Beschluss vom Verwaltungsgericht Trier (7. Kammer) - 7 L 11223/17.TR

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2500 € festgesetzt.

Gründe

1

Der Antrag der Antragstellerin, die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 24. August 2017 zur Unterbringung des Asylbewerbers ... in der Gemeinde ... anzuordnen, ist zulässig, aber hat in der Sache keinen Erfolg.

2

Die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts folgt aus dem bindenden Verweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts ..., § 83 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO –, § 17 a Abs. 2 Satz 3 Gerichtsverfahrensgesetz – GVG –. Hingegen ist das Verwaltungsgericht Trier nicht bereits nach § 3 Abs. 6 des rheinland- pfälzischen Gerichtsorganisationsgesetzes zuständig. Der Rechtsstreit betrifft keine „Streitigkeit nach dem Asylverfahrensgesetz“ (jetzt Asylgesetz), denn Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Zuweisungsverfügung ist nicht das Asylgesetz – AsylG –, sondern allein das rheinland- pfälzische Landesaufnahmegesetz – AufnG – (BeckOK AuslR/Heusch AsylG § 50 Rn. 25-26, beck-online; Bergmann/Dienelt Ausländerrecht, AsylG § 50 Rn. 34-37, beck-online; VGH München Beschl. v. 11.12.2008 – 21 C 08.30322, BeckRS 2008, 28685, beck-online).

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Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO erforderliche Abwägung zwischen Vollzugs- und Suspensivinteresse ergibt jedoch, dass das Interesse des Antragsgegners an der sofortigen Vollziehung der Zuweisung überwiegt, denn die Antragstellerin hat nicht konkret dargelegt, dass die Vollziehung der Zuweisungsverfügung vom 24. August 2017 sie in ihrer – hier allein in Betracht kommenden Rechtsposition – aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz – GG – und Art. 49 Abs. 3 Satz 1 Landesverfassung Rheinland- Pfalz – LV – verletzt.

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Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 49 Abs. 3 Satz 1 LV sichern den Gemeinden einen grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft umfassenden Aufgabenbereich sowie die Befugnis zu eigenverantwortlicher Führung der Geschäfte. Auch die Wahrnehmung der pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben ist von der verfassungsrechtlichen Garantie des kommunalen Selbstverwaltungsrechts umfasst (VG Trier, Urteil vom 15. Juni 1998 - 1 K 1036/97.TR –, ESOVG). Diesbezüglich enthält die Selbstverwaltungsgarantie die Gewährleistung, dass die Gemeinden die Pflichtaufgaben in eigener Verantwortung und mit weitgehender Gestaltungs- und Ermessensfreiheit wahrnehmen können (vgl. BVerwG Beschl. v. 2.8.1984 – 3 C 4081, BeckRS 1984, 31323321, beck-online m. w. N.)

5

Das Selbstverwaltungsrecht könnte somit nur verletzt sein, wenn die Vollziehung des streitgegenständlichen Bescheids über eine bloße Berührung der Angelegenheiten der Antragstellerin hinaus auch in einen Bereich eingreifen würde, der zum ihrem eigenen Wirkungskreis gehört (vgl. VG Trier, Urteil vom 21. Juli 2015 – 1 K 814/15.TR –, ESOVG). Ein solcher Eingriff lässt sich dem Vortrag der Antragstellerin jedoch nicht entnehmen.

6

Bei der streitgegenständlichen Zuweisung handelt es sich um eine Einzelzuweisung nach § 1 Abs. 2 AufnG. Der Anwendungsbereich des AufnG ist gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 AufnG eröffnet, da der Bescheid über den Asylantrag des Herrn ... noch nicht in Rechtskraft erwachsen ist. Die Verpflichtung des Antragsgegners zur Unterbringung des Herrn ... folgt aus der Verteilungsverfügung der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion vom 3. September 2013 i. V. m. § 1 Abs. 1 AufnG.

7

Diese Einzelzuweisung führt nicht zu einer Verletzung der Selbstverwaltungsgarantie der Antragstellerin, denn es handelt sich hierbei nicht um eine neue Aufgabenzuweisung (hierzu VGH RP, Urteil vom 16. 3. 2001 – VGH B 8/00 –, NVwZ 2001, 912, beck-online), sondern lediglich um die Konkretisierung einer bereits kraft Gesetzes übertragenen Pflichtaufgabe der Selbstverwaltung (§ 1 Abs. 1 Satz 1 HS 2 AufnG).

