Beschluss vom Verwaltungsgericht Stuttgart - 1 K 371/22

Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 30.12.2021 wird hinsichtlich des Versammlungsverbots (Ziffer 1) wiederhergestellt und hinsichtlich der Zwangsmittelandrohung (Ziffer 4) angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
I.
Die Antragstellerin wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen ein durch Allgemeinverfügung erlassenes Verbot nicht angemeldeter Versammlungen im Zusammenhang mit Aufrufen zu „(Montags-)Spaziergängen“.
Die Antragsgegnerin erließ am 30.12.2021 eine auf § 15 Abs. 1 VersammlG, § 12 Abs. 2 CoronaVO und § 35 Satz 2 LVwVfG gestützte Allgemeinverfügung folgenden Inhalts:
1. Die Veranstaltung von und die Teilnahme an allen mit generellen Aufrufen zu „Montagsspaziergängen“ oder „Spaziergängen“ in Zusammenhang stehenden, nicht bei der Versammlungsbehörde der Stadt C. angezeigten und nicht behördlich bestätigten Versammlungen und Ersatzversammlungen auf der Gemarkung des Gebiets der Stadt C., unabhängig vom Wochentag und unabhängig davon, ob einmalig oder wiederkehrend stattfindend, ist untersagt.
2. Diese Allgemeinverfügung tritt am Tag nach ihrer Bekanntmachung in Kraft.
3. Sie tritt mit Ablauf des 31.01.2022 außer Kraft.
4. Bei Zuwiderhandlung gegen das in Ziffer 1 verfügte Verbot kann unmittelbarer Zwang angewendet werden, der hiermit angedroht wird.
5. Die sofortige Vollziehung der in Ziffer 1 verfügten Verbote wird hiermit angeordnet.
In der Begründung wurde ausgeführt, dass es sich bei den in Ziffer 1 der Allgemeinverfügung bezeichneten Aktionen um die geplante Durchführung von öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel im Sinne des Versammlungsgesetzes handele. Das Anmeldeerfordernis trage dem Umstand Rechnung, dass die zuständigen Sicherheitsbehörden einen zeitlichen Vorlauf brauchten, um zu prüfen, ob von der Durchführung der Versammlung Gefahren für die öffentliche Sicherheit ausgehen, und bejahendenfalls Vorkehrungen zu treffen hätten, um die Gefahren und Schäden für Dritte zu verhindern. Bei den geplanten Zusammenkünften sei eine erhebliche Gefahr für hochrangige Rechtsgüter Dritter zu befürchten, insbesondere dadurch, dass es zu einer erheblichen Anzahl von physischen Kontakten komme, die Mindestabstände nicht eingehalten und keine geeignete Mund-Nasen-Bedeckung getragen würden. In Ansehung des derzeitigen Infektionsgeschehens in C. im Speziellen und im Land Baden-Württemberg im Allgemeinen komme eine Versammlung nur unter Einhaltung von infektionsschützenden Auflagen in Betracht, sofern die hinreichende Gewähr bestehe, dass diese Auflagen auch (mehrheitlich) umgesetzt würden. Bereits aus dem Umstand, dass die Versammlungen nicht angemeldet würden und von ihnen Infektionsgefahren ausgingen, die nicht gering oder vernachlässigbar seien, folge, dass diese aufgrund der damit einhergehenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit nach pflichtgemäßem Ermessen zu verbieten seien. In der Vergangenheit hätten ähnliche Veranstaltungen gezeigt, dass die Versammlungsteilnehmenden zwar nach Ansprache der Versammlungsleitung durchaus bereit seien, sich an verfügte Auflagen zu halten. Allerdings sei ebenfalls offenbar geworden, dass ohne permanente beziehungsweise wiederholte Ansprache einer Versammlungsleitung immer wieder gravierende Verstöße gegen die Abstandspflicht oder die Pflicht zum Tragen einer medizinischen Maske zu verzeichnen seien. Aus Gründen des effektiven Schutzes von Leib und Leben sei in der aktuell angespannten Pandemielage nur ein präventives Vorgehen verhältnismäßig. Es könne im Hinblick auf die andernfalls zu besorgende Gefährdung durch das verdichtete Zusammenkommen einer größeren Personenmehrheit für hochrangige Rechtsgüter nicht abgewartet werden, bis sich die Personen versammelten und die Veranstaltungen sodann erst aufgelöst würden. Insbesondere die Ereignisse vom 20.12.2021 und 27.12.2021 hätten gezeigt, dass die Störung der öffentlichen Sicherheit durch unangemeldete Versammlungen akut sei, und dass hierbei eine erhebliche Anzahl von Personen zur Teilnahme bereit sei. Des Weiteren wird auf die allgemeinen Versammlungsaktivitäten der „Querdenkerszene“ bundes- und landesweit hingewiesen. Vor diesem Hintergrund sei die Allgemeinverfügung zu erlassen gewesen, zumal eine andere, den gleichen Erfolg herbeiführende Maßnahme zum Zeitpunkt des Erlasses dieser Allgemeinverfügung nicht ersichtlich gewesen sei. Das Verbot sei auch angemessen. Die Verfügung diene dem Schutz hochrangiger Rechtsgüter und stehe nicht außer Verhältnis zu der Eingriffsintensität. Die gezielte Umgehung von rechtlichen Vorgaben, die dem Schutz von Rechtsgütern zu dienen bestimmt seien, sei nicht schutzwürdig. Demnach könne hier das Versammlungsverbot als ultima ratio auch zum Zwecke des Infektionsschutzes, das heißt zum Schutz von Leib und Leben eingesetzt werden.
