Beschluss vom Amtsgericht Ludwigshafen am Rhein - 3d IN 36/16


Gründe

I.

1

Das Gericht hat auf den der Antragsgegnerin am 10.2.2016 zugestellten Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens diese fruchtlos unter Hinweis auf deren Auskunfts- und Mitwirkungspflichten nach den §§ 20, 97 InsO angehört; mit Beschluss vom 26.2.2016 hat das Gericht einen Sachverständigen bestellt, dessen Maßnahmen und Anhörungsversuche nicht minder fruchtlos scheiterten. Zur Darstellung der Tätigkeit des Sachverständigen nimmt das Gericht Bezug auf die Schriftsätze des Sachverständigen vom 16.3.2016 sowie vom 7.4.2016. Mit dem letztgenannten Schriftsatz regt der Sachverständige die Anordnung einer vorläufigen Postsperre an.

II.

2

1. Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist bereits mit Beschluss vom 26.02.2016 zugelassen worden, da die Zulässigkeitsvoraussetzungen vorgetragen sind. Es wird darauf hingewiesen, dass mit dieser Zulassung noch nicht entschieden ist, ob das Insolvenzverfahren auch eröffnet wird.

3

2. Nach § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 InsO iVm. § 99 InsO wird eine vorläufige Postsperre angeordnet, d.h. alle Postsendungen für den Schuldner sind dem vorläufigen Insolvenzverwalter auszuhändigen. Die Maßnahme erscheint erforderlich, um für die Gläubiger nachteilige Rechtshandlungen aufzuklären und zu verhindern.

4

Es ist zu befürchten, dass Vermögenswerte unter Verstoß gegen das erlassene Verfügungsverbot übertragen oder im Hinblick auf das Insolvenzverfahren auf andere Personen verlagert werden bzw. wurden. Die gesetzlich vorgeschriebene Anhörung erfolgt nach § 99 Abs. 1 S. 3 InsO erst nachträglich, um die Möglichkeit zu erschweren, Post umzuleiten. Von der vorläufigen Postsperre sind auch E-Mails erfasst (Münzel/Böhm, ZInsO 1998, 363; Uhlenbruck/Vallender, Insolvenzordnung, 14. Aufl., 2015, § 21, Rnr. 37; Heidelberger Kommentar/Kreft, 7. Auflage 2014, § 99 InsO, Rnr. 8), die von dem Provider auch dann abzufangen sind, wenn die Adresse persönlich auf den Geschäftsführer einer GmbH lautet.

5

Anlass zu der konkreten Befürchtung, dass der Schuldner nachteilige Rechtshandlungen vornehmen könnte, geben die Feststellungen des Gerichts sowie die Mitteilungen des Sachverständigen aus den Schreiben vom 16.3.2016 sowie vom 7.4.2016. Danach entzieht sich die Antragsgegnerin dem Verfahren nach Kräften, sie hat bislang auf mehrere Nachfragen keinerlei Auskünfte erteilt, so dass der Verdacht besteht, dass Vermögenswerte verschleiert werden oder zumindest wurden. Dass der Antragsgegnerin aber ihre Auskunfts- und Mitwirkungspflicht aus § 20 Abs. 1 InsO bekannt ist, ergibt sich aus der Zustellung eines entsprechenden Hinweises im Rahmen der Anhörung der Antragsgegnerin zu Beginn des Verfahrens.

6

3. Weiterhin wird gemäß § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 InsO ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, ohne dass eine Verfügungsbeschränkung gemäß § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 InsO angeordnet wird.

7

Die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters ist erforderlich, weil die notwendige Sicherungsmaßnahme der Postsperre (s.o. II. 1.) das Vorhandensein eines vorläufigen Insolvenzverwalters voraussetzt (OLG Celle, Beschluss vom 24.01.2001, Az.: 2 W 124/00, ZInsO 2001, 128; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, Fachanwalts-Kommentar Insolvenzrecht, 2. Aufl. 2014, § 21, Rnr. 42; FK-InsO/Schmerbach, FK-InsO, 8. Aufl., 2015, § 21, Rnr. 274; Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht/Schröder, 5. Auflage 2015, § 21, Rnr. 66; Berliner Kommentar zur InsO/Blersch, Mai 2012, § 21, Rnr. 41; Haarmeyer/Wutzke/Förster, PK, Juli 2015, § 21, Rnr. 25; Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung/Haarmeyer, 3. Aufl., 2013; Wimmer/Dauernheim/Wagner/Gietl-Maier, Handbuch des Fachanwalts Insolvenzrecht, 7. Auflage 2015, § 21, Rnr. 32; Gundlach/Frenzel/Schmidt, ZInsO 2001, 979; aA. Uhlenbruck/Vallender, Insolvenzordnung, 14. Aufl., 2015, § 21, Rnr. 34 mit Hinweis darauf, dass das Gericht die Postkontrolle auch selbst vornehmen könne).

