Beschluss vom Verwaltungsgericht Stuttgart - A 16 K 3603/22

Tenor

Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 05.07.2022 gegen die Abschiebungsanordnung in Nr. 3 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 29.06.2022 wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

 
I.
Die Antragsteller wenden sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) im Bescheid vom 28.06.2022 angeordnete Abschiebung nach Kroatien im Rahmen des sogenannten Dublin-Verfahrens.
Die Antragsteller sind afghanische Staatsangehörige und bis auf den Antragsteller zu 6., der in Athen geboren wurde, jeweils in Kabul geboren. Die Antragsteller zu 1. und 2. sind die Eltern der minderjährigen Antragsteller zu 3. bis 6.
Die Antragsteller reisten im Februar 2022 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 18.03.2022 förmliche Asylanträge. Nach einer durchgeführten EURODAC-Anfrage erlangte das Bundesamt Erkenntnisse über eine Asylantragstellung in Griechenland, Kroatien und Slowenien. Nach Angabe der Antragsteller seien ihre Asylanträge in Griechenland abgelehnt worden, in Kroatien und Slowenien hätten sie jeweils Fingerabdrücke abgegeben. Das Bundesamt stellte daraufhin am 29.04.2022 Wiederaufnahmegesuche an Slowenien und Kroatien, wobei Slowenien dieses mit Schreiben vom 06.05.2022 unter Hinweis auf die Zuständigkeit Kroatiens ablehnte und Kroatien dem Wiederaufnahmegesuch mit Schreiben vom 12.05.2022 zustimmte. Die kroatischen Behörden wiesen in dem Schreiben darauf hin, dass das Asylverfahren mit Entscheidung vom 18.03.2022 eingestellt worden und diese Entscheidung seit dem 11.04.2022 bestandskräftig sei.
Mit Bescheid vom 28.06.2022 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen. Weiter ordnete es die Abschiebung nach Kroatien an und verfügte ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG, welches auf 19 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet wurde.
Hiergegen haben die Antragsteller am 05.07.2022 Klage erhoben (Az. - A 16 K 3602/22 -) und den vorliegenden Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Sie tragen vor, Kroatien sei für ihr Asylverfahren nicht zuständig, da sie von 2017 bis 2019 in Griechenland gelebt hätten. Einer Abschiebung nach Kroatien stünden aber auch außergewöhnliche, humanitäre Gründe entgegen, weil den Antragstellern in Kroatien eine menschenunwürdige Behandlung drohe, der sie als Familie mit mehreren minderjährigen Kindern besonders schutzlos ausgeliefert wären. Die Antragsteller seien bereits ohne Rechtsgrundlage von Kroatien nach Bosnien-Herzegowina abgeschoben worden, wobei die Kinder von der kroatischen Polizei geschlagen worden seien. Weiter seien sie ohne Rechtsgrundlage inhaftiert und menschenunwürdig untergebracht worden. Aufgrund der bereits erfolgten rechtswidrigen Abschiebung sei davon auszugehen, dass die ordnungsgemäße Durchführung eines rechtsstaatlichen Mindeststandards genügenden Asylverfahrens in Kroatien nicht gewährleistet ist.
Die Antragsteller beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
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Die Antragsgegnerin bezieht sich zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung.
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Dem Gericht liegen die Verwaltungsakten des Bundesamts vor, auf welche ebenso wie auf die Gerichtsakten - auch des Hauptsacheverfahrens - wegen des weiteren Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten verwiesen wird.
II.
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Die Berichterstatterin entscheidet über den Antrag gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG als Einzelrichterin.
13 
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben (§ 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG) und hat auch in der Sache Erfolg.
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Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage im Fall des hier einschlägigen gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG) ganz oder teilweise anordnen. Hierbei hat das Gericht selbst abzuwägen, ob die Interessen, die für einen gesetzlich angeordneten sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts streiten oder die, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung sprechen, höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches, aber nicht als alleiniges Indiz zu berücksichtigen. Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein, weil er zulässig und begründet ist, so wird im Regelfall nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig, besteht ein öffentliches Interesse an seiner sofortigen Vollziehung und der Antrag bleibt erfolglos. Sind die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung als offen zu beurteilen, findet eine eigene gerichtliche Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt.
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Nach diesen Maßgaben überwiegt im vorliegenden Fall das private Interesse der Antragsteller gegenüber dem öffentlichen Interesse am sofortigen Vollzug des Verwaltungsakts. Nach summarischer Prüfung dürfte die Klage gegen die Abschiebungsanordnung voraussichtlich Erfolg haben, da diese rechtswidrig sein dürfte.
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Die Abschiebungsanordnung nach Kroatien wurde vom Bundesamt auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gestützt. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann.
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Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AsylG ist ein Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (im Folgenden: Dublin III-VO) zuständig ist. Art. 3 Abs. 1 der Dublin III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedsstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitel III der Dublin III-VO als zuständiger Mitgliedsstaat bestimmt wird. Diese Kriterien finden in der in Kapitel III der Dublin III-VO genannten Reihenfolge Anwendung, Art. 7 Abs. 1 Dublin III-VO.
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Bei Anwendung dieser Kriterien ist Kroatien für die Durchführung des Asylverfahrens nach Art. 18 Abs. 1 lit. d, Art. 23 ff. Dublin III-VO zuständig. Die EURODAC-Abfrage am 02.03.2022 hat ergeben, dass die Antragsteller am 29.12.2021 in Kroatien Asylanträge gestellt haben. Daraus folgt auch die Pflicht Kroatiens zur Wiederaufnahme der Antragsteller nach Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin-III-Verordnung.Danach ist der betreffende Mitgliedstaat verpflichtet, einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wiederaufzunehmen. Auch die durch die Stellung des Eilantrags am 05.07.2022 unterbrochene Überstellungsfrist von sechs Monaten (Art. 29 Dublin III-VO) ist eingehalten. Die Regelungen des Art. 18 Abs. 1 lit. b, Art. 23 ff. Dublin III-VO gelten ungeachtet dessen, dass die Antragsteller auch in Griechenland und Slowenien Asylanträge gestellt haben (vgl. EuGH, Urteil vom 25.01.2018 - C-360/16 -, juris). Kroatien hat dem Wiederaufnahmegesuch form- und fristgerecht zugestimmt.
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Die Bundesrepublik Deutschland dürfte aber nach Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 und 3 Dublin III-VO für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers zuständig geworden sein. Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO sieht vor, dass der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fortsetzt, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann, wenn es sich als unmöglich erweist, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 GRCh mit sich bringen. Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird nach Art. 3 Abs. 2 UAbs. 3 Dublin III-VO der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat (vgl. auch BVerwG, Beschlüsse vom 19.03.2014 - 10 B 6.14 - und vom 06.06.2014 - 10 B 35.14 -, jeweils juris; im Anschluss an EuGH, Urteil vom 10.12.2013 - C-394/12 – (Abdullahi), juris Rn. 60 und 62). Im Rahmen des gemeinsamen Europäischen Asylsystems gilt nach dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens grundsätzlich die Vermutung, dass Asylbewerber in jedem Mitgliedstaat der EU den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Konvention für Menschenrechte und der Charta der Grundrechte nach Art. 6 Abs. 1 EUV entsprechend behandelt werden (vgl. EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C 411/10 und C-493/10 -, juris).
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Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GRCh ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, juris). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. EuGH, Urteile vom 19.03.2019 - C-163/17 -, juris Rn. 85, und vom 21.12.2011 - C-411/10, C-493/10 -, juris Rn. 86 ff.; BVerwG, Beschluss vom 19.03.2014 - 10 B 6.14 -, juris Rn. 6). Dabei ist es gleichgültig, ob es zum Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss dazu kommt, dass die betreffende Person aufgrund ihrer Überstellung an den zuständigen Mitgliedstaat einem ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren (EuGH, Urt. v. 19.3.2019, C-163/17, juris Rn. 88).
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Hier bestehen Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsteller bei einer Überstellung nach Kroatien von einer Zurückweisung im Sinne eines „Refoulements“, also einer Rückführung ohne Prüfung des Asylbegehrens, betroffen sein werden.
22 
In allen Fällen einer Abschiebung eines Asylbewerbers aus einem Konventionsstaat in einen dritten Durchgangstaat ohne Prüfung des Asylantrags in der Sache muss der abschiebende Staat sorgfältig prüfen, ob tatsächlich Gefahr besteht, dass dem Asylbewerber im aufnehmenden Drittstaat der Zugang zu einem angemessenen Asylverfahren, das ihn vor Zurückweisung („Refoulement“) schützt, verweigert wird, wobei es nicht darauf ankommt, ob der aufnehmende Drittstaat EU- oder Konventionsstaat ist. Wenn sich ergibt, dass die insoweit bestehenden Garantien unzureichend sind, verpflichtet Art. 3 EMRK, den Asylbewerber nicht in den Drittstaat abzuschieben (EGMR, Urteil vom 21.11.2019 – 47287/15 (Ilias u. Ahmed/Ungarn), beck-online Rn. 134, NVwZ 2020, 937).
23 
Ein Antragsteller, der vor Verlassen des Landes Kroatien seinen Asylantrag explizit zurückgezogen bzw. eine Zurückweisung erhalten hat, wird – entgegen den Vorgaben der Dublin III-VO – im kroatischen Asylverfahren als Folgeantragsteller behandelt (Asylum Information Database (AIDA), Country Report Croatia, Update 2021, S. 47; European Council for Refugees and Exiles (ECRE), Balkan route reversed, 15.12.2016, S. 30). Diese nationalen Vorschriften stellen einen Verstoß gegen Art. 18 Abs. 2 der Dublin III-VO dar. Danach müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass ein Antragsteller, der seinen Antrag vor Entscheidung in der Sache in erster Instanz zurückgezogen hat, berechtigt ist zu beantragen, das die Prüfung seines Antrags abgeschlossen wird, oder einen neuen Antrag zu stellen, der nicht als Folgeantrag behandelt wird.
24 
Durch die Behandlung als Folgeantragsteller besteht die Gefahr, dass Antragsteller keine Anhörung mehr erhalten und wesentliche Verfahrensgarantien, die sie vor einem „Refoulement“ schützen sollen, für sie nicht greifen. Denn bei Folgeanträgen muss das kroatische „Asylum Department“ innerhalb von 15 Tagen über die Zulässigkeit des Folgeantrags entscheiden. Eine Anhörung erhalten die Antragsteller nur, wenn die Behörde ihren Folgeantrag als zulässig bewertet. Tut sie dies (fälschlicherweise) nicht, laufen die Antragsteller Gefahr, keinen Schutz vor Zurückweisung („Refoulement“) zu erhalten (vgl. ECRE, Balkan route reversed, 15.12.2016, S. 30-31).
25 
Nach der Auskunft der kroatischen Behörden vom 12.05.2022 wurde das Asylverfahren der Antragsteller eingestellt und die Entscheidung bestandskräftig. Dadurch besteht die Gefahr, dass ihr Asylbegehren als Folgeantrag gewertet wird und den Antragstellern in Kroatien der Zugang zu einer materiellen Prüfung ihres Asylbegehrens verwehrt wird.
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Ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass auch Anhaltspunkte für systemische Mängel des kroatischen Asylverfahrens aufgrund der gehäuften Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen in Zusammenhang mit sogenannten „Push-Backs“, d.h. dem gewaltsamen Abdrängen von Asylbewerbern über die kroatische EU-Außengrenze nach Serbien oder Bosnien-Herzegowina, sowie auf Kettenabschiebungen bestehen (vgl. hierzu auch VG Braunschweig, Urteil vom 24.05.2022 - 2 A 26/22 - und Beschluss vom 25.02.2022 - 2 B 27/22 -, jeweils juris).
27 
Aus diesem Grund haben auch andere Mitgliedstaaten bereits Überstellungen nach Kroatien mit Blick auf die Möglichkeit der Verletzung von Art. 3 EGrCh ausgesetzt. Laut eines CPT-Reports waren dies Italien (2019), Slowenien (2020) und die Schweiz (2020), in denen jeweils auch Gerichtsentscheidungen die Überstellungen untersagten (Council of Europe, Report tot he Croatian Government on the visit to Croatia carried out by the European Commettee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment from 10 to 14 August 2020 (CPT-Report 2020), S. 16). Das CPT wies Kroatien in diesem Report auch ausdrücklich darauf hin, dass das Verbot von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung nach Artikel 3 EMRK die Verpflichtung beinhaltet, eine Person nicht in ein Land zu überstellen, in dem es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass er/sie tatsächlich Gefahr läuft, gefoltert oder misshandelt zu werden (CPT-Report 2020, S. 16).
