Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (2. Kammer) - 2 B 51/21

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 6.000 € festgesetzt.

Gründe

1

Der Antrag auf Gewährung von Eilrechtsschutz vom 30.09.2021, mit dem sich der Antragsteller gegen eine Versiegelung von Räumlichkeiten auf seinem Grundstück mit der Anschrift A. in A-Stadt sowie eine diese Maßnahme begleitende Duldungsanordnung vom 31.08.2021 in Gestalt einer Änderungsverfügung vom 04.10.2021 wendet, hat keinen Erfolg.

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1. Der Antrag,

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die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 31.08.2021 in Gestalt der Änderungsverfügung vom 04.10.2021 wiederherzustellen,

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geht, wie der Antragsgegner zutreffend ausgeführt hat, ins Leere. In dem Bescheid vom 31.08.2021 hat der Antragsgegner den Antragsteller aufgefordert, als Eigentümer der Gebäude „H.“ und des Gebäudes „Sozialunterkunft für Asylbewerber“ das Betreten der Räume zum Zwecke der Versiegelung zu dulden, diese Duldungsanordnung mit einer Zwangsgeldandrohung i.H.v. 1.500,00 € bewehrt, die sofortige Vollziehbarkeit angeordnet und mitgeteilt, dass die Versiegelung am 05.10. 2021 um 10:00 Uhr stattfinden wird. Mit Änderungsverfügung vom 04.10.2021, vom Antragssteller in seinem Schriftsatz vom selben Tag in das gerichtliche Verfahren einbezogen, hat der Antragsgegner sodann das Zwangsmittel ausgetauscht und die Vollziehung der Duldungsanordnung im Wege des unmittelbaren Zwanges bei Nichtbefolgung angedroht.

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Diese beiden Bescheide haben keine regelnde Wirkung in Bezug auf die Versiegelung selbst entfaltet, sondern sollten deren Vornahme nur begleiten, sodass sie sich mit der plangemäßen Vornahme der Versieglung am 05.10.2021 erledigt haben und eine Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht mehr möglich ist.

6

In Bezug auf die Duldungsverpflichtung, wie sie allein Gegenstand der beiden Bescheide gewesen ist, kommt des Weiteren auch keine Vollzugsfolgenbeseitigung nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO in Betracht. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen, wenn der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen ist. Zwar zieht nach den allgemeinen prozessrechtlichen Regeln in aller Regel die Vollziehung einer Verfügung gerade nicht die Unzulässigkeit eines solchen Antrags nach sich, weil der in § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO ausdrücklich gesetzlich eingeräumte Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch den Fortbestand der Zulässigkeit voraussetzt (VGH Mannheim, Beschluss vom 05.06.2018 – 11 S 867/18 –, Rn. 2, juris). Hier geht aber von der Duldungsverfügung keine Wirkung mehr aus, die durch eine gerichtliche Anordnung beseitigt werden könnte. Eine Fortwirkung der Duldungsverfügung ist insbesondere nicht in den nunmehr angebrachten Siegeln zu sehen. Denn zur Duldung der Versiegelung und damit auch dem damit zwangsläufig verbundenen Betreten des Grundstücks und der Räume war der Antragsteller bereits als Adressat der Grundverfügung vom 23.08.2017, mit der ihm u.a. die Nutzung der beiden Gebäude untersagt worden ist, sowie aus dem Bescheid vom 11.09.2019, mit dem ihm die Versiegelung für die Nichtbefolgung angedroht worden ist, verpflichtet (zur Rechtmäßigkeit des Vollzugs dieser bestandskräftigen Verfügung s.u., 2.b.).

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2. Dennoch ist der Antrag zulässig, soweit der Antragsteller im Hinblick auf die weiterhin in ihrer Wirkung fortbestehende Versiegelung selbst wörtlich einen Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch als Annexantrag nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO ergänzt um einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung geltend macht (hierzu unter 2.a.).

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Er ist jedoch unbegründet, da die Versiegelung sich bei der gebotenen summarischen Prüfung als rechtmäßig erweist (hierzu unter 2.b.).

