Beschluss vom Bundesgerichtshof (2. Zivilsenat) - II ZB 18/13

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1 wird der Beschluss des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 27. August 2013 aufgehoben.

Die Beschwerde des Beteiligten zu 2 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig - Registergericht - vom 4. Juli 2012 wird als unzulässig verworfen.

Der Beteiligte zu 2 trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Geschäftswert wird auf 3.000 € festgesetzt.

Gründe

1

I. Der Beteiligte zu 2 ist Aktionär der nicht börsennotierten Beteiligten zu 1. In deren Hauptversammlung vom 8. September 2004 wurde die Satzung teilweise neu gefasst:

2

Nach § 16 Nr. 1 Satz 4 können sich die Aktionäre in der Hauptversammlung durch einen Bevollmächtigten nach Maßgabe der Nr. 2 vertreten lassen. § 16 Nr. 2 der Satzung lautet:

"Aktionäre können sich wie folgt vertreten lassen:

2.1 Natürliche Personen durch ihren Ehegatten, Verwandte in gerader Linie oder deren Ehegatten,

2.2 juristische Personen oder sonstige Vereinigungen durch ihre gesetzlich zur Vertretung befugten Personen (in vertretungsbefugter Zahl),

2.3 jeder Aktionär durch einen anderen Aktionär oder durch einen in seinem landwirtschaftlichen Betrieb tätigen Angestellten,

2.4 jeder Aktionär durch einen der von der Gesellschaft benannten Stimmrechtsvertreter,

2.5 jeder Aktionär durch den gesetzlichen Vertreter eines regionalen Zuckerrüben-Anbauverbandes, der Mitglied des Dachverbandes N.                       e.V. ist."

3

Der Beschluss wurde am 17. November 2004 im Handelsregister eingetragen.

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Die Beteiligten zu 2 und 3 haben angeregt, den Beschluss gemäß §§ 398, 395 FamFG zu löschen. Sie sind der Auffassung, durch den Beschluss werde das Recht der Aktionäre, sich in der Hauptversammlung vertreten zu lassen, in unzulässiger Weise eingeschränkt.

5

Das Registergericht hat die Anregung zurückgewiesen. Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 2 hat das Beschwerdegericht das Registergericht angewiesen, den im Handelsregister eingetragenen Beschluss, soweit er § 16 Nr. 1 Satz 4 und Nr. 2 der Satzung betrifft, zu löschen.

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Dagegen richtet sich die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1.

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II. Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1 ist nach § 70 Abs. 1 FamFG statthaft und auch sonst zulässig. Insbesondere fehlt ihr nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Nachdem das Beschwerdegericht das Registergericht angewiesen hat, den streitigen Beschluss zu löschen, hat die Beteiligte zu 1 nicht mehr die Möglichkeit, ihre Einwendungen gegen eine Löschung im Wege des Widerspruchs nach § 393 Abs. 3, § 395 Abs. 2 und 3, § 398 FamFG beim Registergericht geltend zu machen.

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III. Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1 hat auch in der Sache Erfolg.

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Die Beschwerde des Beteiligten zu 2 ist nach §§ 398, 395 Abs. 3, § 393 Abs. 3 Satz 2, § 58 Abs. 1, § 59 Abs. 1 und 2 FamFG unzulässig.

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1. Die Löschung eines im Handelsregister eingetragenen nichtigen Beschlusses der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft erfolgt nach §§ 398, 395 Abs. 1 Satz 1 FamFG von Amts wegen oder auf Antrag der berufsständigen Organe. Der einzelne Aktionär hat kein Antragsrecht. Deshalb hat er auch keine Beschwerdebefugnis nach §§ 58, 59 Abs. 2 FamFG.

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2. Eine Beschwerdebefugnis ergibt sich für den Beteiligten zu 2 auch nicht aus § 59 Abs. 1 FamFG.

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a) Danach steht die Beschwerde demjenigen zu, der durch den Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt ist. Erforderlich ist ein unmittelbarer, nachteiliger Eingriff in ein dem Beschwerdeführer zustehendes subjektives Recht. Die angefochtene Entscheidung muss ein bestehendes Recht des Beschwerdeführers aufheben, beschränken, mindern, ungünstig beeinflussen oder gefährden, die Ausübung dieses Rechts stören oder dem Beschwerdeführer die mögliche Verbesserung seiner Rechtsstellung vorenthalten oder erschweren (BGH, Beschluss vom 24. April 2013 - IV ZB 42/12, NJW-RR 2013, 905 Rn. 15; Beschluss vom 25. Februar 2004 - XII ZB 208/00, NJW-RR 2004, 865, 866). Ein bloß rechtliches oder wirtschaftliches Interesse genügt nicht (vgl. OLG Karlsruhe, ZIP 1986, 711, 712; OLG Zweibrücken, ZIP 1989, 241; OLG Köln, ZIP 2002, 573, 575 mwN; Baums, Eintragung und Löschung von Gesellschafterbeschlüssen, 1961, S. 187 f.).

