Urteil vom Verwaltungsgericht Stuttgart - 11 K 5984/14

Tenor

Die Klagen werden abgewiesen.

Die Klägerinnen tragen die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

 
Die Klägerinnen begehren die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband.
Die am … 1983 im Libanon geborene Klägerin zu 1 und die am … 2009 im Bundesgebiet geborene Klägerin zu 2 sind libanesische Staatsangehörige. Die Klägerin zu 1 reiste am 13.10.2004 in das Bundesgebiet ein. Sie war zunächst im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 16 Abs. 5 AufenthG zum Besuch eines Sprachkurses. Danach erhielt sie Aufenthaltserlaubnisse zum Zwecke des Studiums gemäß § 16 Abs. 1 AufenthG. Seit Juni 2009 ist sie im Besitz von Aufenthaltserlaubnissen auf der Grundlage des § 30 AufenthG. Am 01.11.2007 bestand sie an der Freien Universität Berlin die Diplomprüfung in Biochemie. Am 02.10.2008 hat sie im Libanon einen libanesischen Staatsangehörigen geheiratet. Vom 01.06.2011 bis zum 31.05.2014 war die Klägerin zu 1 bei der Universität Ulm - Medizinische Fakultät - als Zeitarbeitnehmerin mit einem befristeten Arbeitsvertrag beschäftigt.
Am 20.03.2012 beantragten die Klägerinnen die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband. Die Klägerin zu 1 gab am 02.10.2013 gegenüber dem Landratsamt Esslingen eine Bekenntnis- und Loyalitätserklärung ab. In einem Aktenvermerk des Landratsamts Esslingen vom 02.10.2013 über ein mit der Klägerin zu 1 am 02.10.2013 geführtes Einbürgerungsgespräch ist ausgeführt, die Begriffe parlamentarische Volksvertretung und Gewaltenteilung habe sie nicht erklären können. Im Hinblick auf die Grundrechte habe sie lediglich die Meinungsfreiheit benannt. Mitglied der Hizb Allah sei sie nicht, diese Vereinigung habe sie auch nicht unterstützt. Sie anerkenne jedoch deren Verdienst. Ihr Ehemann stamme aus dem Süden des Libanon und habe unter den Israelis gelitten. Sie befürworte das Ziel der Hizb Allah, den Libanon von den Israelis zu befreien. Sie sei gläubige Muslimin. Im Islam hätten Mann und Frau die gleichen Rechte. Eine Frau dürfe nicht geschlagen oder unterdrückt werden. Die Frau dürfe arbeiten und könne den Ehepartner frei wählen. Salafisten seien Extremisten, ebenso die Islamisten. Nichtmuslime seien keine Ungläubigen. Sie selbst aber würde einen Andersgläubigen nicht heiraten und auch nicht konvertieren. Ihre Tochter werde aus religiösen Gründen nicht am Schwimmunterricht teilnehmen dürfen. Wem das Recht zustehe, Gesetze zu erlassen, habe sie nicht beantworten können. In Deutschland werde sie natürlich die Gesetze akzeptieren. Dass die Scharia in Deutschland nicht zur Anwendung komme, sei für sie kein Problem. Die Steinigung von Frauen bei Ehebruch in islamischen Ländern sei zur Abschreckung ganz gut. Im Konfliktfall zwischen religiösen Vorschriften und den weltlichen Gesetzen würde sie sich für die weltlichen Gesetze entscheiden. Die Vorherrschaft des islamischen Rechtsverständnisses in Deutschland mit Gewalt zu erreichen, lehne sie ab; ein friedlicher Wechsel würde sie aber als positiv empfinden. Bei religiösen Fragen folge sie ausschließlich dem Islam. Bezüglich ihres Glaubens missioniere sie nicht; sie wolle andere durch ihr Tun überzeugen. Das Existenzrecht Israels lehne sie ab. Das Land gehöre den Palästinensern.
Mit Schreiben vom 20.05.2014 teilte das Ministerium für Integration Baden-Württemberg mit, dass es einer Einbürgerung der Klägerin zu 1 nicht zustimme.
Mit Bescheid vom 28.07.2014 lehnte das Landratsamt Esslingen die Anträge der Klägerinnen auf Einbürgerung ab und führte zur Begründung aus, die Klägerin zu 1 erfülle die Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht. Es lägen tatsächliche Umstände vor, die Zweifel am Bekenntnis der Klägerin zu 1 zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung rechtfertigten. Bei der Klägerin zu 1 fehle es an einer überzeugenden Bejahung der Werteordnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Nach islamischem Rechtsverständnis sei die Scharia von Gott gesetztes islamisches Recht. Nach Ansicht mancher Strömungen im Islam regele die Scharia alle Lebensbereiche von Muslimen und stehe als göttliche Regelung über allen anderen Gesetzen. Dies stehe nicht im Einklang mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Die Klägerin zu 1 habe erklärt, in religiösen Fragen ausschließlich dem Islam zu folgen. Die Klägerin zu 1 befürworte die Ziele der Hizb Allah, den Libanon von Israel zu befreien. Das Existenzrecht Israels verneine sie vehement. Die Ziele der Hizb Allah seien jedoch mit den Werten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar. Wenn die Klägerin zu 1 die Ziele der Hizb Allah gut heiße, befürworte sie die Ziele dieser Organisation. Die Klägerin zu 1 verfüge auch nicht über einfache Grundkenntnisse der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Die Begriffe parlamentarische Volksvertretung und Gewaltenteilung habe die Klägerin zu 1 nicht erklären können. Auch die Frage, wem das Recht der Gesetzgebung zustehe, habe sie nicht beantworten können. Auf die Frage nach den Grundrechten habe sie nur das Recht der Meinungsfreiheit benennen können. Hieraus folge, dass es der Klägerin zu 1 an Grundkenntnissen über und einem Verständnis für die freiheitliche demokratische Grundordnung fehle. Da eine Einbürgerung der Klägerin zu 1 nach § 10 StAG ausscheide, komme auch eine Miteinbürgerung der Klägerin zu 2 gemäß § 10 Abs. 2 StAG nicht in Betracht.
Hiergegen legten die Klägerinnen mit Schriftsatz vom 30.09.2014 Widerspruch ein und brachten zur Begründung vor, die Klägerin zu 1 habe mit der Organisation Hizb Allah nichts zu tun. Dorthin gebe es keine Kontakte. Sie habe sich auch nicht mit den Zielen und Strukturen dieser Partei auseinandergesetzt. Außerdem sei sie missverstanden worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.11.2014 wies das Regierungspräsidium Stuttgart die Widersprüche unter Verweis auf den Ausgangsbescheid zurück. Ergänzend wurde ausgeführt, das Vorbringen der Klägerin zu 1, sie sei missverstanden worden, könne nur als Schutzbehauptung gewertet werden. Die Klägerin zu 1 habe das angefertigte Protokoll intensiv durchgelesen und eine Änderung angebracht, bevor sie ihre Unterschrift geleistet habe.