9

a. Anders als der Antragsgegner meint, wendet sich der Antragsteller bei der nach § 88 VwGO analog gebotenen verständigen Würdigung seines Begehrens trotz des Wortlauts seines anfänglich gestellten Antrags in der Sache erkennbar auch gegen die Versiegelung selbst. So hat er für den Fall, dass der Antragsgegner während des gerichtlichen Verfahrens nicht vom Vollzug absehen wird, bereits mit der Antragsschrift den Erlass eines Hängebeschlusses hinsichtlich der bevorstehenden Versiegelung beantragt und wiederholt darauf verwiesen, dass kein Anlass für die Maßnahme selbst besteht. Mit der ausdrücklichen Stellung eines Vollzugsfolgenbeseitigungsantrags im Schriftsatz vom 20.10.2021 hat er sein Begehren weiter klargestellt. Es wäre zudem auch mit dem Gebot effizienten Rechtsschutzes nicht vereinbar, ihn darauf zu verweisen, dass er sich in einem weiteren Verfahren gegen die Versiegelung selbst wenden müsste.

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Eilrechtsschutz gegen die Versiegelung ist hier - unabhängig von der Verwaltungsaktqualität dieser Maßnahme - nach Auffassung der Kammer wegen § 248 Abs. 1 Satz 3 LVwG in entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 5 Satz Alt.1 VwGO und § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig.

11

Nach § 248 Abs. 1 Satz 1 und 2 LVwG entfalten Widerspruch und Klage gegen Vollzugsmaßnahmen nach dem LVwG keine aufschiebende Wirkung; nach Satz 3 dieser Vorschrift ist § 80 Abs. 4 bis 8 VwGO entsprechend anzuwenden. Dieser Verweis umfasst auch den § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO. Aufgrund der Formulierung „entsprechend anzuwenden“ ist diese Vorschrift als Rechtsgrundverweisung zu verstehen, sodass der Antrag auf Vollzugsfolgenbeseitigung nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO für alle Maßnahmen nach dem LVwG statthaft ist, und nicht der Antrag nach § 123 VwGO (vgl. zum mittlerweile aufgehobenen, mit § 248 Abs. 1 Satz 3 LVwG identischen § 8 AG VwGO NRW und dessen Anwendbarkeit bei einer im Wege des Sofortvollzugs vorgenommenen Versiegelung: OVG Münster, Beschluss vom 25.11.1993 – 10 B 360/93 –, Rn. 22 - 23, juris, m.w.N.; siehe auch VG Düsseldorf, Urteil vom 30.01.2020 – 28 K 12588/17 –, Rn. 64 - 65, juris, wo die Anwendbarkeit des § 80 Abs. 5 VwGO beim Vollzug einer bauordnungsrechtlichen Nutzungsuntersagung durch Versiegelung nach der Abschaffung des § 8 AG VwGO NRW unmittelbar aus § 18 VwVG (Bund) hergeleitet wird).

12

Die Regelungen des LVwG sind hier entgegen der zwischenzeitlich geäußerten Auffassung des Antragstellers auch einschlägig. Denn bei der Versiegelung vom 05.10.2021 handelt es sich nicht um eine Maßnahme nach § 59 Abs. 3 LBO, wonach die Bauaufsichtsbehörde bei unzulässigen Baumaßnahmen die Baustelle versiegeln kann. Vielmehr liegt eine den Vollzug einer nach § 59 Abs. 2 Nr. 4 LBO erlassenen Nutzungsuntersagung sichernde Maßnahme nach den allgemeinen landesrechtlichen Vollstreckungsvorschriften, mithin den §§ 235 Abs. 1 Nr. 3, 239 und 251 LVwG, vor. Bei der Versiegelung handelt es sich um eine Form des unmittelbaren Zwangs (so die wohl h.M.; vgl. OVG Schleswig, Beschluss vom 07.08.1995 - 1 M 63/95 -, Rn. 18, juris; OVG Lüneburg, Beschluss vom 17.11.2005 - 9 ME 249/05, Rn. 3 juris; VG Saarlouis, Beschluss vom 20.10.2011 – 5 L 510/11 –, Rn. 27 - 29, juris, m.w.N.; vgl. auch Sadler/Tillmanns in: Sadler/Tillmanns, VwVG/VwZG, 10. Aufl. 2020, § 12, Rn. 53, der die Versiegelung als körperliche Einwirkung auf eine Sache durch Errichtung einer physischen Sperre bewertet; ebenso Schoch/Schneider/Schoch, 41. EL Juli 2021, VwGO § 80 Rn. 187). Weiter ist sie hier als ein Zwangsmittel i.S.d. § 235 Abs. 1 LVwG zu qualifizieren, denn entgegen der Auffassung des Antragstellers entfaltet weder die spezialgesetzliche Befugnis des § 59 Abs. 3 LBO eine Sperrwirkung im Hinblick auf die Anwendung der allgemeinen Vorschriften, noch ist die Versiegelung aufgrund einer abschließenden Auflistung der zulässigen Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs in § 251 LVwG ausgeschlossen. Das OVG Schleswig hat zudem mit § 59 Abs. 3 LBO identischen § 85 Abs. 2 LBO 1994 ausgeführt:

13

„Im Gegensatz zu der vom Antragsteller vertretenen Auffassung folgt [die Rechtswidrigkeit der angegriffenen Verfügung] aber nicht daraus, daß eine Versiegelung kein Zwangsmittel i.S.d. § 235 Abs. 1 Nr. 3 LVwG sei. Unmittelbarer Zwang ist nach der Begriffsbestimmung des § 251 LVwG u.a. die Einwirkung auf Personen oder Sachen durch körperliche Gewalt oder Hilfsmittel der körperlichen Gewalt, wobei körperliche Gewalt jede unmittelbare körperliche Einwirkung auf Personen oder Sachen ist. Was als Hilfsmittel der körperlichen Gewalt anzusehen ist, ist jedoch in § 251 Abs. 3 LVwG nicht abschließend geregelt, wie sich eindeutig aus der Formulierung "sind insbesondere" ergibt. Inhaltlich ist die angedrohte Maßnahme darauf gerichtet, durch Versiegelung der Türen der betreffenden Räume - und damit im Wege des unmittelbaren Zwanges gegen eine Sache - deren Nutzung tatsächlich zu unterbinden. § 85 Abs. 2 LBO 1994, der nach einer Baueinstellungsverfügung der Baubehörde die Möglichkeit gibt, eine Baustelle zu versiegeln, läßt nicht den Schluß zu, daß damit eine abschließende Regelung für jegliche Art der Versiegelung in bauordnungsrechtlichen Verfahren getroffen ist. Die Möglichkeit von vollstreckungsrechtlichen Versiegelungen, die nicht Baustellen betreffen, wird dadurch nicht berührt.“ (OVG Schleswig, Beschluss vom 07.08.1995 – 1 M 63/95 –, Rn. 18, juris; so auch Doming/Möller/Bebensee, 3. Auflage 2013, § 59, Rn. 341).

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b. Der Antrag auf Aufhebung der Vollziehung ist in der Sache unbegründet.

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Die unter entsprechender Anwendung der für eine Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO geltenden Grundsätze gebotene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an dem Fortbestand des Vollzugs und dem Interesse des Antragstellers an der Aufhebung der Vollziehung, in die auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit oder die Rechtswidrigkeit der vollzogenen hoheitlichen Maßnahme mit einzubeziehen sind, geht zulasten des Antragstellers aus, denn die Versiegelung erweist sich bei der gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtmäßig.

16

Die Befugnis des Antragsgegners, die Räumlichkeiten zu versiegeln, ergibt sich hier aus §§ 228 Abs. 1, 235 Abs. 1 Nr. 3, 239 und 251 LVwG in Verbindung mit der bauordnungsrechtlichen Nutzungsuntersagung vom 23.08.2017 und der in der zweiten Zwangsgeldfestsetzung vom 11.09.2019 enthaltenen Androhung der Versiegelung.

17

Gemäß § 228 Abs. 1 LVwG können Verwaltungsakte, die auf die Vornahme einer Handlung, Duldung oder Unterlassung gerichtet sind, im Wege des Verwaltungszwangs durchgesetzt werden (Vollzug). Vollstreckungsvoraussetzung ist nach § 229 Abs. 1 LVwG, dass ein unanfechtbarer oder sofort vollziehbarer Verwaltungsakt vorliegt. Nach § 235 Abs. 1 Nr. 3 LVwG ist Zwangsmittel neben dem Zwangsgeld und der Ersatzvornahme auch der unmittelbare Zwang. Führen die Ersatzvornahme oder das Zwangsgeld nicht zum Erfolg oder sind sie untunlich, so kann die Vollzugsbehörde mit unmittelbarem Zwang die Handlung selbst vornehmen oder die oder den Pflichtigen zur Handlung, Duldung oder Unterlassung zwingen, § 239 LVwG.

