Urteil vom Bundesfinanzhof (10. Senat) - X R 63/08

Tatbestand

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I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist verwitwet. Neben sonstigen Einkünften erzielte sie aufgrund eines Nießbrauchs Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Dieses Nießbrauchsrecht, aufgrund dessen sie monatliche Erbbauzinsen in Höhe von 20.120,20 DM (10.287,29 €) erhält, steht der Klägerin seit dem Tod ihres Ehemannes zu. Das Nießbrauchsrecht besteht noch bis 2023. Der Jahreswert des Nießbrauchsrechts betrug im Zeitpunkt des Todes des Ehemannes der Klägerin 123.447 €.

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Nach den Angaben in der Erbschaftsteuererklärung ermittelte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) einen Kapitalwert des Nießbrauchrechts in Höhe von 1.546.761 €. Die Klägerin wählte nach § 23 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) die Versteuerung nach dem Jahreswert des Nießbrauchsrechts; die hiernach jährlich zu zahlende Erbschaftsteuer beläuft sich auf 23.454,93 €. Im Streitjahr 2004 zahlte die Klägerin Erbschaftsteuer in Höhe von 25.372,79 €, die sich aus der im Jahr 2004 gezahlten anteiligen Jahressteuer 2003 (1.917,86 €) und der Jahressteuer 2004 in Höhe von 23.454,93 € zusammensetzt.

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Im Rahmen der Einkommensteuererklärung 2004 beantragte die Klägerin, die im Streitjahr bezahlte Erbschaftsteuer als Sonderausgaben in Abzug zu bringen. Das FA lehnte dies ab.

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Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wurde mit in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2008, 1697 veröffentlichtem Urteil abgewiesen. Die Erbschaftsteuer könne als Personensteuer nach § 12 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht als Sonderausgabe abgezogen werden. § 35 EStG a.F., der eine Ausnahme vom Abzugsverbot vorgesehen habe, sei durch das Steuerentlastungsgesetz (StEntlG) 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 402, BStBl I 1999, 304) mit Wirkung zum 1. Januar 1999 ersatzlos aufgehoben worden. Die Abschaffung werde in der Gesetzesbegründung mit Vereinfachungsgründen gerechtfertigt, obwohl der Gesetzgeber erkannt habe, dass dadurch eine dem Leistungsfähigkeitsprinzip widersprechende Doppelbelastung von Einkünften mit Einkommensteuer und Erbschaftsteuer eintrete (BTDrucks 14/23, 183). Die vor Einführung des § 35 EStG a.F. ergangenen Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 15. November 1957 VI 79/55 U (BFHE 66, 262, BStBl III 1958, 103) und vom 5. April 1965 VI 339/63 U (BFHE 82, 315, BStBl III 1965, 360) würden im Streitfall nicht den Sonderausgabenabzug gebieten. Diese Urteile seien von der Annahme geprägt, dass die Erbschaftsteuer keine Personensteuer i.S. des § 12 Nr. 3 EStG sei (BFH-Urteil vom 9. August 1983 VIII R 35/80, BFHE 139, 253, BStBl II 1984, 27). An dieser Auffassung werde jedoch seit langem in Rechtsprechung und Schrifttum nicht mehr festgehalten (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 14. September 1994 I R 78/94, BFHE 176, 122, BStBl II 1995, 207). Die umstrittene Einkommensteuerbelastung führe auch nicht zu einer Ungleichbehandlung i.S. des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Die Erbschaftsteuer betreffe nicht die Besteuerung von Einkünften, sondern sie besteuere den Vermögensvorteil des Erben durch die Erbschaft. Sie sei nicht durch eine Einkunftsquelle veranlasst und führe deshalb nicht zu Werbungskosten. Zudem sei die Doppelbelastung der Einnahmen mit Erbschaftsteuer und Einkommensteuer nicht verfassungswidrig. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gebe es keinen Verfassungsrechtssatz, wonach alle Steuern aufeinander abgestimmt sein müssten, also z.B. eine mehrfache Belastung vermieden werden müsse. Der Gleichheitssatz belasse dem Gesetzgeber bei der Erschließung von Steuerquellen einen weit reichenden Gestaltungsspielraum (BVerfG-Beschluss vom 8. Januar 1999  1 BvL 14/98, Neue Juristische Wochenschrift 1999, 1098). Schließlich führe die Abschaffung des § 35 EStG a.F. auch nicht zu einer übermäßigen Besteuerung mit der Folge einer Verfassungswidrigkeit wegen eines Verstoßes gegen Art. 14 GG. So habe der BFH mit Urteil vom 11. August 1999 XI R 77/97 (BFHE 189, 413, BStBl II 1999, 771) bereits entschieden, dass eine Gesamtsteuerbelastung von insgesamt rd. 60 % (im konkreten Fall: Einkommensteuer und Gewerbeertragssteuer) des zu versteuernden Einkommens nicht verfassungswidrig sei. Dem GG sei kein Gebot zu entnehmen, die Steuern auf das Einkommen und den Gewerbeertrag auf höchstens 50 % des Gesamtbetrags der Einkünfte oder des zu versteuernden Einkommens zu begrenzen. Nichts anderes könne für die Einkommensteuer und Erbschaftsteuer gelten.