Am 30.12.2014 haben die Klägerinnen Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, die Lebensunterhaltssicherung sei gegeben. Die Einnahmen des Ehemanns der Klägerin zu 1 hätten sich im Jahr 2014 deutlich verbessert. Die Klägerin zu 1 sei derzeit mit ihrer Doktorarbeit beschäftigt. Außerdem sei sie schwanger; der voraussichtliche Geburtstermin sei am 21.09.2015. Bis einschließlich Februar 2015 habe sie Elterngeld in Höhe von 870 EUR monatlich bezogen. Sie habe die Bewilligung von Betreuungsgeld beantragt, ein Bewilligungsbescheid liege aber noch nicht vor.
Die Klägerinnen beantragen,
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den Bescheid des Landratsamts Esslingen vom 01.09.2014 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 27.11.2014 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Klägerinnen in den deutschen Staatsverband einzubürgern.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er verweist auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.
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In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin zu 1 auf Fragen des Gerichts vorgetragen, nach ihrem Studium im Libanon sei sie in das Bundesgebiet eingereist, um hier ein Masterstudium zu absolvieren. Ihren Ehemann habe sie in Deutschland kennengelernt. Um zu heiraten, seien sie zusammen in den Libanon gereist und hätten dort vor einem Scheich die muslimische Ehe geschlossen; diese werde vom libanesischen Staat anerkannt. Sie habe zwei Kinder und sei jetzt in der 18. Woche schwanger. Ihr Ehemann arbeite als Autohändler.
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Auf Frage des Gerichts, wieso sie in den deutschen Staatsverband eingebürgert werden wolle, gab die Klägerin zu 1 an, nach einer Einbürgerung habe sie mehr Chancen für den Erhalt einer Arbeitsstelle, außerdem sei die jeweilige Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis kostenpflichtig.
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Auf Frage nach den Werten, die die Klägerin zu 1 mit Deutschland verbinde, brachte sie vor, hier könne man frei leben und arbeiten, das Leben in Deutschland sei sehr gut.
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Die Frage, ob sie Kontakt mit Deutschen in einem Verein oder im Wohnumfeld habe, verneinte die Klägerin zu 1.
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Auf Frage des Gerichts, wie sie die Rolle der Frau sieht, gab die Klägerin zu 1 an, die Frau dürfe alles tun, was sie wolle. Keiner dürfe sie zwingen, etwas zu tun, was sie nicht wolle. Frauen dürften in allen Bereichen arbeiten.
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Auf Frage des Gerichts, ob sie eine Moschee in Deutschland besucht, gab die Klägerin zu 1 an, sie gehe nur ab und zu in Gebetsräume, nicht aber in eine Moschee. Einen Gebetsraum suche sie vor allem während des Ramadan auf.
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Auf Frage, was die Klägerin zu 1 unter dem Begriff Scharia verstehe, gab sie an, hierzu gehörten Gebete und Fasten. Dies habe sie dem Koran entnommen. Hieran wolle sie sich auch halten.
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Auf Vorhalt des Gerichts, dass im Mittelpunkt der Scharia das Ehe- und Familienrecht stehe und nach Vorhalt des Inhalts der Suren 4,34 („Die Männer stehen über den Frauen. Und die rechtschaffenen Frauen sind demütig ergeben und gehorsam“) und 2,228 („Die Männer stehen eine Stufe über den Frauen“) gab die Klägerin zu 1 an, Frauen hätten die gleichen Rechte wie Männer.
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Auf Frage des Gerichts, wie die Klägerin zu 1 zu Koranversen zum Zeugenrecht (Sure 2,282: „Die Zeugenaussage eines Mannes kann nur von zwei Frauen aufgewogen werden“) stehe, ließ sie sich dahin ein, die Scharia könne nicht überall ausgeübt werden, sie halte sich an deutsche Gesetze.
23 
Auf Frage des Gerichts, wie die Klägerin zu 1 zum islamischen Kindschaftssorgerecht stehe, das dem Ehemann nach einer Scheidung die gemeinsamen Kinder zuweise, entgegnete sie, dies sei ihr nicht bekannt.
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Auf Vorhalt, wonach das muslimische Erbrecht der Frau nur die Hälfte dessen zubillige, was ein männliches Familienmitglied erhalte, entgegnete die Klägerin zu 1 zunächst, hierzu habe sie nichts zu sagen. Anschließend ließ sie sich aber dahin ein, dass insoweit nichts einzuwenden sei, da die Frau in anderen Zusammenhängen Unterstützung erhalte.
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Auf Frage, wie die Klägerin zu 1 zu den Vorgaben der Scharia zum Strafrecht bei Ehebruch und außerehelichem Geschlechtsverkehr (Sure 24,2) stehe, gab sie an, dies finde sie nicht gut.
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Nach Vorhalt der Vorgaben der Scharia bei schwerem Diebstahl (Sure 5,38) entgegnete die Klägerin zu 1, ob das wirklich im Koran stehe.
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Auf Vorhalt des Gerichts, dass das islamische Rechtsverständnis (z.B. im Iran) die Todesstrafe vorsehe, wenn ein Muslim vom Islam abfalle, entgegnete die Klägerin zu 1, dies habe sie noch nie gehört.
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Auf Frage des Gerichts, was sie unter dem Begriff „Dschihad“ verstehe, antwortete die Klägerin zu 1, hierzu habe sie nichts zu sagen. Gleiches erwiderte sie, als das Gericht die Sure 9,5 („Tötet die Heiden, wo immer ihr sie findet, greift sie, umzingelt sie, lauert ihnen überall auf“) vorlas und die Klägerin zu 1 um Stellungnahme bat.
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Auch auf Frage des Gerichts, wie die Klägerin zu 1 zu der Aussage von Ayatollah Khomeini in seinem Buch „Principes politiques, philosophiques, sociaux et religieux“, wonach „Urin, Kot, Sperma, Blut, Hunde, Schweine, ein Nichtmuslim und eine Nichtmuslimin unrein sind“, steht, gab die Klägerin zu 1 an, hierzu wolle sie nichts sagen.
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Auf weitere Fragen des Gerichts, ob ihre Kinder am Sexualkundeunterricht in der Schule, am Schwimmunterricht und an Schullandheimaufenthalten teilnehmen dürften, erwiderte die Klägerin zu 1, wenn es Pflicht sei, dürften sie teilnehmen.
