Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird unter Abänderung der Streitwertfestsetzung im Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 12. Mai 2021 - 5 K 1330/21 - für beide Rechtszüge auf jeweils 150.000 EUR festgesetzt.
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| Die Antragstellerin wendet sich gegen ein sofort vollziehbares Verbot des Inverkehrbringens von unter Verwendung vom Bambusbestandteilen als Zusatz- bzw. Füllstoff hergestellten Lebensmittelbedarfsgegenständen aus Kunststoff. |
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| Die Antragstellerin vertreibt - neben anderen Produkten - Waren (wie z.B. Becher, Schüsseln und Küchenutensilien) mit Anteilen von Bambusfasern bzw. -mehl, die sie aus der Volksrepublik China importiert. |
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| Im Oktober 2019 veröffentlichte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) eine aktualisierte Risikobewertung für die Verwendung von unbehandeltem Holzmehl und Holzfasern in Materialen, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Kontakt zu kommen („food contact materials“ - FCM). In dieser kam eine Expertengruppe zu dem Schluss, dass Holz aufgrund der darin enthaltenen Substanzen mit niedrigem Molekulargewicht nicht per se als chemisch inaktiv (inert) angesehen werden könne. Der gegenwärtige Erkenntnisstand rechtfertige die generelle Zulassung von „Holzmehl und -fasern, naturbelassen“ als Bestandteil von Materialien, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Kontakt zu kommen, nicht, so dass die Lebensmittelsicherheit der in unterschiedlichen Holzarten jeweils enthaltenen Substanzen im Einzelfall beurteilt werden müsse. Gleiches gelte für andere Pflanzenmaterialien - wie z.B. Bambus -, die von den Behörden einzelner Mitgliedstaaten möglicherweise in der Praxis als holzähnliche Substanzen zugelassen würden (vgl. EFSA, Update of the risk assessment of ‘wood four and fibres, untreated’ (FCM No 96) for use in food contact materials, and criteria for future applications of materials from plant origin as additives for plastic food contact materials“ vom 24.10.2019). |
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| Am 23.06.2020 veröffentlichten die Sachverständigen der Arbeitsgruppe für FCM des Ständigen Ausschusses für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel eine Erklärung („bamboo note“), der zufolge gemahlener Bambus, Bambusmehl und ähnliche Stoffe in Anhang I der VO (EU) Nr. 10/2011 (Kunststoff-Verordnung) nicht aufgeführt seien, nicht als Holz betrachtet werden könnten und daher ohne besondere Zulassung nicht als Zusatzstoff für die Verwendung in FCM in Betracht kämen. Darüber hinaus hätten Mitgliedstaaten etliche Meldungen über die Migration von Melamin und Formaldehyd aus entsprechenden Kunststoffen veröffentlicht, die die spezifischen Migrationsgrenzwerte überstiegen. |
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| Mit Art. 1 Abs. 2 der VO (EU) 2020/1245 vom 02.09.2020 wurden die Bestimmungen der VO (EU) Nr. 10/2011 über die Prüfung von Mehrwegmaterialien und -gegenständen dahingehend geändert, dass die Stabilität eines Materials als unzureichend gilt, wenn bei einer von drei vorzunehmenden Prüfungen eine Migration oberhalb der Nachweisgrenze festgestellt wird und die Migration von der ersten bis zur dritten Migrationsprüfung ansteigt. Im Fall der unzureichenden Stabilität wird die Konformität des Materials selbst dann nicht festgestellt, wenn der spezifische Migrationsgrenzwert bei keiner Prüfung überschritten wird. Nach Art. 2 der VO (EU) 2020/1245 dürfen Materialien und Gegenstände aus Kunststoff, die der Verordnung (EU) Nr. 10/2011 in der vor dem Inkrafttreten der vorliegenden Verordnung geltenden Fassung entsprechen und die vor dem 23.03.2021 erstmals in Verkehr gebracht wurden, bis zum 23.09.2022 weiterhin in Verkehr gebracht werden und in Verkehr bleiben, bis die Bestände erschöpft sind. |
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| Mit Bescheid vom 06.04.2021 untersagte das Landratsamt Breisgau-Hochschwarzwald der Antragstellerin nach vorheriger Anhörung das Inverkehrbringen sämtlicher Gegenstände aus Kunststoff, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen und Bambus als Zusatz- bzw. Füllstoff enthalten (Ziffer 1.1), ordnete die sofortige Vollziehung an (Ziffer 1.2), drohte der Antragstellerin ein Zwangsgeld in Höhe von 2.500 EUR an (Ziffer 1.3) und setzte eine Verwaltungsgebühr fest (Ziffer 1.4). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, dass Bambusmehl als nicht auf der Positivliste des Anhangs I zu VO (EU) Nr. 10/2011 genannter Stoff nicht für die Herstellung von Kunststoffgegenständen mit Lebensmittelkontakten verwendet werden dürfe. Als Pflanze aus der Familie der Süßgräser (Poaceae) handele es sich hierbei nicht um „Holz“ im Sinne der Positivliste, so dass Bambus auch als Füllstoff pflanzlichen Ursprungs einer Einzelfallbewertung unterzogen werden müsse. Ein Antrag auf Aufnahme von Bambus in die Positivliste sei bislang jedoch nicht gestellt. Zudem habe das Bundesinstitut für Risikobewertung in einer Stellungnahme vom 25.11.2019 auf ein erhöhtes Gesundheitsrisiko bei der Verwendung von Lebensmittelbedarfsgegenständen aus Melamin-Formaldehyd-Harzen für heiße Lebensmittel hingewiesen, das bei der Verwendung von Bambusfüllstoffen nochmals verstärkt sei. Nach Art. 138 Abs. 1, Abs. 2 lit. d) VO (EU) 2017/625 (EU-Kontroll-Verordnung) sei der Antragsgegner daher verpflichtet, geeignete Maßnahmen - wie etwa die Beschränkung oder das Verbot des Inverkehrbringens von Waren - zu treffen, um einen Verstoß gegen Art. 5 VO (EU) Nr. 10/2011 zu beenden und zukünftige Verstöße zu verhindern. Die Maßnahme sei geeignet, erforderlich und verhältnismäßig, zumal der Antragstellerin der Sachverhalt jedenfalls seit Oktober 2020 bekannt sei, ihr Warenangebot auch nicht verbotsbetroffene Keramikwaren umfasse und ein Verkauf von Restbeständen außerhalb der EU möglich bleibe. Dem stehe nicht entgegen, dass die angebotenen Produkte nach Angaben der Antragstellerin zu bis zu 94% aus Cellulose bestünden, da Bambusfasern nach den Feststellungen des Chemischen und Veterinäruntersuchungsamts Stuttgart (CVUA) vom 18.02.2021 auch unter Berücksichtigung dieses Umstands nicht als Cellulose im Sinne des Anhang I der VO (EU) Nr. 10/2011 gewertet werden könnten. Das besondere Vollzugsinteresse überwiege gegenüber dem Suspensivinteresse der Antragstellerin, da beim Gebrauch bambushaltiger Kunststoffgeschirre und -bestecke gesundheitsschädliche Schadstoffe abgegeben werden könnten und auch bei von der Antragstellerin vertriebenen Produkten im Einzelfall Grenzwertüberschreitungen festgestellt worden seien. Auch wenn die Antragstellerin nach eigenen Angaben über Restbestände im Gegenwert von 1.000.000 EUR verfüge, seien unter Verwendung vom Bambusfasern hergestellte Kunststoffprodukte mit Lebensmittelkontakt zu keinem Zeitpunkt verkehrsfähig gewesen, so dass die Antragstellerin das Importrisiko - zudem in Ansehung bestehender Produktwarnungen - bewusst eingegangen sei. Überdies spreche vieles dafür, dass Bambusprodukte den unionsrechtlichen Anforderungen an die Materialstabilität von Kunststoffprodukten mit Lebensmittelbezug nicht genügten, wie auch ein Gutachten der CVUA vom 30.11.2020 zu einem von der Antragstellerin vertriebenen Trinkbecher zeige. |
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| Mit Beschluss vom 12.05.2021, der der Antragstellerin am 14.05.2021 zugestellt wurde, hat das Verwaltungsgericht Freiburg deren Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs vom 22.04.2021 gegen den Bescheid vom 06.04.2021 abgelehnt. Mit ihrer am 20.05.2021 beim Verwaltungsgericht eingegangenen Beschwerde hat die Antragstellerin beantragt, |