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In während des Revisionsverfahrens ergangenen Änderungsbescheiden hat das FA den Umfang der Vorläufigkeitsvermerke neu bestimmt.

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Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts. Die im Streitfall gegebene Belastung der Erbbauzinsen mit Erbschaft- und Einkommensteuer führe zu einer steuerlichen Doppelbelastung. Vor Einführung des § 35 EStG a.F. hätten der Reichsfinanzhof und auch der BFH diese Doppelbelastung als systemwidrig erachtet und dadurch beseitigt, dass sie den Abzug der Jahressteuer als dauernde Last nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 (1a) EStG zugelassen hätten. § 35 EStG a.F. habe diese Rechtsprechung lediglich ergänzt. Dadurch sollten Härten in Fällen ausgeglichen werden, in denen die Berücksichtigung als dauernde Last nicht möglich gewesen sei. Nur um eine Doppelbegünstigung zu vermeiden, habe § 35 Satz 3 EStG a.F. eine Anrechnung für den Fall ausgeschlossen, dass die Erbschaftsteuer als Sonderausgabe abziehbar sei. Die Rechtsprechung zur Abzugsfähigkeit der Jahressteuer als dauernde Last habe nicht tragend auf dem Verständnis beruht, bei der Erbschaftsteuer handele es sich um keine Personensteuer. Dies ergebe sich aus dem BFH-Urteil vom 23. Februar 1994 X R 123/92 (BFHE 174, 73, BStBl II 1994, 690). Auch aus der Gesetzesbegründung zur Aufhebung von § 35 EStG a.F. durch das StEntlG 1999/2000/2002 könne geschlossen werden, dass der Gesetzgeber von der weiteren Abzugsfähigkeit der Jahressteuer als dauernde Last ausgegangen sei. Die Abzugsfähigkeit als dauernde Last ergebe sich unmittelbar aus § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG.

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Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Finanzgerichts (FG) und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Einkommensteuer 2004 unter Berücksichtigung weiterer Sonderausgaben in Höhe von 25.372,79 € festzusetzen.

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Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

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Abziehbar nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a Satz 1 EStG seien auf besonderen Verpflichtungsgründen beruhende Renten und dauernde Lasten. Die Annahme einer Rente bezüglich der Erbschaftsteuerzahlungen sei bereits begrifflich ausgeschlossen. Auch eine dauernde Last liege nicht vor, weil die Erbschaftsteuerzahlungen nicht auf einem "besonderen" Verpflichtungsgrund beruhten. Zudem habe der BFH den Anwendungsbereich des § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG in ständiger Rechtsprechung dahingehend präzisiert, dass zwischen der zeitlich gestreckten Vermögensumschichtung, die nicht zum Abzug einer dauernden Last führe, und dem Sonderrecht der Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen zu differenzieren sei. Hauptanwendungsfall der dauernden Last sei die anlässlich einer Vermögensübergabe zur Vorwegnahme der Erbfolge vereinbarte private Versorgungsrente. Hier behalte sich der Übergeber einen Teil der Erträge des übergebenen Vermögens vor. Würden demgegenüber außerhalb des Sonderrechts der Vermögensübergabe gegen private Versorgungsrente wiederkehrende Leistungen vereinbart, greife der den Abzug als dauernde Last legitimierende Gesichtspunkt der "vorbehaltenen Vermögenserträge" nicht ein. § 12 EStG und die allgemeinen Grundsätze des Einkommensteuerrechts würden unbeschränkt gelten. Hierzu gehöre auch die Nichtabziehbarkeit privater Schuldzinsen.

