Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (11. Kammer) - 11 B 75/20
Tenor
Die Anträge werden abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 10.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
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Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die Verpflichtung des persönlichen Erscheinens beim Landesamt für Zuwanderung und Flüchtlinge sowie gegen die Verpflichtung zur Wohnsitznahme in der Landesunterkunft für Ausreisepflichtige.
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Er ist nach eigenen Angaben syrischer Staatsangehöriger, reiste am 17.03.2019 in das Bundesgebiet ein und stellte am 25.03.2019 einen Asylantrag. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 06.05.2019 als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1), da der Antragsteller bereits in Griechenland den internationalen Schutzstatus erhalten habe. Außerdem wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen (Ziffer 2). Der Antragsteller wurde unter Androhung der Abschiebung nach Griechenland dazu aufgefordert, das Bundesgebiet innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen (Ziffer 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate festgesetzt (Ziffer 4) und die Vollziehung der Abschiebungsandrohung ausgesetzt (Ziffer 5). Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller erfolglos Klage beim Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht (- 13 A 253/19 -). Sodann erhielt er ab dem 27.06.2019 eine Duldung, welche zunächst bis zum 27.09.2019 gültig war und aufgrund eines fehlenden Überstellungstermins für Griechenland fortlaufend verlängert wurde.
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Während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet trat der Antragsteller mehrfach strafrechtlich im Zusammenhang mit Eigentumsdelikten in Erscheinung. Insoweit gab es zahlreiche Einleitungen strafrechtlicher Ermittlungsverfahren und diverse Anklageerhebungen.
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Am 11.06.2020 erließ die Antragsgegnerin eine Ordnungsverfügung, mit welcher sie den Antragsteller unter anderem dazu verpflichtete, ab dem 10.07.2020 seinen Wohnsitz ausschließlich in der Gemeinschaftsunterkunft für Ausreisepflichtige in Neumünster zu nehmen. Zugleich wurde die Duldung räumlich auf das Stadtgebiet Neumünster beschränkt. Hiergegen erhob der Antragsteller mit Schreiben vom 30.06.2020 Widerspruch und ersuchte um einstweiligen Rechtsschutz beim Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht (- 11 B 52/20 -). Nach Aufhebung der Ordnungsverfügung durch die Antragsgegnerin erledigte sich das einstweilige Rechtsschutzverfahren.
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Am 10.07.2020 erfolgte eine Abmeldung des Antragstellers von der Anschrift „A-Straße, A-Stadt“.
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Mit Bescheid vom 27.08.2020 ordnete die Antragsgegnerin das persönliche Erscheinen des Antragstellers am 03.09.2020 bis 12:00 Uhr beim Landesamt für Zuwanderung und Flüchtlinge Schleswig-Holstein, Neumünsterstraße 110, 24598 Boostedt an (Ziffer 1) und beschränkte gleichzeitig den Aufenthalt räumlich auf den Bereich der Gemeinde Boostedt (Ziffer 2). Der Antragsteller wurde verpflichtet, seinen Wohnsitz ab dem 03.09.2020 in der Landesunterkunft Boostedt zu nehmen (Ziffer 3). Außerdem wurde für den Fall der Nichtbefolgung der Ziffer 1 die zwangsweise Vorführung im Rahmen des unmittelbaren Zwangs angedroht (Ziffer 4). Zudem wurde darauf hingewiesen, dass Widerspruch und Klage keine aufschiebende Wirkung entfalten (Ziffer 5). Zur Begründung führte die Antragsgegnerin aus, der Antragsteller sei seiner Verpflichtung zur Vorsprache aus dem Bescheid vom 11.06.2020 nicht nachgekommen und halte sich seitdem auch nicht mehr in der Flüchtlingsunterkunft im A-Straße in A-Stadt auf. Seine Duldung sei am 09.07.2020 abgelaufen, seit dem 10.07.2020 sei er unbekannten Aufenthalts. Daher sei es notwendig, einen Aufenthaltsort zu bestimmen, an dem er für behördliche Maßnahmen erreichbar sei und zur Verfügung stehe. Dies stelle eine flankierende Regelung zur Durchsetzung und Beschleunigung der vorgesehenen Maßnahmen dar. Die Anordnung sei auch nicht unverhältnismäßig, da sie sich gegen sein missbräuchliches Verhalten richte. An der Durchsetzung seiner Ausreisepflicht bestehe aufgrund der Vielzahl eingeleiteter Strafverfahren wegen Diebstahls ein hohes öffentliches Interesse. Außerdem sei die Überstellung auch möglich. Er habe ein Aufenthaltsrecht für Griechenland und die griechischen Behörden hätten die Rückübernahme zugesagt. Die vorübergehende Aussetzung wegen der Coronapandemie bestehe nicht mehr. Hiergegen erhob der Antragsteller am 03.09.2020 Widerspruch.
