Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 8 S 708/10

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 10. März 2010 - 13 K 45/10 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht den Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 01.12.2009 wiederherzustellen und - soweit ein Zwangsmittel angedroht wird - anzuordnen, abgelehnt. Mit diesem Bescheid wird dem Antragsteller unter Anordnung des Sofortvollzugs die Nutzung der Räume im Gebäude ... ... in Stuttgart als Sexclub mit Filmvorführungen, Kabinen und Sauna untersagt; für den Fall der Nichtbeachtung dieser Anordnung wird ferner ein Zwangsgeld in Höhe von 50.000,-- EUR angedroht. Die im Beschwerdeverfahren dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, geben zu einer Änderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts keinen Anlass.
1. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht zunächst ausgeführt, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung in dem Bescheid der Antragsgegnerin den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügt, so dass eine auf eine Verletzung dieser Vorschrift gestützte Aufhebung der Anordnung des Sofortvollzugs (vgl. dazu VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 30.04.1996 - 1 S 776/96 - VBlBW 1996, 297) nicht in Betracht kommt. Zweck des Begründungserfordernisses in § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist es, die Behörde zu einer sorgfältigen Prüfung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts anzuhalten. Außerdem sollen dem Betroffenen die für die Sofortvollzugsanordnung maßgeblichen Gründe zur Kenntnis gebracht werden, die zugleich die Grundlage für eine gerichtliche Kontrolle der Anordnung bilden. Dementsprechend muss aus der Begründung nachvollziehbar hervorgehen, dass und aus welchen besonderen Gründen die Behörde im konkreten Fall dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts Vorrang vor dem Aufschubinteresse des Betroffenen einräumt und aus welchen im dringenden öffentlichen Interesse liegenden Gründen sie es für gerechtfertigt oder geboten hält, die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs zurückzustellen. Auf die inhaltliche Richtigkeit der von der Behörde für die Anordnung des Sofortvollzugs gegebenen Begründung kommt es für § 80 Abs. 3 VwGO dagegen nicht an (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.12.2005 - 10 S 654/05 - juris m.w.N.).
Den genannten Voraussetzungen entspricht die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung in dem angefochtenen Bescheid der Antragsgegnerin. Die Antragsgegnerin hat ausgeführt, dass wegen des Fehlens von Rettungswegen und des dadurch unzureichenden Brandschutzes eine Gefahr für Leben und Gesundheit der Benutzer des Gebäudes eintreten könne und damit Gefahr in Verzug vorliege. Aus diesen - wenn auch knappen - Ausführungen wird klar, dass die Behörde dem Lebens- und Gesundheitsschutz der Besucher des Gebäudes ... ... in Stuttgart den Vorrang vor dem Interesse des Antragstellers an der Aufnahme der von ihm beabsichtigten Nutzung einräumen will. Diese einzelfallbezogenen Erwägungen stehen im Einklang mit den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.
2. Auch nach Auffassung des Senats ist bei der nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Abwägung der wiederstreitenden Interessen dem öffentlichen Vollzugsinteresse der Vorrang einzuräumen. Der Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 01.12.2009 wird - nach der im Eilverfahren allein gebotenen summarischen Prüfung - voraussichtlich keinen Erfolg haben.
a) Zutreffend hat die Antragsgegnerin die Untersagung der Aufnahme der vom Antragsteller beabsichtigten Nutzung auf § 47 Abs. 1 Satz 2 LBO gestützt. Anders als vom Verwaltungsgericht angenommen, findet der Bescheid insoweit seine Rechtsgrundlage nicht in § 65 Satz 2 LBO. Mit dieser Anordnung wird nicht eine bereits ausgeübte Nutzung für die Zukunft unterbunden, sondern bereits die Aufnahme einer bisher noch nicht ausgeübten Nutzung untersagt. Eine derartige Nutzungsaufnahmeuntersagung findet ihre Rechtsgrundlage nach der Rechtsprechung des beschließenden Gerichtshofs in der allgemeinen Eingriffsermächtigung der Baurechtsbehörde (vgl. Senat, Beschluss vom 20.09.1988 - 8 S 2171/88 - juris [nur LS]; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.06.1996 - 5 S 1211/96 - NVwZ 1997, 601; Sauter, LBO, 3. Aufl. § 65 RdNr. 95 und 102).
b) Nach § 47 Abs. 1 Satz 1 LBO haben die Baurechtsbehörden unter anderem darauf zu achten, dass die baurechtlichen Vorschriften eingehalten werden; nach Abs. 2 der Vorschrift haben sie zur Wahrnehmung dieser Aufgaben diejenigen Maßnahmen zu treffen, die nach pflichtgemäßem Ermessen erforderlich sind. Die Voraussetzungen dieser Ermächtigungsgrundlage sind hier erfüllt. Insbesondere reicht im Rahmen der tatbestandlichen Voraussetzungen eines Einschreitens der Baurechtsbehörde eine bloße formelle Illegalität der beabsichtigten Nutzung aus. Das gilt auch unter Berücksichtigung des Art. 14 Abs. 1 GG, denn durch ein Nutzungsaufnahmeverbot, wie es auch hier ausgesprochen worden ist, wird der Betroffene ohne Verlust an Vermögenssubstanz lediglich hinter die formellen Schranken des Baurechts zurückgedrängt und gezwungen, seine Interessen auf dem vorgeschriebenen Weg - Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung - zu verfolgen (vgl. Sauter, a.a.O., § 65 RdNr. 102).
