Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 8. Dezember 2020 - A 3 K 5292/18 - geändert. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19. April 2018 wird aufgehoben mit Ausnahme der in Ziffer 3 Satz 4 getroffenen Feststellung, dass der Kläger nicht nach Syrien abgeschoben werden darf.
Die Beklagte trägt die Kosten des - gerichtskostenfreien - Verfahrens beider Instanzen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
| Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylantrags als unzulässig. |
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| Der 1979 geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit. Er reiste nach eigenen Angaben im Februar 2018 gemeinsam mit seiner Ehefrau in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte im März 2018 einen Asylantrag. Bei seiner persönlichen Anhörung gab der Kläger an, die Mittelschule bis zur 10. Klasse besucht, den Beruf des Konditors erlernt und in einem Betrieb seines Vaters gearbeitet zu haben. Er habe Syrien Ende 2014 verlassen. 800 Euro für die Reise habe er durch Hilfsarbeiten in der Türkei gespart. Nach einem EURODAC-Treffer gab der Kläger an, er habe in Griechenland zwangsläufig Asyl beantragen müssen. Mit Schreiben vom 06.04.2018 ersuchte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die griechischen Behörden um Wiederaufnahme des Klägers. Diese teilten mit Schreiben vom 17.04.2018 mit, dem Kläger sei am 26.10.2017 in Griechenland die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden. |
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| Mit Bescheid vom 19.04.2018, zugestellt am 27.04.2018, lehnte das BAMF die Anträge des Klägers und seiner Ehefrau als unzulässig ab (Ziffer 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2). Der Kläger und seine Frau wurden aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Für den Fall der nicht rechtzeitigen Ausreise wurde die Abschiebung nach Griechenland oder in einen anderen Staat, in den sie einreisen dürfen oder der zu ihrer Rücknahme verpflichtet sei, angedroht (Ziffer 3); die Abschiebung nach Syrien wurde ausgeschlossen (Ziffer 3 Satz 4). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Tage ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4). |
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| Der Kläger und seine Ehefrau haben am 04.05.2018 beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage erhoben und diese mit der Situation anerkannter Schutzberechtigter in Griechenland begründet. Nach Übertragung des Rechtsstreits auf den Berichterstatter als Einzelrichter und Abtrennung des Verfahrens der Ehefrau des Klägers hat das Verwaltungsgericht dessen Klage mit Urteil vom 08.12.2020 - A 3 K 5292/18 - abgewiesen. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt, dass trotz extremer Schwierigkeiten für zurückkehrende anerkannte Schutzberechtigte, eine Wohnung zu finden, nicht angenommen werden könne, dass allen Rückkehrern gleichsam automatisch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verelendung aufgrund von (dauerhafter) Obdachlosigkeit drohe. Objektive Berichte über massenhaft oder auch nur vermehrt auftretende Obdachlosigkeit existierten nicht. Es erscheine daher naheliegend, dass zurückkehrenden Schutzberechtigten ungeachtet des Fehlens staatlicher Unterbringungsmöglichkeiten jedenfalls informelle Möglichkeiten der Unterkunftsfindung durch eigene Strukturen und die Inanspruchnahme landsmännischer Vernetzung zur Verfügung stünden. |
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| Gegen das ihm am 23.12.2020 zugestellte Urteil hat der Kläger am 28.12.2020 Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt und diesen am 14.01.2021 begründet. Der Senat hat mit Beschluss vom 22.07.2021 - A 4 S 40/21 - die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. |
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| Zu deren Begründung hat der Kläger mit Schriftsatz vom 02.08.2021 ausgeführt, dass Asylanträge von in Griechenland anerkannten Schutzberechtigten grundsätzlich nicht als unzulässig abgelehnt werden dürften, weil zumindest derzeit generell die ernsthafte Gefahr bestehe, dass sie im Falle ihrer Rückkehr dorthin ihre elementarsten Bedürfnisse für einen längeren Zeitraum nicht befriedigen könnten. Dem Kläger drohe für den Fall seiner Rückkehr nach Griechenland die ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung. Denn er geriete in Griechenland unabhängig von seinem Willen und seiner persönlichen Entscheidung in eine Situation extremer materieller Not, weil er dort für einen längeren Zeitraum weder eine Unterkunft noch eine Arbeit finden könnte. Er könnte nicht in Aufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber unterkommen. Andere Wohnungen oder Obdachlosenunterkünfte stünden nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung. Das führe dazu, dass bereits eine beträchtliche Zahl anerkannter Schutzberechtigter in Griechenland obdachlos seien. Sozialleistungen durch den griechischen Staat bekämen sie frühestens nach einem zweijährigen dauerhaften Aufenthalt in Griechenland, der durch inländische Steuererklärungen der beiden Vorjahre nachzuweisen sei. Angesichts der derzeitigen Arbeitsmarktsituation und Wirtschaftslage, unter anderem mit einer Arbeitslosenquote von knapp 20 %, fände der Kläger im Falle seiner Rückkehr auch keine Arbeit. Das Bruttoinlandsprodukt habe im Jahr 2020 den heftigsten Einbruch aller Staaten der Europäischen Union zu verzeichnen gehabt; der Tourismus, der mehr als ein Fünftel zum Bruttoinlandsprodukt beisteuere, sei im Jahre 2020 um fast 80 % zurückgegangen. Der Zugang des Klägers zum Arbeitsmarkt würde durch die mangelnde Beherrschung der griechischen Sprache und das Fehlen einer spezifischen beruflichen Qualifikation zusätzlich erschwert. Zur weiteren Begründung verweist der Kläger auf den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 27.09.2019 - 13a AS 19.32891 -, die Urteile des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21.01.2021 - 11 A 1564/20.A - und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 19.04.2021 - 10 LB 244/20 - sowie den Bericht von PRO ASYL vom 28.05.2021. |
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| das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 8. Dezember 2020 - A 3 K 5292/18 - zu ändern |
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| und den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19. April 2018 mit Ausnahme der in Satz 4 der Ziffer 3 getroffenen Feststellung, dass der Kläger nicht nach Syrien abgeschoben werden darf, aufzuheben, |
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| hilfsweise die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bis 7 AufenthG auch hinsichtlich Griechenland vorliegen, und den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19. April 2018 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht. |
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| die Berufung zurückzuweisen. |
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| Zur Begründung führt sie - auch unter Verweis auf verwaltungsgerichtliche Urteile sowie solchen aus anderen europäischen Staaten - aus, die Lebensbedingungen für Personen mit internationalem Schutzstatus in Griechenland mögen zwar schwierig sein, zumal sie in der Regel dort nicht über ein familiäres Netzwerk verfügten. Es herrschten dort allerdings nicht derart handgreiflich eklatante Missstände, die den Schluss zuließen, anerkannte Schutzberechtigte würden einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung ausgesetzt. Eine Versorgungsverweigerung des griechischen Staates sei nicht gegeben. Eventuell vorhandene Defizite reichten für die Annahme einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Situation nicht aus. Die Situation von in Griechenland anerkannt Schutzberechtigten habe sich insgesamt im Vergleich zu den Vorjahren deutlich verbessert. Griechenland gewähre schutzberechtigten Migranten prinzipiell Zugang zu Bildung, zur Gesundheitsversorgung, zum Arbeitsmarkt und zur Sozialversicherung und stelle sie damit der einheimischen Bevölkerung gleich. Dies werde außerdem durch eine Zusicherung Griechenlands vom 08.01.2018 sowie ergänzenden E-Mail-Schriftverkehr mit dem Griechischen Polizeipräsidium vom 13.07.2020 bestätigt, in der das griechische Migrationsministerium explizit versichere, dass die Anerkennungs-Richtlinie 2011/95/EU in griechisches Recht umgesetzt worden sei und angewendet werde. Damit sei die vom Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 08.05.2017 - 2 BvR 157/17 - geforderte Vergewisserung bezüglich des Zugangs zu Obdach, Nahrungsmitteln und sanitären Anlagen nach Rückkehr im Mitgliedstaat erfüllt. Das griechische Migrationsministerium habe mit Schreiben vom 08.01.2018 explizit versichert, dass diese Regelungen in jedem Einzelfall eingehalten würden. Dabei werde nicht verkannt, dass die defizitäre ökonomische und staatlich-administrative Situation des Landes zu starken Einschränkungen bei der tatsächlichen Inanspruchnahme dieser Rechte führen könne. |