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| unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 12. Mai 2021 die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid des Landratsamtes Breisgau-Hochschwarzwald vom 6. April 2021 anzuordnen. |
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| 1. a) Das Verwaltungsgericht hat angenommen, die von der Antragstellerin gehandelten Produkte seien aller Voraussicht nach nicht im Sinne des Art. 4 lit. e) VO (EU) Nr. 10/2011 (Kunststoff-Verordnung) verkehrsfähig, da sie entgegen Art. 5 Abs. 1 der Verordnung mit Bambusfasern einen nicht zugelassenen Zusatzstoff enthielten. Hierbei handele es sich weder um „Holzmehl und -fasern, naturbelassen“ noch um „Cellulose“ im Sinne der FCM-Stoff-Nr. 96 und Nr. 553 des Anhangs I der VO (EU) Nr. 10/2011. Auch wenn Bambusfasern Cellulose enthielten, könne dies eine gesonderte Erfassung in der Positivliste nicht ersetzen, wie die gesonderte Erwähnung von unbehandeltem Holzmehl und -fasern veranschauliche. Die Antragstellerin bezeichne den verwendeten Zusatzstoff selbst - entsprechend der Materialbeschreibung ihres Lieferanten - als „Bambusfasern“ und habe zu keinem Zeitpunkt vorgetragen, dass aus diesen in einem Bearbeitungsvorgang reine Cellulose gewonnen werde. Hinsichtlich des vorgelegten Laborberichts der N.-GmbH vom 19.04.2021, der auf einen Cellulosegehalt von 89,2 % verweise, folge aus einer Untersuchung desselben Labors vom 22.12.2020, dass eine Spektralanalyse zwar breite Banden bei für Cellulose typischer Wellenzahl aufzeige, die allerdings zu sehr durch eine Vielzahl weiterer unspezifischer Banden überlagert seien, um eine konkretere Aussage zur Zusammensetzung zu treffen. Soweit das chinesische T.-Labor den Cellulosegehalt sogar mit 94 % angebe, könne die dort verwendete Anthron-Methode zwar den Gesamtkohlenhydratgehalt von Stoffgemischen bestimmen, Cellulose aber nicht von anderen Kohlenhydraten unterscheiden. Hierzu habe die CVUA nachvollziehbar dargelegt, dass Anthron nicht nur mit den für Cellulose spezifischen Zuckerbestandteilen, sondern u.a. auch mit Zuckerbestandteilen reagiere, die nach saurer Hydrolyse aus Hemicellulose, Stärke oder anderen Polysacchariden entstünden. Da Bambus zu 14 - 29 % aus Hemicellulose bestehe, sei die Analysemethode ungeeignet, die behauptete Cellulosekonzentration zu belegen. Da die Methode schon von ihrem Ansatz her ungeeignet sei, eine quantitative Aussage zum Anteil eines bestimmten Kohlenhydrats (Polysaccharids) in einem Naturprodukt (Bambusfaser) zu treffen, das typischerweise noch andere Kohlenhydrate (Polysaccharide) enthalte, sei nicht erforderlich gewesen, eine konkrete Probe des von der Antragstellerin verwendeten Materials zu untersuchen. |
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| b) Dem hält die Antragstellerin entgegen, dass die den Produkten zu 35 % zugesetzten Bambusfasern nahezu ausschließlich aus Cellulose bestünden. Nach den vorgelegten Prüfberichten sei von einem Quasi-Monoprodukt auszugehen. Gegen die verwendeten Prüfmethoden bestünden keine Bedenken, zumal eine amtliche Prüfmethode nicht vorgeschrieben sei. Nicht nachvollziehbar sei, warum das CVUA die beschriebene Untersuchungsmethode nicht auf Bambusfasern, sondern auf den Füllstoff angewandt habe, der aus Bambusfasern, Maisstärke und einem geringen Anteil an Holzmehl bestehe. Zudem ergebe sich aus der Übersetzung der Prüfmethode, dass der Cellulosegehalt nicht lediglich anhand des Anthron-Reagenzes ermittelt, sondern nach der Cellulose-Standard-Regressionsgleichung berechnet werde. Auch die N.-GmbH habe in ihrem Prüfbericht vom 19.04.2021 festgestellt, dass die Bambusfasern zu 89,2 % aus Cellulose bestünden, so dass das Produkt als „Celluloseerzeugnis“ oder „Rohcellulose auf Bambusbasis“ bezeichnet werden könne. Warum das Verwaltungsgericht diesen Prüfbericht unberücksichtigt lasse, erschließe sich nicht. Zwar treffe es zu, dass die durchgeführte IR-Spektroskopie nur Banden von Cellulose nachweise; dies habe jedoch lediglich zur Folge, dass diese Prüfmethode nicht geeignet sei, den Cellulosegehalt des Endprodukts, d.h. des Lebensmittelkontaktmaterials, quantitativ zu bestimmen. Dessen ungeachtet sei ein hoher Cellulosegehalt der Bambusfasern festgestellt worden. |
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| c) Diese Rüge greift nicht durch. Hinsichtlich der sowohl vom chinesischen T.-Labor als auch dem (ungenannten) Partnerlabor der N.-GmbH zur Bestimmung des Celluloseanteils der Bambusfasern bzw. des Bambuspulvers angewendeten Anthron-Methode hat der Antragsgegner überzeugend dargelegt und durch eigene Untersuchungen anhand der vom T.-Labor beschriebenen Methode bestätigt, dass diese strukturell nicht zur Unterscheidung verschiedener Saccharide geeignet ist, sondern lediglich den Gesamtgehalt an Kohlehydraten der untersuchten Substanz bestimmt. Dies entspricht auch allgemein zugänglichen Informationen über die Zweckbestimmung der beschriebenen Methode (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Anthron) und wird durch den Einwand der Antragstellerin, dass der Cellulosegehalt ergänzend durch Anwendung der „Cellulose-Standard-Regressionsgleichung“ bestimmt werde, nicht entkräftet. Denn diese beruht nach den auf eine Übersetzung der chinesischen Prüfmethode gestützten Darlegungen der Antragstellerin auf einer mathematischen Umrechnung des durch Anwendung der Anthron-Methode bestimmten Extinktionswerts, der selbst jedoch keine Aussage über den spezifischen Cellulosegehalt der Probe trifft (vgl. S. 1, 5 der Übersetzung). Insoweit dürfte das beschriebene Verfahren daher unabhängig davon nicht aussagekräftig sein, ob es auf Bambuspulver, Bambusfasern oder den unter Beimischung von Bambusbestandteilen erzeugten Füllstoff angewendet wird. Soweit die Antragstellerin dem - im Übrigen nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) - entgegenhält, dass die behauptete Ungeeignetheit der Anthron-Methode zum Nachweis des Cellulosegehalts auf der Prämisse beruhe, dass der untersuchte Stoff andere Polysaccharide enthalte, trifft dies nicht zu; vielmehr beruht die postulierte Eignung der Untersuchungsmethode auf der - vorliegend nicht belegten - Annahme, dass das Untersuchungsmaterial neben Cellulose keine weiteren Polysaccharide enthalte. Diese Annahme hat die Antragstellerin nach Aktenlage jedoch nicht belegt und dürfte unter Anwendung der bezeichneten Untersuchungsmethode auch nicht belegt werden können. |
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| Der vorgelegte Prüfbericht der N.-GmbH vom 19.04.2021 stellt demgegenüber zunächst nur fest, dass die untersuchte Bambuspulverprobe bei einer Untersuchung mittels IR-Spektroskopie „typische Banden für Cellulose“ aufgewiesen habe, stützt seine Angaben zum ermittelten Cellulosegehalt aber ausschließlich auf eine von einem Partnerlabor durchgeführte Untersuchung gemäß der „Anthron-Methode“. Die hierauf gestützte Schlussfolgerung, das Produkt könne daher „als Celluloseerzeugnis“ oder als „Rohcellulose auf Bambusbasis“ bezeichnet werden, wobei ggf. vorhandene weitere Pflanzeninhaltsstoffe als „non-intentionally added substances“ anzusehen und zu untersuchen seien, wird durch die nachgewiesenen Untersuchungsbefunde daher nicht bestätigt. Dies gilt umso mehr, als bereits das von der N.-GmbH untersuchte, augenscheinlich nicht weiter verarbeitete Bambuspulver einen Kohlehydratanteil aufweist, der den für Bambus typischen Cellulosegehalt von 37 - 58 % deutlich übersteigt. Dies bestätigt die Einschätzung des Antragsgegners, dass eine trennscharfe Unterscheidung zwischen Cellulose und anderen kohlehydrathaltigen Pflanzeninhaltsstoffen durch Anwendung der Anthron-Methode nicht möglich sein dürfte. |
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| Daher kann offenbleiben, ob sich die im Kontext einer Untersuchung von Bambus-Melaminharz-Bedarfsgegenständen getroffene Aussage der N.-GmbH, dass eine konkretere Aussage zur Zusammensetzung angesichts der unspezifischen Überlagerung der für Cellulose typischen Wellenzahl durch eine Vielzahl weiterer unspezifischer Banden nicht getroffen werden könne, auf eine IR-Spektrographie von Bambuspulver (ohne Zugabe von Melaminharzen oder anderen Beimischungen) übertragen lässt. Denn auch die N.-GmbH hat ihre Aussage über den spezifischen Cellulosegehalt des untersuchten Bambuspulvers alleine auf Grundlage der sog. Anthron-Methode getroffen, die eine belastbare Aussage über den Cellulosegehalt nach dem Vorstehenden nicht zulässt. |
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| 2. Ausgehend hiervon kann auch der Einwand der Antragstellerin, das Verwaltungsgericht habe die in den Bambusfasern weiterhin enthaltenen Pflanzeninhaltsstoffe zu Unrecht nicht als „unbeabsichtigt eingebrachte Stoffe“ im Sinne des Art. 3 Nr. 9, Art. 6 Abs. 4 lit. a) VO (EU) Nr. 10/2011 angesehen, obwohl die verwendeten Bambusfasern bereits einem Herstellungsprozess unterzogen worden seien und einen Cellulosegehalt sehr nahe bei 100 % aufwiesen, nicht überzeugen. Denn auch wenn in Ansehung der bei den jeweiligen Untersuchungen ermittelten unterschiedlichen Kohlehydratanteile von Bambuspulver (89,2 %) und Bambusfasern (94 %) einiges dafür sprechen mag, dass für die Herstellung der von der Antragstellerin vertriebenen Bambusprodukte weiterverarbeitete Bambusbestandteile Verwendung finden, dürften sich die Angaben der Antragstellerin zum konkreten Cellulosegehalt der verarbeiteten Bambusbestandteile als nicht belastbar erweisen. Sie gibt zudem selbst an, dass ihr zum Herstellungs- und Verarbeitungsvorgang der Bambusfasern in der Volksrepublik China keine näheren Angaben vorlägen. Das Verwaltungsgericht weist im Übrigen zu Recht darauf hin, dass verarbeitete Bambusprodukte auch bei einem - hier ohnehin nicht nachgewiesenen - (sehr) hohen Cellulosegehalt nicht als „Cellulose“ im Sinne der Verordnung anzusehen sein dürften, da sich der Begriff der „Cellulose“ wohl nur auf reine Cellulose als Ausgangsprodukt bezieht (vgl. zu den allgemeinen Anforderungen an die technische Qualität und Reinheit von Stoffen Art. 8 VO (EU) Nr. 10/2011). Dass „reine“ Cellulose mit einem Cellulosegehalt von (annähernd) 100 % auf technischem Wege hergestellt werden kann, ergibt sich schon aus deren Verwendung als Referenzprodukt im Rahmen der durch Anwendung des Anthronverfahrens durchgeführten Testung. Dass auch die behauptete Einordnung als „Celluloseerzeugnis“ oder „Rohcellulose auf Bambusbasis“ eine Zuordnung zu FCM-Stoffnr. 553 nicht rechtfertigen dürfte, indiziert die schon vom Verwaltungsgericht angesprochene gesonderte Erwähnung der ebenfalls stark cellulosehaltigen Stoffe „Holzmehl und Holzfasern, naturbelassen“ (Nr. 96) im Übrigen ebenso wie die gesonderte Erwähnung von „Gemahlenen Sonnenblumenkernhülsen“ (Nr. 1060) und v.a. „Baumwollfasern“ (Nr. 24), die einen Celluloseanteil von 88 - 96 % aufweisen (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Baumwollfaser; abgerufen am 17.08.2021, unter Verweis auf H.-K. Rouette: Handbuch Textilveredelung, Band 1: Ausrüstung, 2006). Vielmehr dürfte es sich insoweit um Lignocellulose (mit Anteilen von Cellulose, Hemicellulosen und Lignin) handeln, das zur Verwendung als Zusatzstoff oder als Hilfsstoff bei der Herstellung von Kunststoffen nicht zugelassen ist (FCM-Stoffnr. 595, Anhang I Tabelle 1 Spalte 5 der VO (EU) Nr. 10/2011). Ob der nach Anhang I Tabelle 1 Spalte 6 zugelassenen Verwendung als Monomer, anderer Ausgangsstoff oder durch mikrobielle Fermentation gewonnenes Makromolekül im Zusammenhang mit den hier betroffenen Produkten Bedeutung zukommt, ist nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO). |
