Beschluss vom Amtsgericht Dorsten - 16 M 361/22
Tenor
Der Antrag des Gläubigers auf Erlass eines Haftbefehls vom 09.05.2022 wird zurückgewiesen.
1
Gründe:
2I.
3Am 09.05.2022 übermittelte der Gläubiger, ein Landesamt für Bezüge und Versorgung, der Gerichtsvollzieherverteilerstelle beim Amtsgericht Dorsten einen Zwangsvollstreckungsantrag mit Antrag auf Abnahme der Vermögensauskunft einschließlich Haftbefehlsantrag aus einem besonderen Behördenpostfach (beBPo). Der Zwangsvollstreckungsantrag ging am 11.05.2022 beim zuständigen Gerichtsvollzieher ein. Er enthält den Antrag als pdf und damit einen maschinenschriftlichen Namenszug am Ende des Dokuments sowie ein eingescanntes schriftliches Siegel. Eine qualifiziert elektronische Signatur oder ein elektronisches Siegel wurden nicht verwendet. Der Gerichtsvollzieher lud den Schuldner unter dem 01.06.2022 zum Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft für den 28.06.2022 und stellte die Ladung am 07.06.2022 persönlich zu. Im Termin erschien niemand. Daraufhin leitete der Gerichtsvollzieher den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls unter dem 28.06.2022 an das Vollstreckungsgericht weiter.
4II.
5Die Voraussetzungen der §§ 802g, 802c ZPO liegen nicht vor.
6Der Zwangsvollstreckungsantrag einschließlich des bedingten Antrags auf Erlass eines Haftbefehls vom 09.05.2022 ist seitens des Gläubigers nicht formgerecht, da nicht qualifiziert elektronisch signiert oder mit einem elektronischen Siegel mit denselben Attributen versehen, gestellt worden.
7Zwar ist der Zwangsvollstreckungsantrag grundsätzlich unter Beachtung der Regelungen über die Einreichung von Anträgen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs gem. §§ 130a ff. ZPO übermittelt worden, da er via beBPo und damit auf einem sicheren Übermittlungsweg übersandt wurde, der - was die bloßen formellen Übermittlungsvoraussetzungen anbelangt - keiner qualifiziert elektronischen Signatur bedarf.
8Eine zusätzliche qualifiziert elektronische Signatur bedarf es nach Auffassung des hiesigen Vollstreckungsgerichts jedoch gleichwohl deshalb, weil der Antrag titelersetzend im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, Beschl. v. 18.12.2014 - I ZB 27/14 -, BeckRS 2015, 09433, Rn. 16, ist. Im Einzelnen heißt es dort wie folgt: Da der Zwangsvollstreckungsantrag die alleinige Voraussetzung für die Anordnung von staatlichem Zwang bis hin zu einer Freiheitsentziehung und damit die einzige Urkunde ist, die der Gerichtsvollzieher und das Vollstreckungsgericht vom Gläubiger erhalten, dürfen keine Zweifel an seiner Echtheit bestehen. Ein lediglich maschinell erstellter und nicht unterschriebener Antrag kann dies nicht sicherstellen. Es ist deshalb ein unterschriebener und mit dem Dienstsiegel versehener Vollstreckungsauftrag erforderlich. Nur dadurch wird gewährleistet, dass aus dem Schriftstück die Person erkennbar wird, die für seinen Inhalt die Verantwortung übernimmt. Dabei genügt die Wiedergabe des Namens des Verfassers in Maschinenschrift, wenn er mit einem Beglaubigungsvermerk versehen ist.
