Beschluss vom Verwaltungsgericht Schwerin (7. Kammer) - 7 B 365/21 SN
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
2. Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
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Der Antrag hat keinen Erfolg.
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Der Hauptantrag ist unzulässig, der Hilfsantrag zulässig, aber unbegründet.
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1. Der Hauptantrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die mündliche Untersagung vom 16.02.2020 (gemeint sein dürfte 2021), ist unzulässig. Denn es fehlt an einem für § 80 Absatz 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) erforderlichen Verwaltungsakt. Nach den plausiblen Darlegungen des Antragsgegners hat er die Antragstellerin im Rahmen der Vor-Ort-Kontrollen lediglich auf die bestehende Rechtslage hingewiesen. Hierin ist eine Regelung, wie sie für einen Verwaltungsakt nach § 35 Satz 1 des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes notwendig wäre, nicht zu erkennen. Selbst, wenn dies anders wäre, wäre der Antrag jedenfalls unbegründet. Denn der - unterstellte - Verwaltungsakt würde sich nach summarischer Prüfung aus den unter 2. dargestellten Gründen als rechtmäßig erweisen und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzen.
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2. Da der Hauptantrag ohne Erfolg bleibt, ist über den Hilfsantrag zu entscheiden, der ebenfalls ohne Erfolg bleibt.
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Der Hilfsantrag ist zulässig, weil die Antragstellerin in der Hauptsache im Wege einer negativen Feststellungsklage nach § 43 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auch gegen den Antragsgegner vorgehen kann. Denn der Antragstellerin kann nicht zugemutet werden, einen Normvollzugsakt wegen drohender Sanktionen abzuwarten (vgl. BVerfG, B. v. 31.03.2020 - 1 BvR 712/20 -, juris Rn. 15).
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Der Hilfsantrag ist jedoch unbegründet. Gem. § 123 Absatz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Nach § 123 Absatz 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Absatz 2 der Zivilprozessordnung hat der Antragsteller sowohl die Eilbedürftigkeit der begehrten gerichtlichen Regelung (Anordnungsgrund) als auch seine materielle Anspruchsberechtigung (Anordnungsanspruch) glaubhaft zu machen.
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Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Mit Blick auf die nur bis zum 10.03.2021 geltende Corona-Landesverordnung Mecklenburg-Vorpommern (Corona-LVO M-V) in der Fassung vom 28.11.2020 (GVOBl. M-V S. 1158), zuletzt geändert durch Verordnung vom 24.02.2021 (GVOBl. M-V S. 135), ist bereits ein Anordnungsgrund fraglich. Jedenfalls hat die Antragstellerin aber einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
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Die Antragstellerin hat keine Anspruchsgrundlage aufgezeigt, aus der sich die Feststellung ergibt, dass der Antragsgegner ihr das Anbieten des Outdoor-Trainingsgeländes zu gestatten hat. Eine solche Rechtsgrundlage ist auch nicht ersichtlich. Vielmehr ergibt sich aus § 2 Absatz 23 Corona-LVO M-V, dass Fitnessstudios und ähnliche Einrichtungen für den Publikumsverkehr geschlossen sind. Unter diese Vorschrift fällt die von der Antragstellerin angebotene Sportbetätigung. Denn das Outdoor-Trainingsgelände ist als Fitnessstudio, jedenfalls aber als ähnliche Einrichtung anzusehen. Die Antragstellerin bietet ihren Mitgliedern die Möglichkeit an, auf dem Parkplatz des Fitnessstudios zu trainieren. Dazu hat sie ein Outdoor-Trainingsgelände geschaffen, auf dem ihre Mitglieder an Geräten, mit Hanteln und Gewichten einzeln trainieren können. Das Training findet dabei nicht unter freiem Himmel statt. Denn zum Schutz vor Schnee und Regen hat die Antragstellerin einzelne Zelte aufgestellt. Dass die Seitenwände nur für die Nacht geschlossen werden, ist unerheblich. Das Gleiche gilt für den Umstand, dass die einzelnen Geräte - von ihrer Mitte aus gesehen - mindestens zwei Meter Abstand haben und höchstens 20 Mitglieder gleichzeitig das Outdoor-Trainingsgelände nutzen dürfen. Denn die Nutzung als Fitnessstudio ist unabhängig von der Anzahl der nutzenden Personen (vgl. VG des Saarlandes, B. v. 11.05.2021 - 6 L 102/21 -, juris Rn. 16) und auch unabhängig vom Abstand der einzelnen Geräte. Die das Outdoor-Trainingsgelände nutzenden Mitglieder stellen zudem Publikumsverkehr dar. Denn jedes Mitglied kann das Outdoor-Trainingsgelände im Rahmen der Mitgliedschaft nutzen.
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Eine Ausnahme hiervon sieht die Corona-LVO M-V nicht vor. Die Antragstellerin kann sich insbesondere nicht auf § 2 Absatz 21 Satz 2 Corona-LVO M-V berufen. Nach dieser Vorschrift gilt die Untersagung des Trainings-, Spiel- und Wettkampfbetriebs im Freizeit-, Breiten- und Leistungssport nicht für den Individualsport, der allein, zu zweit oder mit dem eigenen Hausstand auf und in allen öffentlichen und privaten Sportanlagen betrieben wird. Mit Blick auf die Spezialvorschrift des § 2 Absatz 23 Corona-LVO M-V dürfte es schon an einer öffentlichen oder privaten Sportanlage fehlen. Außerdem liegt kein Individualsport vor. Dass jedes Mitglied an den Geräten alleine trainiert, ändert daran nichts. Denn Sinn und Zweck von § 2 Absatz 21 Satz 2 Corona-LVO M-V ist es, lediglich die sportliche Betätigung zuzulassen, bei der kein oder jedenfalls nur ein ganz eingeschränkter Kontakt zu anderen Personen erfolgt. Dies trifft auf das Outdoor-Trainingsgelände der Antragstellerin nicht zu. Obgleich Gemeinschaftseinrichtungen wie Duschen und Toiletten für Mitglieder geschlossen sind, kommen die Mitglieder auf dem Trainingsgelände und im Zuge der An- und Abreise miteinander - bei letzterem sogar mit Dritten - in Kontakt. Mitglieder und Personal können durch in der Luft verbliebene (Schweiß-)Tröpfchen und Aerosole mit dem Corona-Virus in Berührung kommen und infiziert werden. Gerade bei sportlicher Betätigung ist mit einem erhöhten Ausstoß von (Schweiß-)Tröpfen und Aerosolen zu rechnen (vgl. auch OVG des Saarlandes, B. v. 10.11.2020 - 2 B 308/20 -, juris Rn. 16). Vor diesem Hintergrund erscheint auch der Einsatz einer medizinischen Mund-Nasen-Bedeckung nicht ausreichend. Diese schützt vorwiegend vor Tröpfchen, weniger vor Aerosolen. Überdies lässt ihre Filter- und Schutzwirkung umso mehr nach, je feuchter die Maske durch Atmen oder Schweiß wird. Dies wird durch die offenen Seitenwände der Zelte nicht ausgeglichen. Eine hinreichende Durchlüftung wird dadurch nicht gewährleistet, zumal der Himmel der Zelte - anders als beispielsspiele im Fitnessstudio selbst - eine verhältnismäßig geringe Höhe aufweist und sich (Schweiß-)Tröpfchen und Aerosole nicht ungehindert nach oben verteilen können. Die Einschätzung von Prof. Dr. Zastrow, dass eine Weiterverbreitung von Corona-Viren ausgeschlossen sei, hält die Kammer daher bei der im Rahmen des Eilverfahrens allein möglichen summarischen Prüfung nicht für plausibel.
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Da sich der Outdoor-Trainingsbereich der Antragstellerin deutlich von Angeboten nach § 2 Absatz 21 Satz 2 Corona-LVO M-V unterscheidet, greift auch der Vorwurf einer Ungleichbehandlung - etwa mit Blick auf Open-Air-Fitnessanlagen - nicht. Auch bei diesen Anlagen ist eine sportliche Betätigung nur im Rahmen des Individualsports zulässig.