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Im Streitfall könne zudem offenbleiben, ob eine Qualifizierung der Erbschaftsteuerzahlung als dauernde Last in Betracht kommen könnte. Die Erbschaftsteuer sei nach einhelliger Meinung eine "sonstige Personensteuer" und § 12 Nr. 3 EStG schließe deren Abziehbarkeit aus. Eine spezialgesetzliche Ausnahme vom Abzugsverbot greife im Streitjahr nicht.

Entscheidungsgründe

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II. 1. Das angefochtene Urteil ist aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, da die während des Revisionsverfahrens ergangenen Änderungsbescheide --zuletzt-- vom 28. Januar 2010 an die Stelle des ursprünglichen Einkommensteuerbescheids 2004 vom 2. Februar 2006 getreten sind. Damit liegt dem FG-Urteil ein nicht mehr existierender Bescheid zugrunde mit der Folge, dass auch das angefochtene Urteil keinen Bestand haben kann (s. dazu BFH-Urteil vom 23. Januar 2003 IV R 71/00, BFHE 201, 269, BStBl II 2004, 43).

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Der Bescheid vom 28. Januar 2010 wurde nach § 68 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Revisionsverfahrens. Da die vom FG festgestellten tatsächlichen Grundlagen des Streitstoffs durch die Änderung der angefochtenen Verwaltungsakte unberührt geblieben sind, bedarf es keiner Zurückverweisung der Sache gemäß § 127 FGO (vgl. Senatsurteil vom 18. November 2009 X R 34/07, BFHE 227, 99, BStBl II 2010, 414). Das finanzgerichtliche Verfahren leidet nicht an einem Verfahrensmangel, so dass die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen durch die Aufhebung des Urteils nicht weggefallen sind; sie bilden daher nach wie vor die Grundlage für die Entscheidung des Senats (Senatsurteil in BFHE 227, 99, BStBl II 2010, 414).

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2. Der Senat entscheidet in der Sache selbst. Die Klage, die sich nunmehr gegen den im Laufe des Revisionsverfahrens ergangenen geänderten Bescheid richtet, wird als unbegründet abgewiesen. Das FG hat zu Recht erkannt, dass die von der Klägerin im Streitjahr bezahlte Erbschaftsteuer nach dem Jahreswert des Nießbrauchrechts (§ 23 ErbStG) nicht als dauernde Last i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG abziehbar ist (so auch FG München, Urteil vom 27. Oktober 2004  9 K 4542/01, EFG 2005, 370; Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 3 Rz 178; Herzig/Joisten/ Vossel, Der Betrieb --DB-- 2009, 584, 589 f.; Schmidt/ Heinicke, EStG, 29. Aufl., § 10 Rz 65 Stichwort: Erbschaftsteuer; Schmidt/Drenseck, a.a.O., § 12 Rz 52; Kulosa in Herrmann/Heuer/Raupach --HHR--, § 10 EStG Rz 104; P. Fischer in Kirchhof, EStG, 9. Aufl., § 35b Rz 4; HHR/Levedag, § 35b EStG Rz 37; Söhn, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 10 Rz D 371; Steiner in Lademann, EStG, § 10 Rz 154; a.A. Seifried in Rödl/Preißer u.a., Erbschaft- und Schenkungsteuer, Kompakt-Kommentar, 2009, § 23 Kap. 8.3; Szczesny in Tiedtke, ErbStG, 2009, § 23 Rz 17; Jüptner in Fischer/Jüptner/Pahlke/ Wachter, ErbStG, 2. Aufl., § 23 Rz 91; Moench in Moench/ Weinmann, § 23 ErbStG Rz 20; Meincke, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 15. Aufl., § 23 Rz 9; Pahlke in Christoffel/Geckle/Pahlke, § 23 ErbStG Rz 18; Bauschatz in Korn, § 10 EStG Rz 142; offengelassen von Jochum in Wilms/ Jochum, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, § 23 Rz 94; Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher, a.a.O., § 23 Rz 29; Kapp/Ebeling, § 23 ErbStG, Rz 26; Griesel in Daragan/ Halaczinsky/Riedel, ErbStG, BewG, § 23 ErbStG, Rz 26; Esskandari, Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge 2008, 323, 326).

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a) Als Sonderausgaben abziehbar sind die auf besonderen Verpflichtungsgründen beruhenden Renten und dauernden Lasten, die nicht mit Einkünften in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, die bei der Veranlagung außer Betracht bleiben (§ 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung).