9Diese Maßgaben sind auch auf den vorliegenden Fall anwendbar, in dem keine Gerichtskasse, sondern vielmehr ein Landesamt für Bezüge und Versorgung einen Vollstreckungsantrag einschließlich Haftantrag stellt: Zunächst ist eine Haftanordnung grundsätzlich dem Richter vorbehalten. Dieser Richtervorbehalt gewährleistet, dass eine unabhängige und neutrale Instanz selbst noch einmal umfassend prüft und entscheidet, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für einen solch starken Grundrechtseingriff tatsächlich gegeben sind, d.h. insbesondere ob die ersuchende Behörde den materiell-rechtlichen Tatbestand ordnungsgemäß festgestellt hat. Mit den oben dargestellten Erwägungen des Bundesgerichtshofs kann ein solcher Vertrauenstatbestand in Ermangelung eines separaten dafür Gewähr bietenden Titels nur dadurch gesetzt werden, dass auf Seiten der ersuchenden Behörde eine konkrete Person durch voll überprüfbare Zeichnung die Verantwortung hierfür übernimmt. Ob es sich bei der ersuchenden Behörde um die ZZJ oder aber ein Landesamt für Bezüge und Versorgung handelt, die beide nach JBeitrG und damit letztlich nach ZPO vollstrecken, kann aus Sicht des hiesigen Vollstreckungsgerichts keinen Unterschied machen.
10Im Rahmen des elektronischen Rechtsverkehrs können die vorgenannten Prämissen - anders als der Gläubiger meint - nun nicht schlichtweg als überholt außer Acht gelassen werden, da die genannte Rechtsprechung im Kontext einer Übermittlung in Papierform ergangen ist. Vielmehr müssen sie auf die neue Situation übertragen und fortgeschrieben werden, was nach Auffassung des hiesigen Vollstreckungsgerichts dazu führt, dass zur Erfüllung des aufgestellten qualifizierten materiell-rechtlichen Schriftformerfordernisses nunmehr die Anbringung einer qualifiziert elektronischen Signatur (oder in Ansehung von § 12 Abs. 3 VDG eines elektronischen Siegels mit denselben Attributen) erforderlich ist:
11Zunächst ist es zwar zutreffend, dass im Rahmen elektronischer Antragstellung die Einreichung von Anträgen via EGVP und qualifiziert elektronischer Signatur durch die Nutzung eines sog. sicheren Übermittlungsweges - wie das auch im vorliegenden Fall genutzte beBPo - ersetzt werden kann, § 130a Abs. 3 und 4 Nr. 3 ZPO. Diese Gleichstellung von qualifiziert elektronischer Signatur und sicherem Übermittlungsweg hat der Gesetzgeber jedoch ausdrücklich nur im Regelungsbereich formell ordnungsgemäßer Antragseinreichung vorgenommen, d.h. im Zusammenhang mit der Frage, ob ein Dokument überhaupt wirksam bei Gericht eingereicht wurde. Die Frage, wie in materiell-rechtlicher Hinsicht zum Zwecke der Schaffung eines besonderen materiell-rechtlichen Vertrauenstatbestandes die bisherige Unterschrift mit Dienstsiegel ersetzt wird, wird hierdurch gerade nicht geregelt. Zwar ließe sich grundsätzlich die Überlegung anstellen, ob man die im formellen Zivilprozessrecht im Regelungskomplex der Antragseinreichung getroffene Gleichstellung von qualifiziert elektronischer Signatur und sicherem Übermittlungsweg nicht möglicherweise auch auf die hier in Rede stehende materiell-rechtliche Fragestellung eines ausreichenden Vertrauenstatbestandes übertragen wollte. Dagegen sprechen aus Sicht des hiesigen Vollstreckungsgerichts jedoch die folgenden Erwägungen:
12Zunächst gibt es bereits eine materiell-rechtliche Regelung betreffend die hier in Rede stehende Fragestellung einer Ersetzung der Schriftform im elektronischen Rechtsverkehr - und zwar § 126a BGB. Danach kann die Schriftform durch Hinzufügen des Namens und Anbringen einer qualifiziert elektronischen Signatur ersetzt werden. Aufgrund der qualifiziert elektronischen Signatur ist das Dokument in gleicher Weise wie bei der Unterschrift technisch sicher auf genau eine natürliche Person rückführbar (Identitäts- bzw. Authentizitätsfunktion).
