Urteil vom Amtsgericht Halle (Saale) - 93 C 3437/12
Tenor
1.) Die Klage wird abgewiesen.
2.) Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3.) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung, auch zu einem Teilbetrag, durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 1.812,55 € festgesetzt.
Tatbestand
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Die Klägerin macht Ansprüche aus einem privaten Krankenversicherungsvertrag geltend.
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Die Klägerin unterhält bei der Beklagten eine private Krankenversicherung. Bestandteil des Versicherungsvertrages sind die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung der Beklagten, die auszugsweise wie folgt lauten:
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„§ 1 Gegenstand, Umfang und Geltungsbereich des Versicherungsschutzes
- 4
Teil I
- 5
(1) …
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(2) Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen. Der Versicherungsfall beginnt mit der Heilbehandlung, er endet, wenn nach medizinischem Befund Behandlungsbedürftigkeit nicht mehr besteht. (…)
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Als Versicherungsfall gelten auch
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a) Untersuchung und medizinisch notwendige Behandlung wegen Schwangerschaft und die Entbindung,
- 9
b) (…)
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c) (…)
- 11
(…)
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§ 4 Umfang der Leistungspflicht
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Teil I
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(1) Art und Höhe der Versicherungsleistungen ergeben sich aus dem Tarif mit Tarifbedingungen.
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(2) – (6) (…)
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Teil II
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(1) (…)
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(2) Tarife für ambulante Heilbehandlung
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Es werden in tariflichem Umfang die Aufwendungen für medizinisch notwendige ambulante Heilbehandlungen ersetzt.
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Hierzu gehören
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1. Ärztliche Leistungen (…)
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2. (…)
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3. (…)
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4. (…)
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5. (…)
- 26
6. (…)
- 27
7. Ärztliche Behandlung wegen Entbindung (Hausentbindung), Schwangerschaftserkrankungen, Schwangerschaftsüberwachung (Vorsorgeuntersuchungen). Bei Hausentbindung werden zusätzlich die Hebammenkosten ersetzt.
- 28
(…)
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(3) Tarife für stationäre Heilbehandlung
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Es werden in tariflichem Umfang die Aufwendungen für medizinisch notwendige stationäre Heilbehandlungen ersetzt.
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Hierzu gehören (…) 7. Aufwendungen für Entbindung, Fehlgeburt, Schwangerschaftserkrankung und Bauchhöhlenschwangerschaft. Bei Entbindungen werden zusätzlich die Hebammenkosten ersetzt.
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(…)“
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Wegen der Einzelheiten wird auf die Versicherungs- und Tarifbedingungen Bl. 5 – 12 d. A. verwiesen.
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Die Klägerin brachte am 21. Oktober 2010 stationär in einem Krankenhaus Zwillinge zur Welt. Zur Betreuung sowohl während der letzten Phase der Schwangerschaft als auch nach der Geburt nahm die Klägerin die ambulanten Dienste einer Hebamme in Anspruch. Die Hebamme stellte der Klägerin hierfür eine Rechnung über 2.812,55 €. Wegen der Einzelheiten wird auf die Rechnung Bl. 26 – 29 d. A. verwiesen. Die Beklagte zahlte hierauf an die Klägerin einen Teilbetrag von 1.000,00 €. Den Restbetrag sowie vorgerichtliche Anwaltskosten fordert die Klägerin mit der vorliegenden Klage.
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Die Klägerin ist der Ansicht, dass nach dem Versicherungsvertrag und den Versicherungsbedingungen die Beklagte auch zur Erstattung der – der Behauptung der Klägerin nach medizinisch notwendigen – Hebammenkosten verpflichtet sei. Jedenfalls seien die Versicherungsbedingungen unklar und unwirksam.
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Die Klägerin beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.812,55 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten oberhalb des Basiszinssatz liegenden Satz seit dem 22. Mai 2012 zu zahlen.
- 38
2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 123,45 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten oberhalb des Basiszinssatz liegenden Satzes seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte ist der Ansicht, dass nach den Versicherungsbedingungen die Beklagte zur Erstattung ambulanter Hebammenkosten bei stationärer Geburt nicht verpflichtet sei. Mit den kulanterweise von der Beklagten gezahlten 1.000,00 € habe die Klägerin schon mehr erhalten als ihr zustehe.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist unbegründet.
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Eine Anspruchsgrundlage für die Forderung der Klägerin ist nicht ersichtlich.
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§ 4 Teil II Abs. 2 Nr. 7 Satz 2 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen regelt die Erstattungsfähigkeit von ambulanten Hebammenkosten nur für den Fall der Hausentbindung. Die Aufzählung in § 4 Teil II Abs. 2 ist abschließend (sonst wäre formuliert worden „hierzu gehören insbesondere“), zumal für ärztliche Leistungen in der Tat eine allgemeine Erstattungsfähigkeit angeordnet ist. Dies legt den Umkehrschluss nahe, dass ambulante Hebammenleistungen gerade nicht allgemein erstattungsfähig sind, sondern nur, soweit dies ausdrücklich angeordnet ist. Gerade die Erwähnung der Hausgeburten zeigt, dass ambulante Hebammenkosten nach stationärer Entbindung nicht erstattungsfähig sein sollen. Sonst hätte der Satzteil „Bei Hausentbindung“ keinen Sinn.