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Auf Frage des Gerichts zu in der Verfassung verankerten Grundrechten nannte die Klägerin zu 1 das Recht auf Leben, auf Arbeit, auf Studium, die Meinungsfreiheit, Menschenrechte sowie die Volkssouveränität.
32 
Auf Frage zur „Unabhängigkeit der Gerichte“ ließ sich die Klägerin zu 1 dahin ein, Gerichte dürften keinen Parteien angehören, die Staatsgewalt sei getrennt vom Rechtssystem. Was die Gerichte zu entscheiden hätten, basiere auf dem Grundgesetz.
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Auf Frage, was die Klägerin zu 1 unter Demokratie versteht, gab sie an, die Abgeordneten seien vom Volk gewählt, weiter falle hierunter das Mehrheitsprinzip und die Meinungsfreiheit.
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Auf Frage des Gerichts, ob die Klägerin zu 1 Wahlgrundsätze benennen könne, nannte sie frei, geheim und sicher.
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Auf Frage, ob in Deutschland Mohammed-Karikaturen gezeigt werden dürften, antwortete die Klägerin zu 1, dies falle unter die Meinungsfreiheit.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die zur Sache gehörende Behördenakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
37 
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerinnen nicht in ihren Rechten. Die Klägerinnen haben keinen Anspruch auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband.
38 
Der geltend gemachte Anspruch auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband beurteilt sich nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.08.1996 - 1 B 82/95 - InfAuslR 1996, 399 und Urt. v. 20.10.2005 - 5 C 8/05 - BVerwGE 124, 268).
39 
Die Klägerin zu 1 erfüllt nicht sämtliche Anspruchsvoraussetzungen des § 10 StAG; es fehlt an der Anspruchsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 3 StAG.
40 
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG setzt ein Einbürgerungsanspruch voraus, dass der Einbürgerungsbewerber sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben oder die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, oder dass er glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat.
41 
Die freiheitliche demokratische Grundordnung ist gekennzeichnet durch die in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Verfassungsgrundsätze, die auch einbürgerungsrechtlich maßgeblich sind (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 07.03.2013 - 1 S 617/12). Sie lässt sich als eine Ordnung bestimmen, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: Die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteiensystem und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition (vgl. BVerfG, Urt. v. 23.10.1952 - 1 BvB 1/51 - BVerfGE 2, 1; VGH Mannheim, Urt. v. 16.05.2001 - 13 S 916/00 - NVwZ 2001, 1434).
42 
Der Zweck des Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung liegt darin, die Einbürgerung von Verfassungsfeinden und die daraus herrührende Gefahr für die staatliche Ordnung zu verhindern. Die persönlich abzugebende Erklärung soll dem Einbürgerungsbewerber die Notwendigkeit einer glaubhaften Hinwendung zu den Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung unmittelbar vor seiner Aufnahme in den deutschen Staatsverband vor Augen führen. Deshalb werden ihm über die Erfüllung sonstiger Integrationszeichen hinaus sowohl ein aktives persönliches Bekenntnis als auch die Bestätigung eines nicht verfassungsgefährdenden Verhaltens in Vergangenheit und Gegenwart abverlangt. Hieraus soll zugleich geschlossen werden, dass von ihm auch nach der Einbürgerung keine Gefahr für Bestand und Sicherheit des Staates sowie dessen Grundordnung ausgeht. Insoweit reicht ein rein verbales Bekenntnis des Einbürgerungsbewerbers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zur Erfüllung der Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht aus. Das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung muss vielmehr auch inhaltlich zutreffen, stellt mithin nicht nur eine rein formelle Einbürgerungsvoraussetzung dar (vgl. HTK-StAR / § 10 StAG / zu Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Stand: 17.04.2015, Rn. 9 m.w.N.).
43 
Ein vom Einbürgerungsbewerber abgegebenes Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung genügt den Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht, wenn es sich hierbei um ein bloßes Lippenbekenntnis handelt, das nicht von einer entsprechenden inneren Einstellung des Einbürgerungsbewerbers getragen wird. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Einbürgerungsbewerber sich durch sein Antwortverhalten einer Überprüfung seiner inneren Überzeugungen bewusst entzogen hat oder wenn das Antwortverhalten nur den Schluss erlaubt, dass der Einbürgerungsbewerber einbürgerungsschädliche Äußerungen, die seine Einstellung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung offenbaren, bewusst vermeiden wollte (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 07.03.2013 - 1 S 617/12; HTK-StAR a.a.O. Rn. 10). Das Gericht muss sich in vollem Umfang die Überzeugung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) davon verschaffen, dass das vom Einbürgerungsbewerber abgegebene Bekenntnis inhaltlich zutrifft.
44 
Nach diesen Grundsätzen hat sich das Gericht nicht die Überzeugung verschaffen können, dass das von der Klägerin zu 1 abgegebene Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung tatsächlich inhaltlich zutreffend ist.
45 
Die Klägerin zu 1 war in der mündlichen Verhandlung sorgsam darauf bedacht, ihre innere Einstellung zu verbergen. Sie reagierte häufig ausweichend auf Fragen des Gerichts und verweigerte auf heikle Fragen eine Antwort. Dadurch vermied sie eindeutige Antworten, die einen Rückschluss auf ihr Islamverständnis und auf ihre Einstellung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung erlaubt hätten.
