Beschluss vom Amtsgericht Ludwigslust - 5 F 204/09

Tenor

I. Es wird von Maßnahmen nach den §§ 1666 bis 1667 BGB abgesehen.

II. Gerichtskosten werden nicht erhoben; eine Erstattung außergerichtlicher Auslagen findet nicht statt.

III. Der Geschäftswert wird auf 4.000,00 € festgesetzt.

Gründe

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I. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens war die Prüfung, ob familiengerichtliche Maßnahmen in Form einer Einschränkung der elterlichen Sorge der Kindesmutter für ihre Kinder veranlasst seien.

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Die allein sorgeberechtigte Kindesmutter hatte seit Ende des Jahres 2008 in sich steigerndem Maße psychische Auffälligkeiten gezeigt; in der Folge kam es zu Versäumnissen insbesondere bei der Beantragung und Verwaltung der Sozialleistungen, die zur Versorgung und dem Unterhalt der am 02.06.1997 und am 21.02.1994 geborenen Kinder erforderlich waren. Das Jugendamt regte daher eine familiengerichtliche Überprüfung von Maßnahmen wegen einer Gefährdung des Kindeswohls an. Bis Ende April 2009 befand sich die Kindesmutter im Strafvollzug in der JVA B.. Der dort tätige Anstaltspsychologe Dr. med. B. R. stellte im Rahmen eines Gutachtens eine Geschäftsunfähigkeit der Kindesmutter aufgrund einer psychischen Störung mit hoher Wahrscheinlichkeit aus dem schizophrenen Formenkreis fest.

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Nach ihrer Haftentlassung begab sich die Kindesmutter in eine ärztliche Behandlung, in deren Rahmen bei ihr eine Zöliakie festgestellt wurde. Aufgrund einer medikamentösen Einstellung und einer Ernährungsumstellung waren daraufhin die psychisch auffälligen Verhaltensweisen der Kindesmutter durchgehend rückläufig. Dies ergab sich zum einen aus der wiederholten Anhörung der Kindesmutter selbst und der Kinder sowie den Stellungnahmen des Jugendamtes. Der Sachverständige Dipl.-Med. F. M. stellte zum anderen in einem weiteren Gutachten aufgrund dieser Entwicklungen unter anderem fest, dass die Kindesmutter wieder geschäftsfähig und in der Lage sei, die Aufgaben der elterlichen Sorge wahrzunehmen. Es müsse jedoch eingeschätzt werden, dass aufgrund der remittierenden psychischen Symptomatik im Rahmen der Verdachtsdiagnose Schizophrenie unter der Medikation zwar eine Stabilisierung erreicht wurde; inwieweit dies zu einem dauerhaften Zustand führe, bleibe offen, sodass eine zwischenzeitlich für die Kindesmutter angeordnete Betreuung weiterhin sinnvoll sei.

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II. Das Verfahren war dahingehend zu beenden, dass von Maßnahmen nach §§ 1666 bis 1667 BGB abgesehen wird.

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1. Eine Kindeswohlgefährdung ist nach dem unter Ziffer I) dargestellten Ergebnis des in sich schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Med. F. M. aktuell nicht mehr ersichtlich; gleichzeitig erscheint danach die psychische und gesundheitliche Situation der Kindesmutter noch nicht abschließend geklärt oder einschätzbar, sodass eine erneute Überprüfung der Sachlage mit gewissem zeitlichen Abstand als sachgerecht erscheint.

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2. Um letzteres vor dem Hintergrund des § 1696 Abs. 3 Satz 2 BGB a. F. bzw. des seit dem 01.09.2009 geltenden § 166 Abs. 3 FamFG eindeutig zum Ausdruck zu bringen, war der Hauptsachetenor des vorliegenden Beschlusses in Abgrenzung zu anderen möglichen Erledigungsarten entsprechend zu fassen; sieht das Familiengericht von Maßnahmen nach den §§ 1666 bis 1667 BGB ab, soll es danach seine Entscheidung in angemessenem Zeitabstand, in der Regel nach drei Monaten, überprüfen.

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a. So werden von Amts wegen geführte Verfahren wegen einer Gefährdung des Kindeswohls, wenn sie nicht die Anordnung von Maßnahmen nach § 1666 bis 1667 BGB zur Folge haben, grundsätzlich entweder eingestellt, wenn sich eine Kindeswohlgefährdung von vorneherein nicht feststellen lässt (vgl. OLG Hamm NJW 2007, 2704), oder aber ihre Erledigung in der Hauptsache festgestellt, wenn eine Kindeswohlgefährdung zwar zunächst vorlag, nach Verfahrensbeginn jedoch ein Umstand eingetreten ist, der den Verfahrensgegenstand hat wegfallen lassen, sodass die Weiterführung des Verfahrens keinen Sinn mehr hat, weil eine Sachentscheidung nicht mehr ergehen kann (BayObLG FamRZ 1991, 846).

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b. In dieses System fügt sich eine bis zum 31.08.2009 mit § 1696 Abs. 3 Satz 2 BGB a. F. eher im Bereich des materiellen Rechts angesiedelte und seit dem 01.09.2009 nun mit § 166 Abs. 3 FamFG wohl zutreffender in das Verfahrensrecht eingefügte Verfahrensbeendigung durch das "Absehen von Maßnahmen", die der prozessualen Praxis sonst unbekannt ist, nicht so recht ein.

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aa. Nicht zuletzt aus diesem Grunde muss davon ausgegangen werden, dass damit eine Vorgehensweise eröffnet werden sollte, die von den unter lit. a) genannten abweicht; dafür spricht aber insbesondere auch der Zweck der Einführung der eingangs genannten Regelungen.

