Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (2. Kammer) - 2 B 42/22

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

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Der Antrag des Antragtellers,

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die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 16..2022 gegen die Nutzungsuntersagung der Antragsgegnerin vom 23.05.2022 wiederherzustellen,

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hat keinen Erfolg.

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Bei der nach § 88 VwGO gebotenen verständigen Würdigung bezieht sich der Antrag auf die von der Antragsgegnerin am 29.04.2022 mündlich ausgesprochene Untersagung der Nutzung einer als Stellfläche für zwei PKW genehmigten Fläche als zusätzliche Außenterrassenfläche für das vom Antragsteller unter der Anschrift S-Straße X in A-Stadt betriebene Restaurant, die unter dem 23.05.2022 nur schriftlich bestätigt (vgl. § 108 Abs. 2 Satz 2 LVwG ) und für sofort vollziehbar erklärt worden ist.

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Dieses nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO zu beurteilende vorläufige Rechtsschutzgesuch ist zulässig, aber unbegründet.

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Die gerichtliche Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ergeht auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind das private Aufschubinteresse des Antragstellers einerseits und das öffentliche Interesse an der Vollziehung des streitbefangenen Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung können auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit oder die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, der vollzogen werden soll, Bedeutung erlangen, allerdings nicht als unmittelbare Entscheidungsgrundlage, sondern als in die Abwägung einzustellende Gesichtspunkte. Hat die Behörde - wie vorliegend hinsichtlich der Nutzungsuntersagung - die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO angeordnet, kommt es im Besonderen darauf an, ob sie zu Recht das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung höher gewichtet hat als das private Interesse, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens den Verwaltungsakt nicht befolgen zu müssen. Diese Abwägung geht vorliegend zu Lasten des Antragstellers aus, weil keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Nutzungsuntersagung bestehen, ein Zuwarten bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren mit nicht hinnehmbaren Nachteilen für öffentliche Schutzgüter verbunden wäre und der Antragsteller durch die Verfügung nur geringfügig in schützenswerten Interessen berührt wird.

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1. Zunächst ist festzustellen, dass die der mit Schreiben vom 23.05.2022 ausgesprochenen Sofortvollzugsanordnung beigegebene Begründung den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO entgegen der Auffassung des Antragstellers genügt. Das mit dieser Vorschrift normierte Erfordernis einer schriftlichen Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts soll neben der Information des Betroffenen und des mit einem eventuellen Aussetzungsantrag befassten Gerichts vor allem die Behörde selbst mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG zwingen, sich des Ausnahmecharakters der Vollziehungsanordnung bewusst zu werden und die Frage des Sofortvollzuges besonders sorgfältig zu prüfen. Die Anforderungen an den erforderlichen Inhalt einer solchen Begründung dürfen hierbei jedoch nicht überspannt werden. Sie muss allein einen bestimmten Mindestinhalt aufweisen. Dazu gehört es insbesondere, dass sie sich – in aller Regel – nicht lediglich auf eine Wiederholung der den Verwaltungsakt tragenden Gründe, auf eine bloße Wiedergabe des Textes des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO oder auf lediglich formelhafte, abstrakte und letztlich inhaltsleere Wendungen, namentlich solche ohne erkennbaren Bezug zu dem konkreten Fall, beschränken darf. Dabei liegt es jedoch auch in der Natur der Sache, dass bei Ordnungsverfügungen zum Zwecke der Gefahrenabwehr auch Gesichtspunkte angeführt werden, die schon bei der Prüfung der Verfügung selbst Berücksichtigung finden.

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Diese Anforderungen sind hier erfüllt. Die Antragsgegnerin hat die Anordnung damit begründet, sie liege im öffentlichen Interesse, da der Antragsteller derzeit einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Restaurantbetreibern genieße, die sich erst einem ordentlichen Genehmigungsverfahren unterzögen. Insbesondere in Anbetracht der anstehenden Sommersaison und der von ihm selbst angeführten Umsatzsteigerung durch den Außenbereich habe er einen ungerechtfertigten Vorteil gegenüber gesetzestreuen Bürgern. Dies laufe dem Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG zuwider. Mithin sei bereits das Vorliegen der formellen Rechtswidrigkeit der Nutzungserweiterung ausreichend, um die sofortige Vollziehung anzuordnen. Diese Begründung lässt erkennen, dass sich die Antragsgegnerin mit dem konkreten Einzelfall auseinandergesetzt und entgegen der Auffassung des Antragstellers gerade keine bloß formel- oder floskelhaften Ausführungen gemacht hat, und ihre Erwägungen zudem auch über die die Ermessensentscheidung tragenden Erwägungen hinausgehen.