46 
So ließ sich die Klägerin zu 1 auf Frage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung, wie sie zur Sure 2,282 stehe, wonach die Zeugenaussage eines Mannes nur von zwei Frauen aufgewogen werden könne, dahin ein, dass die Scharia nicht überall ausgeübt werden könne. Mit dieser Aussage vermied die Klägerin zu 1 eine Festlegung, ob das islamische Zeugenrecht für sie ein anstrebenswertes Ziel darstellt. Zum muslimischen Erbrecht wollte sich die Klägerin zu 1 zunächst nicht äußern. Sie gab dann aber an, dass gegen dieses muslimische Erbrecht, wonach die Frau immer nur die Hälfte von dem erhalte, was einem männlichen Familienmitglied zustehe, nichts einzuwenden sei, da die Frau in anderen Zusammenhängen Unterstützung erhalte. Eine Regelung, dass die Frau allein aufgrund ihres Geschlechts weniger erbt als ein Mann, verstößt aber gegen das Recht auf Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG). Außerdem widerspricht die Erbrechtsverkürzung Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, wonach niemand wegen seines Geschlechts oder seines Glaubens und seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 10.05.2010 - 20 W 3/10, 20 W 4/10 - juris -). Das Recht auf Gleichbehandlung zählt zu den in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Menschenrechten (vgl. OVG Münster, Urt. v. 12.02.2008 - 5 A 130/05 - juris -). Die Klägerin zu 1 ließ in der mündlichen Verhandlung zudem sämtliche Fragen des Gerichts zum „Dschihad“ unbeantwortet. Mit diesem Antwortverhalten hat sich die Klägerin zu 1 aber einer Überprüfung ihrer inneren Überzeugung entzogen. Die Verweigerung der Beantwortung von Fragen des Gerichts erlaubt nur den Schluss, dass die Klägerin zu 1 einbürgerungsschädliche Äußerungen, die ihre Einstellung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung offenbaren, bewusst vermeiden wollte. Die Klägerin zu 1 hat sich jeweils nach kurzer Überlegung dazu entschieden, auf Fragen des Gerichts zum „Dschihad“ nicht zu antworten. Insoweit scheiterte die Prüfung der Ernsthaftigkeit des Bekenntnisses nicht an zu schwierigen Fragestellungen oder an Sprachschwierigkeiten. Die Klägerin zu 1 lebt seit dem Jahr 2004 im Bundesgebiet. Sie absolvierte im Bundesgebiet erfolgreich ein Masterstudium und sie kann sich, wie die mündliche Verhandlung gezeigt hat, differenziert auf Deutsch ausdrücken. Aus dem Antwortverhalten der Klägerin zu 1 in der mündlichen Verhandlung auf Fragen des Gerichts zum „Dschihad“ kann somit nur der Schluss gezogen werden, dass sie ihr eigentliches Islamverständnis verbergen wollte. Nach allem hat sich das Gericht nicht davon überzeugen können, dass das von der Klägerin zu 1 gegenüber dem Landratsamt Esslingen abgegebene Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung tatsächlich inhaltlich zutreffend ist.
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Zum gegenwärtigen Zeitpunkt erfüllt die Klägerin zu 1 auch nicht die Anspruchsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG. Diese Bestimmung setzt voraus, dass der Einbürgerungsbewerber den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II oder dem SGB XII bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat.
48 
Die Feststellung, ob der Einbürgerungsbewerber den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen bestreiten kann, erfordert einen Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den tatsächlich zur Verfügung stehenden Mitteln (vgl. HTK-StAR / § 10 StAG / zu Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Stand: 08.04.2015, Rn. 10). Bei erwerbsfähigen Einbürgerungsbewerbern richtet sich die Ermittlung des Unterhaltsbedarfs nach den Bestimmungen des SGB II. Der Bedarfsberechnung ist grundsätzlich der Personenkreis zugrunde zu legen, der sich aus den Regeln über die Bedarfsgemeinschaft gemäß § 9 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 7 Abs. 2 bis 3 a SGB II ergibt. Die Bedarfsberechnung bestimmt sich grundsätzlich nach § 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II. Zu berücksichtigen sind somit der Regelbedarf (20 SGB II), die Mehrbedarfe (§ 21, §§ 24 - 27 SGB II) sowie der Bedarf für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II). In die Bedarfsberechnung einzustellen sind somit u. a. auch die Mehrbedarfe für die Kosten der dezentralen Warmwassererzeugung (§ 21 Abs. 7 SGB II) sowie die Mehrbedarfe für werdende Mütter (§ 21 Abs. 2 SGB II). Nicht anzusetzen sind lediglich die in § 28 SGB II enthaltenen Bedarfe für Bildung und Teilhabe (vgl. zum Ganzen HTK-StAR a.a.O. Rn. 12).
49 
Für die Klägerin zu 1, ihren Ehemann und die gemeinsamen Kinder ergibt sich gemäß § 20 Abs. 4 und 5 SGB II i.V.m. der Bekanntmachung vom 15.10.2014 über die Höhe der Regelbedarfe nach § 20 Abs. 5 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch für die Zeit ab 01. Januar 2015 (BGBl I 2014 S. 1620) ein monatlicher Regelbedarf für die Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 1.188,00 EUR (je 360,00 EUR für die Klägerin zu 1 und ihren Ehemann sowie je 234,00 EUR für die gemeinsamen Kinder). Hinzu kommen der Mehrbedarf für werdende Mütter gemäß § 21 Abs. 2 SGB II in Höhe von 61,20 EUR, ein Mehrbedarf für die dezentrale Warmwasserversorgung gemäß § 21 Abs. 7 SGB II in Höhe von insgesamt 20,30 EUR sowie gemäß § 22 Abs. 1 SGB II die monatlichen Aufwendungen für Miete und Unterkunft in Höhe von 541,00 EUR. Hieraus errechnet sich ein monatlicher Gesamtbedarf von insgesamt 1810,50 EUR.
50 
Zwar konnte der Unterhaltsbedarf nach der von der Klägerin zu 1 in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Verdienstbescheinigung ihrer Steuerberaterin vom 14.04.2015 für das Jahr 2014 mit dem von ihrem Ehemann erzielten Erwerbseinkommen zzgl. des Kindergeldes aller Voraussicht nach gedeckt werden, ohne auf die Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen angewiesen zu sein. Bei der Frage, ob der Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II und SGB XII bestritten werden kann, ist aber nicht nur auf die aktuelle Situation abzustellen. Erforderlich ist vielmehr auch eine gewisse Nachhaltigkeit. Es ist eine Prognose darüber anzustellen, ob der Einbürgerungsbewerber voraussichtlich dauerhaft in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt aus eigenen Einkünften zu bestreiten (vgl. HTK-StAR / § 10 StAG / zu Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Stand: 08.04.2015, Rn. 25 m.w.N.). Die geforderte Prognoseentscheidung beinhaltet auch das Moment der Dauerhaftigkeit der Unterhaltssicherung; sie setzt eine Abschätzung auch aufgrund rückschauender Betrachtung voraus, ob ohne unvorhergesehene Ereignisse in Zukunft gewährleistet erscheint, dass der Einbürgerungsbewerber den Lebensunterhalt dauerhaft ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel nach SGB II und SGB XII aufbringen kann (vgl. HTK-StAR a.a.O. Rn. 26).
51 
Nach diesen Grundsätzen kann unter Berücksichtigung der bisherigen Erwerbsbiographien der Klägerin zu 1 sowie ihres Ehemannes eine hinreichend dauerhafte Sicherung des Lebensunterhalts derzeit (noch) nicht prognostiziert werden.