8

Aus der Bezugnahme auf die §§ 99, 101 InsO in § 21 Abs. 2 Nr. 4 InsO und die dort enthaltene Formulierung, dass Postsendungen dem Insolvenzverwalter zuzuleiten sind, ergibt sich zwar nicht das zwingende Erfordernis, auch im Eröffnungsverfahren einen vorläufigen Verwalter zu bestellen. § 21 Abs. 2 Nr. 4 InsO sieht nämlich lediglich die entsprechende Anwendung der genannten Vorschriften vor. Der Schluss von dem eröffneten Verfahren, in dem es – bis auf die Fälle der Eigenverwaltung – regelmäßig einen Insolvenzverwalter gibt, auf das Eröffnungsverfahren, das auch ohne die Anordnung einer vorläufigen Verwaltung ablaufen kann, erscheint auch nicht zwingend und schränkt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in unzulässiger Weise ein. § 99 InsO ist hier nur unter der Berücksichtigung der Besonderheiten des Eröffnungsverfahrens gegenüber dem eröffneten Verfahren anzuwenden, ebenso wie die Vorschriften aus der Zivilprozessordnung nur unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Insolvenzverfahrens nach § 4 InsO anzuwenden sind. Die – aus der Sicht des Gerichts maßgebliche – Besonderheit des Eröffnungsverfahrens gegenüber dem eröffneten Verfahren bei Betrachtung des § 99 InsO besteht darin, dass eben nicht regelmäßig ein Verwalter eingesetzt ist. Das Vorhandensein eines vorläufigen Insolvenzverwalters erwähnen lediglich § 21 Abs. 2 Nrn. 1, 2 und 5 InsO; zwingend voraussetzen eine Anordnung lediglich § 21 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 InsO. Auch das OLG Celle geht in seiner bereits zitierten Entscheidung wohl nicht von einer rechtlich zwingenden Anordnung einer vorläufigen Insolvenzverwaltung aus, sondern erörtert dieses Erfordernis nur unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit.

9

a) Dementsprechend wäre zwar die Kontrolle der Postsendungen durch einen Sachverständigen zunächst nicht ausgeschlossen, die Notwendigkeit der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters ergibt sich jedoch aus verfassungsrechtlichen Erwägungen. Die Postsperre mit der darauf folgenden Kontrolle der Post durch einen Dritten stellt einen Eingriff in das Grundrecht nach Art. 10 Abs. 1 GG dar; Eingriffe in das Grundrecht nach Art. 10 Abs. 1 GG sind lediglich auf Grund eines Gesetzes – hier in Form des § 21 Abs. 2 Nr. 4 InsO bzw. § 99 InsO – möglich, Art. 10 Abs. 2 GG (BGH, Urteil vom 12.10.2006, Az. IX ZR 34/05, DZWIR 2007, 84). So macht sich nach § 202 Abs. 1 StGB denn auch strafbar, wer unbefugt einen verschlossenen Brief oder ein anderes verschlossenes Schriftstück, die nicht zu seiner Kenntnis bestimmt sind, öffnet. Nicht zuletzt im Lichte dieser Strafandrohung muss die Postkontrolle im Eröffnungsverfahren auf einen vorläufigen Insolvenzverwalter übertragen werden.

10

Bei der Durchsicht der Post handelt sich um eine Maßnahme der Amtsermittlung bzw. zur Sicherung der Masse, die ebensowenig wie eine Hausdurchsuchung (vgl. BGH, ZInsO 2004, 550; Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung/Haarmeyer, 3. Aufl., 2013, § 21, Rnr. 91) auf den Sachverständigen übertragen werden kann.

11

b) Soweit eine Vornahme der Postkontrolle durch das Gericht vorgeschlagen wird (Uhlenbruck/Vallender, Insolvenzordnung, 14. Aufl., 2015, § 21, Rnr. 34), bestehen auch hiergegen verfassungsrechtliche Bedenken. Im Hinblick auf Kontenabrufersuchen von Gerichten hat das Bundesverfassungsgerichts in einem Urteil vom 13.6.2007 (Az. 1 BvR 1550/03, 1 BvR 2357/04, 1 BvR 603/05, NJW 2007, 2464) entschieden, dass ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eine hinreichende Bestimmtheit der Norm in Bezug auf den Kreis der berechtigten Personen und der Aufgaben, denen solche Ersuchen dienen sollen voraussetzt.