Mit Schreiben vom 25.01.2022 erhob die Antragstellerin Widerspruch gegen die Allgemeinverfügung, über den bislang nicht entschieden ist. Mit dem ebenfalls am 25.01.2021 gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes begehrt sie die Wiederherstellung beziehungsweise Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs. Zur Begründung versichert sie an Eides statt, sie wohne und arbeite in einer Nachbargemeinde von C. und habe bereits im Dezember 2021 und Januar 2022 an den örtlichen Spaziergängen in C. teilgenommen. Sie wolle sich auch weiterhin spontan und frei entscheiden, an solchen Spaziergängen teilzunehmen. Die Allgemeinverfügung der Stadt C. vom 30.12.2021 sei nicht hinreichend bestimmt, da es ein Verbot im gesamten Stadtgebiet zu Ladenöffnungszeiten vorsehe. Es seien keine Einschränkungen im Hinblick auf einzelne Tage oder Zeiträume vorgenommen worden. Zugleich sei der Begriff „Spaziergänge“ zu unbestimmt; hierunter könnten vielfältige Verhaltensweise im Freien verstanden werden und es sei nicht hinreichend deutlich, was davon verboten sei. Es ergebe sich aus der Allgemeinverfügung auch nicht, ob das Verbot auf Spontanversammlungen zu bestimmten Themen begrenzt sei. Das Infektionsrisiko bei Demonstrationen im Freien, insbesondere nach Beendigung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite und unter Berücksichtigung der gegenwärtig geringen Hospitalisierungsrate im Raum C., stelle keine ausreichende Gefährdung des Gesundheitssystems dar, um demokratische Rechte wie Demonstrationen dieser Art präventiv zu unterbinden. Bisherige Spaziergänge seien friedlich verlaufen und – soweit es die Antragstellerin habe beobachten können – unter Einhaltung von Mindestabständen oder dem Tragen von Mund-Nasen-Schutzmasken. Die Antragsgegnerin habe keine Gefahrenprognose angestellt, aus der sich ausreichende Anhaltspunkte für eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit ergebe. Auch seien keine hinreichend konkreten Feststellungen zur Ungeeignetheit milderer Mittel getroffen worden. Schließlich sei die Allgemeinverfügung auch nicht verhältnismäßig.
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Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegengetreten. Sie macht geltend, dass der vorliegende Eilantrag bereits unzulässig sei. Der „Montagsspaziergang“ am 24.01.2022 sei bereits abgelaufen, der nächste „Montagsspaziergang“ am 31.01.2022 sei bei der Antragsgegnerin angemeldet worden, sodass diese Versammlung nicht unter den Anwendungsbereich der Allgemeinverfügung falle. Zudem wohne die Antragstellerin nicht in C. und könne sich auf der Gemarkung ihres Heimatorts in 14 km Entfernung versammeln. Inhaltlich verweist die Antragsgegnerin auf die momentane 7-Tage-Inzindenz der Stadt C. von 927,4 und die voranschreitende Verbreitung der Omikron-Variante. Die Allgemeinverfügung sei auch hinreichend bestimmt, da jedenfalls unter Zuhilfenahme der bei der Antragsgegnerin einsehbaren Begründung deutlich werde, dass nicht jede (Spontan-)Versammlung im Stadtgebiet zu jedem Thema verboten werden solle, sondern lediglich geplante, aber nicht angemeldete Versammlungen, die sich gegen die Corona-Schutzmaßnahmen richteten. Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit im Sinne des Versammlungsrechts sei bei den „Coronaspaziergängen“ gegeben. Zumindest an fünf Tagen hätten solche Spaziergänge in der Stadt stattgefunden. Diese Treffen seien nicht zufällig erfolgt, sondern es sei über Messenger-Dienste und soziale Plattformen dazu aufgerufen worden. Am Abend hätten sich tatsächlich hunderte Menschen an wechselnden Orten in der Innenstadt eingefunden und seien als Protest gegen Corona-Einschränkungen durch die Innenstadt gezogen. Bei verständiger Würdigung aller erkennbaren Umstände sei davon auszugehen, dass bei erneuter Durchführung dieser Spaziergänge die öffentliche Sicherheit erheblich gefährdet wäre, da eine nicht unerhebliche Anzahl der Versammlungsteilnehmenden sich in der Vergangenheit gerade bei nicht angemeldeten Versammlungen wie auch am 10.01.2022 weder Masken getragen noch sich an die Abstandsregelungen gehalten habe. Die Antragsgegnerin wolle lediglich die rechtsmissbräuchliche Nichtanmeldung von geplanten Versammlungen verhindern, um so die Menschenansammlungen auf engem Raum ohne das Einhalten der Hygienevorschriften, der Abstandsregeln und der Maskenpflicht gar nicht erst entstehen zu lassen. Dafür sei das präventive Versammlungsverbot geeignet und auch erforderlich, da eine nachträgliche Auflösung kein gleich geeignetes Mittel darstellen würde. Bei einer nachträglichen Auflösung hätten zum einen bereits Ansteckungen stattfinden können und zum anderen bestehe die akute Gefahr, dass durch die notwendige Auflösung selbst – ohne vorhandene Versammlungsleitung und ohne Ordner – weitere Ansteckungen erfolgten. Schließlich sei die Allgemeinverfügung auch in Anbetracht der Erkenntnislage zu unangemeldeten Versammlungen und dem aktuellen Infektionsgeschehen im Stadtgebiet C. verhältnismäßig.
II.
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Der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 25.01.2022 hinsichtlich des Versammlungsverbots (Ziffer 1) wiederherzustellen und hinsichtlich der Zwangsmittelandrohung (Ziffer 4) anzuordnen, hat Erfolg.
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Der Antrag ist nach § 80 Abs. 5 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 2 Satz 2 VwGO und § 12 LVwVG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist die Antragstellerin antragsbefugt. Mit ihrem Begehren, an den nach Ziffer 1 der Allgemeinverfügung untersagten Versammlungen teilzunehmen, macht sie ihr Grundrecht aus Art. 8 GG geltend. Ein Versammlungsverbot in Gestalt einer Allgemeinverfügung stellt stets eine schwere Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit dar (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 06.11.2013 - 1 S 1640/12 -, juris Rn. 38). Einer möglichen Verletzung in eigenen Rechten durch die Allgemeinverfügung steht auch nicht entgegen, dass der „Montagsspaziergang“ am 24.01.2022 bereits erfolgt ist und für den 31.01.2022 eine Anmeldung vorgenommen wurde. Denn die Allgemeinverfügung ist nicht auf Versammlungen am Wochentag Montag beschränkt, und auch die Antragstellerin selbst beschränkt sich in ihrem gerichtlichen Vorbringen nicht auf das Begehren, lediglich montags an unangemeldeten Demonstrationen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen teilzunehmen. Es besteht mithin in den nächsten Tagen noch die hinreichende Möglichkeit einer Verletzung des Grundrechts der Antragstellerin aus Art. 8 GG. Einer möglichen Betroffenheit in eigenen Rechten steht schließlich nicht entgegen, dass die Antragstellerin in einer Nachbargemeinde von C. wohnt und arbeitet. Denn sie hat durch eidesstattliche Versicherung hinreichende Anhaltspunkte für eine mögliche Rechtsverletzung glaubhaft gemacht. Der Vortrag, sie habe bereits mehrfach an „Coronaspaziergängen“ in der Nachbargemeinde und zugleich nächstgrößeren Stadt teilgenommen, ist in dieser Hinsicht ausreichend.
