Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (17. Kammer) - 17 B 10001/21
Tenor
Der Antragsgegnerin wird für den Abschluss des gegen den Antragsteller geführten Disziplinarverfahrens eine Frist bis zum 31.
März 2022 gesetzt.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.
Gründe
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Der Antrag hat Erfolg.
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Er ist zulässig und begründet.
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Nach § 41 Abs. 1 S. 1 LDG i.V.m. § 62 Abs. 1 S. 1 BDG kann der Beamte bei dem Gericht die gerichtliche Bestimmung einer Frist zum Abschluss des Disziplinarverfahrens beantragen, wenn ein behördliches Disziplinarverfahren nicht innerhalb von sechs Monaten seit der Einleitung durch Einstellung, durch Erlass einer Disziplinarverfügung oder durch Erhebung der Disziplinarklage abgeschlossen ist. Das Gericht bestimmt gemäß § 41 Abs. 1 S. 1 LDG i.V.m. § 62 Abs. 2 S. 1 BDG eine solche Frist, wenn ein zureichender Grund für den fehlenden Abschluss des Disziplinarverfahrens innerhalb von sechs Monaten nicht vorliegt.
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Die Antragsgegnerin hat mit Verfügung vom 15.01.2021 ein Disziplinarverfahren gegen den Antragsteller eingeleitet und dieses im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts – mithin nach fast elf Monaten – nicht abgeschlossen. Die Frist nach § 41 Abs. 1 S. 1 LDG i.V.m. § 62 Abs. 2 S. 1 BDG ist demnach überschritten; es liegt auch keine Hemmung dieser Frist nach §§ 23 Abs. 1 S. 1 Hs. 1, 41 Abs. 1 S. 1 LDG i.V.m. § 62 Abs. 1 S. 2 BDG vor, weil das Disziplinarverfahren nicht ausgesetzt wurde.
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Die Antragsgegnerin hat auch keine Sachverhalte vorgetragen, aus denen sich ein zureichender Grund für den fehlenden Abschluss des Disziplinarverfahrens ergeben würde. Die gerichtliche Fristsetzung nach § 41 Abs. 1 S. 1 LDG i.V.m. § 62 Abs. 2 BDG setzt das Nichtvorliegen eines hinreichenden Grundes dafür, dass das Disziplinarverfahren seit seiner Einleitung nicht innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen wurde, voraus. Hierbei handelt es sich nicht um eine absolute Frist; sie ist vielmehr Ausdruck des aus § 3 LDG folgenden Beschleunigungsgebots und soll die für die Durchführung des Disziplinarverfahrens zuständige Dienstbehörde veranlassen, das Verfahren ohne unangemessene Verzögerungen durchzuführen. Es soll sie insbesondere daran hindern, nach der Einleitung des Verfahrens untätig zu bleiben. Die Vorschrift steht damit in einem Spannungsverhältnis zu der gleichfalls bestehenden Pflicht, nach § 22 Abs. 1 LDG den disziplinarrechtlich relevanten Sachverhalt umfassend zu ermitteln und dem Beamten, gegen den ermittelt wird, gemäß § 30 S. 1 LDG die Möglichkeit zur Äußerung zu geben (vgl. VG Ansbach, Beschl. v. 31.07.2017 – AN 13a D 17.01317 –, Rn. 19, juris).