13Bei der bloßen Nutzung eines sicheren Übermittlungsweges wie des beBPo ist gerade dies nicht der Fall: Zwar kann das beBPo nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens (§ 7 ERVV) ebenfalls nur unter Verwendung eines Zertifikats und Zertifikatspasswortes genutzt werden (§ 8 Abs. 2 ERVV). Dieses ist jedoch ausschließlich behörden- und nicht personengebunden, d.h. es gibt ein Zertifikat und ein Passwort für die gesamte Behörde, auf das alle von der Behörde bestimmten Mitarbeiter gleichermaßen Zugriff haben. Die Zuordnung zu einer speziellen natürlichen Person ist damit technisch sicher gerade nicht möglich, da jede berechtigte Person irgendeinen Namen bzw. eine eingescannte Unterschrift (und auch ein eingescanntes schriftliches Siegel) auf das Dokument zu setzen und dieses zu versenden imstande ist. Damit ist die Identitäts- bzw. Authentizitätsfunktion bei Nutzung des beBPo ohne qualifiziert elektronische Signatur lediglich bezogen auf die Behörde mit derjenigen von Unterschrift und Siegel gleichwertig, nicht jedoch bezogen auf die konkret handelnde Person. Mit anderen Worten vermag die Übermittlung per beBPo aufgrund des Identifizierungsverfahrens und der Zertifikats- sowie Passwortvergabe gem. §§ 7, 8 ERVV durchaus das frühere schriftliche Siegel zu ersetzen und die sichere Herkunft des Antrags von genau der Behörde zu garantieren. Einen überprüfbaren Herkunftsnachweis bezogen auf genau die natürliche Person, die mit maschinenschriftlichem Namenszug oder eingescannter Unterschrift aus dem Dokument selbst hervorgeht, vermag die Übermittlung per beBPo aber gerade nicht zu gewähren.
14Wollte man sich gleichwohl - entgegen dem Wortlaut von § 126a BGB - für eine Übertragung der Gleichstellung von sicherem Übermittlungsweg und qualifiziert elektronischer Signatur aus dem Regelungsbereich, wie überhaupt (irgendein)ein elektronisches Dokument einzureichen ist, auf die davon deutlich zu unterscheidende Fragestellung aussprechen, wie im elektronischen Rechtsverkehr ein einem Titel vergleichbarer Vertrauenstatbestand geschaffen werden kann, so müsste man also dieses Weniger an Identitäts- bzw. Authentizitätsfunktion sowie an Warnfunktion und damit auch insgesamt das Weniger an Sicherheit billigend in Kauf nehmen.
15Ganz davon abgesehen, dass man bei via beA eingereichten Schriftsätzen, die zum Beispiel gleichzeitig eine Wohnungskündigung beinhalten, auch zusätzlich eine qualifiziert elektronische Signatur fordert, besteht aus Sicht des Gerichts hierfür allerdings bereits deshalb kein Grund, weil ein vergleichbarer Sicherheitsstandard durch das Nutzen einer qualifiziert elektronischen Signatur ohne weiteres herstellt werden kann, was im elektronischen Rechtsverkehr künftig ohnehin zum Standard gehören wird.