13 
Der Antrag ist auch begründet. Nach gegenwärtiger Sachlage besteht Anlass, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin wiederherzustellen beziehungsweise anzuordnen, weil das Interesse der Antragstellerin an der Aussetzung der Vollziehung das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Allgemeinverfügung überwiegt. Dies folgt nicht zuletzt daraus, dass der Widerspruch der Antragstellerin voraussichtlich Erfolg haben wird. Denn nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen Prüfung der Sach- und Rechtslage unter Beachtung der wegen der Schwere und Irreparabilität des dem Antragsteller drohenden Nachteils erhöhten Prüfungsdichte (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81 u.a. -, juris LS 5 und Rn. 95 ff. ; Beschl. v. 29.01.2020 - 2 BvR 690/19 -, juris Rn. 16 m.w.N.) werden sich das Versammlungsverbot und die Zwangsmittelandrohung aller Voraussicht nach als rechtswidrig erweisen.
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Rechtsgrundlage für das Versammlungsverbot in Ziffer 1 der Allgemeinverfügung ist § 15 Abs. 1 VersammlG in Verbindung mit § 12 Abs. 2 CoronaVO. Nach § 15 Abs. 1 VersammlG kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Nach § 12 Abs. 2 CoronaVO können Versammlungen verboten werden, sofern der Schutz vor Infektionen anderweitig, insbesondere durch Auflagen, nicht erreicht werden kann. Die Anwendung dieser Vorschriften zur Abwendung von Gefahren, die von einem erhöhten Infektionsrisiko ausgehen, ist nicht dadurch gesperrt, dass der an die Gesundheitsbehörden adressierte, die versammlungsrechtliche Befugnisnorm des § 15 Abs. 1 VersammlG lediglich ergänzende und bereichsspezifisch konkretisierende § 28a Abs. 8 Satz 1 Nr. 3 IfSG nach dem Ende einer durch den Deutschen Bundestag festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite die Untersagung von Versammlungen oder Aufzügen als mögliche Schutzmaßnahme ausdrücklich ausschließt (vgl. VG Stuttgart, Beschl. v. 12.02.2022 - 1 K 80/22 -, juris Rn. 16 m.w.N.). Allerdings dürfte § 28a Abs. 1 Nr. 10 in Verbindung mit Abs. 7 Satz 1, Abs. 8 Satz 1 Nr. 3 IfSG dergestalt auszulegen sein, dass Versammlungsverbote nicht allein deswegen erlassen werden dürfen, weil jede Versammlung zwangsläufig zu infektionsschutzrechtlich unerwünschten Kontakten führt. Ein Versammlungsverbot kann nur ergehen, wenn eine konkrete, auf den jeweiligen Einzelfall bezogene Gefahrenprognose ergibt, dass bei Durchführung der Versammlung die öffentliche Sicherheit oder Ordnung durch absehbare Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus unmittelbar gefährdet ist und sich diese Gefahr nicht durch Beschränkungen im Sinne von § 28a Abs. 7 Satz 1 IfSG auf ein vertretbares Maß reduzieren lässt (vgl. BayVGH, Beschl. v. 17.01.2022 - 10 CS 22.162 -, abrufbar unter https://www.landesanwaltschaft.bayern.de/media/themenbereiche/oeffentliche_sicherheit_und_ordnung/2022-01-19_versammlungsrecht.pdf , Rn. 13 ff..; s. auch VG Karlsruhe, Beschl. v. 17.01.2022 - 14 K 119/22 -, juris Rn. 78 ff.; VG Freiburg, Beschl. v. 24.01.2022 - 4 K 142/22 -, juris Rn. 17).
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Ausgehend hiervon wird sich die Allgemeinverfügung zwar voraussichtlich als formell rechtmäßig (1.) und hinreichend bestimmt (2.) erweisen. Allerdings dürfte die Antragsgegnerin bei der Anwendung von § 15 Abs. 1 VersammlG und § 12 Abs. 2 CoronaVO die sich aus Art. 8 GG ergebenden verfassungsrechtlichen Vorgaben der Versammlungsfreiheit verkannt haben (3.).
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1. Die Allgemeinverfügung ist in formeller Hinsicht voraussichtlich nicht zu beanstanden (vgl. VG Stuttgart, Beschl. v. 12.02.2022, a.a.O. Rn. 18). Insbesondere war eine öffentliche Bekanntmachung auch der Begründung der Allgemeinverfügung nicht erforderlich (§ 39 Abs. 2 Nr. 5 LVwVfG) und hat die Antragsgegnerin in Übereinstimmung mit § 41 Abs. 4 Satz 2 LVwVfG in der bekanntgemachten Allgemeinverfügung darauf hingewiesen, dass die vollständige Begründung während der Öffnungszeiten beim Ressort Sicherheit und Bürgerservice der Antragsgegnerin eingesehen werden könne, wobei aufgrund der Pandemielage gegen den Zusatz, dass es dazu einer Terminvereinbarung bedürfe, nichts einzuwenden sein dürfte (vgl. VG Karlsruhe, Beschl. v. 17.01.2022, a.a.O. Rn. 85).
17 
2. Die Allgemeinverfügung dürfte auch hinreichend bestimmt sein. Hierfür genügt es, dass aus ihrem gesamten Inhalt und aus dem Zusammenhang, vor allem aus der von der Behörde gegebenen Begründung und aus den Beteiligten bekannten näheren Umständen des Erlasses im Wege einer an den Grundsätzen von Treu und Glauben orientierten Auslegung hinreichende Klarheit gewonnen werden kann (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 06.11.2013, a.a.O. Rn. 45 m.w.N.). Durch die Angabe des § 15 Abs. 1 VersammlG als Rechtsgrundlage und die Verwendung der auch im Versammlungsgesetz verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe der Versammlung unter freiem Himmel und des Aufzugs ist hier hinreichend klar, welche Verhaltensweisen von dem Versammlungsverbot erfasst sind. Es wird insbesondere anhand der Begründung der Allgemeinverfügung deutlich, dass die Antragsgegnerin nicht etwa jede (Spontan-)Versammlung im Stadtgebiet zu jedem Thema verbieten will, sondern dass lediglich geplante, aber nicht angemeldete Versammlungen, die sich gegen die Corona-Schutzmaßnahmen richten, verboten werden sollen. Die Antragsgegnerin führt hierzu in der Begründung (S. 3) aus, dass es die Zielsetzung einer Personenmehrheit, vor allem auch aus dem „Querdenker-Milieu“ sei, Versammlungen ohne die grundsätzlich gebotene Anzeige nach § 14 VersammlG zu ermöglichen. Solche unangemeldeten Versammlungen, die gezielt dem Umgehen von rechtlichen Vorgaben dienten, seien nicht schutzwürdig (Begründung S. 6). Durch diese Ausführungen wird auch für den juristischen Laien erkennbar, dass sich die Untersagung lediglich konkret gegen anmeldefähige, aber entgegen § 14 VersammlG nicht angemeldete Versammlungen und Aufzüge richtet, mit denen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen protestiert werden soll (vgl. VG Stuttgart, Beschl. v. 12.02.2022, a.a.O. Rn. 19 m.w.N.).