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b) Werden außerhalb des Sonderrechts der Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen wiederkehrende Leistungen vereinbart, greift der den Abzug als dauernde Last (ohne Verrechnung mit dem Wert einer erbrachten Gegenleistung; sog. Wertverrechnung) oder als Leibrente legitimierende Gesichtspunkt der "vorbehaltenen Vermögenserträge" nicht ein; es gelten daher § 12 EStG und die allgemeinen Grundsätze des Einkommensteuerrechts uneingeschränkt. Zu diesen gehört auch, dass das Einkommensteuerrecht keine Abziehbarkeit bzw. Steuerbarkeit "um der äußeren Form der Wiederkehr willen" kennt: Ist eine Leistung als Einmalzahlung nicht steuerbar/abziehbar, wird sie es nicht dadurch, dass sie als zeitlich gestreckt vereinbart wird (Senatsurteil vom 31. Juli 2002 X R 39/01, BFH/NV 2002, 1575).

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c) Die in § 12 Nr. 3 EStG genannten Steuern vom Einkommen und sonstige Personensteuern dürfen, soweit in § 10 Abs. 1 Nrn. 1, 2, 4, 6, 7 und 9, § 10a, § 10b und §§ 33 bis 33c EStG nichts anderes bestimmt ist, weder bei den einzelnen Einkunftsarten noch beim Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden. Auf § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG nimmt der Einleitungssatz der Vorschrift in der im Streitjahr 2004 geltenden Fassung nicht Bezug. Die Erbschaftsteuer ist eine Personensteuer (vgl. z.B. Senatsurteil in BFHE 174, 73, BStBl II 1994, 690).

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d) Nach diesen Grundsätzen kann die Erbschaftsteuer --gleichgültig, ob sie als Sofort- oder als Jahressteuer gemäß § 23 ErbStG bezahlt wird-- nicht als Sonderausgabe gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG abgezogen werden.

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aa) Bei der Erbschaftsteuer handelt es sich um eine Personensteuer i.S. des § 12 Nr. 3 EStG. Auch wenn die Erbschaftsteuer als Jahressteuer geleistet wird, werden persönliche Freibeträge angesetzt, ihre Höhe hängt von der Steuerklasse ab, für die ebenfalls die persönlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen maßgebend sind, und es gibt eine beschränkte Steuerpflicht (vgl. BFH-Urteil in BFHE 139, 253, BStBl II 1984, 27). Nach der ersatzlosen Aufhebung des § 35 EStG a.F. durch das StEntlG 1999/2000/2002 mit Wirkung vom 1. Januar 1999 greift im Streitjahr auch keine Ausnahme vom Abzugsverbot des § 12 Nr. 3 EStG.

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bb) Bestätigt wird diese Auffassung durch die Tatsache, dass nach der Aufhebung von § 35 EStG a.F. keine Tarifermäßigung oder sonstige Steuervergünstigung greift, wenn bei der Ermittlung des Einkommens Einkünfte berücksichtigt werden, die als Erwerb von Todes wegen der Erbschaftsteuer unterlegen haben und diese Steuer in einem Betrag nach dem Kapitalwert des Nießbrauchs berechnet wird. Wäre die auf Renten, wiederkehrenden Nutzungen und Leistungen erhobene Jahressteuer gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG abziehbar, läge hierin ein Verstoß gegen Art. 3 GG. Da § 23 ErbStG nicht die Entstehung, sondern lediglich die Zahlungsweise bereits entstandener Erbschaftsteuer regelt (FG Münster, Urteil vom 18. September 2001  3 K 99/98 Erb, EFG 2003, 1029; Kapp/Ebeling, § 23 ErbStG, Rz 1), würden identische erbschaftsteuerrechtliche Sachverhalte je nach Wahl der Sofort- oder der Jahresbesteuerung unterschiedlich behandelt (so auch Herzig/Joisten/Vossel, DB 2009, 584, 590). Dass sich die Jahressteuer nach dem vollen Nennwert der jährlichen Bezüge berechnet, während die Sofortbesteuerung den abgezinsten Wert des Anspruchs im Zeitpunkt des Rechtserwerbs erfasst, soll nur die Bevorzugung desjenigen verhindern, dem für eine sofortige Begleichung der Erbschaftsteuer die liquiden Mittel fehlen.