52 
Die Erwerbsbiographie des Ehemanns der Klägerin zu 1 ist dadurch gekennzeichnet, dass er in den letzten Jahren aus seiner selbständigen Tätigkeit als Autohändler ganz unterschiedliche monatliche Einkünfte erzielt hat. Den vorgelegten Einkommenssteuerbescheiden für die Jahre 2009 bis 2013 sind folgende monatliche Einkünfte des Ehemanns der Klägerin zu 1 zu entnehmen: Im Jahr 2010 162,58 EUR, im Jahr 2011 208,83 EUR, im Jahr 2012 1.696,25 EUR und im Jahr 2013 487,42 EUR; für das Jahr 2009 bestanden negative Einkünfte in Höhe von 175,50 EUR. Wird der Lebensunterhalt aus einer selbständigen Tätigkeit bestritten, so kann eine positive Prognose nur im Hinblick auf die erzielten Gewinne getroffen werden; hinsichtlich der Nachhaltigkeit der Einnahmesituation eines selbständig Tätigen sind die Einkünfte mehrerer Veranlagungszeiträume in den Blick zu nehmen (vgl. HTK-StAR a.a.O. Rn. 31). Bei der aufgezeigten Einkommenssituation des Ehemannes der Klägerin zu 1 aus seiner selbständigen Erwerbstätigkeit rechtfertigen die erzielten Gewinne jedenfalls gegenwärtig (noch) nicht die Annahme einer positiven Prognose. Auch im Hinblick auf die Erwerbsbiographie der Klägerin zu 1 kann gegenwärtig eine positive Prognose, dass der Lebensunterhalt aus eigenen Einkünften bestritten werden kann, nicht gestellt werden. Bislang befand sich die Klägerin zu 1 lediglich in einem vom 01.06.2011 bis zum 31.05.2014 befristeten Arbeitsverhältnis als Zeitarbeitnehmerin. Gegenwärtig arbeitet die Klägerin zu 1 nach ihrem eigenen Vorbringen an ihrer Doktorarbeit. Ob und wann sie dem Arbeitsmarkt wieder zur Verfügung steht, ist völlig offen.
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Die Klägerin zu 1 hat den Mangel an ausreichenden dauerhaften und festen Einkünften auch zu vertreten. Auch wenn die Klägerin zu 1 Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII nicht bezieht, ist weiter zu prüfen, ob sie die fehlende Nachhaltigkeit der Einkünfte zu vertreten hat. Denn ansonsten würde der Einbürgerungsbewerber, der keine Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII bezieht, schlechter gestellt als der Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII in Anspruch nehmende Einbürgerungsbewerber (vgl. HTK-StAR / § 10 StAG / zu Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Stand: 08.04.2015, Rn. 11).
54 
Das „Vertretenmüssen“ setzt ein pflichtwidriges, schuldhaftes Verhalten nicht voraus. Das Ergebnis muss lediglich auf Umständen beruhen, die dem Verantwortungsbereich der handelnden Person zurechenbar sind (vgl. HTK-StAR a.a.O. Rn. 57 m.w.N.). Gemessen an diesem Maßstab hat die Klägerin zu 1 die fehlende positive Prognose künftiger Unterhaltsfähigkeit zu vertreten.
55 
Ein normativer Ausschluss des Vertretenmüssens wegen der Betreuung von Kindern ist nicht ersichtlich. Eine Arbeitsaufnahme ist nach Maßgabe des § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II zumutbar, wenn die Erziehung eines Kindes nicht gefährdet ist; dies ist dann der Fall, wenn dessen Betreuung durch einen Elternteil oder in einer Tageseinrichtung/Tagespflege oder auf sonstige Weise sichergestellt ist (vgl. HTK-StAR a.a.O. Rn. 87 m.w.N.). Dass die Betreuung der zwei gemeinsamen Kinder der Klägerin zu 1 in einer Tageseinrichtung oder einer Tagespflege nicht sichergestellt wäre, ist weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Es ist schon nicht erkennbar, dass sich die Klägerin zu 1 um die Aufnahme ihrer Kinder in einer Tageseinrichtung oder einer Tagespflege überhaupt bemüht hat.
56 
Auch die Entscheidung der Klägerin zu 1, sich um ihre Doktorarbeit zu bemühen statt eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, führt ebenso wenig dazu, dass sie die unzureichende Prognose hinreichenden Lebensunterhalts nicht zu vertreten hätte. Von einem Nichtvertretenmüssen könnte nur dann ausgegangen werden, wenn die Klägerin zu 1 darlegt und nachweist, dass sie langanhaltende, intensive und breitgefächerte Bemühungen um eine einkommenserzielende Erwerbstätigkeit gezeigt hat, diese jedoch erfolglos gewesen sind; denn nur in diesen Fällen stellt sich die Qualifizierung als zwingend notwendig dar, weil dann feststeht, dass die Klägerin zu 1 schon wegen ihrer fehlenden Doktorarbeit ein objektives Vermittlungshemmnis aufweist (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 13.11.2013 - 13 LB 99/12 - juris -; HTK-StAR a.a.O. Rn. 88). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die darlegungs- und beweisbelastete Klägerin zu 1 hat weder geltend gemacht noch dargelegt, dass sie nicht auch mit ihrer bisherigen Qualifikation hätte erwerbstätig sein können.
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Liegen die Einbürgerungsvoraussetzungen des § 10 StAG bei der Klägerin zu 1 nicht vor, so scheidet auch eine Miteinbürgerung der Klägerin zu 2 nach § 10 Abs. 2 StAG aus.
58 
Die Klägerinnen können ebenso wenig auf der Grundlage des § 8 StAG eingebürgert werden. Auch die von § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG geforderte Unterhaltsfähigkeit setzt eine positive Prognose, dass die Unterhaltsfähigkeit voraussichtlich dauerhaft besteht, voraus (vgl. HTK-StAR / § 8 StAG / zu Abs. 1, Stand: 20.02.2015, Rn. 100 m.w.N.). Eine solche Prognose kann zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht gestellt werden; auf die Ausführungen zu § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG wird verwiesen. Von der Voraussetzung des § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG kann auch nicht nach § 8 Abs. 2 StAG abgesehen werden. Für das Vorliegen eines öffentlichen Interesses ist nichts ersichtlich. Auch eine besondere Härte i.S.d. § 8 Abs. 2 StAG liegt nicht vor. Eine besondere Härte im Sinne dieser Bestimmung setzt einen atypischen Sachverhalt voraus, der den Einbürgerungsbewerber in besonderer Weise beschwert; die Ausnahmeregelung des § 8 Abs. 2 StAG soll solchen Härten begegnen, die gerade durch die Versagung der Einbürgerung entstehen würden und sich durch eine Einbürgerung vermeiden ließen, die Härte muss also gerade durch die begehrte Einbürgerung beseitigt oder zumindest entscheidend abgemildert werden können (vgl. HTK-StAR / § 8 StAG / zu Abs. 2, Stand: 31.03.2015, Rn. 13 m.w.N.). Besonders beschwerende Umstände, die durch die Versagung der Einbürgerung der Klägerinnen entstehen würden oder die sich durch eine Einbürgerung vermeiden ließen, sind weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.
59 
Liegen somit schon die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 8 StAG nicht vor, kann das Gericht dahingestellt sein lassen, ob das nach § 8 Abs. 1 StAG auszuübende Ermessen deshalb negativ auf Null reduziert ist, weil begründete Zweifel daran bestehen, dass die Klägerin zu 1 sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 27.06.1983 - 1 B 73/83 - DVBl 1983, 1013; VGH Mannheim, Urt. v. 16.05.2001 - 13 S 916/00 - NVwZ 2001, 1434).
60 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 VwGO.

Gründe

 
37 
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerinnen nicht in ihren Rechten. Die Klägerinnen haben keinen Anspruch auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband.
38 
Der geltend gemachte Anspruch auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband beurteilt sich nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.08.1996 - 1 B 82/95 - InfAuslR 1996, 399 und Urt. v. 20.10.2005 - 5 C 8/05 - BVerwGE 124, 268).
39 
Die Klägerin zu 1 erfüllt nicht sämtliche Anspruchsvoraussetzungen des § 10 StAG; es fehlt an der Anspruchsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 3 StAG.
40 
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG setzt ein Einbürgerungsanspruch voraus, dass der Einbürgerungsbewerber sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben oder die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, oder dass er glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat.
41 
Die freiheitliche demokratische Grundordnung ist gekennzeichnet durch die in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Verfassungsgrundsätze, die auch einbürgerungsrechtlich maßgeblich sind (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 07.03.2013 - 1 S 617/12). Sie lässt sich als eine Ordnung bestimmen, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: Die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteiensystem und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition (vgl. BVerfG, Urt. v. 23.10.1952 - 1 BvB 1/51 - BVerfGE 2, 1; VGH Mannheim, Urt. v. 16.05.2001 - 13 S 916/00 - NVwZ 2001, 1434).
42 
Der Zweck des Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung liegt darin, die Einbürgerung von Verfassungsfeinden und die daraus herrührende Gefahr für die staatliche Ordnung zu verhindern. Die persönlich abzugebende Erklärung soll dem Einbürgerungsbewerber die Notwendigkeit einer glaubhaften Hinwendung zu den Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung unmittelbar vor seiner Aufnahme in den deutschen Staatsverband vor Augen führen. Deshalb werden ihm über die Erfüllung sonstiger Integrationszeichen hinaus sowohl ein aktives persönliches Bekenntnis als auch die Bestätigung eines nicht verfassungsgefährdenden Verhaltens in Vergangenheit und Gegenwart abverlangt. Hieraus soll zugleich geschlossen werden, dass von ihm auch nach der Einbürgerung keine Gefahr für Bestand und Sicherheit des Staates sowie dessen Grundordnung ausgeht. Insoweit reicht ein rein verbales Bekenntnis des Einbürgerungsbewerbers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zur Erfüllung der Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht aus. Das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung muss vielmehr auch inhaltlich zutreffen, stellt mithin nicht nur eine rein formelle Einbürgerungsvoraussetzung dar (vgl. HTK-StAR / § 10 StAG / zu Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Stand: 17.04.2015, Rn. 9 m.w.N.).
43 
Ein vom Einbürgerungsbewerber abgegebenes Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung genügt den Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht, wenn es sich hierbei um ein bloßes Lippenbekenntnis handelt, das nicht von einer entsprechenden inneren Einstellung des Einbürgerungsbewerbers getragen wird. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Einbürgerungsbewerber sich durch sein Antwortverhalten einer Überprüfung seiner inneren Überzeugungen bewusst entzogen hat oder wenn das Antwortverhalten nur den Schluss erlaubt, dass der Einbürgerungsbewerber einbürgerungsschädliche Äußerungen, die seine Einstellung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung offenbaren, bewusst vermeiden wollte (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 07.03.2013 - 1 S 617/12; HTK-StAR a.a.O. Rn. 10). Das Gericht muss sich in vollem Umfang die Überzeugung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) davon verschaffen, dass das vom Einbürgerungsbewerber abgegebene Bekenntnis inhaltlich zutrifft.
44 
Nach diesen Grundsätzen hat sich das Gericht nicht die Überzeugung verschaffen können, dass das von der Klägerin zu 1 abgegebene Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung tatsächlich inhaltlich zutreffend ist.
45 
Die Klägerin zu 1 war in der mündlichen Verhandlung sorgsam darauf bedacht, ihre innere Einstellung zu verbergen. Sie reagierte häufig ausweichend auf Fragen des Gerichts und verweigerte auf heikle Fragen eine Antwort. Dadurch vermied sie eindeutige Antworten, die einen Rückschluss auf ihr Islamverständnis und auf ihre Einstellung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung erlaubt hätten.
46 
So ließ sich die Klägerin zu 1 auf Frage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung, wie sie zur Sure 2,282 stehe, wonach die Zeugenaussage eines Mannes nur von zwei Frauen aufgewogen werden könne, dahin ein, dass die Scharia nicht überall ausgeübt werden könne. Mit dieser Aussage vermied die Klägerin zu 1 eine Festlegung, ob das islamische Zeugenrecht für sie ein anstrebenswertes Ziel darstellt. Zum muslimischen Erbrecht wollte sich die Klägerin zu 1 zunächst nicht äußern. Sie gab dann aber an, dass gegen dieses muslimische Erbrecht, wonach die Frau immer nur die Hälfte von dem erhalte, was einem männlichen Familienmitglied zustehe, nichts einzuwenden sei, da die Frau in anderen Zusammenhängen Unterstützung erhalte. Eine Regelung, dass die Frau allein aufgrund ihres Geschlechts weniger erbt als ein Mann, verstößt aber gegen das Recht auf Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG). Außerdem widerspricht die Erbrechtsverkürzung Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, wonach niemand wegen seines Geschlechts oder seines Glaubens und seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 10.05.2010 - 20 W 3/10, 20 W 4/10 - juris -). Das Recht auf Gleichbehandlung zählt zu den in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Menschenrechten (vgl. OVG Münster, Urt. v. 12.02.2008 - 5 A 130/05 - juris -). Die Klägerin zu 1 ließ in der mündlichen Verhandlung zudem sämtliche Fragen des Gerichts zum „Dschihad“ unbeantwortet. Mit diesem Antwortverhalten hat sich die Klägerin zu 1 aber einer Überprüfung ihrer inneren Überzeugung entzogen. Die Verweigerung der Beantwortung von Fragen des Gerichts erlaubt nur den Schluss, dass die Klägerin zu 1 einbürgerungsschädliche Äußerungen, die ihre Einstellung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung offenbaren, bewusst vermeiden wollte. Die Klägerin zu 1 hat sich jeweils nach kurzer Überlegung dazu entschieden, auf Fragen des Gerichts zum „Dschihad“ nicht zu antworten. Insoweit scheiterte die Prüfung der Ernsthaftigkeit des Bekenntnisses nicht an zu schwierigen Fragestellungen oder an Sprachschwierigkeiten. Die Klägerin zu 1 lebt seit dem Jahr 2004 im Bundesgebiet. Sie absolvierte im Bundesgebiet erfolgreich ein Masterstudium und sie kann sich, wie die mündliche Verhandlung gezeigt hat, differenziert auf Deutsch ausdrücken. Aus dem Antwortverhalten der Klägerin zu 1 in der mündlichen Verhandlung auf Fragen des Gerichts zum „Dschihad“ kann somit nur der Schluss gezogen werden, dass sie ihr eigentliches Islamverständnis verbergen wollte. Nach allem hat sich das Gericht nicht davon überzeugen können, dass das von der Klägerin zu 1 gegenüber dem Landratsamt Esslingen abgegebene Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung tatsächlich inhaltlich zutreffend ist.