18 
3. Gemessen an den Erkenntnismöglichkeiten des gerichtlichen Eilverfahrens genügt das streitgegenständliche Versammlungsverbot in Form einer Allgemeinverfügung jedoch nicht den sich aus Art. 8 GG ergebenden verfassungsrechtlichen Vorgaben der Versammlungsfreiheit, deren Schutz auch die von dem Verbot betroffenen unangemeldeten Versammlungen im Zusammenhang mit Aufrufen zu „(Montags-)Spaziergängen“ unterfallen.
19 
a) Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet allen Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Eine Versammlung ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.10.2011 - 1 BvR 1190/90 -, juris Rn. 41). Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe, die auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt, ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985, a.a.O. Rn. 66; Kammerbeschl. v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 -, juris Rn. 16).
20 
Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet auch das Recht, selbst zu bestimmen, wann, wo und unter welchen Modalitäten eine Versammlung stattfinden soll (vgl. BVerfG, Urt. v. 22.02.2011 - 1 BvR 699/06 -, juris Rn. 64). Der Schutz des Grundrechts besteht unabhängig davon, ob die Versammlung anmeldepflichtig ist und dementsprechend angemeldet wird; er endet (erst) mit der rechtmäßigen Auflösung der Versammlung (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 20.06.2014 - 1 BvR 980/13 -, juris Rn. 17 m.w.N.). Ebenso stellt die „veranstalterlose“ Versammlung eine Versammlung im Sinne von Art. 8 GG dar. Dabei ersetzen alternative Kommunikationsstrukturen – wie etwa persönliche Kontaktsysteme, Informationsblätter, Internetnutzung – zentrale Planung und Koordination und bringen Gruppen und einzelne zu Versammlungen zusammen. Für diese Veranstaltungen ist spezifisch, dass sie dezentral und auf der Grundlage von Kooperation und gegenseitig akzeptierter Autonomie stattfinden. Die an den Veranstalter gerichteten Pflichten können bei solchen Veranstaltungen deshalb suspendiert beziehungsweise modifiziert sein (vgl. Kniesel/Poscher in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, Abschnitt J, Rn. 214 m.w.N.). Die von Ziffer 1 der Allgemeinverfügung in den Blick genommenen geplanten, aber nicht angemeldeten Versammlungen, die sich gegen die Corona-Schutzmaßnahmen richten, unterfallen somit dem Schutz der Versammlungsfreiheit (s. auch ausf. VG Karlsruhe, Beschl. v. 17.01.2022, a.a.O. Rn. 73 ff.).
21 
b) Die Versammlungsfreiheit ist nicht vorbehaltlos gewährleistet. Nach Art. 8 Abs. 2 GG können Versammlungen unter freiem Himmel durch Gesetz – wie 15 Abs. 1 VersammlG – oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden. Derartige Beschränkungen sind jedoch im Lichte der grundlegenden Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 GG auszulegen.
22 
Da die Versammlungsfreiheit, ähnlich wie die Meinungsfreiheit, für die Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen und für die demokratische Ordnung grundlegende Bedeutung besitzt und Verbot und Auflösung einer Versammlung die intensivsten Eingriffe in das Grundrecht darstellen, sind sie an strenge Voraussetzungen gebunden und dürfen nur ausgesprochen werden, wenn dies zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist und wenn eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung abgewendet werden muss (vgl. BVerfG, Beschl. v. 01.12.1992 - 1 BvR 88/91 u.a. -, juris Rn. 52). Verbot oder Auflösung setzen zum einen als ultima ratio voraus, dass das mildere Mittel der Auflagenerteilung ausgeschöpft ist. Zum anderen wird die behördliche Eingriffsbefugnis dadurch begrenzt, dass Verbote und Auflösungen nur bei einer „unmittelbaren Gefährdung“ der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung statthaft sind. Durch das Erfordernis der Unmittelbarkeit werden die Eingriffsvoraussetzungen stärker als im allgemeinen Polizeirecht eingeengt. Erforderlich ist im konkreten Fall jeweils eine Gefahrenprognose. Diese enthält zwar stets ein Wahrscheinlichkeitsurteil; dessen Grundlagen können und müssen aber ausgewiesen werden. Demgemäß bestimmt das Gesetz, dass die Prognose auf „erkennbaren Umständen“ beruhen muss, also auf Tatsachen, Sachverhalten und sonstigen Einzelheiten; ein bloßer Verdacht oder Vermutungen können nicht ausreichen. Unter Berücksichtigung der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde insbesondere bei Erlass eines vorbeugenden Verbotes keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen, zumal ihr bei irriger Einschätzung noch die Möglichkeit einer späteren Auflösung verbleibt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985, a.a.O. Rn. 79 f.; Kammerbeschl. v. 04.09.2010 - 1 BvR 2298/10 -, juris Rn. 6).
23 
Der Begriff der „öffentlichen Sicherheit“ umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985, a.a.O. Rn. 77). Zu den prinzipiell gleichwertigen anderen Rechtsgütern, zu deren Schutz Eingriffe in die Versammlungsfreiheit gerechtfertigt werden können, gehört insbesondere das Grundrecht Dritter auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 30.08.2020, a.a.O. Rn. 16). Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit setzt eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt (vgl. BVerfG. Beschl. v. 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 -, juris Rn. 20). Nach den allgemeinen Regeln des Verwaltungsrechts, die auf die Konzeption der Grundrechte als Abwehrrechte abgestimmt sind, liegt dabei die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Verbotsgründen bei der Behörde (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 04.09.2009 - 1 BvR 2147/09 -, juris Rn. 13).
24 
Die Gewährleistung des Art. 8 GG schließt es nicht von vornherein aus, auf der Grundlage des § 15 VersammlG auch gegen die gesamte Demonstration ein präventives Verbot anzuordnen. Jedoch ist bevorzugt eine nachträgliche Auflösung zu erwägen, die den friedlichen Teilnehmern die Chance einer Grundrechtsausübung nicht von vornherein abschneidet und dem Veranstalter den Vorrang bei der Isolierung unfriedlicher Teilnehmer belässt. Ein vorbeugendes Verbot der gesamten Veranstaltung wegen befürchteter Ausschreitungen einer gewaltorientierten Minderheit oder wegen sonstiger Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ist hingegen – das gebietet die Pflicht zur optimalen Wahrung der Versammlungsfreiheit mit den daraus folgenden verfahrensrechtlichen Anforderungen – nur unter strengen Voraussetzungen und unter verfassungskonformer Anwendung des § 15 VersammlG statthaft. Dazu gehört eine hohe Wahrscheinlichkeit in der Gefahrenprognose sowie die vorherige Ausschöpfung aller sinnvoll anwendbaren Mittel, die eine Grundrechtsverwirklichung der friedlichen Demonstranten ermöglichen. Insbesondere setzt das Verbot der gesamten Demonstration als „ultima ratio“ voraus, dass das mildere Mittel, durch Kooperation mit den friedlichen Demonstranten eine Gefährdung zu verhindern, gescheitert ist oder dass eine solche Kooperation aus Gründen, welche die Demonstranten zu vertreten haben, unmöglich war (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985, a.a.O. Rn. 93).
25 
Ein präventives Versammlungsverbot kommt etwa dann in Betracht, wenn aufgrund des Versammlungsthemas, des zu erwartenden Teilnehmerkreises und weiterer Umstände des Einzelfalls konkret zu erwarten ist, dass Beschränkungen im Sinne von § 28a Abs. 7 Satz 1 IfSG, mit denen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu besorgende Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus bei Durchführung der Versammlung auf ein vertretbares Maß reduziert werden sollen, systematisch nicht beachtet werden (vgl. BayVGH, Beschl. v. 17.01.2022, a.a.O. Rn. 15).
26 
Von diesen Maßstäben ausgehend wird sich das Versammlungsverbot in Ziffer 1 der Allgemeinverfügung voraussichtlich als rechtswidrig erweisen. Zum einen dürften die von der Antragsgegnerin aufgezeigten Anhaltspunkte für eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit das präventive Versammlungsverbot bereits nicht tragen (dazu unter ). Zum zweiten fehlt es an hinreichend konkreten Feststellungen der Antragsgegnerin zur Ungeeignetheit milderer Mittel (dazu unter ). Zum dritten dürften die geltend gemachten Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit nicht den Erlass eines räumlich beschränkten präventiven Versammlungsverbots unter Einbeziehung sämtlicher unangemeldeter Versammlungen, mit denen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen protestiert wird, rechtfertigen (dazu unter ).
27 
aa) Die von der Antragsgegnerin aufgezeigten Anhaltspunkte für eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit dürften das präventive Versammlungsverbot nicht tragen.
28 
Der bloße Verstoß gegen die Anmeldepflicht nach § 14 VersammlG stellt, wie die Antragsgegnerin selbst im gerichtlichen Eilverfahren vorträgt, noch keine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 15 Abs. 1 VersammlG dar. § 15 Abs. 3 VersammlG sieht als eine Sanktion der Nichtanmeldung zwar die mögliche Auflösung der Versammlung vor. Die unterbliebene Anmeldung berechtigt jedoch nicht schematisch zur Auflösung oder – wie vorliegend – zum präventiven Verbot einer Versammlung. Auflösung und Verbot sind keine Rechtspflicht der zuständigen Behörde, sondern eine Ermächtigung, von welcher die Behörde angesichts der hohen Bedeutung der Versammlungsfreiheit im Allgemeinen nur dann pflichtgemäß Gebrauch machen darf, wenn weitere Voraussetzungen für ein Eingreifen hinzukommen; die fehlende Anmeldung und der damit verbundene Informationsrückstand erleichtern lediglich dieses Eingreifen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985, a.a.O. Rn. 74). Dies gilt auch für solche Versammlungen, die rechtzeitig hätten angemeldet werden können oder bei denen die Anmeldung aus Nachlässigkeit oder plangemäß überhaupt unterlassen worden ist (vgl. Kniesel/Poscher in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, Abschnitt J, Rn. 247; differenzierend: VG Karlsruhe, Beschl. v. 17.01.2022, a.a.O. Rn. 94 ff.).
29 
Auch soweit die Antragsgegnerin mit dem präventiven Versammlungsverbot den legitimen Zweck verfolgt, die Grundrechte Dritter auf Leben und Gesundheit zu schützen, fehlt es an einer Gefahrenprognose, die gestützt auf tatsächliche Anhaltspunkte bei verständiger Würdigung für das Stadtgebiet von C. eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts für Rechtsgüter Dritter begründet.
30 
Nach der aktuellen Risikobewertung des RKI vom 14.01.2022 (abrufbar unter https://www.rki.de/CE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.hmtl ) wird die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als sehr hoch eingeschätzt. Ursächlich hierfür ist das Auftreten und die rasante Verbreitung der Omikronvariante. Die Infektionsgefährdung wird für die Gruppe der Ungeimpften als sehr hoch, für die Gruppe der Genesenen und Geimpften mit Grundimmunisierung (zweimalige Impfung) als hoch und für die Gruppe der Geimpften mit Auffrischungsimpfung (dreimalige Impfung) als moderat eingeschätzt. Die 7-Tages-Inzidenzen sind derzeit in allen Altersgruppen sehr hoch und steigen rasant an. Auch die Zahl schwerer Erkrankungen an COVID-19, die im Krankenhaus aufgenommen und gegebenenfalls auch intensivmedizinisch behandelt werden müssen, und die Zahl der Todesfälle befinden sich weiter auf einem hohen Niveau.
31 
Es lassen sich viele Infektionsketten nicht nachvollziehen, Ausbrüche treten in verschiedenen Umfeldern auf. SARS-CoV-2 verbreitet sich überall dort, wo Menschen zusammenkommen, insbesondere in geschlossenen Räumen. Die Ausbreitung der
Omikron-Variante wird vom RKI als sehr beunruhigend eingeschätzt. Sie wird mit steigender Tendenz in Deutschland nachgewiesen und ist inzwischen die vorherrschende Variante. Die Omikron-Variante ist deutlich übertragbarer als die früheren Varianten (z.B. Delta-Variante). Es gibt erste Hinweise auf eine reduzierte Effektivität und Dauer des Impfschutzes gegen die Omikron-Variante. Die Datenlage hinsichtlich der Schwere der Erkrankungen durch die Omikron-Variante ist noch nicht ausreichend, allerdings zeigen erste Studien eher einen geringeren Anteil an Hospitalisierten im Vergleich zu Infektionen mit der Deltavariante. Das Gesundheitswesen und auch weitere Versorgungsbereiche können durch den Fallzahlanstieg dennoch stark belastet werden.
32 
Insgesamt stuft das RKI die aktuelle Entwicklung als sehr besorgniserregend ein und befürchtet, dass es bei weiterer Verbreitung der Omikron-Variante in Deutschland wieder zu einem erneuten Anstieg der schweren Erkrankungen und Todesfällen kommen wird – schon aufgrund des erwarteten massiven Anstiegs der Fallzahlen – und die deutschlandweit verfügbaren intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten überschritten werden.