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cc) Gegen die Abziehbarkeit der Jahressteuer gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG spricht im Übrigen auch der Grundsatz, dass eine als Einmalzahlung nicht steuerbare bzw. abziehbare Leistung auch durch eine zeitliche Streckung nicht steuerbar bzw. abziehbar wird (Senatsurteil in BFH/NV 2002, 1575).

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3. Die Tatsache, dass die Rechsprechung vor Einführung des § 35 EStG a.F. den Sonderausgabenabzug gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1 (1a) EStG bejaht hat (z.B. BFH-Urteil in BFHE 66, 262, BStBl III 1958, 103), spricht nicht gegen die heutige Rechtsauffassung des Senats. Die damalige Rechtsprechung beruhte auf der Annahme, die Erbschaftsteuer sei keine Personensteuer i.S. von § 12 Nr. 3 EStG, da ein Rechtsvorgang besteuert werde und die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen (Familienstand, Kinderzahl, Leistungsfähigkeit) keine Rolle spielten. An dieser Auffassung hält die Rechtsprechung seit langem nicht mehr fest (vgl. oben II.2.d).

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4. Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Finanzverwaltung unter Hinweis auf das Senatsurteil in BFHE 174, 73, BStBl II 1994, 690 bis zum Veranlagungszeitraum 2004 den Sonderausgabenabzug generell zugelassen hat (vgl. H 87 "Erbschaftsteuer" Amtliches Einkommensteuer-Handbuch --EStH-- bis 2004; seit H 10.3 EStH 2005 ist der entsprechende Passus entfallen). Der Gleichheitssatz vermittelt keinen Anspruch auf Anwendung einer rechtswidrigen Verwaltungspraxis und damit auf "Gleichheit im Unrecht" (BFH-Beschluss vom 1. Juli 2010 V B 62/09, BFH/NV 2010, 2136).

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5. Die Nichtabziehbarkeit der Jahressteuer gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG verstößt nicht gegen Verfassungsrecht. Insbesondere stellt es keine Verletzung des Gleichheitssatzes dar, dass ihre Zahlung nicht zur Verringerung des zu versteuernden Einkommens und damit der Einkommensteuer führt.

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a) Ein tragendes Strukturelement des Einkommensteuerrechts ist das objektive Nettoprinzip. Danach sind Einnahmen nicht brutto, sondern nur gekürzt um damit im Zusammenhang stehende Erwerbsaufwendungen der Besteuerung zu unterwerfen (BVerfG-Entscheidung vom 9. Dezember 2008  2 BvL 1-2/07, 1-2/08, BVerfGE 122, 210). Solche Erwerbsaufwendungen liegen indessen nur vor, wenn die Aufwendungen im unmittelbaren Zusammenhang mit der Absicht stehen, (steuerpflichtige) Einkünfte zu erzielen. Anders als die von der Klägerin angeführte Umsatzsteuer, die bei der Ermittlung der Einkünfte als Abzugsposten berücksichtigt wird, betrifft die Erbschaftsteuer nicht den Betrieb eines Steuerpflichtigen oder die sich aus dem Einsatz seines Vermögens ergebenden Gewinne, Überschüsse oder Umsätze. Durch die Erbschaftsteuer soll ausschließlich der Vermögensvorteil, den ein Erbe aus dem Erwerb von Todes wegen erlangt, der Besteuerung unterworfen werden. Ebenso wie Belastungen des Erbes mit Vermächtnissen, Auflagen oder Pflichtteilsansprüchen keine Gegenleistung für den Erwerb der Erbschaft sind, sondern Pflichten, die sich aus dem Erbfall selbst ergeben (BFH-Urteil vom 17. Februar 1965 I 400/62 U, BFHE 82, 296, BStBl III 1965, 354), stellt auch die Erbschaftsteuer keine Aufwendung zur Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht an den geerbten Wirtschaftsgütern dar (vgl. BFH-Urteil in BFHE 139, 253, BStBl II 1984, 27, zur Schenkungsteuer). Sie ist vielmehr Folge der durch den unentgeltlichen Erwerb erlangten Verfügungsmacht. Insofern unterscheidet sie sich von der Umsatzsteuer oder der Grunderwerbsteuer, die aufgewendet werden, um Wirtschaftsgüter von der fremden in die eigene Verfügungsmacht zu überführen. Deshalb schließt der Grundsatz der systemgerechten Besteuerung zwar die gleichzeitige Erfassung desselben Vermögenszuwachses mit Erbschaft- und Grunderwerbsteuer aus, steht aber der kumulativen Erhebung von Erbschaftsteuer und Einkommensteuer nicht entgegen.