13

b) Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Der Beteiligte zu 2 wird durch die Ablehnung der Löschung des Beschlusses über die Änderung der Satzungsbestimmung zur Vertretung in der Hauptversammlung nicht in einem subjektiven Recht im Sinne des § 59 Abs. 1 FamFG verletzt.

14

aa) Da der streitige Beschluss länger als drei Jahre im Handelsregister eingetragen ist, kann seine etwaige, auf § 241 Nr. 1, 3 oder 4 AktG beruhende Nichtigkeit nach § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG nicht mehr geltend gemacht werden. Die Vorschrift erfasst auch nichtige Beschlüsse über Satzungsänderungen (BGH, Urteil vom 19. Juni 2000 - II ZR 73/99, BGHZ 144, 365, 367 f. mwN). Ob darin eine Heilung im Sinne einer Veränderung der materiellen Rechtslage zu sehen ist, wie die hM annimmt, oder ob die Vorschrift lediglich dazu führt, dass niemand mehr die Nichtigkeit geltend machen kann - außer dem Registergericht in dem Verfahren nach § 398 FamFG, wenn die Beseitigung des Beschlusses im öffentlichen Interesse erforderlich erscheint - (s. den Meinungsstand bei MünchKommAktG/Hüffer, 3. Aufl., § 242 Rn. 3), kann offen bleiben. Denn auch wenn der einzelne Aktionär lediglich gehindert ist, die Nichtigkeit geltend zu machen, muss er sich so behandeln lassen, als wäre der Beschluss wirksam. Damit hat der Aktionär kein subjektives Recht mehr, von den Wirkungen des Beschlusses verschont zu werden, hier also sich in der Hauptversammlung durch einen beliebigen Dritten vertreten zu lassen. Wenn der eingetragene Beschluss wie ein wirksamer Beschluss behandelt wird, stellt er eine - wirksame - Konkretisierung der gesetzlichen Vertretungsregelung des § 134 Abs. 3 AktG dar. Der Aktionär hat also gegenüber der Aktiengesellschaft nur noch das Recht, sich in den Grenzen des Satzungsbeschlusses vertreten zu lassen. In dieses Recht greift der angefochtene Beschluss des Registergerichts nicht ein.

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bb) Im Schrifttum wird zwar die Auffassung vertreten, dem einzelnen Gesellschafter sei im Amtslöschungsverfahren auch dann ein Beschwerderecht einzuräumen, wenn der nach § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG geheilte Hauptversammlungsbeschluss ihn in einem Individualrecht beeinträchtigt, insbesondere sein Mitgliedschaftsrecht einschränkt oder aufhebt (Casper, in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 242 Rn. 24; ders., Die Heilung nichtiger Beschlüsse im Kapitalgesellschaftsrecht, 1998, S. 255 ff.). Die Gegenansicht hält die Beschwerde eines Gesellschafters grundsätzlich für unzulässig, wenn die zu löschende Eintragung auf einem Beschluss der Hauptversammlung beruht, und verweist den Gesellschafter auf die Wahrnehmung der ihm nach der Gesellschaftsordnung zustehenden Rechte, insbesondere auf die zivilrechtliche Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage (Nedden-Boeger in Schulte-Bunert/Weinreich, FamFG, 4. Aufl., § 395 Rn. 119; Müther in Schmidt-Kessel/Leutner/Müther, Handelsregisterrecht, § 8 HGB Rn. 19; Kollhosser, AG 1977, 117, 124 ff.).

16

Der zuletzt genannten Auffassung ist jedenfalls für den hier vorliegenden Fall zuzustimmen, dass die Nichtigkeit eines nach § 241 Nr. 3 oder 4 AktG nichtigen satzungsändernden Hauptversammlungsbeschlusses gem. § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG nicht mehr geltend gemacht werden kann. Der Ausschluss der Beschwerdebefugnis des Aktionärs ergibt sich für diesen Fall aus dem Sinn und Zweck des Amtslöschungsverfahrens nach § 398 FamFG (früher § 144 FGG) und der Heilungsvorschrift des § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG.

