Beschluss vom Bundesgerichtshof (3. Strafsenat) - AK 16/14

Tenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa weiter erforderliche Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main übertragen.

Gründe

I

1

Der Angeschuldigte wurde am 12. Dezember 2013 vorläufig festgenommen. Seit dem 13. Dezember 2013 befindet er sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom selben Tag (6120 Js 227007/13 - 931 Gs), ersetzt durch den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 7. März 2014 (2 BGs 52/14), ununterbrochen in Untersuchungshaft. Der Haftbefehl in der Fassung des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs hat folgende Tatvorwürfe zum Gegenstand:

2

Der Angeschuldigte, ein deutscher Staatsangehöriger, habe sich als Heranwachsender von Juli 2013 bis zum 12. Dezember 2013 in Syrien als Mitglied an einer im Ausland bestehenden Vereinigung - "Islamischer Staat Irak und Großsyrien (ISIG)" - beteiligt, deren Zwecke und Tätigkeiten u.a. darauf gerichtet seien, Mord oder Totschlag zu begehen. Nach seiner Ausreise aus Deutschland am 2. Juli 2013 habe er in Syrien zunächst eine Waffenausbildung absolviert. Jedenfalls vor dem 25. Juli 2013 habe er sich dann dem "ISIG" bzw. seiner Unterorganisation "Daula Muhajireen" angeschlossen und spätestens am 25. November 2013 den Treueeid unmittelbar auf den "ISIG" abgelegt. Bis zu seiner Rückkehr nach Deutschland am 12. Dezember 2013 habe er für diese Vereinigung Wachdienste geleistet und mehrfach an deren Seite an Kampfeinsätzen teilgenommen. Dem Angeschuldigten sei deshalb vorzuwerfen, er habe sich als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung im Ausland außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt (Verbrechen, strafbar nach § 129a Abs. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB, 105 JGG).

3

Wegen dieses Sachverhalts hat der Generalbundesanwalt gegen den Angeschuldigten am 5. Juni 2014 Anklage beim Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main erhoben.

4

Eine Ermächtigung zur Verfolgung von Straftaten u.a. durch Mitglieder oder Unterstützer des "ISIG", die deutsche Staatsangehörige sind, sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten oder hier tätig werden, hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz am 6. Januar 2014 erteilt (§ 129b Abs. 1 Satz 3 StGB).

II.

5

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

6

1. Der Angeschuldigte ist des ihm vorgeworfenen Tatgeschehens dringend verdächtig.

7

a) Nach gegenwärtigem Erkenntnisstand ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:

8

aa) "Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien/ad-Dawla al-Islamiya fil-Iraq wash-Sham (ISIG/DAAISH)"

9

Beim "Islamischen Staat im Irak und in Großsyrien" handelt es sich um eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, einen das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region "ash-Sham" - die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden "Gottesstaat" zu errichten. Wer sich den Ansprüchen dieser Vereinigung entgegensetzt, wird begriffen als "Feind des Islam"; die Tötung solcher "Feinde" oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte hält sie für ein legitimes Mittel des Kampfes.

10

Die Organisation geht zurück auf die von Abu Musab az-Zarqawi Anfang 2004 als Widerstandsgruppe gegen die US-Präsenz im Irak gegründete "Ja-ma'at at-Tauhid wal-Dschihad" ("Gemeinschaft des einen Gottes und des Kampfes"). Im Oktober 2004 leistete az-Zarqawi die bai'at (den Treueeid) auf Osama bin Laden und dessen "al-Qa'ida", worauf sich die Gruppierung umbenannte in "Tanzim Qa'idat al-Jihad fi Bilad ar-Rafidain" ("Organisation der Basis des Jihad im Zweistromland") und bekannt wurde als "al-Qaida im Irak (AQI)". Im Dezember 2005 ernannte bin Laden az-Zarqawi zu seinem Stellvertreter im Irak. Die "AQI" trat zunächst hervor mit Angriffen auf zivile Angehörige westlicher Staaten im Irak, die Opfer von Anschlägen, Entführungen und - auf sodann verbreiteten Videofilmen festgehaltenen - Hinrichtungen wurden. Ab Herbst 2005 verlegte sie sich auf medienwirksame Sprengstoffanschläge, vornehmlich in Bagdad und im Nordwestirak, aber am 9. November 2005 auch auf mehrere Hotels in Amman/Jordanien.

