Urteil vom Amtsgericht Dortmund - 514 C 27/19
Tenor
1. Das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Dortmund vom 23.05.2019 bleibt aufrechterhalten.
2. Der Beklagte hat auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil darf nur gegen Leistung dieser Sicherheit fortgesetzt werden.
4. Der Streitwert wird auf 7.500,00 € festgesetzt.
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T a t b e s t a n d :
2Die Parteien bilden die WEG N-Straße in E, welche von der Prozessbevollmächtigten des Beklagten verwaltet wird. Am 18.02.2019 fand eine Eigentümerversammlung statt. Unter dem Tagesordnungspunkt 7 wurde der nachfolgende Beschluss gefasst:
3„Beschlussfassung über die Erhebung einer nach Miteigentumsanteilen aufzuteilenden Sonderumlage zur Liquiditätssicherung der WEG N-Straße in Höhe von 15.000,00 €.
4Die Verwalterin legt die Höhe der Zahlungsrückstände und den kurzfristig zu deckenden Finanzbedarf von mindestens 15.000,00 € unter anderem auf Grund des Zahlungsverzuges der Eigentümer F und S dar, die von den Anwesenden diskutiert wurden.
5Es soll nach ausreichender Diskussion beschlossen werden:
6Zur Liquiditätssicherung der WEG N-Straße wird eine nach Miteigentumsanteilen aufzuteilende Sonderumlage in Höhe von 15.000,00 € (2.772,00 € Anteil WE 1, 2.813,10 € Anteil WE 2, 2.813,10 € Anteil WE 3, 2.820,75 € Anteil WE 4, 3.781,05 € Anteil WE 5) mit Fälligkeit zum 28.02.2019 beschlossen.
7(…)
8Der Beschluss wird damit mehrheitlich mit 549,88/1.000 Stimmen gegen 440,12/1.000 Stimmen wird beantragt gefasst und verkündet.“
9Für das Jahr 2018 waren ein Gesamtwirtschaftsplan sowie Einzelwirtschaftspläne beschlossen. In der streitgegenständlichen Eigentümerversammlung wurde ebenfalls ein Wirtschaftsplan für das Jahr 2019 beschlossen. Seit dem 08.03.2019 ist über die WE des Klägers zu 1) die Zwangsverwaltung angeordnet. Die Kläger haben mit am 18.03.2019 vorab per Telefax eingegangener Klageschrift die Beschlussfassung zum Tagesordnungspunkt 7 angegriffen.
10Die Kläger sind der Ansicht, dass die Beschlussfassung nicht ordnungsgemäßer Verwaltung entspreche. Die Beschlussfassung lasse nicht erkennen, weshalb die Sonderumlage beschlossen werden solle. Es fehle auch an den materiellen Voraussetzungen für einen ordnungsgemäßen Beschluss hinsichtlich einer Sonderumlage. Die Kläger sind der Ansicht, dass die Zwangsverwaltung die Aktivlegitimation des Klägers zu 1) nicht berühre.
11Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 23.05.2019 ist für den Beklagten niemand erschienen. Antragsgemäß wurde durch Versäumnisurteil vom 23.05.2019 der Beschluss der Eigentümerversammlung der WEG N-Straße in E vom 18.02.2019 zum Tagesordnungspunkt 7 für ungültig erklärt.
12Das Versäumnisurteil wurde dem Beklagten am 29.05.2019 zugestellt. Am 11.06.2019 ging der durch die Prozessbevollmächtigte des Beklagten eingelegte Einspruch ein.
13Die Kläger beantragen nunmehr,
14das Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten.
15Der Beklagte beantragt,
16das Versäumnisurteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
17Der Kläger ist der Ansicht, dass die Klage unzulässig sei, da im Zeitpunkt der Klageeinreichung über die WE des Klägers zu 1) die Zwangsverwaltung angeordnet worden sei. Die Klage sei auch unbegründet, da die Beschlussfassung formell und materiell ordnungsgemäß sei. In der Eigentümerversammlung sei der Finanzierungsbedarf im Einzelnen erläutert worden.
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die protokollierten Erklärungen Bezug genommen.
19E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
20Der Einspruch gegen das Versäumnisurteil ist zulässig, insbesondere frist- und formgerecht. In der Sache hat der Einspruch jedoch keinen Erfolg.
21Die zulässige Klage ist begründet.
22Die Anordnung der Zwangsverwaltung bezgl. der Wohnung des Klägers zu 1.) steht weder der Zulässigkeit noch der Begründetheit der Klage entgegen. Ob dem Wohnungseigentümer, über dessen WE die Zwangsverwaltung angeordnet wurde, ein Anfechtungsrecht zusteht, wird unterschiedlich beantwortet.