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Der Antragsteller hat am 02.09.2020 um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Antragsbegründend führt er aus, es fehle bereits an der Durchsetzbarkeit der Ausreisepflicht, da diese aufgrund der Verbreitung des Corona-Virus in absehbarer Zeit nicht realisierbar sei. Zudem habe die Antragsgegnerin sich nicht mit dem Einzelfall auseinandergesetzt. Dem angefochtenen Bescheid sei nicht zu entnehmen, dass die Antragsgegnerin überhaupt Ermessenserwägungen auf einer zutreffenden Tatsachengrundlage getroffen habe. Es ergebe sich aus dem Bescheid nicht, inwieweit die Wohnsitzauflage dem gesetzlichen Zweck dienen könne. Auch ergebe sich nichts zu seinen persönlichen Lebensumständen und inwieweit diese bei der Entscheidung Berücksichtigung gefunden hätten. Die Anordnung scheine vorrangig einen Sanktionscharakter gegen ihn zu haben.
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Der Antragsteller beantragt,
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die aufschiebende Wirkung gegen die mit Bescheid vom 27. August 2020 ergangene Anordnung des Erscheinens am 03.09.2020 bis 12.00 Uhr beim Landesamt für Zuwanderung und Flüchtlinge Schleswig-Holstein, Landesunterkunft für Ausreisepflichtige, Neumünster 110, 24598 Boostedt und gegen die mit Bescheid vom 27. August 2020 erteilte Auflage zur Wohnsitznahme in der Landesunterkunft Boostedt gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag auf Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes abzulehnen.
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Dazu führt sie aus, die Ausreisepflicht sei zeitnah durchsetzbar. Zwar sei die Überstellung und Übernahme innerhalb der EU zeitweilig wegen der Coronapandemie ausgesetzt gewesen. Inzwischen sei das Prozedere wieder aufgenommen worden und es würden wieder Flüge gehen. Da der Antragsteller ein gültiges Reisedokument habe, sei seine Überstellung nach Griechenland kurzfristig möglich. Zudem sei eine Ermessensausübung vorgenommen worden. Es werde auf die Ausführungen in der Verfügung vom 27.08.2020 verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
II.
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Zunächst einmal ist der Antrag dahingehend zu verstehen, dass die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 03.09.2020 angeordnet werden soll. Soweit der Widerspruch im Antrag nicht ausdrücklich erwähnt wird, dürfte es sich lediglich um ein Versehen bei der Formulierung handeln. Da der anwaltlich vertretene Antragsteller seinen Antrag ausdrücklich gegen das in Ziffer 1 des Bescheides vom 27.08.2020 angeordnete Erscheinen beim Landesamt sowie gegen die in Ziffer 3 verfügte Wohnsitzverpflichtung richtet, sind diese beiden Ziffern Gegenstand des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung.
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Die Anträge so verstandenen sind bereits unzulässig, da sie nicht den in § 82 VwGO vorausgesetzten Inhalt haben. Im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung müssen alle Sachurteilsvoraussetzungen gegeben sein. Nach § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO, der für selbständige Beschlussverfahren entsprechend anzuwenden ist, muss der Antrag den Antragsteller, den Antragsgegner und den Gegenstand des Antragsbegehrens bezeichnen. Dabei muss neben dem Namen und dem Vornamen auch eine ladungsfähige Anschrift des Antragstellers angegeben werden (vgl. Schenke in: Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 25. Auflage 2019, § 82 Rn. 3). Damit gehört die Nennung einer ladungsfähigen Anschrift zu den gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO für die Zulässigkeit eines Antrages erforderlichen Mindestvoraussetzungen.
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Die Anschriftenangabe ist nicht allein deshalb entbehrlich, weil der Antragsteller anwaltlich vertreten ist (vgl. Beschluss der Kammer vom 21.02.2019 - 11 B 3/19 -, juris Rn. 8; Schenke in: Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 25. Auflage 2019, § 82 Rn. 4). Die Pflicht zur Angabe der Anschrift entfällt, wenn ihre Erfüllung ausnahmsweise unmöglich oder unzumutbar ist. Ein solcher Ausnahmefall ist etwa gegeben, wenn der Angabe der Anschrift unüberwindliche oder nur schwer zu beseitigende Schwierigkeiten oder schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.04.1999 - 1 C 24/97 -, juris Rn. 40).
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An diesen Mindestvoraussetzungen mangelt es hier, da der Antragsteller eine aktuelle ladungsfähige Anschrift nicht innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist angegeben hat und die Angabe auch in diesem Einzelfall nicht unzumutbar war. Der Antragsteller nannte in seiner Antragsschrift vom 02.09.2020 den „A-Straße, A-Stadt“ als Anschrift. Allerdings wurde der Antragsteller von dieser Adresse am 10.07.2020 abgemeldet, da er sich nicht mehr an der dortigen Unterkunft aufhielt. Eine andere Anschrift hat er auf gerichtliche Nachfrage nicht mitgeteilt. Der Antragsteller hat innerhalb der gesetzten Frist weder eine ladungsfähige Anschrift noch Hinderungsgründe mitgeteilt.
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Gründe für eine Unzumutbarkeit der Mitteilung der ladungsfähigen Anschrift, die zu der Annahme eines Ausnahmefalles führen könnten, sind weder ersichtlich noch vorgetragen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 GKG.
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Referenzen
- §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 GKG 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 82 3x
- VwGO § 80 1x
- VwGO § 154 1x
- 13 A 253/19 1x (nicht zugeordnet)
- 11 B 52/20 1x (nicht zugeordnet)
- 11 B 3/19 1x (nicht zugeordnet)
- 1 C 24/97 1x (nicht zugeordnet)