nach § 24 a Abs. 1 StVG (Alkohol) eine weitere Verkehrszuwiderhandlung unter Einfluss berauschender Mittel (§ 24 a Abs. 2 StVG) begangen wurde (vgl. Br-Drs 302/08, S. 63). Der Verordnungsbegründung ist hingegen nicht zu entnehmen, dass damit ein grundsätzlicher Gleichlauf der Vorschriften geschaffen werden sollte. Dagegen spricht auch, dass zum Zeitpunkt der Änderung des § 14 FeV 2008 bereits die meisten Obergerichte vertraten, dass ein gelegentlicher Cannabiskonsument bei einer einmaligen Teilnahme am Straßenverkehr mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,0 ng/ml oder mehr fahrungeeignet sei (Koehl, DAR 2017, S. 66, 69). Dazu wird in der Verordnungsbegründung keine Stellung genommen.

23

Für die unterschiedliche Behandlung von Alkoholkonsum und Cannabiskonsum im Straßenverkehr spricht auch die Fassung der Anlage 4 zu den §§ 11,13 und 14 FeV.

24

Ziffer 8, die den Alkoholkonsum betrifft, legt andere Anforderungen an die Eignung fest als die Ziffern 9.2.1 und 9.2.2. Insbesondere knüpfen die Tatbestände unter Ziffer 8 nicht wie Ziffer 9.2.2 beim Cannabis an eine gelegentliche Einnahme an. Alkoholkonsum ist danach im Fahrerlaubnisrecht erst bei Missbrauch oder Abhängigkeit relevant. Der bloße mehrmalige Konsum stellt noch keine Krankheit oder einen Mangel im Sinne der Anlage 4 dar. Im Gegensatz dazu begründet nach der Systematik des Regelungskonzepts der Anlage 4 bereits der gelegentliche Konsum von Cannabis in der Regel einen Mangel. Eine Eignung kann entgegen des Regelfalls dennoch bejaht werden, wenn weitere Umstände (Trennungsvermögen, kein Störung der Persönlichkeit, kein Kontrollverlust) hinzutreten. Bereits aus dieser unterschiedlichen Bewertung ist ersichtlich, dass dem Verordnungsgeber keine vollumfängliche Gleichbehandlung geboten erscheint, auch nicht aus Gründen der Verkehrssicherheit. Diese Ungleichbehandlung ist auch angesichts der unterschiedlichen Wirkungsweisen und des unterschiedlichen Abbaus der Substanzen gerechtfertigt (ebenso VG Würzburg, Beschluss vom 09. November 2016 – W 6 S 16.1093 –, juris; VG Augsburg Beschl. v. 23.1.2017 – 7 S 16.1714, BeckRS 2017, 101173; vgl. auch BVerfG, B. v. 9.3.1994 - 2 BvL 43/92).

25

Auch der Argumentation, dass für § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV keinerlei Anwendungsbereich bliebe, wenn der erstmalige Verstoß gegen das Trennungsgebot zur sofortigen Entziehung der Fahrerlaubnis führe, schließt sich die Kammer nicht an. Zunächst ist dabei zu berücksichtigen, dass § 14 FeV erst über § 46 Abs. 3 FeV im Entziehungsverfahren entsprechende Anwendung findet. Somit verbleibt jedenfalls noch der originäre Anwendungsbereich der Norm im Erteilungsverfahren bzw. im Wiedererteilungsverfahrens (so auch VG Augsburg, Beschluss vom 23.01.2017 – Au 7 S 16.1714, Rn. 60). In der entsprechenden Anwendung im Entziehungsverfahren verbleiben jedenfalls teilweise Regelungen des § 14 FeV (z.B. § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV). Aber auch der § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV kann im Entziehungsverfahren relevant werden, ohne die bisherige Rechtsprechung aufzugeben. Denn dieser regelt auch die „Mischfälle“, in denen eine Ordnungswidrigkeit nach § 24 a Abs. 1 StVG und eine nach § 24 a Abs. 2 StVG begangen wurde. Liegt also in einem solchen „Mischfall“ ein einmaliger Konsum vor, steht die Ungeeignetheit mangels gelegentlichem Konsum nicht fest. Dann wäre aber Raum für die Anordnung einer MPU nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV. Daher schließt sich die Kammer der Argumentation, dass nach der derzeitigen herrschenden Rechtsprechung kein Anwendungsbereich mehr für § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV verbliebe, nicht an (vgl. auch VGH Mannheim, Beschluss vom 07. März 2017 – 10 S 328/17 –, juris). Im Übrigen läge es nahe, die Argumentation des VGH München ansonsten auch auf den Konsum anderer Betäubungsmittel zu übertragen. Dies ist in Anbetracht der strengen Regelung in Ziffer 9.1 der Anlage 4 äußerst zweifelhaft.

26

Letztlich ist die Handhabung nach der bisherigen Rechtsprechung der Kammer und auch des OVG Schleswig (vgl. z.B. OVG Schleswig, Beschl. V. 22.12.2014 – 2 O 19/14) nicht unverhältnismäßig für den Betroffenen in Abwägung mit der abstrakten Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs. Die Wiedererlangung der Fahreignung kann in einem späteren Wiedererteilungsverfahren durch Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nachgewiesen werden.

27

Zwar ist auch der Prüfungsmaßstab über den Nachweis der Fahreignung bei einer etwaigen Vorverlagerung ins Entziehungsverfahren derselbe, diese Vorgehensweise würde allerdings gegen den in Anlage 4 zum Ausdruck kommenden Willen des Verordnungsgebers verstoßen, wonach bei gelegentlicher Einnahme von Cannabis und einem fehlenden Trennungsvermögen von einer Nichteignung auszugehen ist. Etwas anderes würde sich allenfalls ergeben, sofern man die aufgrund der Rechtsprechung entwickelte Definition der fehlenden Trennungsfähigkeit neu festlegt. Sofern man einen Verstoß gegen das Trennungsgebot dahingehend ablehnt, dass ein solcher noch nicht allein durch das Führen eines Kraftfahrzeuges bei einer angesichts des bei ihm festgestellten THC-Wertes möglichen Beeinträchtigung seiner Fahrtüchtigkeit vorliegt, wäre Entziehung der Fahrerlaubnis ohne eine vorherige Gutachtensanforderung rechtswidrig. Zu einer solchen Neudefinition sieht allerdings auch der VGH München keinen Anlass. Auch die Kammer hält eine großzügigere Auslegung des Trennungsvermögens in Anbetracht der Gefahren für Straßenverkehr durch Fahrzeugführer unter Betäubungsmitteleinfluss nicht für angebracht. Insbesondere würde dies auch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum mangelnden Trennungsvermögen widersprechen (BVerwG, Urteil vom 23.10.2014, 3 C 3/13).

28

Da die Kammer sich der Rechtsprechung des VGH München nicht anschließt, war hier die aufschiebende Wirkung auch nicht unter Einhaltung bestimmter Auflagen wiederherzustellen.

29

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

30

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 2 GKG.


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