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Eine nochmalige Befassung des Gerichtes wurde aus Kindesschutzgründen als sinnvoll angesehen, um mit der Überprüfung der Gefahr entgegenzuwirken, dass es entgegen der Erwartung des Gerichtes nicht gelinge, die Gefährdung für das Kind abzuwenden und das Gericht hiervon nichts erfahre; gerade wenn das Gericht im Hinblick auf Zusagen der Eltern das Verfahren ohne konkrete Maßnahmen abgeschlossen habe oder aber die Schwelle der Kindeswohlgefährdung noch nicht erreicht, eine Verschlechterung der Kindeswohlsituation aber nicht auszuschließen sei, solle im Interesse des Kindes eine nochmalige Befassung des Gerichtes mit dem Fall gewährleistet sein. Gleichzeitig solle die Überprüfung nicht zu einer "Dauerkontrolle" der Familie durch das Familiengericht führen (vgl. BT-Drs. 16/6815 zu § 1696 BGB). Letzterem trägt zum einen bereits der Umstand Rechnung, dass es sich bei § 1696 Abs. 3 Satz 2 BGB a. F. wie bei § 166 Abs. 3 FGG um Soll-Vorschriften handelt. Zum anderen ist aber auch zu berücksichtigen, dass in Fällen, in denen sich eine Kindeswohlgefährdung aufgrund der gerichtlichen Ermittlungen zu keinem Zeitpunkt ergibt, oder diese unzweifelhaft nachträglich wieder weggefallen ist, eine auch nur einmalige Überprüfung einer gerichtlichen Entscheidung, die unabhängig von ihrer konkreten Formulierung oder Begründung jedenfalls keine Maßnahmen nach den §§ 1666 bis 1667 BGB anordnet, weder mit den Elterngrundrechten aus Art. 6 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG noch mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu vereinbaren wäre. Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG, wonach die Familie unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung steht und Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern sind, enthalten ein Zurückhaltungsgebot für den Staat gegenüber der Entscheidungsbildung innerhalb der Familie; die Eltern können daher grundsätzlich frei von staatlichen Einflüssen und Eingriffen nach eigenen Vorstellungen darüber entscheiden, wie sie die Pflege und Erziehung ihrer Kinder gestalten und damit ihrer Elternverantwortung gerecht werden wollen (Lepa, der Inhalt der Grundrechte, 6. Aufl., 1989, Art. 6 Rn. 8 und 20 m. w. N.). Deshalb wie auch aufgrund des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG, nach dem gleiche Sachverhalte nicht ungleich behandelt werden dürfen, verbietet sich eine erneute Einmischung des Familiengerichtes in die innersten Angelegenheiten einer Familie, bei der eine Kindeswohlgefährdung nicht festgestellt werden konnte oder eindeutig weggefallen ist, nur aus dem Grunde, dass sie eben bereits einmal in den Fokus gerichtlicher Tätigkeit geraten ist; hieraus ergäbe sich eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung gegenüber Familien, bei denen es noch nie Anzeichen für das Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung gegeben hat und bei denen auch nicht aufs Geratewohl eine diesbezügliche Überprüfung stattfindet.

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bb. Für eine Überprüfung des Absehens von Maßnahmen nach den §§ 1666 bis 1667 BGB verbleiben damit entsprechend der Gesetzesbegründung diejenigen Fälle, in denen sich das (Fort)Bestehen einer Kindeswohlgefährdung nicht mit letzter Sicherheit hat ausschließen lassen, in denen aber dennoch familiengerichtliche Maßnahmen (noch) nicht veranlasst waren. Um die betreffenden, einer Überprüfung nach § 1696 Abs. 3 Satz 2 BGB a. F. bzw. § 166 Abs. 3 FamFG unterliegenden und damit in gewisser Weise nur vorläufigen Entscheidungen von der (endgültigen) Einstellung eines Verfahrens oder der Feststellung von dessen Erledigung abzusetzen, ist dies bereits im Hauptsachetenor so auszusprechen, für dessen Formulierung sich die Praxis auch sonst etwa hinsichtlich der "Ablehnung", "Zurückweisung", "Verwerfung" o. ä. an dem Wortlaut der jeweils maßgeblichen Verfahrensvorschriften orientiert.

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cc. Nichtsdestotrotz ist klarstellend davon auszugehen, dass mit einer solchen Entscheidung wie auch sonst bei einer Hauptsacheentscheidung Regelung aufgrund einer zuvor erlassenen einstweiligen Anordnung außer Kraft treten.

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III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 94 Abs. 3 Satz 2 KostO a. F., 13a Abs. 1 Satz 1 FGG. Gerichtskosten waren nicht zu erheben, nachdem das Verfahren von Amts wegen eingeleitet wurde.

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IV. Der Geschäftswert war gemäß §§ 94 Abs. 2 Satz 1 a. F., 30 Abs. 2 KostO auf 4.000,00 € festzusetzen. Eine Abweichung von dem Regelstreitwert in Sorgerechtssachen in Höhe von 3.000,00 € war insoweit gerechtfertigt, als der übliche Umfang eines Sorgerechtsverfahrens im vorliegenden Fall mit der Bestellung eines Verfahrenspflegers und der Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens überschritten wurde (vgl. Garbe/Oelkers,Praktische Arbeitshilfen zur erfolgreichen Bearbeitung von Familiensachen, Loseblattsammlung, Stand: August 2006, 14.2.4.1 m. w. N.).

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