Beschluss vom Amtsgericht Kehl - 3 Cs 206 Js 5241/15

Tenor

1. Der Antrag der Staatsanwaltschaft, das Verfahren vorläufig gemäß § 205 StPO einzustellen und gleichzeitig anzuordnen, dass der Angeklagte gemäß § 132 StPO eine Zustellung Vollmacht zu erteilen hat, wird

zurückgewiesen.

2. Der Strafbefehl vom 07.08.2015 wird dem Angeklagten im Wege der Rechtshilfe zugestellt.

Gründe

 
I.
Die Staatsanwaltschaft Offenburg erwirkte gegen den Angeklagten beim Amtsgericht Kehl einen Strafbefehl über eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen wegen Erschleichens von Leistungen, weil er am 04.03.2015 einen Nahverkehrszug zwischen Kehl und Offenburg ohne gültigen Fahrschein benutzt habe. Das an seine Anschrift in Marseille (Frankreich) adressierte Einschreiben zur Zustellung des Strafbefehls holte der Angeklagte nicht von der Post ab. Die Staatsanwaltschaft beantragt nunmehr, das Verfahren gemäß § 205 StPO vorläufig einzustellen und gemäß § 132 StPO anzuordnen, dass der Angeklagte eine Zustellungsvollmacht zu erteilen hat.
II.
Der Antrag der Staatsanwaltschaft ist zurückzuweisen, weil zunächst die Zustellung des Strafbefehls im Wege der Rechtshilfe zu versuchen ist.
1.
Ein Verfahren kann nach § 205 StPO vorläufig eingestellt werden, wenn die Zustellung eines Strafbefehls nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand versucht werden kann, ohne dass zudem der Erfolg des Zustellungsversuchs gesichert erscheint. So wäre es grundsätzlich auch hier, weil auf der einen Seite der Vorwurf gegen den Angeklagten und die verhängte Strafe von geringer Bedeutung sind, auf der anderen Seite aber nur noch die Zustellung im Wege der Rechtshilfe als letztes, aber verhältnismäßig aufwändiges Mittel zur Verfügung steht.
Neben einer Einstellung nach § 205 StPO kommt auch die Anordnung nach § 132 StPO über die Erteilung einer Zustellungsvollmacht durch den Beschuldigten in Betracht (vgl. dazu den sehr weitgehend LG Offenburg, Beschluss vom 29. September 2015, Az. 3 Qs 84/15; eher einschränkend LG Hamburg NStZ 2006, 719 und LG Dresden, Beschluss vom 23. Januar 2015 - 3 Qs 7/15 -, juris ablehnend AG Kehl, Beschluss vom 03. März 2015 - 3 Cs 206 Js 13333/14 -, juris). Einer Anordnung nach § 132 StPO steht nicht entgegen, dass der Beschuldigte seinen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union hat (EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2015, Rechtssache C-216/14, EuGRZ 2015, 646).
2.
Die Anordnung nach § 132 StPO über die Erteilung einer Zustellungsvollmacht ist bei der aktuellen Sachlage aber unverhältnismäßig und damit unzulässig.
Bei der Anordnung der Erhebung einer Zustellungsvollmacht nach § 132 StPO ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 7. Aufl. 2013, § 132, Rn. 5; Hilger in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage 2007, § 132, Rn. 1). Danach ist eine Maßnahme nach § 132 StPO unverhältnismäßig, solange ein anderes, weniger schwerwiegendes Mittel zur Betreibung des Verfahrens zur Verfügung steht, wobei dabei allein auf die Wirkung beim Beschuldigten abzustellen ist und ein etwaiger Mehraufwand bei den Strafverfahrensbehörden außer Betracht zu bleiben hat. So liegt der Fall hier.
Die Erteilung einer Zustellungsvollmacht kann für den Beschuldigten erhebliche und unumkehrbare Folgen haben, bis hin zu einer rechtskräftigen Verurteilung, ohne dass er tatsächlich die Möglichkeit hatte, sich selbst vor Gericht zum Vorwurf zu verteidigen (siehe dazu AG Kehl a.a.O. mit ausführlicher Darstellung). Auf der anderen Seite birgt die Zustellung des Strafbefehls im Wege der Rechtshilfe für den Beschuldigten keine besonderen Nachteile oder Risiken.
3.
Nachdem zunächst die Zustellung des Strafbefehls im Wege Rechtshilfe versucht werden musste, kann das Verfahren noch nicht nach § 205 StPO eingestellt werden.

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