11

Anfang 2006 schloss sich die "AQI" zunächst unter der Dachorganisation "Schura-Rat der Mudschaheddin im Irak" mit weiteren Gruppierungen zusammen. Nach Zarqawis Tod im Juni 2006 rief dessen Nachfolger Abu Ayyub al-Masri im Oktober 2006 einen das Gebiet von Bagdad und mehrere Nordwestprovinzen umfassenden islamischen Staat aus und benannte den Zusammenschluss um in "ad-Dawlat al-Islamiya fil-Iraq" ("Islamischer Staat im Irak", "ISI"). Die von den USA gegen den "ISI" ins Leben gerufene und mit Waffen ausgerüstete, zeitweise bis zu 100.000 Stammesangehörige umfassende "Erwe-ckungsbewegung" führte zu keiner entscheidenden Schwächung. So fielen den Autobomben- und Selbstmordanschlägen des "ISI" im Irak allein 2007 etwa 1.900 Menschen zum Opfer; 2008 bis 2012 kam es bei Anschlägen vor allem auf schiitische Moscheen und Pilger sowie auf frequentierte Märkte zu insgesamt etwa 3.000 Toten.

12

Im Frühjahr 2010 wurde al-Masri bei einer Operation der US-Armee und der irakischen Regierungstruppen getötet. Sein Nachfolger wurde Abu Bakr al-Baghdadi. Unter dessen Führung beteiligte sich der "ISI" nach dem am 11. Februar 2012 veröffentlichten Aufruf des zwischenzeitlichen al-QaidaAnführers Aiman az-Zawahiri an die Muslime des Nahen Ostens, den Kampf gegen das Assad-Regime aufzunehmen, auch am syrischen Bürgerkrieg. Dabei kooperierte er unter anderem mit der 2011 gegründeten, vom Syrer Muhammad al-Jawlani angeführten Kämpfergruppe "Jabhat an-Nusra li Ahl ash-Sham" ("Hilfsfront für das syrische Volk"; "an-Nusra-Front"), deren Aktionen sich vornehmlich gegen Einrichtungen und Angehörige der Assad-Armee richteten. Im April 2013 verkündete al-Baghdadi die Vereinigung von "ISI" und "an-Nusra" zum "Islamischen Staat im Irak und in Großsyrien/ad-Dawlat al-Islamiya fil-Iraq wash-Sham (ISIG/DAAISH)". Dem widersprach al-Jawlani und leistete seinerseits die bai'at auf az-Zawahiri, worauf dieser den Zusammenschluss annullierte und beide Parteien zur Beilegung ihrer Streitigkeiten auf der Grundlage einer Gebietsabgrenzung - "ISIG" im Irak, "an-Nusra" in Syrien - aufrief. Dies führte zum Bruch al-Baghdadis sowohl mit "al-Qa'ida" als auch mit "an-Nusra". In Veröffentlichungen vom 15. und 28. Juni 2013 warf er az-Zawahiri die "Heiligsprechung" des Sykes-Picot-Abkommens vor und erklärte "an-Nusra" zum Teil des "ISIG" sowie al-Jawlani zum "Abtrünnigen".