23Teilweise wird vertreten, dass aus der Anfechtungsbefugnis des Verwalters noch nicht folge, dass damit ein solches Recht des Schuldners verdrängt werde (Elzer/Fritsch/Meier, Wohnungseigentumsrecht, § 3 Rn. 28 mwN). Durch die Anordnung der Zwangsverwaltung und die damit verbundene Beschlagnahme verliere der Wohnungseigentümer zwar die Verwaltungsbefugnis, seine materielle Rechtsstellung im Verhältnis zu den Wohnungseigentümern ändere sich jedoch nur bedingt. Da die Zwangsverwaltung nur auf die Bewirtschaftung des Objektes bezogen sei, das sonstige Vermögen des Schuldners aber nicht erfasse, werde er durch Beschlüsse der Wohnungseigentümerversammlung ebenfalls gebunden (Drasdo in: Bärmann/Seuß, Praxis des Wohnungseigentums, § 91 Rn. 31). Nach anderer Ansicht wird das Anfechtungsrecht während der Zeit der Zwangsverwaltung vom Zwangsverwalter wahrgenommen, da sich die Beschlagnahme auch auf die Mitgliedschaftsrechte erstrecke. Der Wohnungseigentümer sei daneben nicht zur Anfechtung berechtig (BeckOGK/Karkmann, 1.5.2019, WEG § 46 Rn. 31 mwN). Vorliegend ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Beschluss am 18.02.2019 gefasst wurde. Die Zwangsverwaltung wurde am 08.03.2019 angeordnet. Die Klage wurde am 18.03.2019 eingereicht. Hier hing es vom Zufall ab, ob die Klage bereits vor Anordnung der Zwangsverwaltung erhoben wurde oder danach. Zumindest in diesem Fall muss dem Schuldner das Anfechtungsrecht weiterhin für die Beschlüsse verbleiben, an deren Zustandekommen er sich bereits durch die Ausübung des Stimmrechts beteiligen konnte und bezgl. derer er auch noch vor der Anordnung der Zwangsverwaltung Anfechtungsklage erheben konnte. Denn für diesen Bereich kommen dem Zwangsverwalter keinerlei Rechte zu, so dass auch die Frage der Anfechtung nicht in seine Entscheidungskompetenz gestellt werden kann und muss (vgl. auch Drasdo aaO).
24Der Beschluss entspricht nicht ordnungsgemäßer Verwaltung.
25Unter Maßnahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung fallen alle Maßnahmen, die im Interesse aller Wohnungseigentümer auf die Erhaltung, Verbesserung oder dem der Zweckbestimmung des gemeinsamen Eigentums entsprechenden Gebrauch gerichtet sind (Bärmann/Merle, 14. Aufl. 2018, WEG § 21 Rn. 27). Bei der Frage, ob eine Maßnahme ordnungsgemäßer Verwaltung entspricht, ist zu berücksichtigen, dass die Wohnungseigentümer aufgrund ihres Selbstorganisationsrechts in der Regel einen Ermessensspielraum haben, bei dessen Ausgestaltung alle relevanten Umstände abzuwägen sind. Dabei sind auch die finanziellen Möglichkeiten der Wohnungseigentümer zu berücksichtigen, auch bei der Frage, ob sich das Ermessen wegen der Dringlichkeit der Verwaltungsmaßnahme auf Null reduziert (MüKoBGB/Engelhardt, 7. Aufl. 2017, WEG § 21 Rn. 63). Das WEG gibt den Wohnungseigentümern bei der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums ein Selbstorganisationsrecht. Das meint, dass es vorrangig an den Wohnungseigentümern ist, durch Vereinbarungen (§ 10 Abs. 2 Satz 2 WEG) und Beschlüsse (§§ 15 Abs. 2, 21 Abs. 3 WEG) zu bestimmen, was nach billigem Ermessen unter ihnen „Recht“ ist. Aus dem Selbstorganisationsrecht entspringt für die Wohnungseigentümer ein Ermessen, was Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit jeglicher Verwaltungsmaßnahmen betrifft. Billigem Ermessen entspricht, was dem geordneten Zusammenleben in der Gemeinschaft und dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer dient. Ermessen besteht in zwei „Richtungen“. Die Wohnungseigentümer haben zum einen Ermessen, ob sie eine zulässige Maßnahme überhaupt treffen wollen (Entschließungsermessen). Und sie haben Ermessen, welche von mehreren zulässigen Maßnahmen sie im Fall des Tätigwerdens ergreifen wollen (Auswahlermessen) (Hügel/Elzer, WEG, 2. Aufl. 2018, § 21 Rdnr. 46).