47 
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt erfüllt die Klägerin zu 1 auch nicht die Anspruchsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG. Diese Bestimmung setzt voraus, dass der Einbürgerungsbewerber den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II oder dem SGB XII bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat.
48 
Die Feststellung, ob der Einbürgerungsbewerber den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen bestreiten kann, erfordert einen Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den tatsächlich zur Verfügung stehenden Mitteln (vgl. HTK-StAR / § 10 StAG / zu Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Stand: 08.04.2015, Rn. 10). Bei erwerbsfähigen Einbürgerungsbewerbern richtet sich die Ermittlung des Unterhaltsbedarfs nach den Bestimmungen des SGB II. Der Bedarfsberechnung ist grundsätzlich der Personenkreis zugrunde zu legen, der sich aus den Regeln über die Bedarfsgemeinschaft gemäß § 9 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 7 Abs. 2 bis 3 a SGB II ergibt. Die Bedarfsberechnung bestimmt sich grundsätzlich nach § 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II. Zu berücksichtigen sind somit der Regelbedarf (20 SGB II), die Mehrbedarfe (§ 21, §§ 24 - 27 SGB II) sowie der Bedarf für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II). In die Bedarfsberechnung einzustellen sind somit u. a. auch die Mehrbedarfe für die Kosten der dezentralen Warmwassererzeugung (§ 21 Abs. 7 SGB II) sowie die Mehrbedarfe für werdende Mütter (§ 21 Abs. 2 SGB II). Nicht anzusetzen sind lediglich die in § 28 SGB II enthaltenen Bedarfe für Bildung und Teilhabe (vgl. zum Ganzen HTK-StAR a.a.O. Rn. 12).
49 
Für die Klägerin zu 1, ihren Ehemann und die gemeinsamen Kinder ergibt sich gemäß § 20 Abs. 4 und 5 SGB II i.V.m. der Bekanntmachung vom 15.10.2014 über die Höhe der Regelbedarfe nach § 20 Abs. 5 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch für die Zeit ab 01. Januar 2015 (BGBl I 2014 S. 1620) ein monatlicher Regelbedarf für die Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 1.188,00 EUR (je 360,00 EUR für die Klägerin zu 1 und ihren Ehemann sowie je 234,00 EUR für die gemeinsamen Kinder). Hinzu kommen der Mehrbedarf für werdende Mütter gemäß § 21 Abs. 2 SGB II in Höhe von 61,20 EUR, ein Mehrbedarf für die dezentrale Warmwasserversorgung gemäß § 21 Abs. 7 SGB II in Höhe von insgesamt 20,30 EUR sowie gemäß § 22 Abs. 1 SGB II die monatlichen Aufwendungen für Miete und Unterkunft in Höhe von 541,00 EUR. Hieraus errechnet sich ein monatlicher Gesamtbedarf von insgesamt 1810,50 EUR.
50 
Zwar konnte der Unterhaltsbedarf nach der von der Klägerin zu 1 in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Verdienstbescheinigung ihrer Steuerberaterin vom 14.04.2015 für das Jahr 2014 mit dem von ihrem Ehemann erzielten Erwerbseinkommen zzgl. des Kindergeldes aller Voraussicht nach gedeckt werden, ohne auf die Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen angewiesen zu sein. Bei der Frage, ob der Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II und SGB XII bestritten werden kann, ist aber nicht nur auf die aktuelle Situation abzustellen. Erforderlich ist vielmehr auch eine gewisse Nachhaltigkeit. Es ist eine Prognose darüber anzustellen, ob der Einbürgerungsbewerber voraussichtlich dauerhaft in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt aus eigenen Einkünften zu bestreiten (vgl. HTK-StAR / § 10 StAG / zu Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Stand: 08.04.2015, Rn. 25 m.w.N.). Die geforderte Prognoseentscheidung beinhaltet auch das Moment der Dauerhaftigkeit der Unterhaltssicherung; sie setzt eine Abschätzung auch aufgrund rückschauender Betrachtung voraus, ob ohne unvorhergesehene Ereignisse in Zukunft gewährleistet erscheint, dass der Einbürgerungsbewerber den Lebensunterhalt dauerhaft ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel nach SGB II und SGB XII aufbringen kann (vgl. HTK-StAR a.a.O. Rn. 26).
51 
Nach diesen Grundsätzen kann unter Berücksichtigung der bisherigen Erwerbsbiographien der Klägerin zu 1 sowie ihres Ehemannes eine hinreichend dauerhafte Sicherung des Lebensunterhalts derzeit (noch) nicht prognostiziert werden.