- 46
§ 4 Teil II Abs. 3 Nr. 7 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen regelt demgegenüber nur die Erstattungsfähigkeit von Hebammenkosten bei stationären Entbindungen. Diese Vorschrift regelt eindeutig die Hebammenkosten, die während der stationären Heilbehandlung, also insbesondere der Geburt, anfallen, somit die Kosten der im Krankenhaus tätigen Hebammen. Dies ergibt sich daraus, dass der Satz „Bei Entbindungen werden zusätzlich die Hebammenkosten ersetzt“ im Abschnitt „Tarife für stationäre Heilbehandlung“ steht. Kosten, die nach der Entlassung aus dem Krankenhaus entstehen, sind keine Kosten der stationären Heilbehandlung mehr. Ebenso würden ja etwa Arztkosten, die für die ambulante Nachsorge nach einem stationären Krankenhausaufenthalt anfallen, auch als ambulante Heilbehandlung angesehen (und nach der Gebührenordnung für Ärzte abgerechnet) und nicht als Teil der stationären Heilbehandlung betrachtet.
- 47
Die in dem anwaltlichen vorgerichtlichen Schreiben der Klägerin vom 14. März 2012 vertretene Auffassung, dass zu ambulanten Hebammenkosten, die nicht in Verbindung mit einer Hausgeburt stehen, sich in § 4 Teil II Abs. 2 Nr. 7 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen „keine Regelung“ finde, ist schlicht falsch. Die Tatsache, dass die Erstattungsfähigkeit der ambulanten Hebammenkosten nach stationärer Entbindung nicht angeordnet ist, ist durchaus eine Regelung, und zwar eine sehr eindeutige: Derartige Hebammenkosten sind nicht erstattungsfähig. Wenn jemand ein Auto kauft und sich im Kaufvertrag keine Regelung darüber findet, dass das Auto eine Klimaanlage haben soll, kann er hinterher auch nicht die Lieferung eines Autos mit Klimaanlage mit der Begründung verlangen, dass sich „hier keine Regelung finde“, sodass eine Klimaanlage, da aus Gründen des Komforts notwendig, zum Lieferumfang gehöre.
- 48
Aus der Regelung in § 1 Teil I Abs. 2 der Versicherungsbedingungen, derzufolge Untersuchungen und medizinisch notwendige Behandlungen wegen Schwangerschaft und die Entbindung einen Versicherungsfall darstellen, ergibt sich kein Anspruch der Klägerin. Denn gemäß § 4 Teil I Abs. 1 der Versicherungsbedingungen ergeben sich Art und Höhe der Versicherungsleistungen aus dem Tarif, dessen maßgebliche Teile bereits zitiert worden sind.
- 49
Eine allgemeine Regel, dass die Beklagte alles ersetzen müsse, was medizinisch notwendig ist, gibt es nicht. Daher kommt es auf die nachrangige Frage, ob die Hebammenbetreuung medizinisch notwendig war, nicht an.
- 50
Die Bestimmungen in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen sind auch nicht unklar, da sie eindeutig formuliert sind. Eine Unklarheit ergibt sich nicht bereits daraus, dass die Klägerin die Bestimmungen für unklar hält. Es muss vielmehr nach objektiver Auslegung ein nicht behebbarer Zweifel bestehen, sodass zwei Auslegungen rechtlich vertretbar sind (Palandt-Grüneberg, BGB, 72. Auflage, § 305c Rn. 15f.) Davon kann vorliegend keine Rede sein.
- 51
Es ist auch nicht zu erkennen, aus welchem anderen Grund die Bestimmungen in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen unwirksam sein sollen. Der Klägerin hätte es freigestanden, einen anderen Versicherungsvertrag abzuschließen, wenn sie die Erstattung von ambulanten Hebammenkosten nach stationärer Entbindung gewünscht hätte. Eine „entsprechende Auslegung“ und ein „normgerechtes Sinnverständnis“ kann nicht eine Abweichung vom klaren Wortlaut des Vertrages bzw. der Tarifbedingungen rechtfertigen. (Im übrigen ist der Begriff „Sinnverständnis“ sinnlos. Sollte das Landgericht Leipzig, das in der sogleich zitierten Entscheidung diesen Begriff geprägt hat, „sinngerechtes Normverständnis“ meinen?)
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Auf das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 14. Juli 2010 (Az. 3 S 543/09, zitiert nach juris) kann sich die Klägerin nicht berufen. Zum einen ergibt sich aus dem Text der Entscheidung schon nicht, welche Versicherungsbedingungen dem Fall überhaupt zu Grunde lagen. Zum anderen ging es dort um Hebammenkosten nach einer Hausgeburt.
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Damit soll nicht gesagt werden, dass das Gericht für das Anliegen der Klägerin kein Verständnis hat. Im Gegenteil weiß es aus eigener Erfahrung, dass auch nach stationären Geburten eine ambulante Nachsorge durch eine Hebamme für Mutter und Kind außerordentlich sinnvoll ist. Allgemeine Billigkeits- und Gerechtigkeitserwägungen rechtfertigen aber nicht ein Abweichen von den eindeutigen vertraglichen Regelungen. Hinzu kommt, dass das Zusprechen vertraglich nicht geschuldeter Leistungen letztlich zu Lasten der Versichertengemeinschaft ginge, also insoweit auch „ungerecht“ wäre. Im übrigen ist, wie Hans Kelsen in seiner Reinen Rechtslehre zu Recht betont, Gerechtigkeit ein irrationales Ideal. Maßgebend ist allein die Bindung des Richters an die Rechtsnormen (zu denen Kelsen vertragliche Regelungen ebenso rechnet wie Gesetze). Die beliebte Frage „Wo bleibt die Gerechtigkeit?“ führt also in die Irre und lässt sich nur so beantworten, dass der Richter nicht mehr und nicht weniger tun kann und tun muss als das Gesetz zutreffend anzuwenden.
- 54
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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