26Für die Beurteilung der Ordnungsmäßigkeit einer Verwaltungsmaßnahme ist auf die im Zeitpunkt der Beschlussfassung zugrundeliegenden Verhältnisse abzustellen, nicht auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung. Maßgebend ist dabei der Kenntnisstand, den ein besonnener Wohnungseigentümer unter Ausschöpfung aller zu diesem Zeitpunkt zugänglichen Erkenntnisquellen ermittelt haben kann. Spätere Erkenntnisse über die Angemessenheit einer solchen Maßnahme können weder eine ursprünglich ordnungsgemäße Maßnahme als ordnungswidrig erscheinen lassen, noch kann umgekehrt eine zunächst ordnungswidrig erscheinende Maßnahme angesichts der weiteren tatsächlichen Entwicklung ordnungsgemäß werden (Bärmann/Merle, 14. Aufl. 2018, WEG § 21 Rn. 27a).
27Der Beschluss über eine Liquiditätsumlage entspricht nicht ordnungsmäßiger Verwaltung, wenn der Finanzbedarf anderweitig gedeckt werden kann, etwa wenn der Verwalter zur Kreditaufnahme ermächtigt ist, wenn der Finanzierungsbedarf durch Geltendmachung fälliger Ansprüche der WEG gedeckt oder wenn eine zu hohe Instandhaltungsrücklage aufgelöst werden könnte (Bärmann/Becker, 14. Aufl. 2018, WEG § 28 Rn. 43). Hier bestehen Wirtschaftspläne sowohl für das Jahr 2018 als auch 2019. Es wäre demnach zunächst eine Inanspruchnahme der säumigen Wohnungseigentümer geboten, bevor eine Sonderumlage in der vorliegenden Größenordnung beschlossen wird. Soweit die Mittel der Gemeinschaft nicht ausreichen entsprechende Prozesse gegen die säumigen Eigentümer zu führen, käme ein Beschluss über eine Sonderumlage zur Deckung der Prozesskosten in Betracht. Insoweit wäre aber jedenfalls nur ein geringerer Betrag, der zweckgebunden zu verwenden ist, zu beschließen.
28Der Betrag der Sonderumlage muss sich zudem an der Höhe des zu erwartenden Bedarfs ausrichten und einen genauen EUR-Betrag bestimmen. Die Höhe des Kapitalbedarfs kann geschätzt werden, wobei eine großzügige Handhabung möglich ist (BeckOK WEG/Bartholome, 37. Ed. 1.5.2019, WEG § 28 Rn. 29). Vorliegend lässt sich dem Beschluss nicht entnehmen, welcher Bedarf konkret bei der Beschlussfassung zugrunde gelegt wurde. Die Formulierung „kurzfristig zu deckenden Finanzbedarfs von mindestens 15.000 Euro u.a. aufgrund Zahlungsverzugs der Eigentümer“ genügt nicht. Hier wäre zumindest eine grobe Darlegung des Umfangs der langfristig nicht eintreibbaren Hausgeldschulden (wer schuldet welchen Betrag für welchen Zeitraum) sowie eine grobe Aufschlüsselung des konkreten Finanzbedarfs (welche Ausgaben stehen wann an) erforderlich. Es fehlt somit zumindest an einer ordnungsgemäßen Ermessensausübung, so dass die Beschlussfassung nicht ordnungsgemäßer Verwaltung entspricht.
29Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
30Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 709 Satz 1, 3 ZPO.
31Rechtsbehelfsbelehrung:
32A.
33Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,
341. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder
352. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden ist.
36Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Landgericht Dortmund, Kaiserstr. 34, 44135 Dortmund, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.
37Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Landgericht Dortmund zu begründen.
38Die Parteien müssen sich vor dem Landgericht Dortmund durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.
39Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
40B.
41Gegen die Streitwertfestsetzung ist die Beschwerde an das Amtsgericht Dortmund statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt oder das Amtsgericht die Beschwerde zugelassen hat. Die Beschwerde ist spätestens innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Amtsgericht Dortmund, Gerichtsstraße 22, 44135 Dortmund, schriftlich in deutscher Sprache oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerde kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichtes abgegeben werden.
42Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
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Referenzen
- §§ 15 Abs. 2, 21 Abs. 3 WEG 2x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 709 Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung 1x
- ZPO § 3 Wertfestsetzung nach freiem Ermessen 1x
- ZPO § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht 1x
- § 10 Abs. 2 Satz 2 WEG 1x (nicht zugeordnet)