Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - NC 9 S 1056/10

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 21. April 2010 - NC 6 K 2062/09 - wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die Antragstellerin begehrt im Wege einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Zulassung zum Studium der Zahnmedizin an der Universität Freiburg zum Wintersemester 2009/2010. Sie ist der Auffassung, dass mit der in der Zulassungszahlenverordnung festgesetzten Zahl von 43 Plätzen die Aufnahmekapazität nicht ausgeschöpft worden ist. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag mit dem angegriffenen Beschluss abgelehnt, weil die Ausbildungskapazität der Antragsgegnerin mit den 44 zugelassenen Studienanfängern im Wintersemester bereits ausstattungsbedingt erschöpft sei. Die hiergegen erhobenen Rügen, auf deren Prüfung das Beschwerdegericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, haben keinen Erfolg.
1. Entgegen der mit der Beschwerde vorgetragenen Auffassung leidet der angegriffenen Beschluss nicht an einer mangelhaften Aufklärung.
a) Allerdings garantiert Art. 19 Abs. 4 GG über das formelle Recht, die Gerichte anzurufen, hinaus auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Dies gilt, trotz der insoweit geltenden verfahrensrechtlichen Besonderheiten (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 -, BVerfGE 111, 77 [86]), auch für den verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz. Um den verfassungsrechtlichen Anforderungen Genüge zu tun, ist entscheidend, dass die Prüfung jedenfalls „eingehend genug ist, um den Beschwerdeführer vor erheblichen und unzumutbaren, anders weder abwendbaren noch reparablen Nachteilen effektiv zu schützen“ (BVerfG, Beschluss vom 27.11.2007 - 1 BvR 1736/07 -, NVwZ-RR 2008, 217). Angesichts der Tatsache, dass die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes in Hochschulzugangsstreitigkeiten regelmäßig zur einer erheblichen Ausbildungsverzögerung führt, die im Hinblick auf die in Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Berufswahlfreiheit als schwerwiegender Nachteil bewertet werden muss, ist auch bereits im Eilverfahren eine hinreichende Prüfung der Sach- und Rechtslage erforderlich (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31.03.2004 - 1 BvR 356/04 -, NVwZ 2004, 1112). Soweit „berechtigte Zweifel“ geltend gemacht worden sind, hat das Verwaltungsgericht daher eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage vorzunehmen, die auch Fragen des Grundrechtsschutzes einbeziehen muss, wenn dazu Anlass besteht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.07.1996 - 1 BvR 638/96 -, NVwZ 1997, 479).
b) Diesen Maßstäben ist das Verwaltungsgericht indes gerecht geworden. Es war nicht verpflichtet, sich „eine detaillierte Darstellung der ausstattungsbezogenen Kapazität“ vorlegen zu lassen.
Dies ergibt sich zunächst schon daraus, dass die Entscheidung auf eine aktuelle Auskunft des Studiendekanats der Antragsgegnerin vom 10.08.2009 gestützt worden ist. Das Verwaltungsgericht hat daher nicht aufgrund von Vermutungen und in bloßer Fortschreibung der aus dem Jahr 2003 stammenden Angaben entschieden - wie die Beschwerde behauptet - sondern auf Grund aktuell erhobener Daten. Für eine weitere Nachfrage bestand kein Anlass, weil die angegebenen 41 „Phantom“-Arbeitsplätze den Erkenntnissen des Gerichts aus den vorangegangen Jahren entsprechen. In dem (in der angegriffenen Entscheidung auch benannten) Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 06.06.2008 war ausführlich dargelegt worden, dass die Universität nur über 41 Phantomarbeitsplätze verfügt und weitere derzeit und auch mittelfristig angesichts der hierfür fehlenden Mittel nicht bereit gestellt werden können. Welche weiteren Erkenntnisse mit einer weiteren Darlegungsverpflichtung hätten erreicht werden können, legt die Beschwerde nicht dar und ist unabhängig hiervon auch nicht ersichtlich. Darüber hinaus ist im Beschwerdeverfahren vom Studiendekanat mit Schriftsatz vom 15.06.2010 erneut und nachvollziehbar dargelegt worden, dass derzeit weder eine Aufstockung der Laborplätze noch eine intensivere Nutzung möglich ist.