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| Speziell zu den Unterkunftsmöglichkeiten führt die Beklagte aus: In Griechenland anerkannte Schutzberechtigte hätten Zugang zu Unterbringungsmöglichkeiten unter den gleichen Voraussetzungen wie andere legal aufhältige Drittstaatsangehörige. Bis zum Jahr 2019 hätten keine wohnungsbezogenen Sozialleistungen wie z.B. Mietzuschüsse existiert; zum 01.01.2019 seien erstmals solche Sozialleistungen eingeführt worden. Seit dem 13.03.2019 könnten auf entsprechenden Online-Plattformen Anträge gestellt werden. Voraussetzung für den Leistungsbezug sei der Nachweis eines noch mindestens sechs Monate gültigen Mietvertrages, der in der Steuerdatenbank TAXIS-Net eingetragen sei, was bei Griechen in ungesicherten Mietverhältnissen den tatsächlichen Leistungszugang erschwere. Die Leistungsvoraussetzungen richteten sich dabei nach vorhandenem Einkommen und Vermögen: Alleinstehende mit einem Jahreseinkommen bis maximal 7.000 Euro sowie Vermögenswerten bis 120.000 Euro erhielten den Basisbetrag von 70 Euro pro Monat. Weitere Voraussetzung für einen Bezugsanspruch sei ein fünfjähriger dauerhafter und legaler Aufenthalt in Griechenland; bei international Schutzberechtigten werde dabei die Aufenthaltsdauer ab dem Zeitpunkt der Asylantragstellung angerechnet. Die Mehrheit der anerkannten Schutzberechtigten lebe weiter in Lagern (Containern und Zelten) sowie Sammelunterkünften (z.B. angemieteten Hotels, ehemaligen Krankenhäusern oder Schulgebäuden). Trotz Aufhebung räumlicher Aufenthaltsbeschränkungen verblieben anerkannte Schutzberechtigte zum Teil freiwillig in den Erstaufnahmeeinrichtungen auf den Ägäischen Inseln; die Kapazitäten dürften auf die Reduzierung der Zahl der staatlich untergebrachten Asylbewerber von 92.838 (31.12.2019) über 64.756 (31.12.2020) auf 53.705 (31.05.2021) zurückzuführen sein. Berichte von Medien oder Nichtregierungsorganisationen über Zwangsräumungen von Unterkünften des von der EU finanzierten ESTIA-Programms u. a. zur Unterbringung von Asylantragstellern könnten von der Botschaft nicht bestätigt werden. In Gesprächen mit Vertretenden von IOM und Mitarbeitenden von Unterkünften sei zu erfahren gewesen, dass es nur vereinzelt, insbesondere bei Personen ohne besonderen Schutzbedarf (allein reisende Männer), auch Räumungen durch die Polizei gegeben haben soll. In Griechenland sei Wohnraum grundsätzlich auf dem freien Wohnungsmarkt zu beschaffen. Eine staatliche Unterstützung oder Beratung sei dabei zwar nicht vorgesehen; allerdings seien zahlreiche Vereine und Nichtregierungsorganisationen bei der Wohnungsfindung unterstützend tätig und hülfen dabei, Sprachbarrieren zu überwinden und sich im griechischen System zu orientieren. Bekannte Organisationen würden in der Broschüre „Survival Guide for Asylum Seekers and Refugees“ aufgeführt. Einige Nichtregierungsorganisationen böten punktuell selbst Wohnraum an. Ein Verweis der anerkannten Schutzberechtigten auf ländliche Gegenden könne ebenfalls zur Vermeidung von Obdachlosigkeit beitragen. So habe die kirchliche Organisation Perichoresis in Katerini zahlreiche Wohnungen mit Unterstützung der Diakonie Katastrophenhilfe und des UNHCR angemietet; das Projekt verfüge über 124 Wohnungen, die 600 Personen Unterkunft bieten könnten. Über die Anzahl von obdachlosen Schutzberechtigten lägen keine Erkenntnisse vor. Auch für obdachlose griechische Staatsangehörige seien diese Zahlen nicht ermittelbar. Vermutlich habe wohl die Obdachlosigkeit in Griechenland allgemein im Zuge der sozialen Krise zugenommen. Nach Auskunft der Botschaft Athen sei jedoch in der Öffentlichkeit u.a. im Straßenbild kein Unterschied zu der Situation von vor September 2020 festzustellen. Die Zahl der Obdachlosenunterkünfte in Ballungszentren wie Athen sei unzureichend. Dass trotz dieses Umstandes Obdachlosigkeit unter anerkannten Schutzberechtigten in Athen kein augenscheinliches Massenphänomen darstelle, sei auf Bildung von eigenen, informellen Strukturen und Vernetzung innerhalb der jeweiligen Communities zurückzuführen. Die Annahme, das Risiko von Obdachlosigkeit sei allein bei der Gruppe der anerkannten Schutzberechtigten zu verorten, gehe daher fehl. Am 18.11.2020 sei ein Memorandum of Understanding zwischen der Stadt Athen, IOM und dem Ministerium für Migration und Asyl zur effektiveren Bewältigung der Flüchtlings- und Migrationsfrage unterzeichnet worden, mit dem sich das Ministerium verpflichtet habe, Mittel in Höhe von 12 Millionen EUR für den Zeitraum 2020 bis 2021 zur Verfügung zu stellen. Vereinbart worden seien die Errichtung und das Betreiben einer Unterkunft in Elaionas im Süden Athens, die anerkannten Flüchtlingen eine vorübergehende Unterkunft bieten solle. Das im vierten Quartal 2019 gestartete Programm „Helios II" biete Hilfe bei der Wohnungssuche, Beihilfe zu deren Finanzierung sowie weitere Integrationsangebote. Zielgruppe seien international Schutzberechtigte mit einer Anerkennung ab dem 01.01.2018, wobei Schutzberechtigte mit einer Anerkennung ab dem 01.01.2019 und nach einer Übergangsfrist von sechs Monaten im ESTIA-Programm bevorzugt würden. Die Wohnungskomponente des Programms sehe pro Halbjahr eine Wohnungsbeihilfe für max. 5.000 Personen vor. Anders als in ESTIA erhielten sie nicht eine Bezugsberechtigung, sondern mieteten grundsätzlich selbst eine Wohnung ihrer Wahl an und schlössen als Mieter einen Mietvertrag ab. Die griechische Regierung plane, in Zusammenarbeit mit IOM und finanziell unterstützt durch die EU ein Pilotprogramm einzuführen, das den Übergang von anerkannten Schutzberechtigten ins „Helios II“-Programm gewährleisten solle. Eine Verlängerung von „Helios II“ bis November 2021 sei geplant. Gleichzeitig habe die griechische Regierung ergänzend im September 2020 gemeinsam mit IOM ein Programm ins Leben gerufen, das anerkannten Schutzberechtigten eine zweimonatige Unterbringung in Hotels ermöglichen solle als Zwischenlösung für Schutzberechtigte, die von den Inseln auf das Festland anreisten und sich noch nicht bei HELIOS hätten einschreiben können. In der Laufzeit hätten 2.504 Personen von dem Programm profitiert. Anfang März 2021 habe Griechenland bei der EU-Kommission einen Antrag auf Weiterfinanzierung gestellt. |
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| Mit Gerichtsbescheid vom 20.07.2021 - A 3 K 4645/20 - hob das Verwaltungsgericht Stuttgart auf die Klage der Ehefrau des Klägers, der sich nach eigenen Angaben endgültig von ihr getrennt habe, den an sie ergangenen und auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gestützten Unzulässigkeitsbescheid der Beklagten auf mit Ausnahme der Feststellung, dass die Klägerin nicht nach Syrien abgeschoben werden dürfe. |
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| Auf seine informatorische Befragung hin gab der Kläger in der mündlichen Verhandlung unter anderem an, dass er nach Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Griechenland das Flüchtlingslager habe verlassen müssen. Arbeit habe er keine finden können. Er sei dann rund drei Monate lang auf dem Fußweg von Griechenland über Albanien, Montenegro, Kroatien, Slowenien, Italien und die Schweiz in einer Gruppe von acht Personen nach Deutschland gelaufen, weil hier Verwandte von ihm lebten. Inzwischen spreche er die deutsche Sprache ganz gut und arbeite seit Jahren sozialversichert in Vollzeit bei einer Hotelreinigung; er beziehe keine Sozialleistungen. |
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| Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakten des Bundesamts, die Verfahrensakte des Verwaltungsgerichts sowie die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen. |
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| Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht begründete Berufung hat Erfolg. |
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| I. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist die Anfechtungsklage, gerichtet auf die mit dem Hauptantrag begehrte Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung (Ziffer 1 des Bescheids), statthaft (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.02.2019 - 1 C 30.17 -, Juris Rn. 12). |
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| II. Die Klage ist auch begründet, denn der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 19.04.2018 verletzt den Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 HS 1 AsylG) in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zwar hat die Beklagte ihren Bescheid im Ausgangspunkt zu Recht auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gestützt. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt, weil Griechenland dem Kläger am 26.10.2017 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat. Die Unzulässigkeitsentscheidung ist jedoch nicht mit Unionsrecht vereinbar. |
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| 1. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs darf ein Mitgliedstaat sich nicht auf Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Asylverfahrens-RL 2013/32/EU - dem § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG entspricht - berufen, wenn ein Antragsteller in dem Mitgliedstaat, der ihm internationalen Schutz gewährt hat, der ernsthaften Gefahr ausgesetzt wäre, aufgrund der Lebensumstände, die ihn dort erwarten würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh zu erfahren. Zwar kann der bloße Umstand, dass die Lebensverhältnisse in dem Mitgliedstaat, der internationalen Schutz gewährt hat, nicht den Bestimmungen des Kapitels VII der Anerkennungs-Richtlinie 2011/95/EU gerecht werden, angesichts der fundamentalen Bedeutung des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens nicht dazu führen, dass die Ausübung der in Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Asylverfahrens-Richtlinie vorgesehenen Befugnis eingeschränkt wird, sofern die Schwelle der Erheblichkeit des Art. 4 GRCh nicht erreicht ist. Anders verhält es sich jedoch, wenn das Gemeinsame Europäische Asylsystem in der Praxis in diesem Mitgliedstaat auf größere Funktionsstörungen trifft, die so schwerwiegend sind, dass sie diese Schwelle übersteigen und den Antragsteller tatsächlich der ernsthaften Gefahr aussetzen, dort eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren; insoweit ist es für die Anwendung von Art. 4 GRCh gleichgültig, ob die betreffende Person zum Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss einer ernsthaften Gefahr ausgesetzt wäre, eine solche Behandlung zu erfahren. Dabei fallen sowohl systemische oder allgemeine als auch bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen nur dann unter Art. 4 GRCh, der Art. 3 EMRK entspricht und nach Art. 52 Abs. 3 GRCh die gleiche Bedeutung und Tragweite hat, wie sie ihm in der EMRK verliehen wird, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen. Ob dies der Fall ist, hängt von sämtlichen Umständen des Falles ab. Die Erheblichkeitsschwelle ist nur dann erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (kurz: Fehlen von „Bett, Brot, Seife“, vgl. Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 29 AsylG Rn. 11; a.A. möglicherweise Bezirksgericht Oslo, Urteil vom 01.11.2021, Fall Nr. 21-063000TVI-TOSL/04, UA S. 11 in der von der Beklagten vorgelegten deutschen Übersetzung: „Der fehlende Zugang zu Wohnraum oder finanzieller Unterstützung stellt an sich keinen Verstoß gegen Art. 3 dar“). Diese Schwelle ist daher selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern diese nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund derer die betreffende Person sich in einer solch schwerwiegenden Situation befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (EuGH, Beschluss vom 13.11.2019 - C-540/17 und C-541/17 [Hamed u.a.] -, Juris Rn. 35 ff.; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 17.06.2020 - 1 C 35.19 -, Juris Rn. 23 ff.). |
