Beschluss vom Amtsgericht Duisburg - 204 Gs 146/20 351 Js 1992/20
Tenor
In dem ErmittIungsverfahren gegen …
wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort
Der Antrag der Staatsanwaltschaft Duisburg vom 16.10.2020, dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis vorläufig zu entziehen, wird zurückgewiesen.
1
Gründe:
2Der Antrag auf vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach §. 111a StPO war zurückzuweisen, weil keine dringenden Gründe für die Annahme vorhanden sind, dem Beschuldigten werde die Fahrerlaubnis nach § 69 StGB entzogen werden.
3Dabei kann derzeit offenbleiben, ob der Beschuldigte eines unerlaubten Entfernens vom Unfallort nach g 142 StGB dringend verdächtig ist. edenalls fehlt es derzeit an dringenden Anhaltspunkten für das Vorliegen eines bedeutenden, an fremden Sachen entstandenen Schadens und damit für das Vorliegen eines Regelbeispiels des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB.
4Bei der Prüfung der Frage, ob die Höhe des eingetretenen Fremdschadens i. S. des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB als bedeutend anzusehen ist, können nur solche Schadenspositionen herangezogen werden, die ziviIrechtlich erstattungsfähig sind (OLG Hamm, Beschluss vom 30. September 2010 — 111-3 RVs 72/10 -, Rn. 10, juris). Daher kann mangels Nachweis einer tatsächlich durchgeführten Reparatur nur auf den Nettoschaden abgestellt werden, der ausweislich einer Mitteilung des geschädigten Zeugen … vom 22.10.2020 (BI. 22 d. A.) entgegen der anfänglichen polizeilichen Schätzung lediglich 1.500,00 € beträgt. Hierbei handelt es sich indessen nicht um einen "bedeutenden" Schaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB.
5Seit dem Jahre 2002 wird für die Frage, ob ein Sachschaden "bedeutend" im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ist, vielfach auf eine Wertgrenze von 1.300,00 € abgestellt (vgl. Fischer, StGB, 67. Aufl. 2020, § 142, Rn. 29 mwN). In neuerer Zeit werden jedoch verbreitet auch Wertgrenzen von 1.400,00 € oder 1.500,00 €, in einzelnen Fällen auch von 1.600,00 € oder 1.800,00 € für angemessen erachtet (ausführlich zur aktuellen Rechtsprechung: BayObLG, Beschl. v. 17.12.2019 - 204 StRR 1940/19, BeckRS 2019, 38522, Rn. 17ff., beck-online).
6Mit dem BayObLG ist das Gericht der Auffassung, dass bei der Bemessung der Wertgrenze nicht nur, aber eben auch auf den jährlich vom Statistischen Bundesamt berechneten und veröffentlichten Verbraucherpreisindex abgestellt werden kann; hiernach sind die Verbraucherpreise allein von 2002 bis 2018 um über 25% gestiegen (vgl. zur Berechnung LG Hanau, Beschluss vom 26. März 2019 — 4b Qs 26/19 —, Rn. 7, juris): hinzu kommt die seit dem Jahre 2018 eingetretene Preissteigerung.. Allein dies würde es rechtfertigen, aktuell eine Wertgrenze van mindestens 1.650,00 € anzunehmen.
7Zudem sind die Verbraucherpreise für die Wartung und Reparatur von Fahrzeugen allein in den Jahren von 2010 bis 2016 um 11,6 % angestiegen. Auch im Bereich der Bergungs- und Abschleppkosten ist es zu deutlichen Preissteigerungen gekommen. So sind beispielsweise die Preise für ein Standard-Bergungsfahrzeug zum Abtransport von liegen gebliebenen PKWs bis 7,49 t zwischen den Jahren 2006 und 2016 um 35,5 % angestiegen (vgl. LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 05. Dezember 2010 — 5 Qs 73/19 —, Rn. 7, juris, mit entsprechenden Quellen).
8Darüber hinaus darf auch die allgemeine Einkommensentwicklung nicht außer Acht gelassen werden; die Nettolöhne sind von 2002 bis 2019 (ohne Berücksichtigung der Inflation) um etwa 40% gestiegen (Quelle: URL wurde entfernt).
9Weiter ist bei der Festsetzung der Grenze des bedeutenden Schadens auch die Relation innerhalb der Regelbeispiele des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB zu berücksichtigen. Selbst Bagatellschäden wie Lackkratzer oder –abschürfungen erfordern aufgrund der heute üblichen Fahrzeugkonstruktionen vergleichsweise erhebliche finanzielle Aufwendungen, etwa aufgrund der notwendigen Lackierungsarbeiten. Beträge von 1.000,00 bis 2.000,00 € werden bereits bei völlig alltäglichen und (jedenfalls äußerlich) minimalen Schäden fällig. Solche Schäden jedoch sind mit der Tötung oder nicht unerheblichen Verletzung eines Menschen, für die § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ebenfalls regelmäßig eine Entziehung der Fahrerlaubnis vorsieht, nicht einmal ansatzweise zu vergleichen; es erscheint unangemessen, die Tötung oder erhebliche Verletzung eines Menschen auf eine Stufe mit solchen Bagatellschäden zu setzen.
10Nach alledem tendiert das Gericht dazu, die Wertgrenze des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB nicht nur bei 1.650,00 €, sondern sogar bei (zumindest) 1.800,00€ anzusetzen. Das bedarf jedoch hier keiner Entscheidung, denn nach alldem erfüllt ein Schadensbetrag von (nur) 1.500,00 € nicht die Voraussetzungen eines „bedeutenden“ Schadens im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB.
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Referenzen
- 5 Qs 73/19 1x (nicht zugeordnet)
- 4b Qs 26/19 1x (nicht zugeordnet)
- 204 StRR 1940/19 1x (nicht zugeordnet)
- 3 RVs 72/10 1x (nicht zugeordnet)
- StGB § 69 Entziehung der Fahrerlaubnis 9x