Urteil vom Bundesfinanzhof (3. Senat) - III R 2/16

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 4. Dezember 2015  4 K 1624/15 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

I.

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Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Mutter der beiden minderjährigen Söhne T --geboren März 2002-- und E --geboren September 2003--, die in ihrem Haushalt in Deutschland leben und dort gemeldet sind. Die Klägerin ist seit Oktober 2011 vom Kindsvater geschieden.

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Mit ihrer für das Streitjahr 2013 (Streitjahr) abgegebenen Einkommensteuererklärung beantragte die Klägerin jeweils für T und E den Abzug des doppelten Freibetrags für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf (BEA-Freibetrag); dem entsprach der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) im Einkommensteuerbescheid für 2013 vom 11. September 2014 mit einem Abzug in Höhe von 2.640 € je Kind.

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Aufgrund eines behördeninternen Datenabgleichs erfuhr das FA, dass der Kindsvater im Rahmen seiner Einkommensteuerveranlagung für 2013 der Nichtgewährung des auf ihn entfallenden BEA-Freibetrags widersprochen und das Wohnsitzfinanzamt seinem Einspruch abgeholfen hatte. Mit Bescheid vom 4. Februar 2015 änderte das FA den Einkommensteuerbescheid der Klägerin für 2013 vom 11. September 2014 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) und zog für die Kinder T und E jeweils nur noch den einfachen BEA-Freibetrag in Höhe von 1.320 € je Kind vom Einkommen ab. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 3. Juni 2015 als unbegründet zurück.

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Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen erhobene Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2016, 308 veröffentlichten Urteil ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, entsprechend der --unstreitig-- zwischen der Klägerin und dem Kindsvater vereinbarten und in der Praxis geübten Regelung, habe der Kindsvater die Söhne T und E an jedem zweiten Wochenende von Freitagnachmittag bis Sonntagabend und während der Hälfte der Ferienzeiten betreut. Die Betreuung der Kinder sei damit regelmäßig und in einem nicht nur unwesentlichen Umfang erfolgt. Zudem habe der Kindsvater --unabhängig davon, ob Zimmer in seiner Wohnung der Kinder wegen vorgehalten worden seien-- nicht nur unbedeutende Kinderbetreuungskosten in Form von Mehrkosten (z.B. Verpflegungskosten, Fahrtkosten) für die regelmäßige Unterbringung an den Wochenenden sowie entsprechende Aufwendungen für gemeinsame Urlaube getragen.

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Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung materiellen Rechts.

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Die Klägerin beantragt,
das Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 4. Dezember 2015  4 K 1624/15 aufzuheben und den geänderten Einkommensteuerbescheid des FA für 2013 vom 4. Februar 2015 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 3. Juni 2015 aufzuheben.

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Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

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Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zutreffend entschieden, dass die Voraussetzungen nach § 32 Abs. 6 Satz 1 Alternative 2, Sätze 8 und 9 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 vom 1. November 2011 (BGBl I 2011, 2131) --EStG-- für die Übertragung der BEA-Freibeträge des Kindsvaters auf die Klägerin nicht vorliegen, da der Widerspruch des Kindsvaters gegen die Übertragung seiner BEA-Freibeträge für T und E nach § 32 Abs. 6 Satz 9 Alternative 2 EStG begründet ist.

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1. Nach § 32 Abs. 6 Satz 8 EStG wird bei minderjährigen Kindern der dem Elternteil, in dessen Wohnung das Kind nicht gemeldet ist, zustehende BEA-Freibetrag auf Antrag des anderen Elternteils auf diesen übertragen, wenn bei dem Elternpaar --wie im Streitfall-- die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht vorliegen. Nach § 32 Abs. 6 Satz 9 EStG scheidet eine Übertragung aus, wenn dieser widersprochen wird, weil der Elternteil, bei dem das Kind nicht gemeldet ist, Kinderbetreuungskosten trägt oder das Kind regelmäßig in einem nicht unwesentlichen Umfang betreut.