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| 2. Derartige Umstände können hier trotz der vom EuGH vorgegebenen „harten Linie“ ausnahmsweise angenommen werden. Denn es muss davon ausgegangen werden, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Griechenland keine menschenwürdige Unterkunft finden, sondern für einen längeren Zeitraum obdachlos wäre. |
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| Der Senat schließt sich insoweit nach eigener Prüfung den Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts Bremen in dessen Urteil vom 16.11.2021 - 1 LB 371/21 - an. Dieses hat überzeugend ausgeführt (Juris Rn. 39 ff.): |
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| „Das Verwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass der Kläger als zurückkehrender international Schutzberechtigter in Griechenland grundsätzlich selbst dafür verantwortlich sein wird, sich eine Unterkunft zu beschaffen. Für anerkannt Schutzberechtigte gilt die Inländergleichbehandlung mit griechischen Staatsangehörigen. Es gibt in Griechenland kein staatliches Programm in Form einer Wohnraumzuweisung (Auswärtiges Amt, Auskünfte an das VG Bayreuth vom 21.08.2020, S. 1, sowie an das VG Leipzig vom 28.01.2020, S. 2). Es existieren auch keine speziellen Unterbringungsplätze für anerkannt Schutzberechtigte (AIDA, Country Report: Greece 2019 Update, S. 218; BFA, Länderinformationsblatt Griechenland vom 01.06.2021, S. 26). Die Unterkünfte des UNHCR-Unterbringungsprogramms ‚ESTIA‘ stehen anerkannt Schutzberechtigten nicht zur Verfügung, da sich das Programm nur an Asylbewerber richtet (Auswärtiges Amt, Auskünfte an das VG Leipzig vom 28.01.2020, S. 2, und an das VG Potsdam vom 23.08.2019, S. 2). International Schutzberechtigte müssen sich daher Wohnraum auf dem freien Wohnungsmarkt beschaffen. |
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| Unabhängig von der Frage der Finanzierbarkeit wird das private Anmieten von Wohnraum für bzw. durch anerkannte Schutzberechtigte durch das traditionell bevorzugte Vermieten an Familienmitglieder, Bekannte und Studenten sowie gelegentlich durch Vorurteile erschwert (BFA, Länderinformationsblatt Griechenland vom 01.06.2021, S. 26 m.w.N.). Personen mit internationalem Schutzstatus berichteten weiterhin über Probleme bei der Kommunikation mit Vermietern, Diskriminierung am Wohnungsmarkt und fremdenfeindliche Haltungen seitens der lokalen Behörden. Darüber hinaus können die meisten Schutzberechtigten aufgrund des Mangels an erschwinglichen Immobilien und der hohen Nachfrage, insbesondere in Attika, keine Mietwohnungen finden (ACCORD, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für (nach Griechenland zurückkehrende) Personen mit internationalem Schutzstatus [a-11601] vom 26.08.2021, S. 16). Personen, die keine Unterkunft haben und nicht das Geld besitzen, eine zu mieten, leben oft in überfüllten Wohnungen, verlassenen Häusern ohne Zugang zu Strom oder Wasser oder werden obdachlos (BFA, Länderinformationsblatt Griechenland vom 01.06.2021, S. 26 m.w.N.). |
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| Seit Mai 2020 müssen international Schutzberechtigte die griechischen Erstaufnahmezentren bzw. die für Asylwerber vorgesehenen Unterkünfte innerhalb von 30 Tagen nach Zuerkennung ihres Schutzstatus verlassen. Dies führte unter anderem dazu, dass sich NGO-Partner aus dem ESTIA II-Programm zurückzogen. Das durch die EU finanzierte und überwiegend von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) durchgeführte ‚HELIOS-2-Programm‘ (Hellenic Integration Support for Beneficiaries of International Protection) stellt das einzige verfügbare Unterkunftsprogramm für Schutzberechtigte dar (ACCORD, Griechenland […] vom 26.08.2021, S. 14 m.w.N.). Es richtet sich an anerkannt Schutzberechtigte mit einer Anerkennung ab dem 01.01.2018, wobei Schutzberechtigte mit einer Anerkennung ab dem 01.01.2019 bevorzugt werden. Das Programm umfasst verschiedene Unterstützungsmaßnahmen bei der Wohnungssuche und beim Abschluss eines Mietvertrags. Es soll die Schutzberechtigten dabei unterstützen, selbstständige Mitglieder der griechischen Gesellschaft zu werden sowie einen Übergang vom derzeitigen System der vorübergehenden Unterbringung darstellen. Anerkannt Schutzberechtigte sollen Mietzuschüsse zur Anmietung von Wohnraum für mindestens sechs und höchstens zwölf Monate erhalten. Das Programm sieht pro Halbjahr für maximal 5.000 Personen eine Wohnungsbeihilfe vor. Damit erreicht die Unterstützung für die Unterbringung nur einen Teil der Schutzberechtigten in Griechenland. In dem Zeitraum vom 01.01.2018 bis Ende 2020 haben in Griechenland insgesamt 71.812 Personen internationalen Schutz erhalten. Hiervon haben rund 16 % Mietzuschüsse aus dem HELIOS-Programm erhalten (Pro Asyl / RSA, Stellungnahme - Zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 9). Hinsichtlich der Antragsfrist für die Teilnahme an dem Programm gibt es unterschiedliche Angaben. Während ACCORD berichtet, dass ein Antrag innerhalb von zwölf Monaten ab der Zuerkennung des Schutzstatus‘ gestellt werden könne (ACCORD, Griechenland […] vom 26.08.2021, S. 15), gibt das Auswärtige Amt an, der Antrag sei innerhalb von 30 Tagen ab der Zuerkennung des Schutzstatus zu stellen (Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Magdeburg vom 26.11.2020, S. 3). |
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| Abgesehen davon, dass diese Antragsfristen im Fall des Klägers beide bereits verstrichen sind, steht das ‚HELIOS-2-Programm‘ nach Angaben des Auswärtigen Amtes anerkannt Schutzberechtigten, die nach Griechenland zurückkehren, nicht zur Verfügung (Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Leipzig vom 28.01.2020, S. 2; RSA & Pro Asyl, Stellungnahme im Verfahren ‚Kurdestan Darwesh and others v. Greece and the Netherlands‘ vom 04.06.2020, S. 6 Rn. 31). Eine Unterstützung durch das HELIOS-2-Programm scheidet für den Kläger daher aus. |
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| Zum 01.01.2019 wurde in Griechenland das soziale Wohngeld eingeführt. Die Höhe beträgt maximal 70 Euro für eine Einzelperson und 210 Euro für einen Mehrpersonenhaushalt. Voraussetzung für den Leistungsbezug ist der Nachweis eines noch mindestens sechs Monate gültigen Mietvertrages, der in der Steuerdatenbank TAXIS-Net eingetragen ist. Weiterhin setzt das soziale Wohngeld einen legalen Voraufenthalt in Griechenland von mindestens fünf Jahren voraus, wobei im Falle international Schutzberechtigter die Aufenthaltsdauer ab Asylantragstellung angerechnet wird (Auswärtiges Amt, Auskünfte an das VG Leipzig vom 28.01.2020, S. 2, und an das VG Potsdam vom 23.08.2019, S. 1, 2; Pro Asyl / RSA, Stellungnahme, April 2021, S. 19). Auch ein Leistungsbezug des sozialen Wohngeldes käme hiernach für den Kläger bei einer Rückkehr nach Griechenland nicht in Betracht. |
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| Bei fehlenden Eigenmitteln besteht die Möglichkeit einer Unterbringung in kommunalen Obdachlosenunterkünften, die jedoch nur begrenzt vorhanden sind. In Athen gibt es vier Einrichtungen für Obdachlose, die aber chronisch überfüllt sind und Wartelisten führen (BFA, Länderinformationsblatt Griechenland vom 01.06.2021, S. 26 m. w. N.). Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl berichtet über Wohnraum, der punktuell von Nichtregierungsorganisationen, z. B. Caritas Hellas, Orange House und PRAKSIS, angeboten werde, wobei es zugleich darauf verweist, dass die Zahl der Unterkünfte in Athen insgesamt nicht ausreichend sei. ACCORD berichtet demgegenüber unter Bezugnahme auf RSA, dass keine weiteren Programme von Nichtregierungsorganisationen bekannt seien, die international Schutzberechtigten beim Zugang zu Wohnraum unterstützten. Die Organisationen Greek Council for Refugees, Solidarity Now, Arsis und PRAKSIS hätten angegeben, derzeit abgesehen von HELIOS keine Wohnungen oder Wohnunterstützung für Schutzberechtigte anzubieten. Es seien keine Informationen zu weiteren Organisationen bekannt, die Wohnraum für Schutzberechtigte anböten (ACCORD, Griechenland […] vom 26.08.2021, S. 18 m.w.N.). |