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2. Bei Anwendung des Eingangs dargestellten Maßstabes geht auch die vorzunehmende Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers aus. Das öffentliche Interesse an der Vollziehung der Nutzungsuntersagung ist höher zu bewerten als sein Interesse an einer Fortsetzung der ihm untersagten Nutzung bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens. Denn nach allen gegenwärtig erkennbaren Umständen erweist sich die von der Antragsgegnerin am 29.04.2022 mit Frist von einer Woche mündlich ausgesprochene und unter dem 23.05.2022 schriftlich bestätigte Untersagung der Nutzung eines im Südosten an das Hauptgebäude angrenzenden und in der Anlage zum Bescheid näher dargestellten Teilbereichs der gepflasterten Grundstücksfläche als Erweiterung seiner Restaurantterrasse bei der gebotenen summarischen Prüfung als rechtmäßig.

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Rechtsgrundlage für den Erlass der streitgegenständlichen Nutzungsuntersagung ist § 59 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 LBO 2016. Danach kann die Bauaufsichtsbehörde die Nutzung einer baulichen Anlage untersagen, wenn diese im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften erfolgt. Insoweit rechtfertigt in aller Regel bereits die sich aus dem Fehlen einer im Einzelfall notwendigen Baugenehmigung für die konkrete Nutzung einer baulichen Anlage ergebende formelle Illegalität den Erlass einer Nutzungsuntersagung. Da die Nutzungsuntersagung in erster Linie die Funktion hat, den Bauherrn auf das Genehmigungsverfahren zu verweisen, muss grundsätzlich nicht geprüft werden, ob das Vorhaben auch gegen materielles Recht verstößt (std. Rspr. des OVG Schleswig, vgl. Beschluss vom 16.01.2018 – 1 MB 22/17 –; Beschluss vom 08.05.2020 – 1 LA 52/17 –). Eine formell rechtwidrige Nutzung darf allerdings aus Gründen der Verhältnismäßigkeit regelmäßig dann nicht untersagt werden, wenn sie offensichtlich genehmigungsfähig ist (std. Rspr. des OVG Schleswig, vgl. Beschluss vom Beschluss vom 04.12.2020 – 2 B 51/20 –, juris, m.w.N.).

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Daran gemessen liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Nutzungsuntersagung vor, denn die Nutzung der Stellplatzflächen zu Bewirtungszwecken ist rechtswidrig und jedenfalls nicht offensichtlich genehmigungsfähig.

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Die ausgeübte Nutzung ist sowohl formell als auch materiell illegal, da die vom Antragsteller vorgenommene, nicht nach § 63 LBO 2016 genehmigungsfreie Umnutzung der streitgegenständlichen Terrassenfläche nicht nur von den in der Vergangenheit erteilten Baugenehmigungen nicht gestattet wurde und damit formell illegal ist, sondern entgegen der Auffassung des Antragstellers sogar gegen die nach der Genehmigungslage fortbestehende Stellplatzregelung verstößt und damit auch materiell rechtswidrig ist.

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Es handelt sich bei der Aufnahme der Nutzung zu gastronomischen Zwecken um eine nach § 62 Abs. 1 LBO 2016 genehmigungsbedürftige Nutzungsänderung. Nach § 62 Abs. 1 LBO 2016 bedarf die Errichtung, Änderung, Nutzungsänderung und Beseitigung von Anlagen der Baugenehmigung, soweit in den §§ 63, 68, 76 und 77 LBO 2016 nichts anderes bestimmt ist. Nach § 63 Abs. 2 LBO 2016 ist die Änderung der Nutzung einer Anlage nur dann verfahrensfrei, wenn für die neue Nutzung keine anderen öffentlich-rechtlichen Anforderungen als für die bisherige Nutzung in Betracht kommen, die im bauaufsichtlichen Verfahren zu prüfen sind, oder die Errichtung oder Änderung der Anlagen nach § 63 Abs. 1 LBO verfahrensfrei wäre. Hier stellen sich aber bei der Erweiterung der Kapazitäten des Restaurants sowohl Fragen im Hinblick auf die Stellplatzsituation, als auch immissionsrechtliche Fragen und auch die Errichtung einer Terrasse zu gastronomischen Zwecken wäre nicht nach § 63 Abs. 1 LBO 2016 genehmigungsfrei. Insbesondere betrifft § 63 Abs. 1 Nr. 1 g LBO 2016 nur die Überdachung von Terrassen, nicht aber die Terrasse selbst. Zutreffend hat die Antragsgegnerin auch darauf verwiesen, dass sie über den vom Antragsteller unter dem 30.04.2022 gestellten Antrag auf Nutzung der Fläche als Restaurantterrasse nicht entscheiden konnte, da dieser trotz Aufforderung die nach § 64 Abs. 2 LBO 2016 i.V.m. der BauVorlVO notwendigen Unterlagen nicht eingereicht hat und insoweit die Rücknahmefiktion des § 67 Abs. 2 S. 2 LBO 2016 eingetreten ist. Auch insoweit ist die Umnutzung nicht legalisiert worden.