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| 3. Auch der Einwand der Antragstellerin, dass die Untersagungsverfügung auch Produkte betreffe, die nicht mit heißen Speisen in Berührung kämen und von den allgemeinen Produktwarnungen daher nicht berührt würden, rechtfertigt keine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung. Zwar dürfte im Hinblick auf den Hinweis des Verwaltungsgerichts, dass die mit Art. 1 Abs. 2 der VO (EU) 2020/1245 vom 02.09.2020 verschärften Anforderungen an die Stabilität zum mehrfachen Gebrauch bestimmter Gegenstände auch für Gegenstände gelten, die - wie z.B. Brotkörbe oder Tabletts - nicht für das Einfüllen heißer Flüssigkeiten bestimmt sind, zu berücksichtigen sein, dass die Einhaltung der Migrationsgrenzwerte nach Anhang V Kapitel 2 Nr. 2.1 „unter den für die tatsächliche Verwendung vorhersehbaren extremsten Zeit- und Temperaturbedingungen […]“ geprüft wird und auch die Prüfung der Gesamtmigration nach Anhang V Kapitel 3 Nr. 3.1 auf die „ungünstigsten vorhersehbaren Bedingungen für die Verwendung des zu prüfenden Materials oder Gegenstands“ abstellt. Auch wenn sich die im Hinblick auf die chemische Stabilität unter Verwendung von Bambusprodukten hergestellter Kunststoffe geäußerten Bedenken jedenfalls in erster Linie auf Produkte - wie z.B. Kaffeebecher - beziehen, die mit heißen Flüssigkeiten in Kontakt kommen, hat das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang zutreffend darauf verwiesen, dass jedenfalls die Beschränkung auf die Verwendung von in der Positivliste genannten Stoffen einheitlich für alle Lebensmittelbedarfsgegenstände gilt. Auch die in Art. 2 VO (EU) 2020/1245 u.a. im Hinblick auf die Verschärfung der Stabilitätsanforderungen an Mehrwegprodukte getroffene Übergangsregelung dürfte auf die hier betroffenen Produkte daher keine Anwendung finden, da sie den Anforderungen der VO (EU) Nr. 10/2011 in der vor dem Inkrafttreten der VO (EU) 2020/1245 geltenden Fassung nicht entsprachen. |
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| 4. a) Weiterhin trägt die Antragstellerin vor, das Verwaltungsgericht habe nicht ausreichend berücksichtigt, dass von den in Rede stehenden Produkten keine Gefahr für die menschliche Gesundheit ausgehe und die Verfügung gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoße, da das mit sofortiger Wirkung ausgesprochene Vertriebsverbot existenzbedrohend wirke. Sie werde angesichts des nur geringen Anteil des Online-Vertriebs ihrer Produkte von der fast sechsmonatigen Schließung des Einzelhandels besonders schwer getroffen und habe im Mai 2020 noch über einen Warenbestand mit einem Produktwert von über 1.100.000 EUR verfügt. Soweit das Verwaltungsgericht auf die Entscheidungen des Senats vom 08.02.2021 - 9 S 3951/20 - und vom 16.10.2019 - 9 S 535/19 - verweise, beträfen diese abweichende Sachverhalte; zudem habe der Senat im Beschluss vom 16.10.2019 auf das Vorliegen einer konkreten Gefahr abgestellt, die im vorliegenden Fall nicht bestünde. Schließlich habe der Antragsgegner einen Vertrauenstatbestand geschaffen, da ein Mitarbeiter zuletzt noch am 13.10.2021 im Rahmen eines Kontrollbesuchs im Betrieb der Antragstellerin signalisiert habe, dass keine Bedenken gegen die Verkehrsfähigkeit der in Rede stehenden Produktgruppe bestünden. Gegen eine Eilbedürftigkeit der Untersagung spreche auch das lange Zuwarten des Antragsgegners. Im Hinblick auf die Schwere der Grundrechtseingriffe müsse eine Interessenabwägung daher zu ihren Gunsten ausgehen. |