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| Größte Schwierigkeiten für anerkannt Schutzberechtigte, Zugang zu einer menschenwürdigen Unterkunft zu finden, nimmt auch bereits das erstinstanzliche Urteil an (S. 15 und 16 des Urteilsabdrucks). Das Verwaltungsgericht geht jedoch davon aus, dass die durch das HELIOS 2-Programm gewährte Unterstützung von anerkannt Schutzberechtigten die sich verschärfende prekäre Wohnsituation jedenfalls teilweise abfedern werde. Zudem fehlten Berichten, wonach Obdachlosigkeit bei anerkannt Schutzberechtigten massenhaft oder auch nur vermehrt auftrete, so dass anzunehmen sei, dass die Möglichkeiten zur Unterbringung in Obdachlosenunterkünften, Unterkünften der Nichtregierungsorganisationen oder durch private Vernetzungen tatsächlich angenommen und genutzt würden (S. 16 des Urteilsabdrucks). |
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| Insoweit ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich die Unterbringungssituation von international Schutzberechtigten in Griechenland in den vergangenen Monaten noch weiter verschärft hat, so dass die Bewertung des Verwaltungsgerichts bei Zugrundelegung aktueller Erkenntnismittel und öffentlich zugänglicher Informationen keinen Bestand haben kann. Vielmehr geht der Senat davon aus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zahlreiche international Schutzberechtigte in Griechenland obdachlos sind und dies auch dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (so auch OVG NRW, Urt. v. 21.01.2021 - 11 A 2982/20.A, juris Rn. 43 ff.; Nds. OVG, Urt. v. 19.04.2021 - 10 LB 244/20, juris Rn. 47 ff., jeweils m.w.N.). |
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| Die Deutsche Botschaft in Athen gibt in einer von der Beklagten vorgelegten Stellungnahme vom Juni 2021 an, Obdachlosigkeit unter Flüchtlingen und Migranten und Migrantinnen stelle weiterhin kein augenscheinliches Massenphänomen dar. Gleichwohl erscheine es sehr schwierig, die Situation der Obdachlosigkeit in einer griechischen Großstadt oder gar im ganzen Land belastbar einzuschätzen, zumal es vermutlich auch nicht sichtbare Obdachlosigkeit gebe (Botschaft Athen, Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, Juni 2021, S. 2 f.). Pro Asyl führt demgegenüber aus, dass international Schutzberechtigte in Griechenland meist in der Obdachlosigkeit landeten. In den letzten Monaten habe sich die Situation weiter verschärft. Im Vergleich zu den Vorjahren sei die Anzahl international Schutzberechtigter aufgrund von beschleunigten Asylverfahren im Jahr 2020 sprunghaft angestiegen; insgesamt sei 35.372 Menschen - und damit im Vergleich zu 2019 doppelt so vielen Menschen - internationaler Schutz zuerkannt worden (Pro Asyl / RSA, Stellungnahme, April 2021, S. 6). Die Deutsche Botschaft Athen gibt diese Zahl mit insgesamt 34.325 an (Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, Juni 2021, S. 1). Infolge einer Änderung des Asylgesetzes seien seit dem 01.06.2020 alle verpflichtet, die Flüchtlingslager beziehungsweise Unterkünfte, in denen sie während des Asylverfahrens untergebracht waren, innerhalb von 30 Tagen ab der Schutzzuerkennung zu verlassen. 11.237 Menschen seien aufgefordert worden, ihre Unterkünfte am 01.06.2020 zu verlassen. Viele seien der Aufforderung nachgekommen. Hinzu kämen Tausende international Schutzberechtigte, die bereits obdachlos seien, inoffiziell in Camps oder unter anderen unzumutbaren Wohnungsbedingungen lebten, weil sie nie in Aufnahmeeinrichtungen gelebt hätten oder diese bereits hätten verlassen müssen (ProAsyl, Stellungnahme im Verfahren ‚Kurdestan Darwesh and others v. Greece and the Netherlands‘ vom 04.06.2020, Rn. 31). |
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| Im Zeitraum September bis November 2020 sollen 6.626 Personen von den griechischen Inseln auf das Festland verbracht worden sein (BT-Drs. 19/25036 vom 08.12.2020, S. 4). Viele hausten obdachlos auf den Straßen der Großstädte und seien auf Almosen angewiesen (Der Standard vom 30.09.2020: Das Elend der anerkannten Flüchtlinge auf dem griechischen Festland, https://www.derstandard.de/story/2000120349076/das-elend-der-anerkannten-fluechtlinge-auf-dem-griechischen-festland; OVG NRW, Urt. v. 21.01.2021 - 11 A 2982/20.A, juris Rn. 47 m.w.N.). Ein Ort, an dem das Elend der aus den Lagern ausgewiesenen anerkannten Geflüchteten besonders sichtbar werde, sei der Viktoriaplatz in Athen. Viele obdachlos gewordene Geflüchtete lebten dort über längere Zeiträume ohne medizinische Versorgung, Hygieneinfrastruktur, staatliche Unterstützung (BT-Drs. 19/24115 vom 06.11.2020, S. 1; Pro Asyl / RSA, Stellungnahme, April 2021, S. 6). |
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| Ausgehend von diesen Erkenntnissen und Informationen wird der Kläger im Fall seiner Rückkehr nach Griechenland zur Überzeugung des Senats mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage sein, Zugang zu einer legalen, menschenwürdigen Unterkunft zu erhalten. Wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, erfüllt der Kläger weder die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung des sozialen Wohngeldes noch kann er von den Leistungen des ESTIA- oder HELIOS 2-Programms profitieren, sondern wird im Falle einer Rückkehr nach Griechenland bei der Unterkunftssuche voraussichtlich auf sich allein gestellt sein. |
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| Der Kläger kann auch nicht auf seine Eigeninitiative, Netzwerke seiner Landsleute oder die Unterstützung von Kirchen oder lokalen oder internationalen Nichtregierungsorganisationen verwiesen werden. Zwar sind die Möglichkeiten eigener Handlungen sowie Unterstützungsleistungen privater Dritter und vor Ort tätiger nichtstaatlicher Hilfs- oder Unterstützungsorganisationen bei der Bewertung, ob bei der Rückführung oder Abschiebung die Gefahr einer Verletzung des Art. 4 GRC droht, zu berücksichtigen (BVerwG, Urt. v. 07.09.2021 - 1 C 3.21, juris Rn. 26). Dies hilft aber im konkreten Fall nicht weiter, da solche Hilfs- oder Unterstützungsleistungen für international Schutzberechtigte auch real bestehen und - ohne unzumutbare Zugangsbedingungen - hinreichend verlässlich und in dem gebotenen Umfang dauerhaft in Anspruch genommen werden können müssen. Hieran fehlt es im konkreten Fall. Nach den vorstehenden Ausführungen ist davon auszugehen, dass Unterbringungsmöglichkeiten durch kirchliche Projekte oder Nichtregierungsorganisationen in Griechenland - soweit überhaupt noch vorhanden - äußerst limitiert und dauerhaft überlastetet sind. Nach seinen glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung verfügt der Kläger zudem weder über verwandtschaftliche noch über hinreichende freundschaftliche Beziehungen zu in Griechenland lebenden Personen, die ihn beim Finden einer Unterkunft und deren Finanzierung und Anmietung unterstützen könnten. Eine finanzielle Unterstützung durch seinen Bruder, wie von der Beklagten geltend gemacht, ist nach dem Ergebnis der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung ebenfalls nicht zu erwarten. |
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| Der Kläger kann auch nicht auf ‚informelle Möglichkeiten‘ der Unterkunft in verlassenen bzw. besetzten Gebäuden verwiesen werden, denn der Aufenthalt in solchen Gebäuden wäre zum einen illegal und zum anderen wegen der dort zumeist herrschenden menschenunwürdigen Zustände unzumutbar“. |
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| 3. Dies entspricht der Einschätzung auch anderer Oberverwaltungsgerichte (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 19.04.2021 - 10 LB 244/20, Juris Rn. 29 ff., und OVG NRW, Urteil vom 21.01.2021 - 11 A 1564/20.A -, Juris Rn. 32 ff.) und wird zudem durch weitere dem Senat vorliegende und in das Verfahren eingeführte Erkenntnismittel gestützt. |
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| Dabei kommt es nicht darauf an, ob es zu Zwangsräumungen von Unterkünften des von der EU finanzierten ESTIA-Programms gekommen ist. Während Pro Asyl/RSA (Stellungnahme - Zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 7) anführt, dass in den vergangenen Monaten Tausende Menschen ihre Unterkünfte hätten räumen müssen, weist die Deutsche Botschaft in ihrer Stellungnahme vom Juni 2021 darauf hin, in Gesprächen sei zu erfahren gewesen, dass es nur vereinzelt, insbesondere bei Personen ohne besonderen Schutzbedarf (allein reisende Männer), auch Räumungen durch die Polizei gegeben haben solle. Zudem gibt es keine staatlichen Sozialwohnungen (Dt. Botschaft, Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, Stand: Juni 2021, S. 4). Ein gesetzlicher Anspruch in der griechischen Rechtsordnung auf Vermeidung von Obdachlosigkeit ist zumindest dem Auswärtigen Amt ebenso wenig bekannt wie Fälle, in denen solch ein Anspruch im Rahmen einer Leistungsklage geltend gemacht worden wäre (AA, Auskunft an VG Schleswig vom 15.10.2020, S. 2). In einem Beitrag vom 28.05.2021 auf der Webseite von Pro Asyl heißt es, in den Fällen von anerkannten Flüchtlingen, die aus Deutschland abgeschoben worden seien und von der Partnerorganisation RSA in Griechenland unterstützt würden, seien die Menschen auch mehrere Monate nach der Abschiebung immer noch obdachlos (Pro Asyl, Bett, Brot, Seife - Ein ferner Traum für Flüchtlinge in Griechenland, 28.05.2021). In einem Videobeitrag von rbb24 vom 23.07.2021 über die Lage von Geflüchteten in Athen heißt es: „Die griechische Regierung bringt immer mehr Geflüchtete auf das Festland, um die Inseln zu entlasten. Viele stranden im Großraum Athen. Dort campieren seit vielen Wochen Zehntausende obdachlose Flüchtlinge auf Straßen, Plätzen, in leerstehenden Häusern und Lagern. Fernab jedweder Grundversorgung, ohne medizinische Hilfe, ohne Essen und Hygiene scheinen ihre Schicksale vergessen und aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden“ (RBB 24, „Die Menschen haben keine Chance, auf eigenen Beinen zu stehen“, 23.07.2021, verfügbar unter: https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2021/07/gefluechtete-helfer-griechenland-athen-camp-eleonas.html). Laut einem Beitrag von BR 24 ist die Obdachlosigkeit anerkannter Schutzberechtigter nicht nur in Athen ein Problem, sondern auch auf den griechischen Inseln (BR 24, Anerkannte Geflüchtete: Warum sie nach Deutschland weiterziehen, verfügbar unter: https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/anerkannte-gefluechtete-warum-sie-nach-deutschland-weiterziehen,ShfvZXn). |