Mit einem Verstoß gegen § 49 LBO ist hier die von § 47 Abs. 1 LBO vorausgesetzte Nichteinhaltung einer baurechtlichen Vorschrift gegeben. Weder für die beabsichtigte Nutzung als Sexclub mit Filmvorführungen, Kabinen und Sauna noch für die vorangegangene Nutzung durch den Saunaclub ... lag zu irgendeinem Zeitpunkt eine Genehmigung im Sinne des § 49 LBO vor, obwohl die genannten Nutzungen - was auch der Antragsteller nicht in Zweifel zieht - einer solchen Genehmigung bedurft hätten.
c) Auf die Erwägungen des Verwaltungsgerichts zur materiellen Baurechtmäßigkeit der beabsichtigten Nutzung und die von dem Antragsteller hieran geübte Kritik kommt es damit für die hier zu treffende Entscheidung nicht an. Im Übrigen verstoßen auch aus der Sicht des Antragstellers sowohl die von ihm beabsichtigte Nutzung als auch die frühere Nutzung durch den Saunaclub ... gegen die Festsetzungen zweier Bebauungspläne. Die von den Beteiligten unterschiedlich beantwortete Frage, ob die frühere Nutzung vor Inkrafttreten der erwähnten Bebauungspläne planungsrechtlich zulässig gewesen sein und dem Antragsteller, wie er meint, Bestandsschutz vermitteln könnte, lässt sich anhand der dem Senat vorliegenden Unterlagen und des Vorbringens der Beteiligten nicht abschließend klären. Dies wird vielmehr Sache des vom Antragsteller noch durchzuführenden Verfahrens auf Erteilung einer Baugenehmigung sein. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt besteht jedenfalls kein Anspruch des Antragstellers darauf, die genehmigungsbedürftige, aber nicht von einer Baugenehmigung gedeckte Nutzung vorläufig ausüben zu dürfen; die Untersagung der Nutzungsaufnahme erfüllt damit dieselbe Aufgabe wie eine Baueinstellung nach § 64 LBO (vgl. dazu auch Senat, Beschluss vom 01.02.2007 - 8 S 2606/06 -, VBlBW 2007, 226).
d) Der Rechtmäßigkeit der Nutzungsaufnahmeuntersagung steht schließlich, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, auch nicht der Grundsatz der Verwirkung entgegen. Verwirkung liegt vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen würde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt würde (Vertrauenstatbestand) und er sich infolge dessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (Vertrauensbetätigung) (vgl. Senat, Urteil vom 08.10.1993 - 8 S 1760/93 - UPR 1994, 236). Selbst wenn man zu Gunsten des Antragstellers deswegen von einer Vertrauensgrundlage ausgehen könnte, weil die Antragsgegnerin gegen den Betrieb des Saunaclubs ...-... nicht eingeschritten ist, fehlt es doch jedenfalls an den beiden weiteren Tatbestandselementen der Verwirkung. Weder ist ersichtlich, dass gerade der Antragsteller tatsächlich darauf vertraut hätte, dass das Recht nicht mehr ausgeübt würde, noch ist erkennbar, dass dem Antragsteller ein unzumutbarer Nachteil drohen würde.
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3. Auch nach Einschätzung des Senats besteht schließlich ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Nutzungsaufnahmeuntersagung. Bereits der Verstoß gegen die Ordnungsfunktion des formellen Baurechts rechtfertigt die Unterbindung des Beginns der genehmigungsbedürftigen, aber nicht genehmigten Nutzung. Damit wird verhindert, dass sich derjenige, der ohne Genehmigung eine Nutzung aufnimmt, gegenüber demjenigen, der ordnungsgemäß das Genehmigungsverfahren betreibt, Vorteile erhält, die ihm nicht zustehen (vgl. zu diesem Gesichtspunkt auch Senat, Beschluss vom 01.02.2007 a.a.O.). Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass der erforderliche Brandschutz nach dem Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 11.02.2010 im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nach wie vor nicht hinreichend gewährleistet ist, so dass auch der Schutz der Besucher des Gebäudes die Anordnung des Sofortvollzugs zur Gefahrenabwehr rechtfertigt. Der Beschwerdebegründung lässt sich nicht entnehmen, dass die brandschutzrechtlichen Bedenken nunmehr ausgeräumt wären. Die Einhaltung der brandschutzrechtlichen Vorschriften wird ebenfalls in dem Verfahren auf Erteilung der Baugenehmigung zu klären sein.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG.
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Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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