Beschluss vom Amtsgericht Ludwigshafen am Rhein - 3b IN 72/21 LU

Tenor

1. Das Verfahren ist in der Hauptsache erledigt.

2. Die Schuldnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Der Gegenstandswert des Verfahrens wird auf 58.163,92 € festgesetzt.

Gründe

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I. Die Antragstellerin - ein gesetzlicher Sozialversicherungsträger - beantragte mit Schriftsatz vom 16.03.2021 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin. Sie stützte sich dabei auf rückständige und fällige Gesamtsozialversicherungsbeiträge im Zeitraum 11.04.2020 bis 30.11.2020 in Höhe von 58.163,92 € (einschließlich Säumniszuschlägen, Kosten und Gebühren).

2

Die Schuldnerin beglich die Antragsforderungen am 12.04.2021 vollständig. Daraufhin erklärte die Antragstellerin den Insolvenzantrag für erledigt und beantragte der Schuldnerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Die Schuldnerin schloss sich der Erledigungserklärung unter Verwahrung gegen die Kostentragungspflicht an.

3

Die Schuldnerin ist der Ansicht, der Insolvenzantrag sei unzulässig gewesen. Der Zeitraum der Nichtabführung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen habe sich teilweise mit dem Zeitraum des § 3 COVInsAG überschnitten. In diesen Zeitraum fallende Zahlungsrückstände könnten die Glaubhaftmachung der Zahlungsunfähigkeit nicht begründen. Das Gericht hätte mithin den Antrag als unzulässig zurückweisen müssen. Darüber hinaus habe die Antragstellerin keinen fruchtlosen Vollstreckungsversuch glaubhaft gemacht.

4

II. Aufgrund der übereinstimmenden Erledigungserklärung der Parteien ist das Verfahren erledigt. Die Kosten des Verfahrens sind nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes der Schuldnerin aufzuerlegen (§ 4 InsO iVm § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO).

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Maßgeblich für die Kostenentscheidung ist, ob der Insolvenzantrag bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses zulässig war, also bei Weiterverfolgung voraussichtlich zu einer Verfahrenseröffnung geführt hätte (statt aller: Uhlenbruck/Wegener, InsO, 15. Aufl., § 14 Rn. 175). Der Insolvenzantrag vom 16.03.2021 war zulässig, insbesondere hat die Antragstellerin das Vorliegen eines Insolvenzgrundes glaubhaft gemacht.

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1. Die Zahlungsunfähigkeit kann, wie § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO verdeutlicht, nicht nur im Wege der Ermittlung der Unterdeckung für einen bestimmten Zeitraum, sondern auch mit Hilfe von Indiztatsachen festgestellt werden. Dabei stellt die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen ein starkes Indiz dar, welches für den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit spricht, weil diese Forderungen in der Regel wegen der drohenden Strafbarkeit gemäß § 266a StGB bis zuletzt bedient werden. Fehlen bei einer monatelangen Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen gegenläufige Indizien, die etwa in einem Bestreiten der nichterfüllten Forderungen des Sozialversicherungsträgers liegen können, reicht dieses starke Indiz für sich genommen aus, um den Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit jedenfalls als wahrscheinlich erscheinen zu lassen (BGH, Beschluss vom 13. Juni 2006 – IX ZB 238/05, Rn. 6).

7

Die Schuldnerin hat unstreitig über einen Zeitraum von mehr als sieben Monaten die fälligen Gesamtsozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt. Für die Betrachtung im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung ist damit die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin hinreichend glaubhaft gemacht.

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Die Schuldnerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, wegen der pandemiebedingten Sonderregelung in § 3 COVInsAG könnten in den regelungsgegenständlichen Zeitraum fallende Zahlungsrückstände eine Glaubhaftmachung nicht begründen. Im Gegenteil sind bei der Glaubhaftmachung eines Insolvenzgrundes durch einen Sozialversicherungsträger, der sich auf eine Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen stützt, auch Sozialversicherungsbeiträge zu berücksichtigen, die in den Zeitraum des § 3 COVInsAG (28.03.2020 bis 28.06.2020) fallen (Hölken, jurisPR-InsR 5/2021 Anm. 2; wohl auch Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO, Stand 03.2021, § 14 Rn. 236; Gehrlein, DB 2020, 713, 717).

9

Zwar wird teilweise vertreten, Rückstände, die den Zeitraum vom 28.03.2020 bis 28.06.2020 betreffen, seien bei der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit nicht zu berücksichtigen (AG Darmstadt, ZIP 2021, 307, 308; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, Stand 03.2021, § 3 COVInsAG Rn. 7; Dahl/Taras, NJW-Spezial 2021, 119), dem folgt das erkennende Gericht aber nicht.

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§ 3 COVInsAG enthält keine gesetzliche Fiktion, dass bei Nichtzahlungen in dem gesetzlich festgeschriebenen Zeitraum ein Insolvenzgrund nicht festgestellt werden kann bzw. darf. Dem Wortlaut der Vorschrift kann nicht entnommen werden, dass der regelungsgegenständliche Zeitraum auch später noch unberücksichtigt bleiben soll. Während der Gesetzgeber eine Regelung zur Rückwirkung getroffen hat, fehlt es erkennbar an einer Ausdehnung der Auswirkungen des § 3 COVInsAG über den geregelten Zeitraum hinaus. Hinzu kommt, dass die Vorschrift schon in ihrem eigentlichen Anwendungsbereich die Zulässigkeit von Drittanträgen unberührt lässt (HambKommInsO/Linker, 8. Aufl., § 3 COVInsAG Rn. 10; BerlKomm-InsO/Knof, Stand 1.4.2021, § 3 COVInsAG Rn. 4; Römermann in Nerlich/Römermann, InsO, Stand Februar 2021, § 3 COVInsAG Rn. 3; Thole, ZIP 2020, 650, 654; Bornemann, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1, Ziff. 10; Zipperer in Kraemer/Vallender/Vogelsang, Handbuch zur Insolvenz, 97. Lfg., Fach 1 Rn. 578) und lediglich eine zusätzliche Verfahrensvoraussetzung geschaffen hat, nämlich das Vorliegen des Eröffnungsgrunds bereits am 01.03.2020 (HK-InsO/Sternal, 10. Aufl., § 14 Rn. 3.; Gehrlein, DB 2020, 713, 717). Dieses zusätzliche Erfordernis ist mit dem Ablauf des 28.06.2020 entfallen.

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Eine andere Bewertung könnte sich allenfalls ergeben, wenn die Beitragsforderungen von der Antragstellerin im Zeitraum 28.03.2020 bis 28.06.2020 nicht mehr ernsthaft eingefordert worden wären. Dies wäre im Falle einer Stundung anzunehmen, auch wenn diese rein tatsächlich - also auch ohne rechtlichen Bindungswillen oder erkennbare Erklärung - erfolgt wäre (BGH, Urteil vom 19. Dezember 2017 – II ZR 88/16, Rn. 16). Hierfür ist vorliegend aber nichts ersichtlich. Da ein Gläubigerantrag auch im Zeitraum des § 3 COVInsAG nicht unzulässig geworden ist (s.o.), kann der Antragstellerin ein ernsthaftes Einfordern der Beitragsforderungen ohne weitere tatsächliche Indizien nicht abgesprochen werden.

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2. Entgegen der Ansicht der Schuldnerin kommt es nicht darauf an, ob die Antragstellerin ein Protokoll eines Gerichtsvollziehers oder Vollziehungsbeamten über einen aktuellen fruchtlosen Vollstreckungsversuch vorgelegt hat.

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Werden Sozialversicherungsbeiträge trotz der drohenden Strafbarkeit gemäß § 266a StGB wie vorliegend über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten nicht abgeführt, trägt dies für sich genommen regelmäßig die Annahme einer Zahlungsunfähigkeit. Die strafbewehrte Sanktion lässt das Vorliegen einer bloßen Zahlungsunwilligkeit als unwahrscheinlich erscheinen. Fehlen gegenläufige Indizien, die etwa in einem Bestreiten der nichterfüllten Forderungen des Sozialversicherungsträgers liegen können, reicht dieses starke Indiz für sich genommen aus, um den Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit jedenfalls als wahrscheinlich erscheinen zu lassen. Dies ist in dieser Phase des Eröffnungsverfahrens ausreichend. Weitere Mittel der Glaubhaftmachung, wie etwa eine Fruchtlosigkeitsbescheinigung des Gerichtsvollziehers, müssen nicht beigebracht werden (BGH, Beschluss vom 13. Juni 2006 – IX ZB 238/05, Rn. 6 f.).

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3. Im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung sind schließlich auch keine höheren Anforderungen an die Darlegung des rechtlichen Interesses der Antragstellerin zu stellen, wenn die Antragsforderungen teilweise im Zeitraum des § 3 COVInsAG fällig wurden (HambKommInsO/Linker, 8. Aufl., § 3 COVInsAG Rn. 13; BerlKommInsO/Knof, Stand 1.4.2021, § 3 COVInsAG Rn. 5; Pape, NZI 2020, 393, 404; a.A. Uhlenbruck/Hirte, InsO, 15. Aufl., § 3 COVInsAG Rn. 4; Hölzle/ Schulenberg, ZIP 2020, 633, 650). Es obliegt dem Gesetzgeber über eine Verlängerung des Zeitraums des § 3 COVInsAG zu entscheiden. Da er darauf verzichtet hat, gibt es keine Veranlassung das Antragsrecht des Gläubigers zu beschneiden und den Schuldner einseitig zu bevorzugen. Es obliegt nach allgemeinen Grundsätzen dem Schuldner, im Rahmen des Insolvenzeröffnungsverfahrens darzulegen und glaubhaft zu machen, dass sein Unternehmen die Möglichkeit hat, die Krise zu überstehen und den Insolvenzgrund zu beseitigen (Pape, a.a.O.).

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III. Die Entscheidung über den Wert des Gegenstandes des Verfahrens folgt aus § 58 Abs. 2 GKG.

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