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Im Jahr 2021 wurden 9114 Personen von Kroatien nach Bosnien-Herzegowina zurückgedrängt, unter ihnen auch vulnerable Personen wie Familien mit Kindern. Eine beachtliche Anzahl dieser Personen sei Opfer von Kettenabschiebungen geworden (AIDA, Country Report Croatia, Update 2021, S. 24). Im Januar und Februar 2021 wurden 547 Personen von Kroatien zurückgedrängt, davon 45 im Wege einer Kettenabschiebung. 40 dieser Personen berichteten von Kettenabschiebungen aus Slowenien über Kroatien nach Bosnien-Herzegowina, weitere fünf Personen von Kettenabschiebungen aus Italien über Slowenien und Kroatien nach Bosnien-Herzegowina (Danish Refugee Council (DRC), Border Monitoring Bimonthly Snapshot, S. 2). Die betroffenen Personen berichteten unter anderem davon, dass ihre Wiederaufnahmedokumente, die die slowenische Polizei ihnen übergeben hatte, von der kroatischen Polizei vor ihren Augen zerrissen worden seien. All ihre Habseligkeiten, darunter auch Schuhe und Jacken, seien verbrannt, das Geld von der Polizei eingesteckt worden (DRC, Border Monitoring Bimonthly Snapshot, S. 4). Auch Kettenabschiebungen von Österreich über Slowenien und Kroatien nach Bosnien-Herzegowina sind hinreichend belegt. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark stellte hierzu fest:
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„Aus dem geschilderten Verfahrensablauf – keine Frage was die Personen in Österreich wollten – negieren des Wortes „Asyl“, Zurückweisung, weil keine Ausweispapiere vorhanden waren (Zeugenaussage Insp. O vom 02. März 2021) – kommt das Gericht zum Schluss, dass „Push-Backs“ in Österreich teilweise methodisch Anwendung finden. Der Umstand, dass die slowenische Polizei die Zurückgewiesenen offensichtlich ohne nähere Befragung übernimmt, lässt sich in der darauffolgenden Kettenabschiebung nach Kroatien und letztendlich nach Bosnien und Herzegowina begründen.“ (LVwG Steiermark, Urteil vom 01.07.2021 – LVwG 20.3-2725/2020-86).
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Auch im CPT-Report werden gravierende Menschenrechtsverletzungen an der kroatischen Grenze festgestellt. Nach dem Report beklagten verschiedene Personen schwere Misshandlungen durch die Polizisten, während sie festgenommen und anschließend zurück über die Grenze gebracht worden seien. Unter anderem habe die Polizei knapp an ihnen vorbeigeschossen, während sie auf dem Boden gelegen hätten, oder sie seien mit gefesselten Händen in einen Fluss geworfen worden. Manche seien gezwungen worden, ohne Schuhe und nur mit Unterwäsche am Körper, manchmal ganz nackt, durch den Wald über die Grenze zu laufen (CPT Report 2020, S. 14).
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Diese menschenrechtswidrigen Praktiken durch Polizeibeamte wurden auch bestätigt durch einen anonymen Beschwerdebrief von kroatischen Polizisten des Grenzschutzes an die kroatische Ombudsfrau, in dem die Polizeibeamten schilderten, dass sie von ihren Vorgesetzen angewiesen seien, jede Person ohne Papiere zurückzuschicken, keine Spuren zu hinterlassen, deren Geld zu nehmen, Mobiltelefone zu zerstören und die Flüchtlinge gewaltsam nach Bosnien zurückzuschicken (Border Violence Monitoring Network,https://www.borderviolence.eu/complaint-by-croatian-police-officers-who-are-being-urged-to-act-unlawfully/, besucht am 01.09.2022).
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Die Frage, ob diese schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen seitens des kroatischen Staates auch Dublin-Rückkehrer (zum Zeitpunkt ihrer Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss) betreffen, kann hier aber zunächst offen bleiben.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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