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2. a) Das Merkmal der regelmäßigen Betreuung in einem nicht unwesentlichen Umfang i.S. des § 32 Abs. 6 Satz 9 Alternative 2 EStG ist im Gesetz nicht näher erläutert. Auch der Bundesfinanzhof (BFH) hat dazu bislang noch nicht Stellung genommen. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist ein nicht nur gelegentlicher Umgang mit dem Kind maßgebend, der erkennen lasse, dass der Elternteil die Betreuung mit einer gewissen Nachhaltigkeit wahrnehme, d.h. fortdauernd und immer wieder in Kontakt zu dem Kind stehe. Bei nur kurzzeitigem, anlassbezogenem Kontakt (z.B. zum Geburtstag, zu Weihnachten und zu Ostern) liege eine Betreuung in unwesentlichem Umfang vor. Von einem nicht unwesentlichen Umfang der Betreuung eines Kindes sei typischerweise auszugehen, wenn eine gerichtliche oder außergerichtliche Vereinbarung über einen regelmäßigen Umgang an Wochenenden und in den Ferien vorgelegt werde (vgl. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 28. Juni 2013, BStBl I 2013, 845, Rz 9). Dieser Standpunkt wird im Fachschrifttum weitgehend geteilt (vgl. z.B. Grönke-Reimann in Herrmann/Heuer/Raupach --HHR--, § 32 EStG Rz 192; Pust in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 32 Rz 946; Blümich/Selder, § 32 EStG Rz 152). In Anlehnung an § 32 Abs. 6 Satz 6 EStG ("wesentlicher Unterhaltsbeitrag") soll hierbei ein Betreuungsanteil von ungefähr 25 % oder durchschnittlich zwei von sieben Tagen in der Woche genügen (vgl. Schmidt/Loschelder, EStG, 36. Aufl., § 32 Rz 92); ausreichend sei jedenfalls regelmäßig die Wahrnehmung des Umgangsrechts (vgl. HHR/Grönke-Reimann, § 32 EStG Rz 192) oder eine darüber hinausgehende Betreuung (vgl. Helmke in Helmke/ Bauer, Familienleistungsausgleich, Kommentar, Fach A, I. Kommentierung, § 32 Rz 134; sich anschließend Bauhaus in Korn, § 32 EStG Rz 142.1).

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b) aa) Nach Auffassung des Senats kann das Merkmal einer regelmäßigen Betreuung insbesondere dann als erfüllt angesehen werden, wenn sich ein minderjähriges Kind entsprechend eines --üblicherweise für einen längeren Zeitraum im Voraus festgelegten-- weitgehend gleichmäßigen Betreuungsrhythmus tatsächlich in der vereinbarten Abfolge bei dem Elternteil, bei dem es nicht gemeldet ist, aufhält.

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bb) Ob dieser Elternteil sein minderjähriges Kind auch in einem nicht unwesentlichen Umfang betreut, erfordert eine Gesamtschau unter Würdigung aller objektiven Umstände des Einzelfalls. Die Beurteilung kann hierbei von einer Vielzahl nach Lage des Falles naturgemäß auch unterschiedlich zu gewichtenden Faktoren abhängen. Diese sind insbesondere die Häufigkeit und Länge der Kontakte zwischen dem widersprechenden Elternteil und dem Kind, die ihrerseits durch das Alter des Kindes und die Distanz zwischen den Wohnorten des Elternpaares beeinflusst werden. Aus Gründen der Vereinfachung hat der Senat dabei grundsätzlich keine Bedenken, bei einem zeitlichen Betreuungsanteil von jährlich durchschnittlich 10 % im Regelfall das Merkmal einer Betreuung in einem "nicht unwesentlichen Umfang" als erfüllt anzusehen, wobei weitere Indizien in diesem Fall im Übrigen regelmäßig vernachlässigt werden können. Anders als im Schrifttum vorgeschlagen, ist insoweit nicht erst ab einem Betreuungsanteil von ungefähr 25 % oder einer Betreuung an durchschnittlich zwei von sieben Tagen in der Woche von einer Betreuung in einem nicht unwesentlichen Umfang auszugehen. Denn § 32 Abs. 6 Satz 9 Alternative 2 EStG fordert lediglich, dass das Kind von dem Elternteil, bei dem es nicht gemeldet ist, regelmäßig in einem "nicht unwesentlichen" Umfang betreut wird.

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3. a) Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat das FG den Widerspruch des Kindsvaters gegen die Übertragung seiner BEA-Freibeträge in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise als begründet angesehen, da es rechtsfehlerfrei angenommen hat, der Kindsvater habe seine Söhne T und E in der erforderlichen Regelmäßigkeit in einem nicht unwesentlichen Umfang betreut.

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aa) Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) betreute der Kindsvater entsprechend der --unstreitig-- zwischen diesem und der Klägerin vereinbarten und in der Praxis so auch geübten Regelung, seine beiden Söhne regelmäßig, nämlich im zweiwöchigen Rhythmus am Wochenende sowie während der Hälfte der Ferienzeiten. Aufgrund dieser bereits im Vorfeld für das gesamte Streitjahr zwischen der Klägerin und dem Kindsvater vereinbarten Betreuungsregelung konnte das FG rechtsfehlerfrei von einer langfristigen Planung der Betreuungszeiten ausgehen, die auch eine gewisse gleichmäßige, über das Streitjahr verteilte Betreuung von T und E gewährleistet hat.