12

Auf den Fall der Anordnung einer vorläufigen Postsperre im Eröffnungsverfahren nach § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 InsO iVm. § 99 InsO übertragen, muss diese Rechtsprechung nach der Auffassung des Gerichts zur Notwendigkeit einer Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters führen (vgl. die Ausführungen zur entsprechenden Anwendung des § 802l ZPO über § 4 InsO von Beth, NZI 2016, 109). Denn es bedarf einer gesetzlichen Regelung, welche (staatliche) Stelle zur Erfüllung welcher Aufgaben zu einem Grundrechtseingriff – hier in den Schutzbereich des Art. 10 GG – befugt sein soll. § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 InsO ist nur insoweit eine taugliche Eingriffsnorm, als durch die Verweisung auf §§ 99 InsO die berechtigte Stelle (Insolvenzverwalter) eindeutig benannt ist; diese Eindeutigkeit darf auch im Falle einer Verweisung bzw. entsprechenden Anwendung nicht verloren gehen.

13

Eine andere Sichtweise ergibt sich auch nicht daraus, dass die aus der Postsperre erlangten Erkenntnisse nicht alleiniges Herrschaftswissen des vorläufigen Insolvenzverwalters im Verfahren bleiben, sondern vielmehr im Zuge der Berichterstattung und abschließenden Begutachtung jedenfalls dem Gericht zugänglich gemacht werden könnten. Denn der Gegenstand der Postkontrolle und der Gegenstand der Berichterstattung gegenüber dem Gericht sind nicht deckungsgleich. Im Rahmen der Überwachung des Postverkehrs muss der vorläufige Insolvenzverwalter auch Schreiben, die ausschließlich privater bzw. nicht vermögensrelevanter Natur sind, zunächst öffnen, Ihren Inhalt aber mangels Verfahrensbezugs nicht dem Gericht mitteilen; hier darf die Grundrechtsbeeinträchtigung nicht noch dadurch vertieft werden, dass diese Schreiben Dritten - in diesem Falle dem Gericht - zugänglich gemacht werden.

14

c) Die Anordnung einer Verfügungsbeschränkung ist derzeit weder erforderlich noch zulässig. Im Rahmen der Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens muss das Gericht die Verhältnismäßigkeit seiner vorläufigen Maßnahmen abwägen. Zumindest solange nicht ersichtlich ist, dass zu sicherndes Vermögen vorliegt, besteht die Möglichkeit, einen vorläufigen Insolvenzverwalter ohne jegliche Verwaltungs- oder Verfügungsbefugnis zu bestellen (vgl. BGH, Urteil vom 05.05.2011, Az. IX ZR 144/10, ZInsO 2011, 1463; (FK-InsO/Schmerbach, 8. Aufl. 2015, § 21, Rnr. 73). Ob es in rechtlicher Hinsicht für die Anordnung einer vorläufigen Insolvenzverwaltung ausreicht, dass das Gericht eine Postkontrolle auf Grund der personellen und/oder materiellen Ausstattung tatsächlich nicht leisten kann, mag an dieser Stelle offen bleiben.

15

Zur Überwachung der Postsendungen benötigt der vorläufige Insolvenzverwalter keine weitergehenden Befugnisse, insbesondere ist die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes nach § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 1. Alt. InsO nicht erforderlich (ebenso: FK-InsO/Schmerbach, 8. Auflage 2015, § 21, Rnr. 274; Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht/Schröder, 5. Aufl., 2015, § 21, Rnr. 66; Gundlach/Frenzel/Schmidt, ZInsO 2001, 979; aA. OLG Celle, a.a.O.).

16

Entgegen der Auffassung des OLG Celle (aaO.) kann nicht generell von einem Nichtvorliegen der Voraussetzungen einer Postsperre ausgegangen werden, wenn die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots nicht erforderlich ist. Denn die Postsperre ist nicht nur ein Mittel, um gegen obstruierende Schuldner vorzugehen, sondern kann auch bei indifferenten Schuldnern eingesetzt werden, die das Verfahren zwar nicht aktiv hintertreiben, aber lediglich passiv über sich ergehen lassen. In diesem Falle wäre gerade die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots (insb. bei natürlichen Personen als Schuldnern) aus Sicht des Gerichts unverhältnismäßig. Zudem dient die Postsperre auch der Aufdeckung bereits erfolgter nachteiliger Vermögensverschiebungen, so dass auch die Anordnung eines Zustimmungsvorbehaltes ausreichend ist, wenn zumindest nunmehr kein Verstoß gegen den Vorbehalt – aus welchen Gründen auch immer – zu erwarten ist (so auch Gundlach/Frenzel/Schmidt, aaO.; Berliner Kommentar zur InsO/Blersch, Mai 2012, § 21, Rnr. 41).

17

Eine zwingende Verknüpfung der Anordnung einer Verfügungsbeschränkung und der vorläufigen Postsperre ergibt sich weder aus dem Wortlaut des Gesetzes noch seiner Systematik. Einer möglicherweise abweichenden historischen Auslegung misst das Gericht vor diesem Hintergrund keine ausreichende Bedeutung bei.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen