Beschluss vom Verwaltungsgericht Stuttgart - 4 K 2731/12

Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Ziffern 2 und 4 des Bescheids des Landratsamts-M. vom 08.08.2012 wird angeordnet. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.

Der Streitwert wird auf 7.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die Antragstellerin begehrt die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs vom 16.08.2012 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 08.08.2012, zugestellt am 10.08.2012, mit dem ihr unter Anordnung der sofortigen Vollziehung der Betrieb des unerlaubten selbständig ausgeübten „Frisörhandwerks“ in der Filiale I. untersagt (Ziffer 1 der Verfügung) und ihr für den Fall, dass sie die untersagte Tätigkeit von ihrer Betriebsstätte aus nicht unverzüglich - ohne Einräumung einer Abwicklungsfrist (Ziffer 2) - einstelle, ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,- EUR angedroht wurde (Ziff. 4).
Der Antrag ist statthaft und gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 5 VwGO bzw. im Hinblick auf die Zwangsmittelandrohung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 5 VwGO i.V.m. § 12 LVwVG zulässig. Er ist jedoch nur begründet, soweit er die Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen die Zwangsgeldandrohung zum Gegenstand hat. Im Übrigen ist er unbegründet.
Im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an einer alsbaldigen Vollziehung der angegriffenen Verfügung und dem privaten Interesse der Antragstellerin, während des Rechtsbehelfsverfahrens von dieser Vollziehung einstweilen verschont zu bleiben, vorzunehmen. Dabei kommt jedenfalls im Falle einer - hier formell ordnungsgemäß begründeten - behördlichen Anordnung der Vollziehung nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO den voraussichtlichen Erfolgsaussichten eine wesentliche, aber nicht allein ausschlaggebende Bedeutung zu. Ferner ist die sofortige Vollziehung auch einer rechtmäßigen Maßnahme nur dann gerechtfertigt, wenn ein besonderes Vollzugsinteresse vorliegt.
Im vorliegenden Fall überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse hinsichtlich der Untersagungsverfügung, da sich der angegriffene Bescheid des Antragsgegners aller Voraussicht nach als rechtmäßig erweist.
Rechtsgrundlage der Untersagungsverfügung ist § 16 Abs. 3 Handwerksordnung - HwO -. Danach kann die nach Landesrecht zuständige Behörde die Fortsetzung des Betriebs untersagen, wenn der selbständige Betrieb eines zulassungspflichtigen Handwerks als stehendes Gewerbe entgegen den Vorschriften dieses Gesetzes ausgeübt wird.
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Die Antragstellerin übt den selbständigen Betrieb eines nach §§ 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 i.V.m. Anlage A Nr. 38 HwO zulassungspflichtigen Handwerks als stehendes Gewerbe aus. Diese Ausübung erfolgt entgegen den Vorschriften des Gesetzes, da die Antragstellerin nicht in die Handwerksrolle eingetragen ist, da sie seit Juli 2011 keinen Betriebsleiter hat, der die Voraussetzungen für die Eintragung in die Handwerksrolle erfüllt. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin handelt es sich bei dem im Streit befindlichen Betrieb auch unter Berücksichtigung, dass verschiedene Produkte zum Kauf bereit gehalten werden, nicht um einen handwerklichen Nebenbetrieb. Davon abgesehen, dass die Antragstellerin keine konkreten umsatzspezifischen Angaben gemacht hat, ist wesentlich zu berücksichtigen, dass, wie sich aus dem Zeugnis für die Mitarbeiterin Frau K. ergibt, in der Filiale weitere Mitarbeiter, die geschult und beurteilt werden, tätig sind und auch ausgebildet wird. Daraus ergibt sich, dass die handwerkliche Tätigkeit nicht nur in unerheblichem Umfang ausgeübt wird.
Sind die Voraussetzungen des § 16 Abs. 3 Satz 1 HwO damit erfüllt, so ist es in der Regel auch ermessensgerecht, die Fortführung des Betriebes zu untersagen. Ausnahmsweise kann in Fällen einer kurzfristig behebbaren lediglich formellen Rechtswidrigkeit, etwa wenn der Gewerbetreibende zwar noch nicht eingetragen ist, er aber die Voraussetzungen für eine Eintragung in die Handwerksrolle erfüllt, etwas anderes gelten (vgl. BVerwG, B. v. 4.4.1997 - 1 B 258.96 -, Buchholz 402.5 WaffG Nr. 77). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier aber nicht vor. Insbesondere folgt dies nicht daraus, dass die Mitarbeiterin Frau K. unter dem 04.06.2012 eine Ausübungsberechtigung gemäß § 7 b HwO beantragt hat. Davon abgesehen, dass dieser Antrag mit Bescheid der Handwerkskammer H. vom 27.08.2012 abgelehnt worden ist, weil die bisher vorgelegten Unterlagen noch nicht belegt haben, dass Frau K. in leitender Stellung tätig gewesen ist, erschließt sich hieraus auch dem Gericht nicht, dass Frau K. zwingend eine Ausübungsberechtigung zu erteilen wäre. Ebenso wenig ergibt sich daraus, dass zwischen Frau K. und der Handwerkskammer die Frage einer Ausnahmebewilligung gemäß § 8 HwO zu klären ist, dass diese Bewilligung in Kürze zu erwarten ist. Die notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten sind bisher noch nicht nachgewiesen und es ist auch völlig offen, ob Frau K. diesen Nachweis erbringen wird. Soweit die Antragstellerin darauf verweist, dass die Betriebsleiterinnen in W. bzw. R. auch die Leitung der Filiale in I. übernehmen könnten, ist darauf zu verweisen, dass die Handwerkskammer diese Anträge mit Bescheid vom 27.08.2012 im Hinblick auf die räumliche Entfernung abgelehnt hat.
Auch die besonderen formellen Voraussetzungen des § 16 Abs. 3 Satz 2 HwO sind erfüllt. Die Handwerkskammer und die Industrie- und Handelskammer sind vor Erlass der Untersagungsverfügung gehört worden und haben übereinstimmend mitgeteilt, dass sie die Voraussetzungen einer Untersagung als gegeben ansehen.
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Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist dem Bescheid des Antragsgegners auch nicht zu entnehmen, dass er sich an einen Antrag der Handwerkskammer gebunden sah und deshalb keine Ermessensentscheidung mehr getroffen hat. Dieser Hinweis findet sich lediglich in der Sachverhaltsdarstellung. Im Rahmen der Ermessenserwägung findet dieser Umstand keinen Niederschlag. Die hierin vorgenommene Abwägung ist nicht zu beanstanden.
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Es liegt auch ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung vor. Anders als die Antragstellerin meint, ist nicht die Frage der Gefahrengeneigtheit, d.h. konkret die Frage, inwieweit es üblich sei, dass „Ohren abgeschnitten“ würden, allein maßgeblich. Auch der Wettbewerbsvorteil, den die Antragstellerin durch Beschäftigung weniger kostenintensiven Personals hat, ist in diesem Zusammenhang ein relevanter Gesichtspunkt. Hinzu kommt, dass das private Interesse der Antragstellerin aber schon deshalb weniger schutzwürdig als das öffentliche Interesse an der Betriebsuntersagung ist, weil sie einen die handwerksrechtlichen Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 HwO erfüllenden Betriebsleiter einstellen kann. Dass ihr das unmöglich sein sollte, hat sie nicht annähernd belegt, zumal sie nicht einmal auf ihrer eigenen Website (Stand 16.10.2012) eine entsprechende Stelle ausgeschrieben hat.
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Die Androhung eines Zwangsgelds erweist sich hingegen als voraussichtlich rechtswidrig.
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Sie findet ihre Rechtsgrundlage in den §§ 20 Abs. 1 und 23 LVwVG. Nach § 20 Abs. 1 LVwVG sind Zwangsmittel vor ihrer Anwendung schriftlich anzudrohen. Dem Pflichtigen ist in der Androhung zur Erfüllung der Verpflichtung eine angemessene Frist zu bestimmen; eine Frist braucht nicht bestimmt zu werden, wenn eine Duldung oder Unterlassung erzwungen werden soll.
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Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die Anwendung unmittelbaren Zwangs angedroht, falls sie die untersagte Tätigkeit nicht unverzüglich einstellt und ihr ausdrücklich keine Abwicklungsfrist eingeräumt. Bei der Einstellung der untersagten Tätigkeit handelt es sich jedoch nicht um eine reine Unterlassenspflicht. Denn damit sind auch konkrete Handlungsverpflichtungen wie die gesetzlich vorgeschriebene Abmeldung (vgl. § 14 Abs. 1 GewO), deren Nichtbefolgen eine Ordnungswidrigkeit darstellt (§ 146 Abs. 2 Nr. 2 GewO), mit umfasst. Daraus ergibt sich, dass der Antragstellerin eine angemessene Frist einzuräumen ist und ihr erst für den Fall, dass sie der entsprechenden Verpflichtung nach Fristablauf nicht nachgekommen ist, Vollstreckungsmaßnahmen angedroht werden dürfen. Somit ist insoweit die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin anzuordnen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung folgt aus den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Die Kammer legt im Verfahren der Hauptsache für die Untersagungsverfügung im Hinblick darauf, dass sie zur Einstellung des Betriebs führt, denselben Betrag wie für eine Gewerbeuntersagung zugrunde (vgl. Nr. 1.5 und 54.2.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004); dieser Betrag war im Eilverfahren auf die Hälfte zu reduzieren.

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