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Für die Bewertung, ob eine von der für die Durchführung des Disziplinarverfahrens zuständigen Behörde verschuldete unangemessene Verzögerung vorliegt, sind die Umstände des
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Einzelfalles maßgeblich; Kriterien für die diesbezügliche Beurteilung sind im Wesentlichen der Umfang und Schwierigkeitsgrad des Verfahrensstoffes, die Zahl und Art der zu erhebenden Beweise, das den Verfahrensbeteiligten zuzurechnende Verhalten – etwa Beweisanträge oder fehlende Kooperationsbereitschaft des Beamten – sowie die von der Behörde nicht oder nur eingeschränkt beeinflussbaren Tätigkeiten Dritter, etwa von Sachverständigen (vgl. Urban, in: Urban/Wittkowski, BDG, 2. Aufl. 2017, § 62 Rn. 8 m.w.N.). Eine nicht genügende Entlastung der mit den Ermittlungen beauftragten Person oder andere Aufgaben rechtfertigen eine Verzögerung angesichts des in § 3 LDG normierten Beschleunigungsgebotes regelmäßig nicht. Die Disziplinarbehörde muss im Rahmen der Personalorganisation dafür sorgen, dass der Ermittlungsführer durch Freistellung von den Aufgaben seines Hauptamtes dieser vorrangigen Diensttätigkeit verzögerungsfrei nachgehen kann. Eine qualitativ und quantitativ unzureichende personelle Ausstattung der Ermittlungsbehörde, eine nicht genügende Entlastung des Ermittlungsführers von anderen Aufgaben oder eine nicht sachgerechte Organisation der Verwaltungsabläufe entschuldigen die Disziplinarbehörde nicht. Maßgebend für die Feststellung eines „zureichenden Grundes“ ist insoweit der Sachstand zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. Köhler, in: Hummel u.a., BDG, 6. Aufl. 2016, § 62 Rn. 10 ff.; Urban, in: Urban/Wittkowski, a.a.O., § 62 Rn. 10 m.w.N.).
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In Anwendung dieser Grundsätze liegt im vorliegenden Einzelfall eine von der Antragsgegnerin zu vertretende unangemessene Verzögerung des Disziplinarverfahrens vor. Für die Kammer ist nicht zu erkennen, dass es solcher Ermittlungsmaßnahmen bedarf, die nach ihrem Umfang nicht den kurz- bis mittelfristigen Abschluss des Disziplinarverfahrens ermöglichen würden. Aus den von dem Antragsteller vorgelegten Schreiben der Antragsgegnerin, auf die diese in ihrer Antragserwiderung anstelle der angeforderten Vorlage des Disziplinarvorgangs verwiesen hat, ergibt sich im Wesentlichen, dass dem Antragsteller vorgeworfen wird, eine Kollegin sexuell belästigt und sich anderen Kolleginnen in anzüglicher Weise über Kurznachrichtendienste sexuell angenähert bzw. sie belästigt zu haben.
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Die Kammer hat die aufschiebende Wirkung des gegen die Anordnung des Verbots der Führung der Dienstgeschäfte erhobenen Widerspruchs durch Beschluss vom 15.04.2021 – xxx – wiederhergestellt und zur Begründung u. a. darauf abgestellt, dass seit dem von einer Zeugin geschilderten Vorfall bereits etwa drei Jahre vergangen seien und es weitere vergleichbare Vorfälle, soweit ersichtlich, nicht gegeben habe. Im Übrigen fehle es an jeglicher Konkretisierung in inhaltlicher und zeitlicher Hinsicht. Der Kontext, in dem derartige Bemerkungen gefallen sein sollen, werde nicht beschrieben wird, so dass keine Aussage darüber möglich sei, ob es sich um eine zulässige oder unzulässige sexuelle Kommunikation handele und somit gegenwärtig der Dienstbetrieb nicht – mehr – gefährdet sein dürfte.
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Dem Widerspruch wurde daraufhin stattgegeben.
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Auf dieser Grundlage ist nicht zu erkennen, welche weitergehenden Ermittlungsmaßnahmen die Antragsgegnerin seit der Ergänzung der Einleitungsverfügung vorgenommen hat und noch zur etwaigen Aufklärung der Vorwürfe für erforderlich ansieht. Aus der zwischen ihr und dem Antragsteller geführten Korrespondenz geht insoweit lediglich hervor, dass die Ermittlungsführerin zwei Zeuginnen vernahm. Die Vernehmungen der Zeuginnen führten zu Tage, dass die Vorwürfe der sexuellen Belästigung gegen den Antragsteller nicht zuträfen und dass die Angelegenheit weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht komplex sei. Die Antragsgegnerin hat lediglich vorgetragen, dass das Disziplinarverfahren „die Vernehmung von zahlreichen Zeugen“ erfordere, woraus jedoch weder ersichtlich wird, ob es sich dabei um andere als die bereits genannten Zeuginnen handelt noch, ob diese Vernehmungen neue disziplinarrechtliche Vorwürfe betreffen; dies lässt sich auch in Ermangelung des Disziplinarvorgangs nicht nachvollziehen.
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Vor diesem Hintergrund ist eine unangemessene Verfahrensverzögerung anzunehmen, weil die den Vorwürfen zugrundeliegenden Sachverhalte überschaubar und – soweit ersichtlich – bereits weitestgehend ausermittelt sein dürften, ein Fortschritt des Disziplinarverfahrens gleichwohl trotz der seit seiner Einleitung vergangenen Zeit von fast elf Monaten nicht festzustellen ist. Insbesondere dürften sich die unter Umständen noch erforderlichen Vernehmungen lediglich auf wenige Zeugen beschränken und – aufgrund der ebenfalls vorhandenen Screenshots als Augenscheinsbeweise – lediglich ergänzende Feststellungen zum Ziel haben. Sofern die Antragsgegnerin einwendet, dass das Disziplinarverfahren neben dem Antragsteller noch weitere Personen betreffe, liegt der Kammer lediglich ein ähnlich gelagertes Verfahren – xxx – zur Entscheidung vor, welchem allerdings ebenfalls keine Hinweise auf etwaige weitere noch erforderliche Ermittlungsmaßnahmen zu entnehmen sind, zumal sich dieses Verfahren gegen einen anderen Beamten richtet und demgemäß andere Sachverhalte betrifft.
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Die Antragsgegnerin hat auch keine Umstände vorgetragen, aus denen sich ergeben würde, dass sie den ausstehenden Abschluss des Disziplinarverfahrens nicht zu vertreten hätte. Weder der Umstand, dass weitere Verfahren bei der Berufsfeuerwehr B-Stadt anhängig sind, welche die Ermittlungsführerin gemeinsam zu bearbeiten und zu bewerten hat, noch die Problematik, dass das insoweit zuständige Personal hierneben weitere originäre Aufgaben auszuführen hat, wodurch eine ausschließliche Sachbearbeitung des Disziplinar-verfahrens nicht möglich ist, lassen nach dem eingangs dargelegten Maßstab ein Verschulden entfallen. Der Antragsgegnerin ist zwar darin zuzustimmen, dass ihr das Erkranken der mit den Ermittlungen beauftragten Mitarbeiter nicht angelastet werden kann. Dass die Ermittlungsführerin im vorliegenden Fall jedoch langfristig krankheitsbedingt ausgefallen ist, wodurch die Vornahme weiterer Ermittlungsmaßnahmen nicht möglich gewesen ist, hat die Antragsgegnerin indes nicht vorgetragen und ist auch sonst nicht zu erkennen.
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Die Kammer berücksichtigt bei ihrer Entscheidung zugunsten der Antragsgegnerin gleichwohl die mit der COVID-19-Pandemie verbundenen besonderen Herausforderungen für die öffentliche Verwaltung. Das Gericht hält die aus dem Tenor ersichtliche Fristsetzung dennoch für erforderlich, um die Antragsgegnerin nachdrücklich dazu anzuhalten, ihr verfahrensrechtliches Verhalten hierauf einzustellen. Sofern sie nicht in der Lage sein sollte, das Disziplinarverfahren innerhalb der im Tenor gesetzten Frist abzuschließen, wird es gemäß § 41 Abs. 1 S. 1 LDG i.V.m. § 62 Abs. 3 BDG durch Beschluss des Gerichts eingestellt. Nach § 41 Abs. 1 S. 1 LDG i.V.m. §§ 62 Abs. 2 S. 3, 53 Abs. 2 S. 3 BDG besteht indes die Möglichkeit, die Frist zu verlängern, wenn der Dienstherr dies vor Fristablauf beantragt und er die Nichteinhaltung nicht zu vertreten hat.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 41 Abs. 1 S. 1 LDG i.V.m. § 77 Abs. 1 und 3 BDG i.V.m.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 41 Abs. 1 S. 1 LDG i.V.m. §§ 62 Abs. 2 S. 3, 53 Abs.
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2 S. 5 BDG (vgl. Köhler, in: Hummel u.a., a.a.O., § 62 Rn. 12).
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Referenzen
- § 3 LDG 2x (nicht zugeordnet)
- BDG § 62 Antrag auf gerichtliche Fristsetzung 7x
- § 41 Abs. 1 S. 1 LDG 8x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- BDG § 53 Nachtragsdisziplinarklage 1x
- § 30 S. 1 LDG 1x (nicht zugeordnet)
- BDG § 77 Kostentragung und erstattungsfähige Kosten 1x
- § 22 Abs. 1 LDG 1x (nicht zugeordnet)