16Darüber hinaus hat aber auch sowohl der Gesetzgeber als auch der Bundesgerichtshof - jedenfalls bezogen auf Haftanträge - bis in die jüngste Vergangenheit immer wieder deutlich zum Ausdruck gebracht, dass wegen der Grundrechtsrelevanz von Freiheitsentziehungsmaßnahmen in diesem Bereich auch im Rahmen des elektronischen Rechtsverkehrs gerade keine Abstriche bei der Abwehr von Missbrauchsgefahren gemacht werden dürfen: So reicht zum Beispiel bei der Beantragung eines Haftbefehls gerade nicht die Versicherung der Bevollmächtigung durch ein Inkassounternehmen, sondern es muss weiterhin die Originalvollmacht vorgelegt werden, § 753a S. 2 ZPO. Ebenso soll nach Bundesgerichtshof, Beschl. vom 23.09.2021 - I ZB 9/21 -, NJW-RR 2021, 1651 (1653), beim Erlass eines Haftbefehls wegen der Grundrechtsrelevanz einer Freiheitsentziehungsmaßnahme der Missbrauchsgefahr in besonderem Maß entgegengewirkt werden und deshalb nicht nur der Vollstreckungsbescheid als pdf, sondern vielmehr stets die Vorlage der vollstreckbaren Ausfertigung des Vollstreckungsbescheides - ungeachtet der damit verbundenen Verfahrensverlängerung - verlangt werden können. Mit anderen Worten hat der Bundesgerichtshof in dieser neuesten Rechtsprechung gerade in Ansehung von Sinn und Zweck des elektronischen Rechtsverkehrs, nämlich der grundsätzlichen Vereinfachung und Beschleunigung auch des Zwangsvollstreckungsverfahrens, ganz bewusst an den bisherigen Grundsätzen der Vorlage einer vollstreckbaren Ausfertigung des Vollstreckungstitels zur Gewährleistung der vollen Überprüfbarkeit durch das Vollstreckungsgericht festgehalten. Die bloße Versicherung des § 754a Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO und elektronische Übersendung reichen dem Bundesgerichtshof auch bei geringfügigen Forderungen bis 5.000,- Euro im Grundrechts-sensiblen Bereich der Freiheitsentziehung gerade nicht aus. Nicht zuletzt dieser Fingerzeig führt dazu, dass das hiesige Gericht auch bei der Fragestellung, auf welche Weise Titelersetzung im elektronischen Rechtsverkehr erfolgen kann, davon abgesehen hat, von den bisherigen Leitlinien höchstrichterlicher Rechtsprechung abzuweichen, und stattdessen den - hier nicht erfüllten - höchsten Sicherheitsstandard der qualifiziert elektronischen Signatur zur Titelersetzung fordert.
17Indem der Gläubiger den Zwangsvollstreckungsantrag samt Antrag auf Erlass eines Haftbefehls ohne qualifiziert elektronische Signatur (oder elektronisches Siegel) und damit materiell-rechtlich nicht formgerecht eingereicht hat, ist auf das unentschuldigte Ausbleiben des Schuldners im Termin auch kein Haftbefehl zu erlassen.
18Abschließend sei noch angemerkt, dass auch eine gleichzeitige (hand-)schriftliche Einreichung des Haftantrags neben elektronischer Einreichung per beBPo ohne qualifiziert elektronische Signatur bzw. elektronischem Siegel, d.h. so wie er bisher eingereicht wurde, aus Sicht des hiesigen Vollstreckungsgerichts der gesetzgeberischen Intention widersprechen dürfte, die der Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs bzw. der seit dem 01.01.2022 bestehenden aktiven Nutzungspflicht zugrunde liegt. Würde man ein solches "Hybrid-Modell" als insgesamt formgerechte Einreichung betrachten, so wäre die aktive Nutzungspflicht zum elektronischen Rechtsverkehr ad absurdum geführt, da es bei einer solchen Sichtweise künftig trotz technischer Möglichkeit einer rein elektronischen Antragstellung und damit insgesamt einer elektronischen Aktenführung gleichwohl immer auch noch einer Papierakte bedürfte. Nach der gesetzgeberischen Intention sollen vielmehr nur solche Titel noch (hand-)schriftlich eingereicht werden können, die ausschließlich in dieser Form existieren und daher technisch schlichtweg nicht elektronisch eingereicht werden können. So liegt der Fall hier aber gerade nicht.
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Referenzen
- § 8 Abs. 2 ERVV 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 802c Vermögensauskunft des Schuldners 1x
- § 753a S. 2 ZPO 1x (nicht zugeordnet)
- Beschluss vom Bundesgerichtshof (1. Zivilsenat) - I ZB 27/14 1x
- ZPO § 754a Vereinfachter Vollstreckungsauftrag bei Vollstreckungsbescheiden 1x
- ZPO § 802g Erzwingungshaft 1x
- ZPO § 130a Elektronisches Dokument 2x
- §§ 7, 8 ERVV 2x (nicht zugeordnet)
- BGB § 126a Elektronische Form 2x
- § 7 ERVV 1x (nicht zugeordnet)
- § 12 Abs. 3 VDG 1x (nicht zugeordnet)
- I ZB 9/21 1x (nicht zugeordnet)