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b) Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegt auch nicht darin, dass ein Abzug von Aufwendungen nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG nur in Betracht kommt, wenn ein steuerlicher Transfer von Einkünften stattfindet. Der erkennende Senat hat es u.a. in seinem Beschluss vom 25. März 1996 X B 202/95 (BFH/NV 1996, 739) abgelehnt, Zahlungsverpflichtungen, bei denen kein solcher Einkünftetransfer stattfindet, im Rahmen der genannten Norm zu berücksichtigen. Das BVerfG hat durch Beschluss vom 15. August 1996 2 BvR 1185/96 (Steuer-Eildienst 1996, 623) die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

26

c) Nach Aufhebung des § 35 EStG a.F. ab dem Veranlagungszeitraum 1999 bis zur Einführung des § 35b EStG durch das Erbschaftsteuerreformgesetz vom 24. Dezember 2008 (BGBl I 2008, 3018, BStBl I 2009, 140) mit Wirkung ab 2009 waren u.a. Renten, Nutzungen und Leistungen sowohl mit Einkommensteuer als auch mit Erbschaftsteuer belastet. Dies ist im Hinblick auf die unterschiedlichen Besteuerungsgegenstände von Einkommensteuer und Erbschaftsteuer nicht verfassungswidrig (vgl. BFH-Urteil vom 17. Februar 2010 II R 23/09, BFHE 229, 363, BStBl II 2010, 641; HHR/Wendt, 198. Lfg., § 35 EStG Rz 6). Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG hat der Gesetzgeber bei der Wahl des Steuergegenstandes, also der Steuerquelle, einen weiten Gestaltungsspielraum. Mithin besteht auch kein Verfassungssatz des Inhalts, dass alle Steuern aufeinander abgestimmt sein müssten, also etwa keine Lücken entstehen dürften bzw. mehrfache Belastungen vermieden werden müssten (BVerfG-Beschluss vom 8. Januar 1999  1 BvL 14/98, BStBl II 1999, 152). Im Übrigen kennt das Steuerrecht auch andere Einnahmen, die mit mehreren Steuern belastet sind (z.B. das Nebeneinander von Einkommen- und Gewerbesteuer, das durch § 32c EStG a.F. bzw. § 35 EStG n.F. nicht völlig egalisiert wird).

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d) Schließlich führt die Abschaffung des § 35 EStG a.F. auch nicht zu einer übermäßigen Besteuerung. Nach dem BFH-Urteil in BFHE 189, 413, BStBl II 1999, 771 ist dem GG kein Gebot zu entnehmen, dass Steuern auf das Einkommen und den Gewerbeertrag auf höchstens 50 % des Gesamtbetrags der Einkünfte oder des zu versteuernden Einkommens zu begrenzen sind. Der XI. Senat des BFH sah eine Gesamtbelastung mit Einkommensteuer und Gewerbeertragsteuer in Höhe von ca. 60 % nicht als verfassungswidrig an. Das BVerfG hat mit Beschluss vom 18. Januar 2006  2 BvR 2194/99 (BVerfGE 115, 97) die hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen. Aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 GG lasse sich keine allgemein verbindliche, absolute Belastungsobergrenze in der Nähe einer hälftigen Teilung ("Halbteilungsgrundsatz") ableiten. Im Streitfall sei nicht erkennbar, dass eine verfassungsrechtliche Obergrenze zumutbarer Belastung durch Einkommen- und Gewerbesteuer erreicht wäre. Das Einkommen- und Gewerbesteuerrecht sei auch für hohe Einkommen gegenwärtig nicht so ausgestaltet, dass eine übermäßige Steuerbelastung und damit eine Verletzung der Eigentumsgarantie festgestellt werden könne. Diese Überlegungen des BVerfG lassen sich auf den Streitfall übertragen. Selbst wenn die Gesamtbelastung der Klägerin mit Einkommensteuer und Erbschaftsteuer --entsprechende Feststellungen des FG fehlen-- mehr als die Hälfte ihres zu versteuernden Einkommens betragen würde, ist ihre steuerliche Belastung nicht so hoch, dass der wirtschaftliche Erfolg grundlegend beeinträchtigt wird und damit nicht mehr angemessen zum Ausdruck kommt (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 115, 97, unter C.II.2.b).

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