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| „Die Presse“ schreibt wie folgt: „Griechenland sehe sich als Transitland ‚und hat ein Interesse, dass sie (die Flüchtlinge) das Land so schnell wie möglich verlassen‘, kritisierte Caritas-Auslandshilfechef Andreas Knapp während eines Besuchs in Griechenland. Wegen mangelnder Unterstützung gebe es Fälle anerkannter Asylbewerber, die obdachlos in Städten leben müssten“ (Die Presse, Griechenland bei Integration stärker in Pflicht nehmen, 09.07.2021, verfügbar unter: https://www.diepresse.com/6005672/griechenland-bei-integration-starker-in-pflicht-nehmen). Ein Artikel des Redaktionsnetzwerks Deutschland berichtet ebenfalls von anerkannt Schutzberechtigten, die in Griechenland in der Obdachlosigkeit leben: „Hintergrund der Weiterwanderung sind die katastrophalen Lebensbedingungen vieler Migranten in Griechenland. Sie sind weitgehend sich selbst überlassen, sobald sie als Flüchtlinge anerkannt sind. […] Tausende Menschen stehen deshalb vor der Obdachlosigkeit, warnt die Nichtregierungsorganisation International Rescue Committee (IRC)“ (Redaktionsnetzwerk Deutschland, Ziel Deutschland: Flüchtlinge fliehen vor Obdachlosigkeit und Armut in Griechenland, 07.03.2021, verfügbar unter: https://www.rnd.de/politik/ziel-deutschland-fluchtlinge-fliehen-vor-obdachlosigkeit-und-armut-in-griechenland-4JCWQBL6ZBCVTIEJQDNB3VHRD4.html). Die NGO Mobile Info Team schreibt in ihrem Bericht von Februar 2021, dass der Zugang zu Obdachlosenunterkünften für Asylsuchende und anerkannt Schutzberechtigte schwierig sei, weil sie dafür eine Reihe an medizinischen Untersuchungen und teilweise Griechisch- bzw. Englischkenntnisse benötigen. In der Praxis seien dies große Herausforderungen (Mobile Info Team, The Living Conditions Of Applicants And Beneficiaries Of International Protection - Evidence Of Greece’s Failure To Provide Sustainable Accomodation Solutions, S. 23). |
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| Der Kläger kann auch bereits deshalb keine Unterstützung durch das HELIOS II-Programm erhalten, weil die Anmeldefrist (s. dazu oben) abgelaufen ist. Obendrein schreibt das Auswärtige Amt zur Frage, ob anerkannt Schutzberechtigte, die aus anderen EU-Ländern zurückkehren, Zugang zum HELIOS II-Programm hätten, dass IOM Griechenland mit dem zuständigen Migrationsministerium in Kontakt stehe, es laut IOM bislang aber keinen solchen Fall gegeben habe und das Programm nicht als Anspruchsleistung ausgestaltet sei (AA, Auskunft an VG Schleswig-Holstein vom 15.10.2020, S. 3). Damit kommt es auf die weiteren Zugangshindernisse nicht an (vgl. dazu den Bericht der NGO Mobile Info Team vom Februar 2021: The Living Conditions Of Applicants And Beneficiaries Of International Protection – Evidence Of Greece’s Failure To Provide Sustainable Accomodation Solutions, S. 18). Zur Unterstützung bei der Unterbringung durch Nichtregierungsorganisationen schreiben Pro Asyl und RSA im April 2021, ihnen seien keine anderen Programme bekannt, die von NGOs durchgeführt werden, um international Schutzberechtigte beim Zugang zu Wohnraum zu unterstützen; die Organisationen Greek Council for Refugees (GCR), SolidarityNow, Arsis und PRAKSIS hätten auf Anfrage mitgeteilt, dass sie derzeit keinen Wohnraum oder Wohnunterstützung außerhalb des HELIOS-Programms anböten; eine Liste mit Organisationen, die Wohnraum für international Schutzberechtigte anbieten, existiere nicht (Pro Asyl/RSA: Stellungnahme - Zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 10). Einige Organisationen mit Kontaktdaten, die Notunterkünfte und Unterstützung anbieten, sind zwar auf der Webseite http://refugees.studyingreece.edu.gr/shelter/ gelistet. Auch führt die Broschüre „Survival Guide for Asylum Seekers and Refugees“ aus dem Jahr 2018 (verfügbar unter: https://data2.unhcr.org/en/documents/details/64729) in der Rubrik „Accomodation“ Organisationen auf, die beim Thema Wohnraum unterstützen. Angesichts des nahezu vollständigen Heraushaltens des griechischen Staats bei der Bereitstellung von Unterkünften kann aus der bloßen Benennung einzelner Organisationen jedoch noch nicht auf ein ausreichendes Angebot geschlossen werden. Insbesondere ist nicht bekannt, welche tatsächlichen Kapazitäten die aufgelisteten Organisationen haben und welche Voraussetzungen es für die Inanspruchnahme von Unterstützung gibt. Auch auf dem privaten Wohnungsmarkt sei es laut einem Bericht der NGO Mobile Info Team von Februar 2021 für anerkannt Schutzberechtigte extrem schwierig, eine bezahlbare Wohnung zu finden; zudem erführen sie systematische Diskriminierung von Vermietern (Mobile Info Team: The Living Conditions Of Applicants And Beneficiaries Of International Protection – Evidence Of Greece’s Failure To Provide Sustainable Accomodation Solutions, S. 18) |
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| 4. Vor diesem Hintergrund besteht derzeit selbst für gesunde und arbeitsfähige alleinstehende Männer das „real risk“ des „Fehlens eines Bettes“. Angesichts der skizzierten Auskunftslage zur tatsächlichen Situation in Griechenland kann jedenfalls nicht allein aufgrund der Möglichkeit informeller Strukturen oder weil Obdachlosigkeit kein „augenscheinliches Massenphänomen“ sei, angenommen werden, dass der Kläger eine Unterkunft finden könne. Denn für den Umstand, dass Obdachlosigkeit kein Massenphänomen zu sein scheint, kommen verschiedene Erklärungen in Betracht, etwa die illegale Unterkunft in leerstehenden Gebäuden oder der Wegzug aus Griechenland, das, wie oben wiedergegeben, oft „nur“ als „Transitland“ gesehen wird. Damit ist gerade nicht gesagt, dass im Falle einer Rücküberstellung nach Griechenland eine legale Unterkunft bezogen werden kann. |
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| Im Einzelfall kann anderes gelten, etwa, soweit ein Antragsteller vor Ort auf unterstützende Strukturen zurückgreifen kann, die dafürsprechen mögen, im konkreten Fall die Gefahr von Obdachlosigkeit zu verneinen (vgl. etwa das von der Beklagten angeführte Urteil des Verwaltungsgerichts des Großherzogtums Luxemburg vom 29.03.2021 - Rollennr. 45562 - mit Verweis darauf, dass die dortigen Kläger knapp drei Jahre in Griechenland hätten leben können). Allein die vage Annahme, jemandem könnte vor Ort möglicherweise Unterstützung durch andere Flüchtlinge zuteilwerden, genügt jedoch nicht, um davon ausgehen zu können, die nach der geschilderten Auskunftslage anzunehmende reale Gefahr längerer Obdachlosigkeit im Falle einer Rückkehr werde sich nicht realisieren. Im zu entscheidenden Fall sind keine besonderen Umstände erkennbar, die es rechtfertigten, die Gefahr drohender Obdachlosigkeit im Falle einer Rückkehr nach Griechenland zu verneinen. Der Kläger hat sich (noch zusammen mit seiner damaligen Frau) nur relativ kurze Zeit in Griechenland aufgehalten, das Land sehr bald nach seiner Anerkennung verlassen und, soweit bekannt, keine Verwandten oder Bekannte dort. |
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| III. Angesichts der ihn in Griechenland derzeit auf unabsehbare Zeit zu erwartenden Obdachlosigkeit kommt es nicht darauf an, ob der Kläger dort eventuell in der Lage wäre, wenigstens sein sonstiges Existenzminimum („Brot, Seife“) aus eigener Erwerbstätigkeit zu erwirtschaften, wie er es hier in Deutschland bereits vermag. |
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| IV. Infolge der Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung kann die im Bescheid enthaltene Feststellung über das Fehlen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG keinen Bestand haben. Die Abschiebungsandrohung ist hinsichtlich Griechenlands rechtswidrig, weil der Asylantrag des Klägers nicht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt werden durfte. Infolgedessen entfällt auch die Grundlage für die Anordnung des auf § 11 Abs. 1 AufenthG gestützten Einreise- und Aufenthaltsverbots. |
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| Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO). |
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| Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht begründete Berufung hat Erfolg. |
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| I. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist die Anfechtungsklage, gerichtet auf die mit dem Hauptantrag begehrte Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung (Ziffer 1 des Bescheids), statthaft (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.02.2019 - 1 C 30.17 -, Juris Rn. 12). |
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| II. Die Klage ist auch begründet, denn der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 19.04.2018 verletzt den Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 HS 1 AsylG) in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zwar hat die Beklagte ihren Bescheid im Ausgangspunkt zu Recht auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gestützt. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt, weil Griechenland dem Kläger am 26.10.2017 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat. Die Unzulässigkeitsentscheidung ist jedoch nicht mit Unionsrecht vereinbar. |