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Das Infektionsrisiko mit SARS-CoV-2 kann durch individuelles Verhalten selbstwirksam reduziert werden. Das RKI empfiehlt dabei weiterhin das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes in bestimmten Situationen im öffentlichen Raum als einen weiteren Baustein, um die Übertragung von SARS-CoV-2 in der Bevölkerung zu reduzieren (RKI, Infektionsschutzmaßnahmen - Was ist beim Tragen von medizinischen Masken zur Infektionsprävention in der Öffentlichkeit zu beachten?“, 23.12.2021, abrufbar unter https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/FAQ_Liste_Infektionsschutz.html ). Der große Nutzen medizinischer (und FFP-) Masken für den Infektionsschutz ist kürzlich vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in einer detaillierten Studie nachgewiesen worden (MPI, So gut schützen Masken, 02.12.2021, abrufbar unter https://www.ds.mpg.de/3822295/211202_upperbound_infections, unter Verweis auf PNAS, An upper bound on one-to-one exposure to infectious human respiratory particles, https://www.pnas.org/content/118/49/e2110117118 ).
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Zwar ist das Infektionsrisiko im Freien grundsätzlich wesentlich geringer, insbesondere wenn der Abstand von 1,5 m eingehalten wird. Aber auch dort kann es zu einer Übertragung von SARS-CoV-2 durch Tröpfchen kommen, und auch die Infektion durch Aerosolpartikel ist im Freien – vor allem in größeren Menschenmengen mit geringen Abständen – nicht ausgeschlossen (vgl. Positionspapier der Gesellschaft für Aerosolforschung, Zum Verständnis der Rolle von Aerosolpartikel beim SARS-CoV-2 Infektionsgeschehen, abrufbar unter https://www.info.gaef.de/positionspapier, S. 16 ). Deshalb ist das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes im Freien aus Sicht des RKI etwa dann sinnvoll, wenn der Mindestabstand nicht sicher eingehalten werden kann, bei längeren Gesprächen und gesichtsnahen Kontakten oder in unübersichtlichen Situationen mit Menschenansammlungen (RKI, Infektionsschutzmaßnahmen - Was ist beim Tragen von medizinischen Masken zur Infektionsprävention in der Öffentlichkeit zu beachten?“, 23.12.2021, https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/FAQ_Liste_Infektionsschutz.html ).
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Gleichwohl fehlt es vorliegend an einer hinreichenden Prognose der Antragsgegnerin, dass es bei Durchführung der von Ziffer 1 der Allgemeinverfügung erfassten unangemeldeten Versammlungen im Stadtgebiet von C. mit der für Annahme einer unmittelbaren Gefährdung erforderlichen erhöhten – das heißt einer über die allgemein hohe Wahrscheinlichkeit der weiteren Verbreitung der Omikron-Variante hinausgehenden – Wahrscheinlichkeit zu Virusübertragungen zwischen den Versammlungsteilnehmern oder von diesen auf Dritte kommen wird.
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Die Antragsgegnerin stellt in der Begründung der Allgemeinverfügung (S. 2) im Wesentlichen darauf ab, dass bei vergangenen „Coronaspaziergängen“ die Vorgaben der Corona-Verordnung im Hinblick auf Schutzmaßnahmen vor der weiteren Verbreitung des Coronavirus, insbesondere die Maskentragepflicht bei Unterschreitung des Mindestabstandes von 1,5 Metern, weitestgehend missachtet worden seien. Weiter wird ausgeführt, ähnliche Veranstaltungen hätten gezeigt, dass die Versammlungsteilnehmenden zwar nach Ansprache der Versammlungsleitung durchaus bereit seien, sich an verfügte Auflagen zu halten. Allerdings sei ebenfalls offenbar geworden, dass ohne permanente beziehungsweise wiederholte Ansprache einer Versammlungsleitung immer wieder gravierende Verstößen gegen die Abstandspflicht oder die Pflicht zum Tragen einer medizinischen Maske zu verzeichnen seien (S. 5). Bei einem nicht angemeldeten und unzulässigen „Spaziergang“ (vor allem) der „Querdenkerszene“ hätten sich auf dem Marktplatz vor dem Rathaus am 20.12.2021 etwa 200 Personen getroffen und seien dann unter Mitführung von Kerzen und mitunter Fackeln durch die Innenstadt gezogen. Hierbei seien Mindestabstände in Teilen nicht eingehalten und auch eine Mund-Nasen-Bedeckung nur vereinzelt getragen worden. Eine Versammlungsleitung habe sich trotz entsprechender Ansprache durch den Polizeivollzugsdienst und die Versammlungsbehörde nicht zu erkennen gegeben. Am 27.12.2021 habe sich das Geschehen mit nunmehr etwa 500 Personen wiederholt. Gleichwohl sich die Versammlungsteilnehmenden ohne Parolen und Plakate versammelt hätten, sei deren Ablehnung der infektionsschützenden Maßnahmen spätestens dann unübersehbar gewesen, als sie nach Ende des Spaziergangs noch etwa 30 Minuten in größeren Grüppchen trotz Beisein der Polizeibeamten auf dem Marktplatz zusammengestanden und sich demonstrativ umarmt beziehungsweise Flyer mit entsprechendem Inhalt verteilt hätten (S. 5).