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Das Schließungsgebot für Fitnessstudios und ähnliche Einrichtungen erscheint noch verhältnismäßig (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern, B. v. 10.11.2020 - 2 KM 768/20 -, juris zur gleichlautenden Vorgängervorschrift). Die Regelung dient der Volksgesundheit und dem Aufrechterhalten des Gesundheitssystems. Insoweit sieht die Corona-LVO M-V die möglichst weitgehende Reduzierung von Kontaktmöglichkeiten vor, und zwar insbesondere bei „nicht lebenswichtigen“ Kontaktmöglichkeiten. Dadurch sollen Infektionsrisiken verringert oder sogar ausgeschlossen werden. Das Schließungsgebot ist geeignet, diese Ziele zu erreichen, weil Kontakte zwischen den Nutzern und dem Personal sowie zwischen Nutzern und Dritten bei der An- und Abreise vermieden werden. Das Schließungsgebot ist mit Blick auf die andauernde Pandemie auch noch erforderlich. Insbesondere eine sportliche Betätigung unter Berücksichtigung eines Hygienekonzepts stellt keine gleichgut geeignete Maßnahme dar, weil dies nicht zu nennenswerten Kontaktreduzierungen oder gar zu einer Kontaktvermeidung führt.
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Die mit dem Schließungsgebot einhergehenden Grundrechtsbeeinträchtigungen für die Antragstellerin und für die Nutzer des Fitnessstudios sind im Verhältnis zu den Zwecken des Gesundheitsschutzes und des Schutzes des Gesundheitssystems auch noch angemessen. Das Gesundheitssystem muss unbedingt vor einer Überlastung geschützt und eine Situation vermieden werden, in der wegen einer Überlastung der Krankenhäuser nicht mehr alle Patienten adäquat behandelt werden können. Zwar sind die Infektionszahlen im Vergleich zu Anfang Januar 2021 zurückgegangen. Sie lagen am 04.03.2021 deutschlandweit bei etwa 12.000 Neuinfizierten und in Mecklenburg-Vorpommern bei 248. Allerdings befindet sich Deutschland seit dem 27.12.2020 im Teil-Lockdown. Würden die Einschränkungen aufgehoben werden, wäre mit einem sprunghaften Anstieg der Infektionszahlen zu rechnen. An dieser Einschätzung ändert der 7-Tages-Inzidenzwert von unter 30 im Gebiet des Antragsgegners nichts. Ungeachtet dessen, dass der Inzidenzwert im angrenzenden Landkreis bei knapp 100 liegt, ist auch in Mecklenburg-Vorpommern wieder ein Anstieg der Infektionszahlen zu verzeichnen. Hinzu kommt eine weit höhere Ansteckungsgefahr, die von Corona-Mutationen ausgeht. Das Schließungsgebot erweist sich darüber hinaus auch deshalb als verhältnismäßig, weil es derzeit nur bis zum 10.03.2021 gilt (§ 14 Absatz 2 Corona-LVO M-V) und die Antragstellerin staatliche Finanzhilfen in Gestalt von Umsatzausfällen in Anspruch nehmen können dürfte.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Absatz 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Absatz 1 in Verbindung mit § 53 Absatz 2 Nummer 1 und 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Eine Reduzierung des Streitwertes auf die Hälfte des Streitwertes der Hauptsache erscheint dem Gericht nicht sachgerecht. Denn mit der gerichtlichen Entscheidung wird die Hauptsache vorweggenommen. Da Haupt- und Hilfsantrag denselben Streitgegenstand betreffen, sieht das Gericht von Summierung der Streitwerte ab (§ 45 Absatz 1 Satz 3 GKG).
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Referenzen
- 1 BvR 712/20 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- VwGO § 123 2x
- § 14 Absatz 2 Corona-LVO 1x (nicht zugeordnet)
- § 45 Absatz 1 Satz 3 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- § 2 Absatz 21 Satz 2 Corona-LVO 3x (nicht zugeordnet)
- 2 B 308/20 1x (nicht zugeordnet)
- § 2 Absatz 23 Corona-LVO 2x (nicht zugeordnet)
- 2 KM 768/20 1x (nicht zugeordnet)
- 6 L 102/21 1x (nicht zugeordnet)