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Die dem Antragsteller untersagte Nutzung der streitgegenständlichen Fläche für die Außengastronomie steht zudem im Widerspruch zu den in der unter dem 01.11.2007 erteilten Baugenehmigung getroffenen Festsetzungen, wonach sich in diesem Bereich zwei von den drei nach der Baugenehmigung zu schaffenden PKW-Stellplätzen befinden. Die im Kern eine Erweiterung des Gastraums und eine Errichtung einer Dachterrasse betreffende Genehmigung enthält in der Baubeschreibung (BA Bl. 133) nämlich eine Stellplatzberechnung, wonach für die durch den Umbau geschaffenen 28 zusätzlichen Sitzplätze drei Stellplätze auf dem Grundstück nachgewiesen werden (1 Stellplatz je 8-12 Sitzplätze). Diese drei Stellplätze grenzen nach dem Lageplan, der ebenfalls Teil der Baugenehmigung ist, im südöstlichen Grundstücksteil an das Gebäude an und umfassen auch die Fläche, die Gegenstand der streitgegenständlichen Nutzungsuntersagung ist. Entgegen der vom Antragsteller zwischenzeitlich geäußerten Auffassung hat die Antragsgegnerin auch nicht auf die Errichtung aller drei Stellplätze „verzichtet“, indem sie unter dem 27.10.2017 eine Baugenehmigung für die Errichtung eines Wintergartens auf einer Fläche erteilt hat, die im Wesentlichen den an das Gebäude angrenzenden der drei Stellplätze betrifft. Zwar durfte der Antragsteller aufgrund dieser Genehmigung den dritten Stellplatz zugunsten des Wintergartens beseitigen; mangels Anordnung in der Baugenehmigung auch ohne die Pflicht einen Ersatzstellplatz zu errichten. Dafür, dass mit der Baugenehmigung alle drei Stellplätze beseitigt werden sollten, bestehen dagegen keine Anhaltspunkte. Vielmehr sind in einem der Lagepläne, die Bestandteil dieser Baugenehmigung sind (BA Bl. 113), die anderen beiden Stellplätze in ihren Umrissen weiterhin erkennbar und nicht etwa als Restaurantterrasse dargestellt, sodass sich die Nutzung als solche wegen des Verstoßes gegen die Festsetzung in der Baugenehmigung als materiell rechtswidrig erweist.

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Die streitgegenständliche Anlage ist auch nicht offensichtlich genehmigungsfähig. Insbesondere die Erfüllung des Stellplatzbedarfs ist, wie bereits ausgeführt, nicht anderweitig nachgewiesen. Ggf. stellen sich durch die Erweiterung der Terrassenfläche auch immissionsrechtliche Fragen neu.

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Weiter hat die Antragsgegnerin ihr nach § 59 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 LBO 2016 bestehendes Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Sie hat die beteiligten Belange in nicht zu beanstandender Weise gegeneinander abgewogen und den öffentlichen Interessen den Vorrang eingeräumt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Behörde in der Regel ermessensgerecht handelt, wenn sie eine im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften stehende, nicht offensichtlich genehmigungsfähige Nutzung untersagt. Entsprechend hat die Antragsgegnerin hier ihr Ermessen ausgeübt, indem sie sich bei dem Erlass der Nutzungsuntersagung am Gleichheitsgrundsatz orientiert hat und darauf verwiesen hat, dass der Antragsteller einen ungerechtfertigten Vorteil gegenüber gesetzestreuen Bürgern erlangt, die sich erst einem ordentlichen Genehmigungsverfahren unterziehen.

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Nach den konkreten Umständen des Einzelfalls ist die mündlich angeordnete Frist von einer Woche ebenfalls angemessen gewesen. Dafür, dass dem Antragsteller eine Einstellung der Nutzung hier nicht umgehend möglich gewesen wäre, ist nichts ersichtlich.

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Die Anträge sind mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge abzulehnen gewesen.

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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2, 63 Abs. 2 GKG.


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