13

Dem "ISIG" gelang es, sich in einigen Regionen Nordsyriens als Ordnungsmacht festzusetzen. Aus dem Kampf gegen das Assad-Regime zog sich die Organisation in der Folge weitgehend zurück und konzentrierte sich auf die Machterhaltung in den von ihr beherrschten Gebieten. Angehörige anderer Oppositionsgruppen sowie die Teile der Zivilbevölkerung, die den Herrschaftsanspruch des "ISIG" in Frage stellten, sahen sich Verhaftung, Folter und Hinrichtung ausgesetzt. Im August 2013 kam es bei Operationen mehrerer Gruppen in der Provinz Latakia unter der Führung des "ISIG" zu Massakern unter der regierungstreuen alawitischen Zivilbevölkerung, denen 190 Menschen zum Opfer fielen; weitere ca. 200 wurden entführt. Unter den syrischen Oppositionsgruppen ist die Organisation wegen des von ihr eingeschlagenen Weges zwischenzeitlich isoliert; teils im offenen Kampf gegen den "ISIG" haben andere Gruppierungen in einigen Regionen wieder die Oberhand gewonnen. Auch "al-Qa'ida" distanzierte sich Mitte Mai 2014 ausdrücklich vom Vorgehen des "ISIG".

14

Wegen der Parteinahme der libanesischen "Hizbollah" für das Assad-Regime verübte der "ISIG" ferner am 2. Januar 2014 einen Bombenanschlag in einem schiitischen Wohngebiet in Beirut, der vier Menschen tötete und 77 verletzte. Daneben kam es zu weiteren Aktionen im Irak, so zu dem Überfall auf die Gefängnisse in Abu Ghuraib und Tadshi am 22. Juli 2013 sowie einen Selbstmordanschlag in Arbil am 29. September 2013 mit jeweils mehreren Todesopfern. Anfang Juni 2014 gelang es ihm, die Stadt Mosul unter seine Gewalt zu bringen.

15

Die Führung des "ISIG" besteht aus dem "Emir", derzeit Abu Bakr al-Baghdadi, dem "Minister" als Verantwortliche für einzelne Bereiche unterstellt sind, so ein "Kriegsminister" und ein "Propagandaminister". Zugeordnet sind der Führungsebene beratende "Shura-Räte" sowie "Gerichte", die über die Einhaltung der Regeln der Sharia wachen. Veröffentlichungen werden in der Medienabteilung "Al-Furqan" produziert und über die Medienstelle "al-I'tisam" verbreitet. Das auch von den Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem "Prophetensiegel", einem weißen Oval mit der Inschrift: "Allah - Rasul - Muhammad", auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem islamischen Glaubensbekenntnis.

16

Die etwa 10.000 Kämpfer - im Kern bestehend aus sunnitischen Teilen der ehemaligen Streitkräfte des Regimes von Saddam Hussein - sind dem "Kriegsminister" unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.

17

bb) Die Tathandlungen des Angeschuldigten

18

Aufgrund seines militant-fundamentalistischen Verständnisses des Islam sah es der Angeschuldigte als seine persönliche Pflicht an, am syrischen Bürgerkrieg teilzunehmen und dort an der Seite von Gruppierungen zu kämpfen, deren Ziel die Errichtung eines islamischen Staates ist. Am 2. Juli 2013 brach er mit einer Gruppe Gleichgesinnter nach Istanbul auf und begab sich von dort aus nach Syrien. Jedenfalls vor dem 25. Juli 2013 schloss er sich im Raum Aleppo einer zur Aufnahme ausländischer Kämpfer bestimmten Unterorganisation des "ISIG" an, die ihm als "daula muhajreen" bekannt wurde, und leistete ihr in der Folge die bai'at. Dort erhielt er eine Waffenausbildung, leistete Wachdienste für die Kämpfer des "ISIG" und nahm an deren Seite auch wiederholt an Kampfhandlungen teil, so Mitte September 2013 im Raum Hama und Mitte November 2013 an einem bislang unbekannten Ort in Syrien. Um den 25. Juli 2013 wirkte er auch an einer Propagandaveranstaltung des "ISIG" mit, bei der um Unterstützung aus der Bevölkerung geworben wurde.

19

Jedenfalls vor dem 25. November 2013 wechselte der Angeschuldigte zu einem regulären Kampfverband des "ISIG" und leistete auch eine weitere bai'at unmittelbar auf die Führung des "ISIG". Anfang Dezember 2013 beteiligte er sich auf deren Seite an weiteren Kampfhandlungen. Am 12. Dezember 2013 kehrte der Angeschuldigte nach Deutschland zurück.