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| 1. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs darf ein Mitgliedstaat sich nicht auf Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Asylverfahrens-RL 2013/32/EU - dem § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG entspricht - berufen, wenn ein Antragsteller in dem Mitgliedstaat, der ihm internationalen Schutz gewährt hat, der ernsthaften Gefahr ausgesetzt wäre, aufgrund der Lebensumstände, die ihn dort erwarten würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh zu erfahren. Zwar kann der bloße Umstand, dass die Lebensverhältnisse in dem Mitgliedstaat, der internationalen Schutz gewährt hat, nicht den Bestimmungen des Kapitels VII der Anerkennungs-Richtlinie 2011/95/EU gerecht werden, angesichts der fundamentalen Bedeutung des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens nicht dazu führen, dass die Ausübung der in Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Asylverfahrens-Richtlinie vorgesehenen Befugnis eingeschränkt wird, sofern die Schwelle der Erheblichkeit des Art. 4 GRCh nicht erreicht ist. Anders verhält es sich jedoch, wenn das Gemeinsame Europäische Asylsystem in der Praxis in diesem Mitgliedstaat auf größere Funktionsstörungen trifft, die so schwerwiegend sind, dass sie diese Schwelle übersteigen und den Antragsteller tatsächlich der ernsthaften Gefahr aussetzen, dort eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren; insoweit ist es für die Anwendung von Art. 4 GRCh gleichgültig, ob die betreffende Person zum Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss einer ernsthaften Gefahr ausgesetzt wäre, eine solche Behandlung zu erfahren. Dabei fallen sowohl systemische oder allgemeine als auch bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen nur dann unter Art. 4 GRCh, der Art. 3 EMRK entspricht und nach Art. 52 Abs. 3 GRCh die gleiche Bedeutung und Tragweite hat, wie sie ihm in der EMRK verliehen wird, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen. Ob dies der Fall ist, hängt von sämtlichen Umständen des Falles ab. Die Erheblichkeitsschwelle ist nur dann erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (kurz: Fehlen von „Bett, Brot, Seife“, vgl. Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 29 AsylG Rn. 11; a.A. möglicherweise Bezirksgericht Oslo, Urteil vom 01.11.2021, Fall Nr. 21-063000TVI-TOSL/04, UA S. 11 in der von der Beklagten vorgelegten deutschen Übersetzung: „Der fehlende Zugang zu Wohnraum oder finanzieller Unterstützung stellt an sich keinen Verstoß gegen Art. 3 dar“). Diese Schwelle ist daher selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern diese nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund derer die betreffende Person sich in einer solch schwerwiegenden Situation befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (EuGH, Beschluss vom 13.11.2019 - C-540/17 und C-541/17 [Hamed u.a.] -, Juris Rn. 35 ff.; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 17.06.2020 - 1 C 35.19 -, Juris Rn. 23 ff.). |
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| 2. Derartige Umstände können hier trotz der vom EuGH vorgegebenen „harten Linie“ ausnahmsweise angenommen werden. Denn es muss davon ausgegangen werden, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Griechenland keine menschenwürdige Unterkunft finden, sondern für einen längeren Zeitraum obdachlos wäre. |
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| Der Senat schließt sich insoweit nach eigener Prüfung den Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts Bremen in dessen Urteil vom 16.11.2021 - 1 LB 371/21 - an. Dieses hat überzeugend ausgeführt (Juris Rn. 39 ff.): |
|
| „Das Verwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass der Kläger als zurückkehrender international Schutzberechtigter in Griechenland grundsätzlich selbst dafür verantwortlich sein wird, sich eine Unterkunft zu beschaffen. Für anerkannt Schutzberechtigte gilt die Inländergleichbehandlung mit griechischen Staatsangehörigen. Es gibt in Griechenland kein staatliches Programm in Form einer Wohnraumzuweisung (Auswärtiges Amt, Auskünfte an das VG Bayreuth vom 21.08.2020, S. 1, sowie an das VG Leipzig vom 28.01.2020, S. 2). Es existieren auch keine speziellen Unterbringungsplätze für anerkannt Schutzberechtigte (AIDA, Country Report: Greece 2019 Update, S. 218; BFA, Länderinformationsblatt Griechenland vom 01.06.2021, S. 26). Die Unterkünfte des UNHCR-Unterbringungsprogramms ‚ESTIA‘ stehen anerkannt Schutzberechtigten nicht zur Verfügung, da sich das Programm nur an Asylbewerber richtet (Auswärtiges Amt, Auskünfte an das VG Leipzig vom 28.01.2020, S. 2, und an das VG Potsdam vom 23.08.2019, S. 2). International Schutzberechtigte müssen sich daher Wohnraum auf dem freien Wohnungsmarkt beschaffen. |
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| Unabhängig von der Frage der Finanzierbarkeit wird das private Anmieten von Wohnraum für bzw. durch anerkannte Schutzberechtigte durch das traditionell bevorzugte Vermieten an Familienmitglieder, Bekannte und Studenten sowie gelegentlich durch Vorurteile erschwert (BFA, Länderinformationsblatt Griechenland vom 01.06.2021, S. 26 m.w.N.). Personen mit internationalem Schutzstatus berichteten weiterhin über Probleme bei der Kommunikation mit Vermietern, Diskriminierung am Wohnungsmarkt und fremdenfeindliche Haltungen seitens der lokalen Behörden. Darüber hinaus können die meisten Schutzberechtigten aufgrund des Mangels an erschwinglichen Immobilien und der hohen Nachfrage, insbesondere in Attika, keine Mietwohnungen finden (ACCORD, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für (nach Griechenland zurückkehrende) Personen mit internationalem Schutzstatus [a-11601] vom 26.08.2021, S. 16). Personen, die keine Unterkunft haben und nicht das Geld besitzen, eine zu mieten, leben oft in überfüllten Wohnungen, verlassenen Häusern ohne Zugang zu Strom oder Wasser oder werden obdachlos (BFA, Länderinformationsblatt Griechenland vom 01.06.2021, S. 26 m.w.N.). |
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| Seit Mai 2020 müssen international Schutzberechtigte die griechischen Erstaufnahmezentren bzw. die für Asylwerber vorgesehenen Unterkünfte innerhalb von 30 Tagen nach Zuerkennung ihres Schutzstatus verlassen. Dies führte unter anderem dazu, dass sich NGO-Partner aus dem ESTIA II-Programm zurückzogen. Das durch die EU finanzierte und überwiegend von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) durchgeführte ‚HELIOS-2-Programm‘ (Hellenic Integration Support for Beneficiaries of International Protection) stellt das einzige verfügbare Unterkunftsprogramm für Schutzberechtigte dar (ACCORD, Griechenland […] vom 26.08.2021, S. 14 m.w.N.). Es richtet sich an anerkannt Schutzberechtigte mit einer Anerkennung ab dem 01.01.2018, wobei Schutzberechtigte mit einer Anerkennung ab dem 01.01.2019 bevorzugt werden. Das Programm umfasst verschiedene Unterstützungsmaßnahmen bei der Wohnungssuche und beim Abschluss eines Mietvertrags. Es soll die Schutzberechtigten dabei unterstützen, selbstständige Mitglieder der griechischen Gesellschaft zu werden sowie einen Übergang vom derzeitigen System der vorübergehenden Unterbringung darstellen. Anerkannt Schutzberechtigte sollen Mietzuschüsse zur Anmietung von Wohnraum für mindestens sechs und höchstens zwölf Monate erhalten. Das Programm sieht pro Halbjahr für maximal 5.000 Personen eine Wohnungsbeihilfe vor. Damit erreicht die Unterstützung für die Unterbringung nur einen Teil der Schutzberechtigten in Griechenland. In dem Zeitraum vom 01.01.2018 bis Ende 2020 haben in Griechenland insgesamt 71.812 Personen internationalen Schutz erhalten. Hiervon haben rund 16 % Mietzuschüsse aus dem HELIOS-Programm erhalten (Pro Asyl / RSA, Stellungnahme - Zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 9). Hinsichtlich der Antragsfrist für die Teilnahme an dem Programm gibt es unterschiedliche Angaben. Während ACCORD berichtet, dass ein Antrag innerhalb von zwölf Monaten ab der Zuerkennung des Schutzstatus‘ gestellt werden könne (ACCORD, Griechenland […] vom 26.08.2021, S. 15), gibt das Auswärtige Amt an, der Antrag sei innerhalb von 30 Tagen ab der Zuerkennung des Schutzstatus zu stellen (Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Magdeburg vom 26.11.2020, S. 3). |
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| Abgesehen davon, dass diese Antragsfristen im Fall des Klägers beide bereits verstrichen sind, steht das ‚HELIOS-2-Programm‘ nach Angaben des Auswärtigen Amtes anerkannt Schutzberechtigten, die nach Griechenland zurückkehren, nicht zur Verfügung (Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Leipzig vom 28.01.2020, S. 2; RSA & Pro Asyl, Stellungnahme im Verfahren ‚Kurdestan Darwesh and others v. Greece and the Netherlands‘ vom 04.06.2020, S. 6 Rn. 31). Eine Unterstützung durch das HELIOS-2-Programm scheidet für den Kläger daher aus. |
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| Zum 01.01.2019 wurde in Griechenland das soziale Wohngeld eingeführt. Die Höhe beträgt maximal 70 Euro für eine Einzelperson und 210 Euro für einen Mehrpersonenhaushalt. Voraussetzung für den Leistungsbezug ist der Nachweis eines noch mindestens sechs Monate gültigen Mietvertrages, der in der Steuerdatenbank TAXIS-Net eingetragen ist. Weiterhin setzt das soziale Wohngeld einen legalen Voraufenthalt in Griechenland von mindestens fünf Jahren voraus, wobei im Falle international Schutzberechtigter die Aufenthaltsdauer ab Asylantragstellung angerechnet wird (Auswärtiges Amt, Auskünfte an das VG Leipzig vom 28.01.2020, S. 2, und an das VG Potsdam vom 23.08.2019, S. 1, 2; Pro Asyl / RSA, Stellungnahme, April 2021, S. 19). Auch ein Leistungsbezug des sozialen Wohngeldes käme hiernach für den Kläger bei einer Rückkehr nach Griechenland nicht in Betracht. |
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| Bei fehlenden Eigenmitteln besteht die Möglichkeit einer Unterbringung in kommunalen Obdachlosenunterkünften, die jedoch nur begrenzt vorhanden sind. In Athen gibt es vier Einrichtungen für Obdachlose, die aber chronisch überfüllt sind und Wartelisten führen (BFA, Länderinformationsblatt Griechenland vom 01.06.2021, S. 26 m. w. N.). Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl berichtet über Wohnraum, der punktuell von Nichtregierungsorganisationen, z. B. Caritas Hellas, Orange House und PRAKSIS, angeboten werde, wobei es zugleich darauf verweist, dass die Zahl der Unterkünfte in Athen insgesamt nicht ausreichend sei. ACCORD berichtet demgegenüber unter Bezugnahme auf RSA, dass keine weiteren Programme von Nichtregierungsorganisationen bekannt seien, die international Schutzberechtigten beim Zugang zu Wohnraum unterstützten. Die Organisationen Greek Council for Refugees, Solidarity Now, Arsis und PRAKSIS hätten angegeben, derzeit abgesehen von HELIOS keine Wohnungen oder Wohnunterstützung für Schutzberechtigte anzubieten. Es seien keine Informationen zu weiteren Organisationen bekannt, die Wohnraum für Schutzberechtigte anböten (ACCORD, Griechenland […] vom 26.08.2021, S. 18 m.w.N.). |
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| Größte Schwierigkeiten für anerkannt Schutzberechtigte, Zugang zu einer menschenwürdigen Unterkunft zu finden, nimmt auch bereits das erstinstanzliche Urteil an (S. 15 und 16 des Urteilsabdrucks). Das Verwaltungsgericht geht jedoch davon aus, dass die durch das HELIOS 2-Programm gewährte Unterstützung von anerkannt Schutzberechtigten die sich verschärfende prekäre Wohnsituation jedenfalls teilweise abfedern werde. Zudem fehlten Berichten, wonach Obdachlosigkeit bei anerkannt Schutzberechtigten massenhaft oder auch nur vermehrt auftrete, so dass anzunehmen sei, dass die Möglichkeiten zur Unterbringung in Obdachlosenunterkünften, Unterkünften der Nichtregierungsorganisationen oder durch private Vernetzungen tatsächlich angenommen und genutzt würden (S. 16 des Urteilsabdrucks). |
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| Insoweit ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich die Unterbringungssituation von international Schutzberechtigten in Griechenland in den vergangenen Monaten noch weiter verschärft hat, so dass die Bewertung des Verwaltungsgerichts bei Zugrundelegung aktueller Erkenntnismittel und öffentlich zugänglicher Informationen keinen Bestand haben kann. Vielmehr geht der Senat davon aus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zahlreiche international Schutzberechtigte in Griechenland obdachlos sind und dies auch dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (so auch OVG NRW, Urt. v. 21.01.2021 - 11 A 2982/20.A, juris Rn. 43 ff.; Nds. OVG, Urt. v. 19.04.2021 - 10 LB 244/20, juris Rn. 47 ff., jeweils m.w.N.). |
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| Die Deutsche Botschaft in Athen gibt in einer von der Beklagten vorgelegten Stellungnahme vom Juni 2021 an, Obdachlosigkeit unter Flüchtlingen und Migranten und Migrantinnen stelle weiterhin kein augenscheinliches Massenphänomen dar. Gleichwohl erscheine es sehr schwierig, die Situation der Obdachlosigkeit in einer griechischen Großstadt oder gar im ganzen Land belastbar einzuschätzen, zumal es vermutlich auch nicht sichtbare Obdachlosigkeit gebe (Botschaft Athen, Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, Juni 2021, S. 2 f.). Pro Asyl führt demgegenüber aus, dass international Schutzberechtigte in Griechenland meist in der Obdachlosigkeit landeten. In den letzten Monaten habe sich die Situation weiter verschärft. Im Vergleich zu den Vorjahren sei die Anzahl international Schutzberechtigter aufgrund von beschleunigten Asylverfahren im Jahr 2020 sprunghaft angestiegen; insgesamt sei 35.372 Menschen - und damit im Vergleich zu 2019 doppelt so vielen Menschen - internationaler Schutz zuerkannt worden (Pro Asyl / RSA, Stellungnahme, April 2021, S. 6). Die Deutsche Botschaft Athen gibt diese Zahl mit insgesamt 34.325 an (Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, Juni 2021, S. 1). Infolge einer Änderung des Asylgesetzes seien seit dem 01.06.2020 alle verpflichtet, die Flüchtlingslager beziehungsweise Unterkünfte, in denen sie während des Asylverfahrens untergebracht waren, innerhalb von 30 Tagen ab der Schutzzuerkennung zu verlassen. 11.237 Menschen seien aufgefordert worden, ihre Unterkünfte am 01.06.2020 zu verlassen. Viele seien der Aufforderung nachgekommen. Hinzu kämen Tausende international Schutzberechtigte, die bereits obdachlos seien, inoffiziell in Camps oder unter anderen unzumutbaren Wohnungsbedingungen lebten, weil sie nie in Aufnahmeeinrichtungen gelebt hätten oder diese bereits hätten verlassen müssen (ProAsyl, Stellungnahme im Verfahren ‚Kurdestan Darwesh and others v. Greece and the Netherlands‘ vom 04.06.2020, Rn. 31). |
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| Im Zeitraum September bis November 2020 sollen 6.626 Personen von den griechischen Inseln auf das Festland verbracht worden sein (BT-Drs. 19/25036 vom 08.12.2020, S. 4). Viele hausten obdachlos auf den Straßen der Großstädte und seien auf Almosen angewiesen (Der Standard vom 30.09.2020: Das Elend der anerkannten Flüchtlinge auf dem griechischen Festland, https://www.derstandard.de/story/2000120349076/das-elend-der-anerkannten-fluechtlinge-auf-dem-griechischen-festland; OVG NRW, Urt. v. 21.01.2021 - 11 A 2982/20.A, juris Rn. 47 m.w.N.). Ein Ort, an dem das Elend der aus den Lagern ausgewiesenen anerkannten Geflüchteten besonders sichtbar werde, sei der Viktoriaplatz in Athen. Viele obdachlos gewordene Geflüchtete lebten dort über längere Zeiträume ohne medizinische Versorgung, Hygieneinfrastruktur, staatliche Unterstützung (BT-Drs. 19/24115 vom 06.11.2020, S. 1; Pro Asyl / RSA, Stellungnahme, April 2021, S. 6). |
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| Ausgehend von diesen Erkenntnissen und Informationen wird der Kläger im Fall seiner Rückkehr nach Griechenland zur Überzeugung des Senats mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage sein, Zugang zu einer legalen, menschenwürdigen Unterkunft zu erhalten. Wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, erfüllt der Kläger weder die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung des sozialen Wohngeldes noch kann er von den Leistungen des ESTIA- oder HELIOS 2-Programms profitieren, sondern wird im Falle einer Rückkehr nach Griechenland bei der Unterkunftssuche voraussichtlich auf sich allein gestellt sein. |
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| Der Kläger kann auch nicht auf seine Eigeninitiative, Netzwerke seiner Landsleute oder die Unterstützung von Kirchen oder lokalen oder internationalen Nichtregierungsorganisationen verwiesen werden. Zwar sind die Möglichkeiten eigener Handlungen sowie Unterstützungsleistungen privater Dritter und vor Ort tätiger nichtstaatlicher Hilfs- oder Unterstützungsorganisationen bei der Bewertung, ob bei der Rückführung oder Abschiebung die Gefahr einer Verletzung des Art. 4 GRC droht, zu berücksichtigen (BVerwG, Urt. v. 07.09.2021 - 1 C 3.21, juris Rn. 26). Dies hilft aber im konkreten Fall nicht weiter, da solche Hilfs- oder Unterstützungsleistungen für international Schutzberechtigte auch real bestehen und - ohne unzumutbare Zugangsbedingungen - hinreichend verlässlich und in dem gebotenen Umfang dauerhaft in Anspruch genommen werden können müssen. Hieran fehlt es im konkreten Fall. Nach den vorstehenden Ausführungen ist davon auszugehen, dass Unterbringungsmöglichkeiten durch kirchliche Projekte oder Nichtregierungsorganisationen in Griechenland - soweit überhaupt noch vorhanden - äußerst limitiert und dauerhaft überlastetet sind. Nach seinen glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung verfügt der Kläger zudem weder über verwandtschaftliche noch über hinreichende freundschaftliche Beziehungen zu in Griechenland lebenden Personen, die ihn beim Finden einer Unterkunft und deren Finanzierung und Anmietung unterstützen könnten. Eine finanzielle Unterstützung durch seinen Bruder, wie von der Beklagten geltend gemacht, ist nach dem Ergebnis der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung ebenfalls nicht zu erwarten. |
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| Der Kläger kann auch nicht auf ‚informelle Möglichkeiten‘ der Unterkunft in verlassenen bzw. besetzten Gebäuden verwiesen werden, denn der Aufenthalt in solchen Gebäuden wäre zum einen illegal und zum anderen wegen der dort zumeist herrschenden menschenunwürdigen Zustände unzumutbar“. |
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| 3. Dies entspricht der Einschätzung auch anderer Oberverwaltungsgerichte (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 19.04.2021 - 10 LB 244/20, Juris Rn. 29 ff., und OVG NRW, Urteil vom 21.01.2021 - 11 A 1564/20.A -, Juris Rn. 32 ff.) und wird zudem durch weitere dem Senat vorliegende und in das Verfahren eingeführte Erkenntnismittel gestützt. |