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| b) Insoweit verkennt die Antragstellerin, dass auch die Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 10/2011 (Kunststoff-VO) als Verbot mit Erlaubnisvorbehalt wirken. Die absichtliche Verwendung von nicht in der Unionsliste nach Anhang I genannten oder unter die Ausnahmebestimmungen des Art. 6 VO (EU) Nr. 10/2011 fallenden Stoffen bei der Herstellung von Kunststoffschichten in Materialien und Gegenständen aus Kunststoff, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen, ist danach auch unabhängig davon ausgeschlossen, ob konkrete Gefahren der Verwendung der jeweiligen Stoffe nachgewiesen sind. Vielmehr ist nach der Systematik der Richtlinie im Rahmen des Verfahrens nach Art. 5 Abs. 2 VO (EU) Nr. 10/2011 i.V.m. Art. 8 - 12 der VO (EG) Nr. 1935/2004 nachzuweisen, dass sie unter den normalen oder vorhersehbaren Verwendungsbedingungen keine Bestandteile auf Lebensmittel in Mengen abgeben, die geeignet sind, die menschliche Gesundheit zu gefährden bzw. unvertretbare Veränderungen der Zusammensetzung der Lebensmittel oder Beeinträchtigungen der organoleptischen Eigenschaften der Lebensmittel herbeizuführen (Art. 3 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1935/2004). Genügt das Material bzw. der Gegenstand den in der VO (EU) Nr. 10/2011 genannten Anforderungen nicht, ist die zuständige Behörde nach Art. 138 Abs. 1 lit. b) VO (EU) 2017/625 dazu verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu treffen, um den Verstoß zu beenden und erneute Verstöße dieser Art zu verhindern. Dass - wie das Verwaltungsgericht angenommen hat - das hier angeordnete Inverkehrbringungsverbot (vgl. Art. 138 Abs. 2 lit. d) VO [EU] 2017/625) zur Verfolgung dieses Zweckes geeignet und erforderlich ist, zieht die Antragstellerin im Rahmen ihrer Beschwerdebegründung nicht in Zweifel. Mit der Systematik des VO (EU) Nr. 10/2011 wäre es jedoch nicht vereinbar, die sofortige Vollziehbarkeit einer solchen Untersagungsverfügung, die voraussichtlich zu Recht auf die absichtliche Verwendung nicht zugelassener Stoffe bei der Herstellung von Lebensmittelbedarfsgegenständen aus Kunststoff gestützt ist, vom Vorliegen konkreter Gefährlichkeitsnachweise oder Sicherheitsbedenken abhängig zu machen (vgl. Senatsbeschluss vom 08.02.2021 - 9 S 3951/20 -, juris Rn. 32 zur Novel-Food-Verordnung). Dass dem somit indizierten besonderen Vollzugsinteresse im konkreten Einzelfall ein überwiegendes Suspensivinteresse der Antragstellerin gegenübersteht, hat diese auch im Beschwerdeverfahren nicht dargelegt. So lässt ihr Vortrag auch weiterhin nicht erkennen, dass ihr ein Abverkauf der betroffenen Produkte außerhalb der Europäischen Union bzw. des Geltungsbereichs der hier angegriffenen Verfügung nicht möglich wäre oder ihr aus sonstigen Gründen die Existenzvernichtung droht. Zwar hat sie auch im Beschwerdeverfahren auf erhebliche Lagerbestände verwiesen, deren Abverkauf ihr vor Erlass der Verfügung nicht möglich gewesen sei; es fehlen jedoch weiterhin jedwede Angaben etwa zum Jahresumsatz, dem vorhandenen Betriebsvermögen oder sonstigen für eine Einordnung der wirtschaftlichen Bedeutung selbst eines Totalverlustes für die Antragstellerin maßgeblichen Gesichtspunkten. Im Übrigen hat die Antragstellerin auch im Beschwerdeverfahren nicht dargetan, dass ihr eine jedenfalls partielle Veräußerung der Lagerbestände im Zeitraum zwischen der Anhörung durch den Antragsgegner im November 2020 und Erlass der streitgegenständlichen Verfügung im April 2021 auch im Wege des Onlinevertriebs nicht möglich gewesen wäre. Sie hat diesbezüglich lediglich ausgeführt, dass sie bzw. ihre Vertriebspartner die betroffene Ware nur zu einem geringen Umfang im Onlinegeschäft vertreiben. Entgegen den Ausführungen der Antragstellerin hat der Antragsgegner dadurch, dass er sie erstmals mit Schreiben vom 18.11.2020 auf allgemeine Bedenken hinsichtlich die Zulässigkeit der Verwendung von Bambus