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Daran gemessen ist die Versiegelung nicht zu beanstanden.

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(1) Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Anwendung unmittelbaren Zwangs sind erfüllt.

20

Vollstreckbarer Grundverwaltungsakt i.S.d. § 229 Abs. 1 LVwG ist die Nutzungsuntersagung vom 23.08.2017, mit der dem Antragsteller unter Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit (Ziffer 7) und Androhung von Zwangsgeldern (Ziffer 8) u.a. aufgegeben wurde, die Nutzung von zwei Gebäuden, die in einem Lageplan verzeichnet wurden, nämlich des „H.“ (Ziffer 2) und des als Sozialunterkunft für Asylbewerber genehmigten Gebäudes (Ziffer 3) zum Zwecke der Ferienvermietung sowie die Nutzung zu Wohn- und Aufenthaltszwecken innerhalb von 10 Tagen nach Zustellung der Verfügung einzustellen und nicht wieder aufzunehmen, solange die bisherige Rechtslage unverändert und er nicht im Besitz einer hierfür erforderlichen Baugenehmigung ist. Dieser Verwaltungsakt ist hinreichend bestimmt sowie - mangels Widerspruch hiergegen - bestandskräftig geworden und damit ausreichende Vollstreckungsgrundlage nach § 229 Abs. 1 LVwG.

21

Der Antragsteller ist des weiteren dieser Aufforderung nicht nachgekommen, sondern hat mehrfach hiergegen verstoßen, wie sich aus dem Verwaltungsvorgang und den zwischenzeitlich erlassenen, bestandskräftig gewordenen Zwangsgeldfestsetzungen vom 19.07.2018 und 11.09.2019 ergibt. Danach hat der Antragsgegner bei einer Ortsbesichtigung am 10.07.2018 festgestellt, dass beide Gebäude von Jugendlichen genutzt wurden. Am 03.09.2019 hat er ebenfalls festgestellt, dass in den Räumlichkeiten Personen übernachtet hatten (BA „B“ Bl. 137 ff.). Am 25.08.2021 waren erneut Personen - diesmal eine Schulklasse - anwesend.

22

Auch die Voraussetzungen des § 239 LVwG sind erfüllt. Die zweimalige Festsetzung eines Zwangsgeldes ist erfolglos geblieben und eine Ersatzvornahme ist untunlich, da ein Unterlassen Gegenstand der zu vollstreckenden Verfügung ist. Die nach § 236 LVwG grundsätzlich erforderliche vorherige Androhung ist in dem bestandkräftigen Bescheid vom 11.09.2019 ebenfalls erfolgt. Für ein rechtmäßiges Vollstreckungsverfahren nicht erforderlich ist dagegen - anders als bei dem Zwangsmittel des Zwangsgeldes nach § 237 Abs. 2 LVwG - eine Festsetzung der angedrohten Versiegelung gewesen, da dies bei der Anwendung von unmittelbarem Zwang nach § 239 LVwG nicht vorgesehen ist.

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(2) Soweit der Antragsteller seinen Antrag mit Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit der bestandskräftigen Nutzungsuntersagung begründet, ist dies aus Sicht der Kammer unbeachtlich.