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Zwar können frühere Erfahrungen mit gleichen oder ähnlichen Versammlungen desselben Anmelders oder aus dem gleichen Umfeld herangezogen werden, um Schlüsse darauf zu ziehen, ob eventuelle Auflagen der vorstehend beschriebenen Art beachtet werden dürften oder nicht und welche Gefahren daraus resultieren dürften (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 21.11.2020 - 1 BvQ 135/20 -, juris Rn. 11). Auch dazu bedarf es jedoch der Prüfung im einzelnen Fall, die sich an den potentiellen Versammlungsteilnehmern und den örtlichen Gegebenheiten zu orientieren hat (vgl. BayVGH, Beschl. v. 19.01.2022 - 10 CS 22.162 -, abrufbar unter https://www.landesanwaltschaft.bayern.de/media/themenbereiche/oeffentliche_sicherheit_und_ordnung/2022-01-21_versammlungsrecht.pdf , Rn. 22 ff.; VG Karlsruhe, Beschl. v. 17.01.2022, a.a.O. Rn. 97). Für die Kammer nachvollziehbare Tatsachen, Sachverhalte oder sonstige Einzelheiten zu Anzahl, Art und Intensität dieser Verstöße und zum Erfolg oder Nichterfolg von Bemühungen, die Versammlungsteilnehmer zur Einhaltung der Mindestabstände beziehungsweise zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen anzuhalten, hat die Antragsgegnerin nicht vorgetragen. Die Schilderung, dass sich nach Ende der Versammlung noch größere Grüppchen trotz Beisein der Polizeibeamten auf dem Marktplatz aufgehalten hätten und sich umarmt beziehungsweise Flyer verteilt hätten, spricht zudem eher gegen entsprechende Bemühungen, die Teilnehmer zur Einhaltung der der Schutzmaßnahmen anzuhalten. Die Antragsgegnerin hat auch nicht schlüssig dargelegt, dass ein Durchsetzen der Schutzmaßnahmen während der unangemeldeten Versammlungen nicht möglich sein sollte, wenn die Versammlungsteilnehmer auch auf Ansprache von Versammlungsleitern zur Einhaltung der Schutzmaßnahmen bereit waren. Auch der Hinweis, es habe sich auf Ansprache durch den Polizeivollzugsdienst und die Versammlungsbehörde kein Versammlungsleiter zu erkennen gegeben, spricht für sich genommen nicht für eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Denn es ist gerade ein typisches Merkmal derartiger Versammlungen, dass es keinen Versammlungsleiter gibt und stellt noch keine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dar. Soweit die Antragsgegnerin des Weiteren auf die „vielfältigen Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit“ verweist, die gezeigt hätten, dass die zuweilen behauptete Rechtstreue der „Querdenkerszene“ letztlich nur als Lippenbekenntnis zu werten sei, und feststellt, dass im Gegensatz dazu vielmehr zu erwarten sei, dass zahlreiche Teilnehmende der verbotenen Versammlungen gerade nicht zuverlässig die Gewähr böten, auf die Einhaltung der infektionsschutzrechtlichen Anforderungen effektiv hinzuwirken (S. 4 der Begründung), fehlt es an konkreten Hinweisen darauf, dass und gegebenenfalls in welchem Umfang die potentiellen Versammlungsteilnehmer dieser Szene zuzurechnen sind und ob und gegebenenfalls welche Erfahrungen in Bezug auf frühere Versammlungen in C. insoweit bestehen.
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Insgesamt vermag die Kammer anhand der in der Begründung der Allgemeinverfügung und der Antragserwiderung geschilderten Erfahrungen mit früheren Versammlungen im Geltungsbereich der Allgemeinverfügung nicht mit hinreichender Sicherheit zu erkennen, dass es bei jeder Form der Versammlung im Geltungsbereich der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung zu unmittelbaren Gefahren für die öffentliche Sicherheit kommen wird. Insbesondere fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass die Versammlungsteilnehmer systematisch und in großer Zahl versuchen, die von ihnen als unzumutbar empfundenen Beschränkungen im Hinblick auf Versammlungsort, Ortsfestigkeit, Maskenpflicht oder Abstände zu umgehen (vgl. BayVGH, Beschl. v. 19.01.2022, a.a.O. Rn. 24).
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Auch eine drohende Überlastung des Gesundheitssystems, die ein versammlungsbehördliches Einschreiten eventuell bereits bei einer geringeren Wahrscheinlichkeit von Virusübertragungen zwischen den Versammlungsteilnehmern oder von diesen auf Dritte rechtfertigen könnte (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.11.2021, a.a.O. Rn. 176), hat die Antragsgegnerin nicht dargetan. Hierfür bestehen jedenfalls derzeit auch keine hinreichenden Anhaltspunkte. Insbesondere befindet sich die Versorgung mit betriebsbereiten Intensivbetten nicht auf einem angespannten Niveau.
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Nach den Daten des DIVI-Intensivregisters von Krankenhaus-Standorten mit Intensivbetten zur Akutbehandlung sind aktuell 278 COVID-19-Fälle in Baden-Württemberg in intensivmedizinischer Behandlung, davon werden 163 (58,6 %) invasiv beatmet. Der Anteil an COVID-19 Fällen in intensivmedizinischer Behandlung an der Gesamtzahl der betreibbaren ITS-Betten beträgt 12,5 %. Die 7-Tage-Hospitalisierungsinzidenz (Hospitalisierungen bezogen auf 100.000 Einwohner in Baden-Württemberg) ist in den vergangenen Wochen angestiegen und liegt momentan im Landes-Durchschnitt bei 4,9 (vgl. Sozialministerium, Die aktuellen Corona-Zahlen für Baden-Württemberg, abrufbar unter https://sozialministerium.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse/pressemitteilung/pid/die-aktuellen-corona-zahlen-fuer-baden-wuerttemberg/ ). Im Landkreis S. werden derzeit drei Personen auf der Intensivstation in S. und zehn Personen auf den Stationen in den Krankenhäusern in S. (8) und C. (2) behandelt (Landkreis S., Aktuelle Lage im Landkreis S., abrufbar unter https://www.lraxxx.de/index.php?id=1007&publish%5Bid%5D=1212280&publish%5Bstart%5D= ). Von insgesamt 50 Intensivbetten sind im Landkreis S. derzeit noch 9 (18 %) frei (SWR, Die aktuelle Lage auf den Intensivstationen, abrufbar unter https://www.swr.de/swraktuell/corona-lage-auf-den-intensivstationen-100.html?search=xxx ).
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Der Umstand, dass angesichts der stark steigenden Zahlen der Infektionen mit der Omikron-Variante generell befürchtet werden muss, dass neben der ganz überwiegenden Zahl an unmerklichen oder nur milden Verläufen die Zahl der eine Intensivbehandlung erfordernden Fälle noch einmal zunehmen sowie auch die absolute Zahl der Hospitalisierungsfälle wieder zunehmen könnte, sowie die allgemeine Gesundheitsgefahr, die daraus folgt, dass bei sehr hohen Ansteckungszahlen hiervon auch verstärkt die in den Krankenhäusern arbeitenden Menschen betroffen sein können (vgl. VG Freiburg, Beschl. v. 24.01.2022, a.a.O. Rn. 33), genügen jedenfalls derzeit nicht für die Annahme einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, die ein präventives Versammlungsverbot rechtfertigen könnte.
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bb) Darüber hinaus fehlt es – das Vorliegen einer tragfähigen Gefahrenprognose unterstellt – an hinreichend konkreten Feststellungen der Antragsgegnerin zur Ungeeignetheit milderer Mittel.
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Unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, der insbesondere die Beachtung sämtlicher Umstände des Einzelfalls einschließlich des aktuellen Stands des dynamischen und tendenziell volatilen Infektionsgeschehens erforderlich macht, können zwar zum Zweck des Schutzes vor Infektionsgefahren auch versammlungsbeschränkende Maßnahmen ergriffen werden, wozu grundsätzlich auch Versammlungsverbote gehören. Diese dürfen allerdings nur verhängt werden, wenn mildere Mittel nicht zur Verfügung stehen und soweit der hierdurch bewirkte tiefgreifende Eingriff in das Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG auch in Ansehung der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit für das demokratische und freiheitliche Gemeinwesen insgesamt nicht außer Verhältnis steht zu den jeweils zu bekämpfenden Gefahren und dem Beitrag, den ein Verbot zur Gefahrenabwehr beizutragen vermag. In Betracht kommen namentlich Auflagen mit der Verpflichtung zur Einhaltung bestimmter Mindestabstände oder zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 30.08.2020, a.a.O. Rn. 16).