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bb) Rechtsfehlerfrei hat das FG auch die Voraussetzung einer Betreuung in einem nicht unwesentlichen Umfang als erfüllt angesehen. Denn der Kindsvater hat seine Söhne T und E an jedem zweiten Wochenende von Freitagnachmittag bis Sonntagabend sowie während der Hälfte der Ferienzeiten betreut, womit der durchschnittliche zeitliche Betreuungsanteil des Kindsvaters im Streitjahr --auch nach der Berechnungsweise der Klägerin, deren Richtigkeit unterstellt-- jedenfalls deutlich über 10 % lag. Es ist daher auch nicht zu beanstanden, dass das FG insoweit auf die Berücksichtigung weiterer Kriterien verzichtet hat; im Streitfall sind insbesondere keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass Besonderheiten des Einzelfalls ein Abweichen von den unter II.2.b bb dargelegten Grundsätzen rechtfertigen könnten.

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b) Dieses Ergebnis ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Soweit die Klägerin sinngemäß vorbringt, als betreuender Elternteil, der den deutlich überwiegenden Beitrag zu Betreuung und Erziehung der Kinder leiste, werde sie --insbesondere unter Berücksichtigung des Gebots einer Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit-- gegenüber dem Kindsvater unter Verstoß gegen Art. 3 des Grundgesetzes benachteiligt, ist keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung der Klägerin zu erkennen. Denn der Gesetzgeber selbst geht in § 1606 Abs. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches von der Gleichwertigkeit der Unterhaltsleistung durch Zahlung von Geldbeträgen und der durch persönliche Betreuung aus (vgl. z.B. Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Juni 1977  1 BvR 265/75, BVerfGE 45, 104, BStBl II 1977, 526, unter C.IV., m.w.N., und vom 14. Juli 2011  1 BvR 932/10, Neue Juristische Wochenschrift 2011, 3215, Rz 34, m.w.N.).

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Eine abweichende Beurteilung folgt auch nicht aus der Rechtsprechung des Senats zu § 32 Abs. 6 Satz 6 Halbsatz 2 EStG a.F., wonach das Konzept eines einheitlichen BEA-Freibetrags und die antragsabhängige ausschließliche Berücksichtigung dieses Freibetrags bei dem Elternteil, bei dem das Kind gemeldet ist, als verfassungsgemäß erachtet worden ist (vgl. Senatsurteil vom 27. Oktober 2011 III R 42/07, BFHE 236, 10, BStBl II 2013, 194, Rz 9 ff., m.w.N., zu § 32 Abs. 6 Satz 6 Halbsatz 2 EStG in der für das Jahr 2004 geltenden Fassung). Denn mit der Einräumung eines Widerspruchsrechts gegen die Übertragung des BEA-Freibetrags gemäß § 32 Abs. 6 Satz 9 EStG trägt der Gesetzgeber nunmehr dem Umstand Rechnung, dass in zunehmendem Maße in Trennungsfällen beide Elternteile den Betreuungs- und Erziehungsbedarf ihres Kindes sicherstellen (vgl. BTDrucks 17/6146, S. 15). Gewichtet der Gesetzgeber unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Entwicklung im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit demnach den Aufwand des Elternteils, bei dem das Kind gemeldet ist, als grundsätzlich gleichwertig im Verhältnis zu dem Beitrag des anderen Elternteils, der Barunterhalt leistet und darüber hinausgehend sein Kind regelmäßig in einem nicht unwesentlichen Umfang betreut, ist hierin keine sachwidrige Ungleichbehandlung des betreuenden Elternteils zu erkennen.

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c) Das FG hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zudem angenommen, dass es für einen wirksamen Widerspruch i.S. des § 32 Abs. 6 Satz 9 EStG genügt, wenn der Steuerpflichtige --wie hier-- der Übertragung seines BEA-Freibetrags im Rahmen eines Einspruchs gegen seinen Einkommensteuerbescheid widerspricht. Denn § 32 Abs. 6 Satz 9 EStG legt selbst keine besondere Form für den Widerspruch fest, so dass jedenfalls die Einreichung eines zulässigen Einspruchs (vgl. § 357 AO) gegen den Einkommensteuerbescheid ausreichend ist (vgl. auch Seiler in Kirchhof, EStG, 16. Aufl., § 32 Rz 29; Helmke in Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Kommentar, Fach A, I. Kommentierung, § 32 Rz 134; BMF-Schreiben in BStBl I 2013, 845, Rz 11).

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d) Zutreffend ist schließlich die Annahme des FG, dass der Kindsvater nicht notwendig zum vorliegenden Verfahren beizuladen war (vgl. § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO). Für Streitigkeiten betreffend die Übertragung des Kinderfreibetrags hat der VI. Senat des BFH bereits entschieden, dass kein Fall der notwendigen Beiladung vorliegt, wenn der klagende Elternteil die Berücksichtigung des eigentlich dem anderen Elternteil zustehenden Kinderfreibetrags bei seiner eigenen Veranlagung verlangt (vgl. BFH-Beschluss vom 4. Juli 2001 VI B 301/98, BFHE 195, 50, BStBl II 2001, 729, unter II.3. ff., m.w.N.). Für die Übertragung des BEA-Freibetrags gilt nichts anderes.

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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

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