24

Nach § 248 Abs. 2 LVwG sind Einwendungen gegen den dem Vollzug zugrundeliegenden Verwaltungsakt außerhalb des Vollzugsverfahrens mit den dafür zugelassenen Rechtsbehelfen zu verfolgen. In Betracht kommt insofern insbesondere ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 118a LVwG. Was im Rahmen eines mehrstufigen Vollstreckungsverfahrens auf der vorangegangenen Stufe bestandskräftig entschieden ist, darf deshalb – ohne weitere Überprüfung der Rechtmäßigkeit bis hin zur Grenze der Nichtigkeit – zugrunde gelegt werden. Denn die Wirksamkeit und nicht die Rechtmäßigkeit vorausgegangener Akte ist Bedingung für die Rechtmäßigkeit folgender Vollstreckungsakte (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.12.2004 – 1 C 30/03 –, Rn. 15, juris; Urteil vom 15.02.1990 – 4 C 45/87 –, Rn. 23, juris; VG Schleswig, Beschluss vom 21.12.2017 – 1 B 203/17 –, Rn. 13, juris). Dieser Grundsatz gilt allerdings nicht ausnahmslos, sondern wird im Baurecht bei einer Änderung der Sach- oder Rechtslage teilweise durchbrochen. So kann nach der Spruchpraxis des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts (OVG Schleswig, Beschluss vom 15.08.1995 - 1 M 77/94 -, Rn. 8, juris unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 19.01.1977 - IV C 31.75 -, und OVG Schleswig, Urteil vom 18.01.2013 - 1 LB 2/12 -, Rn, 37, juris) (auch) im Rahmen des Vollzugs einer bestandskräftig gewordenen Beseitigungsverfügung geltend gemacht werden, die bodenrechtliche Situation habe sich seit dem Eintritt der Bestandskraft der Verfügung derart verändert, dass letztere sich nunmehr als rechtswidrig erweise. Hintergrund dieser Rechtsprechung ist die Überlegung, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in jeder Stufe des Verwaltungszwangsverfahrens zu berücksichtigen ist (BVerwG, Urteil vom 15.02.1990 – 4 C 45/87 –, Rn. 23, juris) und es unverhältnismäßig erschiene, ein ursprünglich illegales Bauwerk zu beseitigen, welches sich infolge der geänderten Sach- oder Rechtslage gegenwärtig als legal darstellt und demnach im nächsten Atemzug bauaufsichtlich genehmigt werden müsste. Diese allein im Hinblick auf Beseitigungsanordnungen entwickelte Spruchpraxis des OVG Schleswig ist jedoch nach Auffassung der Kammer auf bauordnungsrechtliche Nutzungsuntersagungen nicht übertragbar. Denn Nutzungsuntersagungen fehlt die irreversible Natur der i.d.R. mit einem Substanzverlust verbundenen Beseitigungsanordnung. Ihnen haftet deshalb keine besondere Problematik im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit an. Vielmehr werden die aus einer bestandkräftigen Nutzungsuntersagung entstehenden temporären Folgen i.d.R. hinzunehmen sein. Sollte eine solche bestandskräftige Nutzungsuntersagung materiell rechtswidrig sein, steht ihrem Adressaten nämlich entweder der Weg des Wiederaufnahmeantrags nach § 118a LVwG offen, oder er hat es durch die Stellung eines genehmigungsfähigen Bauantrags selbst in der Hand, die Nutzung seiner baulichen Anlagen zu legalisieren, sodass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit i.d.R. gewahrt sein wird.

25

Aber selbst wenn man eine Änderung der Sach- oder Rechtslage hier bereits im Vollstreckungsverfahren berücksichtigen wollte, so würde dies dem Antrag nicht zum Erfolg verhelfen. Denn eine solche Änderung hat der Antragsteller bei der gebotenen summarischen Prüfung nicht dargelegt.

26

aa. Aus dem in den Bescheiden nicht ausdrücklich berücksichtigten Bauschein vom 29.07.1968, den der Antragsteller nach dem Erlass der Nutzungsuntersagung aufgefunden haben will, ergibt sich nicht, dass das als „Sozialunterkunft für Asylbewerber“ bezeichnete Gebäude legal zum Zwecke der Ferienvermietung genutzt werden kann.

27

Der Antragsgegner hat im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens zutreffend ausgeführt, dass der Antragsteller mit seiner Berufung auf den angeblichen Bestandsschutz in den bestandskräftig abgeschlossenen Verfahren nicht gehört worden sei, weil mangels mit Zugehörigkeitsvermerk versehener Bauvorlagen oder eindeutiger Bezeichnung des Gebäudes im Bauschein keine eindeutige räumliche Zuordnung zu einem Gebäude auf der ehemaligen Hofstelle möglich sei. Die Kammer teilt diese Einschätzung. Die formelle Legalität der dem Antragsteller untersagten Nutzung ist durch die vorgelegten Unterlagen nicht erwiesen, da nicht klar wird, welches Gebäude mit der Bezeichnung „Große Scheune (Hühnerstall)“ gemeint ist. Nicht belegt ist dadurch auch, ob das Vorhaben überhaupt umgesetzt worden, oder ob die Baugenehmigung nicht vielmehr erloschen ist. Auch in dem Schreiben der Kreislandwirtschaftsbehörde vom 24.02.1972 ist weiterhin ein Hühnerstall aufgeführt; als zur Unterbringung von Menschen geeignete Gebäude werden dagegen nur das Haupthaus (Ziffer 1) und ein Gebäude mit einer Landarbeiterwohnung (Ziffer 7) aufgeführt. Ferienwohnungen werden dagegen nirgendwo erwähnt. Diese Nichterweislichkeit der formellen Legalität geht zu Lasten des Antragstellers, da seine Einwendung rechtlich die Stellung eines "Gegenrechtes" hat. Erweist sich nämlich im Einzelfall als unaufklärbar, ob ein solches "Gegenrecht" besteht, so geht das zu Lasten dessen, der dieses Recht für sich in Anspruch nimmt (vgl. grundlegend zur Einwendung des materiellen Bestandsschutzes BVerwG, Urteil vom 23.02.1979 – IV C 86.76 –, Rn. 14, juris und zur Einwendung des Bestehens einer Baugenehmigung unter Verweis auf diese Entscheidung OVG Schleswig, Urteil vom 25.11.1991 – 1 L 115/91 –, Rn. 53, juris).

28

Die übrigen Einwendungen des Antragstellers stützen sich dagegen auf eine fehlerhafte rechtliche Beurteilung eines seit damals unveränderten tatsächlichen Sachverhalts in der Grundverfügung, und nicht auf eine Änderung der Sach- und Rechtslage. Soweit der Antragsteller einwendet, dass das Gebäude als Asylbewerberunterkunft genehmigt worden und damit zur Unterbringung von Personen geeignet sei, ergibt sich zudem - ohne dass es darauf ankäme - aus der Existenz einer solchen, nicht umgesetzten Genehmigung gerade keine Legalität der Nutzung zu Zwecken der Ferienvermietung. Auch die brandschutzrechtlichen Bedenken des Antragsgegners sind hierdurch nicht ausgeräumt, denn diese Bedenken beruhen darauf, dass in demselben Gebäude auch eine Werkstatt errichtet worden ist, die wegen einer erhöhten Brandüberschlagsgefahr eine andere Trennwand zu den Ferienwohnungen hin erforderlich macht. Dies leuchtet ohne weiteres ein. Der Einwand des Antragstellers hiergegen, es handele sich nicht um eine Werkstatt, sondern eine Garage, ist in der Sache nicht neu, sondern hätte ebenfalls bereits gegen die Grundverfügung geltend gemacht werden können und müssen.

29

bb. In Bezug auf das „H.“ wendet der Antragsteller sich vor allem gegen die Begründung der bestandskräftigen Grundverfügung, das Dachgeschoss verfüge über keinen gesicherten Flucht- und Rettungsweg. Er beruft sich insoweit darauf, dass sich dort aufgrund der geringen Deckenhöhe grundsätzlich keine Personen aufhalten würden, sodass es nur als Lager diene. Auch hier handelt es sich nicht um ein Berufen auf eine geänderte Sach- oder Rechtslage. Der weitere Einwand des Antragstellers, die brandschutztechnischen Bedenken seien insgesamt unsubstantiiert, verfängt ebenfalls bereits aus diesem Grund nicht; der zur Untermauerung vorgelegte Zeitungsartikel hat insoweit zudem keine Aussagekraft.

30

(3) Die Maßnahme der Versiegelung ist auch sonst verhältnismäßig; insbesondere ist sie geeignet und erforderlich, um die Grundverfügung zu vollstrecken. Der Antragsgegner hat durch die Versiegelung nur einzelner Räume anstelle der gesamten Gebäude ein möglichst mildes Mittel ergriffen. Zudem wird durch die Versiegelung keine legale Nutzung anderer Räumlichkeiten unmöglich gemacht. Soweit der Antragsteller einwendet, dass eine Versieglung nicht erforderlich gewesen sei, da er seit der Ortskontrolle am 25.08.2021 keine Personen mehr in den Räumen untergebracht habe, überzeugt dies nicht. Vielmehr steht aufgrund seiner wiederholten Verstöße zu befürchten, dass er die Nutzungsuntersagung erneut missachten wird.

31

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

32

4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG. Da Antragsgegenstand eine Maßnahme zur Vollstreckung einer Nutzungsuntersagung ist, ist hier der Jahresnutzwert der Räumlichkeiten zugrunde zu legen gewesen. Die Kammer hat diesen auf 12.000 € geschätzt und diesen Wert wegen des nur vorläufigen Regelungscharakters des Eilverfahrens auf die Hälfte reduziert.


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