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Die Antragsgegnerin hat diesem Erfordernis nicht hinreichend Rechnung getragen, sondern in ihrer Allgemeinverfügung erneut nur pauschal festgestellt, dass eine andere, den gleichen Erfolg herbeiführende Maßnahme nicht ersichtlich sei (S. 5 der Begründung). Insbesondere eine durch Allgemeinverfügung angeordnete Verpflichtung zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen bei sämtlichen Versammlungen im Stadtgebiet von C. auch solchen, die (planmäßig) nicht angemeldet werden, hat die Antragsgegnerin nicht erwogen. Eine solche erscheint indes nicht von vornherein ungeeignet, wie der Umgang anderer Kommunen im Bundesgebiet mit den „Montagsspaziergängen“ beziehungsweise „Spaziergängen“ zeigt (vgl. etwa Allgemeinverfügungen der Stadt Cuxhaven vom 08.01.2022, abrufbar unter https://www.cuxhaven.de/aktuelle-nachrichten/flaschenpost/flaschenpost-1/ffp-2-maskenpflicht-bei-versammlungen-und-demos-unter-freiem-himmel.html, der Stadt Hameln vom 05.01.2022, abrufbar unter https://www.dewezet.de/region/hameln_artikel,-hamelner-allgemeinverfuegung-das-steht-drin-_arid,2723674.html und der Stadt Freudenstadt vom 21.01.2022, abrufbar unter https://www.freudenstadt.de/de/Unsere-Stadt/Rathaus/Stadtverwaltung/Amtliche-Bekanntmachungen/Amtliche-Bekanntmachung?view=publish&item=article&id=3012 . Dafür, dass zu besorgen sei, dass eine entsprechende Anordnung von den Versammlungsteilnehmern mehrheitlich missachtet werden würde, fehlt es jedenfalls derzeit an tatsächlichen Anhaltspunkten.
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cc) Unabhängig davon dürften die von der Antragsgegnerin geltend gemachten Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit nicht den Erlass eines räumlich beschränkten präventiven Versammlungsverbots unter Einbeziehung sämtlicher unangemeldeter Versammlungen, mit denen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen protestiert wird, rechtfertigen. Da die streitgegenständliche Allgemeinverfügung auf ein vollständiges Verbot auch von friedlich verlaufenden Versammlungen im räumlichen Geltungsbereich gerichtet ist, wäre sie nur rechtmäßig, wenn die Antragsgegnerin bei Erlass der Verfügung zulässigerweise vom Vorliegen der Voraussetzungen des polizeilichen Notstands ausgehen durfte (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985, a.a.O. Rn. 91; Kammerbeschl. v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 -, juris Rn. 17; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 06.11.2013, a.a.O. Rn. 54). Durch die Allgemeinverfügung wird auch die Versammlungsfreiheit von Versammlungsteilnehmern beschränkt, die nicht die Absicht haben, sich an rechtswidrigen Aktionen, etwa aggressiven Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen, sonstigen Gewalttätigkeiten oder Verstößen gegen Vorgaben zur Einhaltung bestimmter Mindestabstände oder zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, zu beteiligen.
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Es ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ohne den Erlass der streitbefangenen Allgemeinverfügung wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz der unangemeldeten Versammlungen und der Rechtsgüter Dritter nicht in der Lage wäre. Eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht nicht. Die Darlegungs- und Beweislast liegt auch insoweit grundsätzlich bei der Behörde (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 06.11.2013, a.a.O. Rn. 55 m.w.N.).
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In diesem Rahmen wäre von der Antragsgegnerin zunächst auszuführen gewesen, wie viele Polizeibeamte zum Schutz der Durchführung aller durch die Allgemeinverfügung verbotenen friedlichen Versammlungen voraussichtlich notwendig wären und diese Zahl dann mit den tatsächlich zur Verfügung stehenden Beamten zu vergleichen. Die Antragsgegnerin müsste gegebenenfalls nachweisen, dass und in welchem Umfang sie sich in der Vergangenheit im Wege der Amtshilfe nach Art. 35 GG an die Behörden der anderen Länder und des Bundes gewandt hat und in welchem Maße diesem Ersuchen entsprochen wurde. Darzulegen wäre schließlich für den Fall, dass dem Amtshilfeersuchen nicht vollständig entsprochen wurde, aufgrund welcher konkreter Gefahren für die öffentliche Sicherheit in den jeweiligen Ländern und aufgrund welcher konkreter, gegenüber einer durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Versammlung vorrangig zu schützender sonstiger Veranstaltungen keine ausreichenden Polizeikräfte zum Schutz der angemeldeten Versammlung und der Rechtsgüter Dritter zur Verfügung gestellt wurden (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 -, juris Rn. 21; vgl. zu den Anforderungen an die Darlegungspflicht auch BayVGH, Beschl. v. 29.04.2010 - 10 CS 10.1040 -, juris Rn. 16). Eine Darlegung des polizeilichen Notstands, die diesen Anforderungen genügt, hat die Antragsgegnerin nicht ansatzweise vorgenommen. Sie dürfte in Anbetracht der aktuellen Berichte des Innenministeriums Baden-Württemberg über die „Wochenendbilanz der Polizei“ vom 17.01.2022 und 24.01.2022 (abrufbar unter https://im.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse-und-oeffentlichkeitsarbeit/pressemitteilung/pid/wochenendbilanz-der-polizei-41/
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Schließlich ist die Antragsgegnerin nicht gehindert, im Fall einer konkreten Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch einzelne Teilnehmer der nicht angemeldeten Versammlungen nach dem Versammlungsgesetz (oder außerhalb der Versammlungen nach dem Polizeigesetz) Maßnahmen innerhalb des vorgesehenen gesetzlichen Rahmens zu ergreifen.
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Erweist sich nach alledem das Versammlungsverbot in Ziffer 1 der Allgemeinverfügung als voraussichtlich rechtswidrig, so gilt dies auch für die darauf bezogene Zwangsmittelandrohung in Ziffer 4 der Allgemeinverfügung.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG. In Fällen der vorliegenden Art ist auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes regelmäßig der Auffangstreitwert von 5.000,00 EUR festzusetzen, da die Entscheidung einer Vorwegnahme der Hauptsache gleichkommt.

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