Hinsichtlich der erstmals mit der Beschwerde aufgeworfenen Frage der zeitlichen Auslastung hat das Verwaltungsgericht bereits in den vergangenen Jahren festgestellt, dass die „Phantom“-Arbeitsplätze ganztägig - und dies auch an Samstagen und während der vorlesungsfreien Zeit - in Anspruch genommen werden (vgl. hierzu auch Senatsbeschluss vom 30.09.2008 - NC 9 S 2234/08 -). Möglichkeiten einer intensiveren Nutzung der Arbeitsplätze sind im angegriffenen Beschluss erörtert, aber verneint worden. Warum diese Erwägungen fehlerhaft sein könnten, zeigt die Beschwerde nicht auf.
Soweit die Beschwerdeführer teilweise vorgetragen haben, die sog. „Phantom“-Laborarbeitsplätze spielten in der Praxis keine Rolle mehr, ist der Vortrag völlig unsubstantiiert. Insbesondere aber ist der Nachweis der erfolgreichen Teilnahme an diesen Kursen gemäß § 26 Abs. 4 Buchstabe b) der Approbationsordnung für Zahnärzte Voraussetzung für die Zulassung zur zahnärztlichen Vorprüfung, so dass der Einwand, der „Phantom“-Kurs habe keine tatsächliche Bedeutung mehr, schon in rechtlicher Hinsicht der Grundlage entbehrt. Gleiches gilt für das Ansinnen, die Phantomarbeitsplätze mit mehreren Teilnehmern zu besetzen und so einen Faktor 4 zu erreichen. Insoweit geht die Bezugnahme auf die „Marburger Analyse“ fehl, weil die dort vorgeschlagene Relation von 1 : 4 nur die klinischen Phantomkurse der Zahnerhaltungskunde betrifft (vgl. Abschlussbericht S. 177). Für die vorklinischen Kurse am Phantomplatz wird dagegen allenfalls ein Ansatz von 1 : 1,33 für möglich gehalten (vgl. Abschlussbericht S. 175). Auch diese aus dem Jahr 1977 stammende Einschätzung hat sich in der Praxis indes - soweit ersichtlich - nicht bestätigt; vielmehr wird in der jüngeren Rechtsprechung vom Erfordernis einer 1 : 1 Quote ausgegangen (vgl. etwa Bay. VGH, Beschluss vom 08.08.2006 - 7 CE 06.10020 u.a. -, NVwZ-RR 2007, 175 [Rn. 13]). Dem entspricht auch die Stellungnahme des Studiendekans der Antragsgegnerin, nach der eine ordnungsgemäße Ausbildung im Phantomkurs nur gewährleistet werden kann, wenn jedem Teilnehmer ein ganzer Arbeitsplatz zur Verfügung steht (vgl. Schriftsatz vom 06.06.2008). Anhaltspunkte, warum diese sachkundige und der allgemeinen Praxis entsprechende Stellungnahme in Zweifel zu ziehen sein sollte, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren zutreffend darauf hingewiesen, dass die personelle Ausbildungskapazität nicht ausreichen würde, um weitere Kurse an den Phantomarbeitsplätzen anzubieten. Denn ausweislich der Kapazitätsakte Zahnmedizin vom 09.04.2009 verfügt die Antragsgegnerin über eine - anhand der personellen Ausstattung berechnete - jährliche Aufnahmekapazität von 85 Studienplätzen, die durch die Zulassungszahlenverordnung ZVS-Studiengänge 2009/2010 vom 24.06.2009 (GBl. S. 307) auf 43 Plätze im Wintersemester und 42 Plätze im Sommersemester aufgeteilt worden ist. Einwände gegen diese Berechnung sind mit der Beschwerde indes nicht vorgetragen. Selbst wenn also in organisatorischer Hinsicht zusätzliche Phantomkurse eingerichtet werden könnten, bestünde hierfür keine ausreichende Lehrkapazität der Antragsgegnerin. Darauf, dass mit einer weiteren Aufnahme auch eine Minderung der vorklinischen Kapazität verbunden wäre, die Auswirkungen auf andere Studiengänge (insbesondere die Humanmedizin) entfalten würde, kommt es daher nicht mehr an.
2. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auch darauf hingewiesen, dass ein Anspruch auf Einsatz weiterer finanzieller Mittel zur Beseitigung von ausstattungsbezogenen Engpässen nicht besteht.
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Dies gilt schon deshalb, weil damit ein „Kapazitätsverschaffungsanspruch“ reklamiert wird, den das geltende Recht nicht enthält (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 24.08.2005 - NC 9 S 29/05 - zur st.Rspr.). Art. 12 Abs. 1 GG verlangt zwar als Teilhaberecht die Ausschöpfung der vorhandenen Ausbildungskapazität, er verpflichtet aber nicht dazu, zusätzliche Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen (vgl. dazu auch Bay. VGH, Beschluss vom 11.03.2010 - 7 CE 10.10075 -; OVG NRW, Beschluss vom 08.07.2009 - 13 C 93/09 -).
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Anderes gilt auch in Ansehung zusätzlicher Einnahmen aus Studiengebühren nicht, vielmehr dürfen diese hierzu nicht verwendet werden. Denn nach § 4 Abs. 2 LHGebG dienen Studiengebühren nicht dem Ausbau der Aufnahmekapazität, sondern der Verbesserung der Studienbedingungen. Mit der Gebührenerhebung sollen die mit der Rechtsstellung als Studierendem verbundenen „lehrbezogenen Vorteile“ teilweise abgegolten werden (vgl. LT-Drs. 13/4858, S. 19), so dass die Gebühr als Gegenleistung für die Inanspruchnahme der Hochschule geschuldet wird (vgl. dazu ausführlich VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.02.2009 - 2 S 2833/07 -, VBlBW 2009, 301 [302]). Die Studiengebühr knüpft damit als Vorteilslast an die Immatrikulation des Gebührenschuldners an. Eine Verwendung der Mittel zum Abbau des ausstattungsbezogenen Engpasses und damit zur Aufstockung der Aufnahmekapazität ist mit diesem Charakter als Benutzungsgebühr nicht zu vereinbaren, weil sie nicht dem Gebührenschuldner, sondern nur künftigen Studenten - die gegenwärtig nicht Gebührenschuldner sind - zum Vorteil gereichen kann. Dies aber ist Aufgabe der allgemeinen Hochschulfinanzierung, sodass sich von Rechts wegen keine Verpflichtung ergibt, zusätzliche Einnahmen aus Studiengebühren gerade zur Aufstockung künftiger Ausbildungskapazitäten zu verwenden.
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Schließlich ergibt sich auch aus dem sog. Hochschulpakt 2020 kein anderes Ergebnis. Denn diese von der Bundesregierung und den Regierungschefs der Länder am 20.08.2007 abgeschlossene Vereinbarung (vgl. Bundesanzeiger Nr. 171 vom 12.09.2007 S. 7480) vermittelt weder individuelle Ansprüche Studierwilliger auf Schaffung zusätzlicher Ausbildungskapazitäten noch wird auch nur einer bestimmten Hochschule oder gar einem einzelnen Studiengang hierdurch ein Rechtsanspruch eingeräumt (vgl. hierzu ausführlich Bay. VGH, Beschluss vom 11.03.2010 - 7 CE 10.10075 -, Rn. 16 ff. m.w.N.). Vielmehr obliegt es nachfolgend den Ländern, wie die zusätzlich bereit gestellten Finanzmittel zu verteilen sind. Die für Forschung und Lehre im Fach Zahnmedizin bei der Antragsgegnerin zur Verfügung gestellten Mittel sind jedoch bislang nicht erhöht worden (vgl. Schriftsatz des Studiendekanats vom 15.06.2010), so dass die Rüge insoweit bereits in tatsächlicher Hinsicht ins Leere läuft.
13 
Ein Anordnungsgrund ist damit weder dargetan noch sonst ersichtlich, so dass sich die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts als zutreffend erweist.
14 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 47 Abs. 1 S. 1, 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG.
15 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO sowie § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG hinsichtlich der Streitwertfestsetzung).

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