8

Durch die Einzelzuweisung wird die Planungs- und Organisationshoheit der Antragstellerin nicht verletzt, da die Unterbringung einer einzelnen Person im Gegensatz zur Zuweisung größerer Personenkontingente erkennbar keine Auswirkungen auf die planerischen und organisatorischen Konzepte der Gemeinde hat. Anders wäre dies nur zu beurteilen, wenn der Landkreis mit der Zuweisung darüberhinausgehende Vorgaben verknüpft hätte, die den weiten Entscheidungsspielraum der Antragstellerin hinsichtlich der Erfüllung ihrer Pflichtaufgabe einschränken. Dies ist hier jedoch weder vorgetragen, noch ersichtlich.

9

Auch hat die Antragstellerin nicht dargelegt, dass sonstige, mit der Zuweisung einhergehende Belastungen ein solches Gewicht erreichen, dass ihr die Erfüllung anderer Aufgaben der Selbstverwaltung unmöglich gemacht oder zumindest in konkreter Weise ganz erheblich erschwert würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Juni 1983 – 7 C 102/82 –, Rn. 14, juris; vgl. BVerwG, Beschluss vom 04. August 2008 – 9 VR 12/08 –, Rn. 3, juris).

10

Vielmehr beschränkt sich ihr Vortrag im Wesentlichen auf die mit der Unterbringung des Herrn ... für die Öffentlichkeit einhergehenden Gefährdungen, welche vom Antragsgegner nach Auffassung der Antragstellerin in ermessensfehlerhafter Weise nicht hinreichend berücksichtigt wurden. Hierbei handelt es sich indes nicht um eigene, der Selbstverwaltungsgarantie unterfallende Rechte der Gemeinde, sondern allein um Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Diese Belange kann die Gemeinde nicht geltend machen, denn aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 49 Abs. 3 Satz 1 LV resultiert kein Recht der Gemeinde, als Sachwalterin eine Beeinträchtigung der Rechte ihrer Einwohner zu rügen (vgl. Schoch/Schneider/Bier/Schütz/Wahl VwGO § 42 Rn. 104-106, beck-online). Die Einwohner der Antragstellerin sind, soweit sie sich belästigt fühlen, bei konkreten Übergriffen auf das Ordnungs- und Strafrecht verwiesen (OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 10. Juni 2003 – 2 M 169/03 –, juris).

11

Dementsprechend vermag auch der Vortrag, die Unterbringung in der Gemeinde ... würde zu einer Gefährdung des Herrn ... führen, da die Bevölkerung vor dem Hintergrund des in der Vergangenheit durch einen Asylbewerber in ... begangenen Tötungsdeliktes negativ gestimmt sei, eine Verletzung des Selbstverwaltungsrechts nicht zu begründen. Ebenso wie die Einwohner der Gemeinde ... ist Herr ... bei konkreten Übergriffen auf das Polizei- und Ordnungsrecht zu verweisen.

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Schließlich hat die Antragstellerin nicht substantiiert dargelegt, dass die Entscheidung des Antragsgegners über die Zuweisung an Mängeln leidet, welche ihr Selbstverwaltungsrecht betreffen. Aufgrund des bei der Zuweisung nach § 1 Abs. 2 AufnG bestehenden Entscheidungsspielraums des Landkreises kann eine einzelne Gemeinde lediglich verlangen, dass die aus ihrem Selbstverwaltungsrecht resultierenden Belange hinreichend berücksichtigt werden und im Verhältnis zu anderen Gemeinden keine willkürliche Ungleichbehandlung erfolgt. Das Gericht vermag nicht zu erkennen, dass der Antragsgegner diese Anforderungen missachtet hat.

13

Eine willkürliche Ungleichbehandlung der Antragstellerin im Verhältnis zu den anderen kreisangehörigen Gemeinden des Landkreises ... (vgl. zur willkürlichen Ungleichbehandlung: OVG Lüneburg, Beschluss vom 24. März 1993 – 11 M 324/93 –, juris) liegt erkennbar nicht vor. Wie von der Antragstellerin selbst vorgetragen beruht die Eingrenzung der Suche nach Unterbringungsorten auf die Gemeinde ... sowie die Stadt ... darauf, dass es für sinnvoll erachtet wurde, den Asylbegehrenden in einer Gemeinde unterzubringen, in welcher eine Polizeiinspektion vorhanden ist. Dies stellt mit Blick auf die Vorgeschichte des Herrn ... einen sachlichen und nachvollziehbaren Grund dar. Die Entscheidung, letztlich die Antragstellerin auszuwählen, ist ebenfalls offensichtlich von sachlichen Gründen getragen, da die Stadt ... mitteilte, aufgrund vorhandener weiterer „Problemfälle“ über keine personellen Kapazitäten zur Betreuung des Herrn ... zu verfügen. Dies geht aus der Verwaltungsakte des Antragsgegners (Bl. 134, 140) hervor und wurde seitens der Antragstellerin nicht bestritten. Vor diesem Hintergrund ist nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner von einer weiteren Prüfung der dortigen Aufnahmekapazitäten abgesehen hat – zumal die Antragstellerin unstreitig zunächst Gesprächsbereitschaft signalisiert hat. Zudem belegt die Verwaltungsakte, dass der Antragsgegner zuvor mit hohem Aufwand, u. a. unter Einbindung der Polizei, einer Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie sowie des Betreuers von Herrn ... vergeblich versucht hat, betreute Wohnmöglichkeiten zu finden (u. a. Bl. 150 der Verwaltungsakte).

14

Demgegenüber war der Antragsgegner entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht bereits wegen des Umstandes, dass in der Gemeinde ... in der Vergangenheit ein Tötungsdelikt durch einen Asylbewerber begangen wurde, verpflichtet, vorrangig die Unterbringung in einer anderen Gemeinde zu prüfen. Allein aus diesem Vorgeschehen ergeben sich noch keine schutzwürdigen, dem Selbstverwaltungsrecht der Antragstellerin unterfallenden Belange. In Anbetracht dessen kann überdies dahinstehen, ob die Antragstellerin zunächst sogar in die Unterbringung einwilligte, denn allein maßgeblich ist, dass die Entscheidung des Antragsgegners gemäß vorstehenden Ausführungen von sachlichen Gründen getragen war.

15

Soweit die Antragstellerin beanstandet, die sofortige Vollziehung der Zuweisung stelle für sie eine erhebliche Härte dar, da sie vor Ort nicht in der Lage sei, die Erfüllung der Herrn ... auferlegten Auflagen (gemeint sind wohl die aus dem Beschluss zur Führungsaufsicht des LG ..., Beschluss vom ... – ... –) zu überwachen, vermag das Gericht ebenfalls nicht zu erkennen, dass der Antragsgegner aus dem Selbstverwaltungsrecht resultierende Belange nicht hinreichend berücksichtigt hat. Die Antragstellerin verkennt insoweit, dass nicht die unterbringende Gemeinde, sondern die Führungsaufsichtsstelle bei dem Landgericht ... mit Unterstützung der dortigen Bewährungshilfe für die Überwachung der Auflagen zuständig ist (§ 68 a Abs. 1, Abs. 3 StGB i. V. m. § 1 Nr. 1 der LandesVO vom 23. Februar 2016 (GVBl. 168)). Sofern die Antragstellerin die ihr nach § 89 Abs. 1 Landespolizeigesetz RP i. V. m. § 1 der Landesverordnung über die Zuständigkeit der allgemeinen Ordnungsbehörden (in der Fassung vom 28. September 2010 (GVBl. S. 280)) obliegenden ordnungsbehördlichen Aufgaben meint, hat sie nicht substantiiert dargelegt, inwiefern ihr diese nicht möglich sein sollen. Im Übrigen wäre sie insofern darauf zu verweisen, die Hilfe der nächsthöheren Ordnungsbehörde in Anspruch zu nehmen. Darüber hinaus ist die Gemeinde auch durch den medizinischen Versorgungsbedarf des Herrn ... nicht übermäßig belastet, denn die Versorgung mit den benötigten Depotspritzen wird nach der unbestrittenen Auskunft des Antragsgegners durch die Sozialstation ... übernommen (siehe auch Bl. 207 der Verwaltungsakte).

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Ebenso wie die Zuweisung als solche begegnet auch die formell ordnungsgemäße Anordnung der sofortigen Vollziehung mit Blick auf Art. 28 Abs. 2 GG und Art. 49 Abs. 3 LV keinen Bedenken. Aus den oben dargelegten Gründen ist nicht ersichtlich, dass durch die Vollziehung der Zuweisung konkrete, aus der Selbstverwaltungsgarantie resultierende Rechte der Antragstellerin betroffen werden. Insbesondere besteht seitens des Antragsgegners ein berechtigtes Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit, da durch die Unterbringung des Herrn ... in der Stadt ... zur Obdachlosenunterbringung vorgesehene Kapazitäten zweckwidrig belegt werden.

17

Die verbleibende abstrakte Möglichkeit bloßer Auswirkungen auf Selbstverwaltungsaufgaben der Gemeinde genügt nicht zur Annahme eines Eingriffs in das Selbstverwaltungsrecht (VGH BW, Urteil vom 26. Mai 1993 – 11 S 1035/92 –, Rn. 32, juris).

18

Die Entscheidung zu den Kosten folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

19

Der Streitwert ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 Gerichtskostengesetz i. V. m. Ziffer 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.

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