52 
Die Erwerbsbiographie des Ehemanns der Klägerin zu 1 ist dadurch gekennzeichnet, dass er in den letzten Jahren aus seiner selbständigen Tätigkeit als Autohändler ganz unterschiedliche monatliche Einkünfte erzielt hat. Den vorgelegten Einkommenssteuerbescheiden für die Jahre 2009 bis 2013 sind folgende monatliche Einkünfte des Ehemanns der Klägerin zu 1 zu entnehmen: Im Jahr 2010 162,58 EUR, im Jahr 2011 208,83 EUR, im Jahr 2012 1.696,25 EUR und im Jahr 2013 487,42 EUR; für das Jahr 2009 bestanden negative Einkünfte in Höhe von 175,50 EUR. Wird der Lebensunterhalt aus einer selbständigen Tätigkeit bestritten, so kann eine positive Prognose nur im Hinblick auf die erzielten Gewinne getroffen werden; hinsichtlich der Nachhaltigkeit der Einnahmesituation eines selbständig Tätigen sind die Einkünfte mehrerer Veranlagungszeiträume in den Blick zu nehmen (vgl. HTK-StAR a.a.O. Rn. 31). Bei der aufgezeigten Einkommenssituation des Ehemannes der Klägerin zu 1 aus seiner selbständigen Erwerbstätigkeit rechtfertigen die erzielten Gewinne jedenfalls gegenwärtig (noch) nicht die Annahme einer positiven Prognose. Auch im Hinblick auf die Erwerbsbiographie der Klägerin zu 1 kann gegenwärtig eine positive Prognose, dass der Lebensunterhalt aus eigenen Einkünften bestritten werden kann, nicht gestellt werden. Bislang befand sich die Klägerin zu 1 lediglich in einem vom 01.06.2011 bis zum 31.05.2014 befristeten Arbeitsverhältnis als Zeitarbeitnehmerin. Gegenwärtig arbeitet die Klägerin zu 1 nach ihrem eigenen Vorbringen an ihrer Doktorarbeit. Ob und wann sie dem Arbeitsmarkt wieder zur Verfügung steht, ist völlig offen.
53 
Die Klägerin zu 1 hat den Mangel an ausreichenden dauerhaften und festen Einkünften auch zu vertreten. Auch wenn die Klägerin zu 1 Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII nicht bezieht, ist weiter zu prüfen, ob sie die fehlende Nachhaltigkeit der Einkünfte zu vertreten hat. Denn ansonsten würde der Einbürgerungsbewerber, der keine Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII bezieht, schlechter gestellt als der Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII in Anspruch nehmende Einbürgerungsbewerber (vgl. HTK-StAR / § 10 StAG / zu Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Stand: 08.04.2015, Rn. 11).
54 
Das „Vertretenmüssen“ setzt ein pflichtwidriges, schuldhaftes Verhalten nicht voraus. Das Ergebnis muss lediglich auf Umständen beruhen, die dem Verantwortungsbereich der handelnden Person zurechenbar sind (vgl. HTK-StAR a.a.O. Rn. 57 m.w.N.). Gemessen an diesem Maßstab hat die Klägerin zu 1 die fehlende positive Prognose künftiger Unterhaltsfähigkeit zu vertreten.
55 
Ein normativer Ausschluss des Vertretenmüssens wegen der Betreuung von Kindern ist nicht ersichtlich. Eine Arbeitsaufnahme ist nach Maßgabe des § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II zumutbar, wenn die Erziehung eines Kindes nicht gefährdet ist; dies ist dann der Fall, wenn dessen Betreuung durch einen Elternteil oder in einer Tageseinrichtung/Tagespflege oder auf sonstige Weise sichergestellt ist (vgl. HTK-StAR a.a.O. Rn. 87 m.w.N.). Dass die Betreuung der zwei gemeinsamen Kinder der Klägerin zu 1 in einer Tageseinrichtung oder einer Tagespflege nicht sichergestellt wäre, ist weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Es ist schon nicht erkennbar, dass sich die Klägerin zu 1 um die Aufnahme ihrer Kinder in einer Tageseinrichtung oder einer Tagespflege überhaupt bemüht hat.
56 
Auch die Entscheidung der Klägerin zu 1, sich um ihre Doktorarbeit zu bemühen statt eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, führt ebenso wenig dazu, dass sie die unzureichende Prognose hinreichenden Lebensunterhalts nicht zu vertreten hätte. Von einem Nichtvertretenmüssen könnte nur dann ausgegangen werden, wenn die Klägerin zu 1 darlegt und nachweist, dass sie langanhaltende, intensive und breitgefächerte Bemühungen um eine einkommenserzielende Erwerbstätigkeit gezeigt hat, diese jedoch erfolglos gewesen sind; denn nur in diesen Fällen stellt sich die Qualifizierung als zwingend notwendig dar, weil dann feststeht, dass die Klägerin zu 1 schon wegen ihrer fehlenden Doktorarbeit ein objektives Vermittlungshemmnis aufweist (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 13.11.2013 - 13 LB 99/12 - juris -; HTK-StAR a.a.O. Rn. 88). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die darlegungs- und beweisbelastete Klägerin zu 1 hat weder geltend gemacht noch dargelegt, dass sie nicht auch mit ihrer bisherigen Qualifikation hätte erwerbstätig sein können.
57 
Liegen die Einbürgerungsvoraussetzungen des § 10 StAG bei der Klägerin zu 1 nicht vor, so scheidet auch eine Miteinbürgerung der Klägerin zu 2 nach § 10 Abs. 2 StAG aus.
58 
Die Klägerinnen können ebenso wenig auf der Grundlage des § 8 StAG eingebürgert werden. Auch die von § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG geforderte Unterhaltsfähigkeit setzt eine positive Prognose, dass die Unterhaltsfähigkeit voraussichtlich dauerhaft besteht, voraus (vgl. HTK-StAR / § 8 StAG / zu Abs. 1, Stand: 20.02.2015, Rn. 100 m.w.N.). Eine solche Prognose kann zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht gestellt werden; auf die Ausführungen zu § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG wird verwiesen. Von der Voraussetzung des § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG kann auch nicht nach § 8 Abs. 2 StAG abgesehen werden. Für das Vorliegen eines öffentlichen Interesses ist nichts ersichtlich. Auch eine besondere Härte i.S.d. § 8 Abs. 2 StAG liegt nicht vor. Eine besondere Härte im Sinne dieser Bestimmung setzt einen atypischen Sachverhalt voraus, der den Einbürgerungsbewerber in besonderer Weise beschwert; die Ausnahmeregelung des § 8 Abs. 2 StAG soll solchen Härten begegnen, die gerade durch die Versagung der Einbürgerung entstehen würden und sich durch eine Einbürgerung vermeiden ließen, die Härte muss also gerade durch die begehrte Einbürgerung beseitigt oder zumindest entscheidend abgemildert werden können (vgl. HTK-StAR / § 8 StAG / zu Abs. 2, Stand: 31.03.2015, Rn. 13 m.w.N.). Besonders beschwerende Umstände, die durch die Versagung der Einbürgerung der Klägerinnen entstehen würden oder die sich durch eine Einbürgerung vermeiden ließen, sind weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.
59 
Liegen somit schon die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 8 StAG nicht vor, kann das Gericht dahingestellt sein lassen, ob das nach § 8 Abs. 1 StAG auszuübende Ermessen deshalb negativ auf Null reduziert ist, weil begründete Zweifel daran bestehen, dass die Klägerin zu 1 sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 27.06.1983 - 1 B 73/83 - DVBl 1983, 1013; VGH Mannheim, Urt. v. 16.05.2001 - 13 S 916/00 - NVwZ 2001, 1434).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 VwGO.

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