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| Dabei kommt es nicht darauf an, ob es zu Zwangsräumungen von Unterkünften des von der EU finanzierten ESTIA-Programms gekommen ist. Während Pro Asyl/RSA (Stellungnahme - Zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 7) anführt, dass in den vergangenen Monaten Tausende Menschen ihre Unterkünfte hätten räumen müssen, weist die Deutsche Botschaft in ihrer Stellungnahme vom Juni 2021 darauf hin, in Gesprächen sei zu erfahren gewesen, dass es nur vereinzelt, insbesondere bei Personen ohne besonderen Schutzbedarf (allein reisende Männer), auch Räumungen durch die Polizei gegeben haben solle. Zudem gibt es keine staatlichen Sozialwohnungen (Dt. Botschaft, Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, Stand: Juni 2021, S. 4). Ein gesetzlicher Anspruch in der griechischen Rechtsordnung auf Vermeidung von Obdachlosigkeit ist zumindest dem Auswärtigen Amt ebenso wenig bekannt wie Fälle, in denen solch ein Anspruch im Rahmen einer Leistungsklage geltend gemacht worden wäre (AA, Auskunft an VG Schleswig vom 15.10.2020, S. 2). In einem Beitrag vom 28.05.2021 auf der Webseite von Pro Asyl heißt es, in den Fällen von anerkannten Flüchtlingen, die aus Deutschland abgeschoben worden seien und von der Partnerorganisation RSA in Griechenland unterstützt würden, seien die Menschen auch mehrere Monate nach der Abschiebung immer noch obdachlos (Pro Asyl, Bett, Brot, Seife - Ein ferner Traum für Flüchtlinge in Griechenland, 28.05.2021). In einem Videobeitrag von rbb24 vom 23.07.2021 über die Lage von Geflüchteten in Athen heißt es: „Die griechische Regierung bringt immer mehr Geflüchtete auf das Festland, um die Inseln zu entlasten. Viele stranden im Großraum Athen. Dort campieren seit vielen Wochen Zehntausende obdachlose Flüchtlinge auf Straßen, Plätzen, in leerstehenden Häusern und Lagern. Fernab jedweder Grundversorgung, ohne medizinische Hilfe, ohne Essen und Hygiene scheinen ihre Schicksale vergessen und aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden“ (RBB 24, „Die Menschen haben keine Chance, auf eigenen Beinen zu stehen“, 23.07.2021, verfügbar unter: https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2021/07/gefluechtete-helfer-griechenland-athen-camp-eleonas.html). Laut einem Beitrag von BR 24 ist die Obdachlosigkeit anerkannter Schutzberechtigter nicht nur in Athen ein Problem, sondern auch auf den griechischen Inseln (BR 24, Anerkannte Geflüchtete: Warum sie nach Deutschland weiterziehen, verfügbar unter: https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/anerkannte-gefluechtete-warum-sie-nach-deutschland-weiterziehen,ShfvZXn). |
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| „Die Presse“ schreibt wie folgt: „Griechenland sehe sich als Transitland ‚und hat ein Interesse, dass sie (die Flüchtlinge) das Land so schnell wie möglich verlassen‘, kritisierte Caritas-Auslandshilfechef Andreas Knapp während eines Besuchs in Griechenland. Wegen mangelnder Unterstützung gebe es Fälle anerkannter Asylbewerber, die obdachlos in Städten leben müssten“ (Die Presse, Griechenland bei Integration stärker in Pflicht nehmen, 09.07.2021, verfügbar unter: https://www.diepresse.com/6005672/griechenland-bei-integration-starker-in-pflicht-nehmen). Ein Artikel des Redaktionsnetzwerks Deutschland berichtet ebenfalls von anerkannt Schutzberechtigten, die in Griechenland in der Obdachlosigkeit leben: „Hintergrund der Weiterwanderung sind die katastrophalen Lebensbedingungen vieler Migranten in Griechenland. Sie sind weitgehend sich selbst überlassen, sobald sie als Flüchtlinge anerkannt sind. […] Tausende Menschen stehen deshalb vor der Obdachlosigkeit, warnt die Nichtregierungsorganisation International Rescue Committee (IRC)“ (Redaktionsnetzwerk Deutschland, Ziel Deutschland: Flüchtlinge fliehen vor Obdachlosigkeit und Armut in Griechenland, 07.03.2021, verfügbar unter: https://www.rnd.de/politik/ziel-deutschland-fluchtlinge-fliehen-vor-obdachlosigkeit-und-armut-in-griechenland-4JCWQBL6ZBCVTIEJQDNB3VHRD4.html). Die NGO Mobile Info Team schreibt in ihrem Bericht von Februar 2021, dass der Zugang zu Obdachlosenunterkünften für Asylsuchende und anerkannt Schutzberechtigte schwierig sei, weil sie dafür eine Reihe an medizinischen Untersuchungen und teilweise Griechisch- bzw. Englischkenntnisse benötigen. In der Praxis seien dies große Herausforderungen (Mobile Info Team, The Living Conditions Of Applicants And Beneficiaries Of International Protection - Evidence Of Greece’s Failure To Provide Sustainable Accomodation Solutions, S. 23). |
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| Der Kläger kann auch bereits deshalb keine Unterstützung durch das HELIOS II-Programm erhalten, weil die Anmeldefrist (s. dazu oben) abgelaufen ist. Obendrein schreibt das Auswärtige Amt zur Frage, ob anerkannt Schutzberechtigte, die aus anderen EU-Ländern zurückkehren, Zugang zum HELIOS II-Programm hätten, dass IOM Griechenland mit dem zuständigen Migrationsministerium in Kontakt stehe, es laut IOM bislang aber keinen solchen Fall gegeben habe und das Programm nicht als Anspruchsleistung ausgestaltet sei (AA, Auskunft an VG Schleswig-Holstein vom 15.10.2020, S. 3). Damit kommt es auf die weiteren Zugangshindernisse nicht an (vgl. dazu den Bericht der NGO Mobile Info Team vom Februar 2021: The Living Conditions Of Applicants And Beneficiaries Of International Protection – Evidence Of Greece’s Failure To Provide Sustainable Accomodation Solutions, S. 18). Zur Unterstützung bei der Unterbringung durch Nichtregierungsorganisationen schreiben Pro Asyl und RSA im April 2021, ihnen seien keine anderen Programme bekannt, die von NGOs durchgeführt werden, um international Schutzberechtigte beim Zugang zu Wohnraum zu unterstützen; die Organisationen Greek Council for Refugees (GCR), SolidarityNow, Arsis und PRAKSIS hätten auf Anfrage mitgeteilt, dass sie derzeit keinen Wohnraum oder Wohnunterstützung außerhalb des HELIOS-Programms anböten; eine Liste mit Organisationen, die Wohnraum für international Schutzberechtigte anbieten, existiere nicht (Pro Asyl/RSA: Stellungnahme - Zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 10). Einige Organisationen mit Kontaktdaten, die Notunterkünfte und Unterstützung anbieten, sind zwar auf der Webseite http://refugees.studyingreece.edu.gr/shelter/ gelistet. Auch führt die Broschüre „Survival Guide for Asylum Seekers and Refugees“ aus dem Jahr 2018 (verfügbar unter: https://data2.unhcr.org/en/documents/details/64729) in der Rubrik „Accomodation“ Organisationen auf, die beim Thema Wohnraum unterstützen. Angesichts des nahezu vollständigen Heraushaltens des griechischen Staats bei der Bereitstellung von Unterkünften kann aus der bloßen Benennung einzelner Organisationen jedoch noch nicht auf ein ausreichendes Angebot geschlossen werden. Insbesondere ist nicht bekannt, welche tatsächlichen Kapazitäten die aufgelisteten Organisationen haben und welche Voraussetzungen es für die Inanspruchnahme von Unterstützung gibt. Auch auf dem privaten Wohnungsmarkt sei es laut einem Bericht der NGO Mobile Info Team von Februar 2021 für anerkannt Schutzberechtigte extrem schwierig, eine bezahlbare Wohnung zu finden; zudem erführen sie systematische Diskriminierung von Vermietern (Mobile Info Team: The Living Conditions Of Applicants And Beneficiaries Of International Protection – Evidence Of Greece’s Failure To Provide Sustainable Accomodation Solutions, S. 18) |
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| 4. Vor diesem Hintergrund besteht derzeit selbst für gesunde und arbeitsfähige alleinstehende Männer das „real risk“ des „Fehlens eines Bettes“. Angesichts der skizzierten Auskunftslage zur tatsächlichen Situation in Griechenland kann jedenfalls nicht allein aufgrund der Möglichkeit informeller Strukturen oder weil Obdachlosigkeit kein „augenscheinliches Massenphänomen“ sei, angenommen werden, dass der Kläger eine Unterkunft finden könne. Denn für den Umstand, dass Obdachlosigkeit kein Massenphänomen zu sein scheint, kommen verschiedene Erklärungen in Betracht, etwa die illegale Unterkunft in leerstehenden Gebäuden oder der Wegzug aus Griechenland, das, wie oben wiedergegeben, oft „nur“ als „Transitland“ gesehen wird. Damit ist gerade nicht gesagt, dass im Falle einer Rücküberstellung nach Griechenland eine legale Unterkunft bezogen werden kann. |
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| Im Einzelfall kann anderes gelten, etwa, soweit ein Antragsteller vor Ort auf unterstützende Strukturen zurückgreifen kann, die dafürsprechen mögen, im konkreten Fall die Gefahr von Obdachlosigkeit zu verneinen (vgl. etwa das von der Beklagten angeführte Urteil des Verwaltungsgerichts des Großherzogtums Luxemburg vom 29.03.2021 - Rollennr. 45562 - mit Verweis darauf, dass die dortigen Kläger knapp drei Jahre in Griechenland hätten leben können). Allein die vage Annahme, jemandem könnte vor Ort möglicherweise Unterstützung durch andere Flüchtlinge zuteilwerden, genügt jedoch nicht, um davon ausgehen zu können, die nach der geschilderten Auskunftslage anzunehmende reale Gefahr längerer Obdachlosigkeit im Falle einer Rückkehr werde sich nicht realisieren. Im zu entscheidenden Fall sind keine besonderen Umstände erkennbar, die es rechtfertigten, die Gefahr drohender Obdachlosigkeit im Falle einer Rückkehr nach Griechenland zu verneinen. Der Kläger hat sich (noch zusammen mit seiner damaligen Frau) nur relativ kurze Zeit in Griechenland aufgehalten, das Land sehr bald nach seiner Anerkennung verlassen und, soweit bekannt, keine Verwandten oder Bekannte dort. |
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| III. Angesichts der ihn in Griechenland derzeit auf unabsehbare Zeit zu erwartenden Obdachlosigkeit kommt es nicht darauf an, ob der Kläger dort eventuell in der Lage wäre, wenigstens sein sonstiges Existenzminimum („Brot, Seife“) aus eigener Erwerbstätigkeit zu erwirtschaften, wie er es hier in Deutschland bereits vermag. |
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| IV. Infolge der Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung kann die im Bescheid enthaltene Feststellung über das Fehlen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG keinen Bestand haben. Die Abschiebungsandrohung ist hinsichtlich Griechenlands rechtswidrig, weil der Asylantrag des Klägers nicht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt werden durfte. Infolgedessen entfällt auch die Grundlage für die Anordnung des auf § 11 Abs. 1 AufenthG gestützten Einreise- und Aufenthaltsverbots. |
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| Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO). |
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