20

b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus den im Haftbefehl und in der Anklageschrift vom 5. Juni 2014 ausführlich dargelegten Beweismitteln.

21

Es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es sich bei der vom Angeschuldigten so bezeichneten "daula", zu der er ausweislich der mit seiner Schwester am 25. und am 26. November 2013 geführten Chats schließlich wechselte und auf die er einen weiteren Treueeid ablegte, um den "ISIG" handelt. Wie dem Senat bekannt ist, benennt die Szene diese Organisation abgekürzt mit ihrem arabischen Namensbestandteil "dawlat" ("Staat"). Soweit ersichtlich, wird dem "ISIG" dieser Namensbestandteil auch von keiner anderen im syrischen Bürgerkrieg operierenden Gruppierung streitig gemacht. Unter diesen Umständen spricht auch alles dafür, dass die vom Angeklagten so bezeichnete "daula muhajireen" ("von" oder "für Migranten") eine Sammelstelle des "ISIG" für Neuankömmlinge aus dem Ausland darstellt. Bestätigt wird dies dadurch, dass der Angeschuldigte, wie aus dem am 25. Juli 2013 von "Al-Furqan" herausgegebenen Video ersichtlich, jedenfalls bereits kurze Zeit nach seinem Eintreffen auf Veranstalterseite an einer offensichtlich dem "ISIG" zuzurechnenden Propagandaveranstaltung teilgenommen hat.

22

2. Es besteht der Haftgrund der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO). Nach den Umständen kann nicht ausgeschlossen werden, dass ohne den Vollzug der Untersuchungshaft die alsbaldige Ahndung und Aufklärung der Tat gefährdet wäre.

23

Auch für den Fall, dass Jugendstrafrecht zur Anwendung käme, hat der Angeschuldigte wegen des ihm vorgeworfenen Tatgeschehens mit nicht unerheblichem Freiheitsentzug zu rechnen. Zwar ist der Angeschuldigte erst 20 Jahre alt, lebte vor seiner Ausreise und der nachfolgenden Festnahme mit seinen Eltern und zwei Schwestern in gemeinsamem Haushalt und besuchte regelmäßig die Berufsfachschule. Gleichwohl hat er Deutschland am 2. Juli 2013 ohne Wissen seiner Eltern verlassen, die ihn am 3. Juli 2013 als vermisst meldeten. Dies lässt besorgen, dass die beschriebenen Bindungen des Angeschuldigten nicht hinreichend tragfähig sind, um möglichen Fluchtanreizen entgegenzuwirken.

24

Vor dem Hintergrund, dass der Angeschuldigte nunmehr mit hoher Wahrscheinlichkeit auf ein Netzwerk Gleichgesinnter zurückgreifen kann, das ihn im Falle des Untertauchens unterstützt, kann der Zweck der Untersuchungshaft auch nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als deren Vollzug erreicht werden (§ 116 Abs. 1 StPO).

25

3. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang des Verfahrens haben ein Urteil bislang noch nicht zugelassen.

26

Nach der Festnahme des Angeschuldigten mussten zunächst die Festplatte des bei ihm sichergestellten Computers untersucht sowie die darauf vorgefundenen Chatprotokolle in die deutsche Sprache übersetzt und ausgewertet werden. Auf der so erlangten Tatsachengrundlage hat der Generalbundesanwalt bis zum 5. Juni 2014 die Anklageschrift erstellt. Die Anklageschrift ist am 6. Juni 2014 beim zuständigen Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main eingegangen. Dessen Vorsitzender hat noch am selben Tag die Zustellung an den Verteidiger verfügt und eine Erklärungsfrist von vier Wochen bestimmt.

27

Das Verfahren ist danach mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden.

28

4. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht auch noch nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Strafe.

Becker                         Schäfer                      Mayer

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