als Zusatzstoff hingewiesen hat, obwohl in den Jahren 2012 - 2020 regelmäßige Überprüfungen von Bambusprodukten (mit lediglich einzelnen Beanstandungen wegen punktueller Grenzwertüberschreitungen) durchgeführt wurden, keinen Vertrauenstatbestand zugunsten der Antragstellerin geschaffen, der eine Anordnung des Sofortvollzugs zur Durchsetzung des Vertriebsverbots ausschließt. Denn nach Art. 16 Abs. 1 VO (EU) Nr. 11/2011 ist es Aufgabe des Unternehmers, nachzuweisen, dass die Materialien und Gegenstände, Produkte aus Zwischenstufen ihrer Herstellung sowie die für die Herstellung dieser Materialien und Gegenstände bestimmten Stoffe den Anforderungen der vorliegenden Verordnung entsprechen. Zudem waren der Antragstellerin allgemeine Bedenken hinsichtlich der Hitze- und Säurebeständigkeit unter Verwendung von Bambuszusatzstoffen hergestellter Kunststoffprodukte jedenfalls seit einer Veröffentlichung des Bundesinstituts für Risikobewertung vom 25.11.2019 bekannt; als nach eigenen Angaben in erheblichem Umfang mit dem Vertrieb von Kunststoffprodukten auf Bambusbasis befasster Marktteilnehmerin konnten ihr allgemeine Zweifel an der Vereinbarkeit der Verwendung von Bambus als Zusatzstoff in Materialen, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Kontakt zu kommen, zudem schon seit der Veröffentlichung der aktualisierten Risikobewertung durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) im Oktober 2019 bekannt sein, zumal auch in der rechtswissenschaftlichen Fachliteratur - anknüpfend u.a. an veröffentlichte Beanstandungen deutscher Aufsichtsbehörden und Verbraucherschutzorganisationen - jedenfalls seit Anfang 2020 erhebliche Bedenken hinsichtlich der generellen Vereinbarkeit von Lebensmittelbedarfsprodukten aus Bambus-Melaminharz-Gemischen mit der VO (EU) Nr. 10/2011 geäußert wurden (vgl. Schucht, PHI 2020, 16 [19, 23]). Die am 20.07.2020 erfolgte letzte Bestellung der Antragstellerin von Bambus-Melaminharz-Produkten dürfte daher auf deren eigenes Risiko erfolgt sein. Die auf einer eigenständigen Abwägungsentscheidung des Verwaltungsgerichts gestützte Annahme eines besonderen, gegenüber dem Suspensivinteresse der Antragstellerin überwiegenden Vollzugsinteresses begegnet daher auch in Ansehung des Beschwerdevorbringens keinen durchgreifenden Bedenken. |
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| Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG und Nr. 1.5 Satz 1 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs 2013. Nach § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 25.1 des Streitwertkatalogs und ständiger Rechtsprechung des beschließenden Senats (vgl. Senatsurteil vom 08.12.2010 - 9 S 783/10 -, juris, sowie Senatsbeschluss vom 13.12.2007 - 9 S 1958/07 -, NVwZ-RR 2008, 430) wird der Streitwert für Verkaufsverbote und ähnliche Maßnahmen im Lebens- und Arzneimittelrecht anhand des Verkaufswerts der betroffenen Waren beziehungsweise der erwarteten wirtschaftlichen Auswirkungen bestimmt, wenn das Vorbringen der Antragstellerin genügende Anhaltspunkte enthält. Ausgehend von einem Warenbestand mit einem Verkaufswert von 1.105.278,60 EUR (vgl. Anl. BB7) schätzt der Senat das wirtschaftliche Interesse an einem Abverkauf im Bundesgebiet - unter Berücksichtigung möglicher Abverkaufsmöglichkeiten im Ausland - auf nicht weniger als 300.000 EUR. Da eine Vorwegnahme der Hauptsache im Hinblick auf dieses Abverkaufsinteresse nicht vorliegt, ist der so geschätzte Betrag für das Verfahren des Eilrechtsschutzes zu halbieren (vgl. Nr. 1.5 Satz 1 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs 2013). Die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts für das erstinstanzliche Verfahren ist danach gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG von Amts wegen entsprechend zu ändern. |
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