17

Das Amtslöschungsverfahren ist vom Gesetzgeber nicht im Interesse einzelner Aktionäre eingerichtet worden, sondern soll ein Interesse der Allgemeinheit an der Feststellung der Nichtigkeit von eingetragenen Hauptversammlungsbeschlüssen schützen (zur Gesetzgebungsgeschichte vgl. Kollhosser, AG 1977, 117, 126 mwN). Aus diesem Grund ist es nicht als Antrags-, sondern als Amtsverfahren ausgestaltet worden; und deshalb setzt die Löschung zusätzlich zu dem inhaltlichen Verstoß des Beschlusses gegen zwingende gesetzliche Vorschriften voraus, dass seine Beseitigung im öffentlichen Interesse geboten ist. Den Schutz dieses öffentlichen Interesses hat der Gesetzgeber den berufsständischen Organen zugewiesen, denen er eine Antrags- und eine Beschwerdebefugnis eingeräumt hat (§ 380 Abs. 5, § 398 iVm § 395 Abs. 1 FamFG). Für die Gewährung einer zusätzlichen Beschwerdebefugnis des Aktionärs besteht kein schutzwürdiges Bedürfnis (vgl. Kollhosser, AG 1977, 117, 127 f.). Soweit der Aktionär die Nichtigkeit des Beschlusses mit der Nichtigkeitsklage (§ 249 AktG) hätte geltend machen können, davon innerhalb von drei Jahren nach Eintragung des Beschlusses in das Handelsregister aber keinen Gebrauch gemacht hat, ist er schon wegen dieses Versäumnisses nicht schutzwürdig. Die Einräumung einer Beschwerdebefugnis bei geheilten Beschlüssen würde bedeuten, dass dem Aktionär im Ergebnis entgegen § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG das Recht zugebilligt würde, die Nichtigkeit trotz deren Heilung geltend zu machen.

18

Die Regelung der Heilung der Nichtigkeit drei Jahre nach Eintragung des Beschlusses in das Handelsregister einschließlich der Klarstellung, dass eine Löschung von Amts wegen im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit durch den Zeitablauf nicht ausgeschlossen wird, ist mit dem Aktiengesetz von 1937 eingeführt worden, weil die bis dahin gegebene Möglichkeit, die Nichtigkeit zeitlich unbeschränkt geltend zu machen, "zu einer Unsicherheit in den wirtschaftlichen Verhältnissen der Aktiengesellschaften [geführt hatte], die auf die Dauer im Interesse einer sicheren Grundlage für das Wirtschaftsleben nicht gestattet werden konnte" (Amtl. Begründung zu den §§ 195 - 202, bei Klausing, Aktien-Gesetz, 1937, S. 172). Diese Einschränkung der Nichtigkeitsfolgen sollte nach der Gesetzesbegründung die Wirkung haben, dass die Nichtigkeit nach Eintragung und Zeitablauf nicht mehr von jedermann geltend gemacht, sondern der Beschluss nur noch vom Registergericht von Amts wegen als nichtig gelöscht werden kann, wenn es glaubt, dass die Beseitigung des Beschlusses, obwohl er bisher nicht angegriffen worden ist, im öffentlichen Interesse geboten ist. Diese Regelung wurde als interessengerecht angesehen, weil die Gesellschaft nach Eintragung und Zeitablauf damit rechnen könne, dass der Beschluss gültig sei, während auf der anderen Seite das öffentliche Interesse dadurch genügend gewahrt sei, dass ein solcher Beschluss auch nach seiner Heilung noch beseitigt werden könne, wenn es das öffentliche Interesse gebiete. Dem lässt sich nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber dem Aktionär neben der Nichtigkeitsklage weitere Rechtsschutzmöglichkeiten im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit einräumen wollte. Mit der Einführung einer Ausschlussfrist für die Nichtigkeitsklage hat der Gesetzgeber vielmehr zu erkennen gegeben, dass er das Interesse des Aktionärs an der Feststellung der Nichtigkeit nach einem gewissen Zeitauflauf nicht mehr für schutzwürdig hält (Kollhosser, AG 1977, 117, 128).

19

cc) Sofern ein Aktionär während des Dreijahreszeitraums eine Nichtigkeitsklage nach § 249 AktG nicht erheben konnte, etwa weil er erst später Aktien der Gesellschaft erworben hat, ist es nicht gerechtfertigt, ihm hinsichtlich des bei seinem Beitritt zur Gesellschaft aus dem Handelsregister ersichtlichen Bestands der (jedenfalls) infolge Zeitablaufs wirksamen Beschlussfassungen - insbesondere hinsichtlich der Satzung - weitergehende Rechtsschutzmöglichkeiten einzuräumen, als sie den zum Zeitpunkt der Beschlussfassung der Gesellschaft bereits angehörigen Aktionären zukommen. Er ist vielmehr gleichfalls darauf beschränkt, mit den ihm gesellschaftsrechtlich zur Verfügung stehenden Mitteln eine Änderung der Beschlusslage durch die Hauptversammlung anzustreben oder entweder bei den Organen des Handelsstands (§ 380 Abs. 1 Nr. 1, § 395 Abs. 1 Satz 1, § 398 FamFG) oder beim Registergericht die Einleitung eines Amtslöschungsverfahrens anzuregen.

Bergmann                       Strohn                       Caliebe

                   Reichart                      Sunder

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