Beschluss vom Bundesgerichtshof (1. Strafsenat) - 1 StR 47/14

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bayreuth vom 12. November 2013 aufgehoben.

2. Soweit der Angeklagte wegen Inverkehrbringens verbotener Arzneimittel in 15 Fällen verurteilt worden ist, wird er freigesprochen.

Im Umfang des Teilfreispruchs fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last.

3. Der ausgeschiedene Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung wird gemäß § 154a Abs. 3 StPO wieder in das Verfahren einbezogen.

4. Die Sache wird, soweit der Angeklagte nicht freigesprochen worden ist, zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die noch verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

5. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Inverkehrbringens verbotener Arzneimittel in 18 Fällen unter Einbeziehung rechtskräftiger Freiheitsstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. In drei dieser Fälle hatte es zuvor mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft von einer Verfolgung unter dem Gesichtspunkt der fahrlässigen Körperverletzung abgesehen. Die mit der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten, mit der er einen umfassenden Freispruch erstrebt, hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

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1. Nach den Feststellungen des Landgerichts bezog der Angeklagte Tütchen mit drei Gramm Kräutermischungen, die synthetische Cannabinoide enthielten. Er wusste um die Rauschwirkung der Cannabinoide und darum, dass diese stärker als Tetrahydrocannabinol auf den Körper wirken können. Sie können zu psychotischen Zuständen mit Panikattacken, Verwirrtheit und Desorientierung, Atembeschwerden, Kreislaufproblemen und längerer Bewusstlosigkeit führen, aber auch appetitanregend, schmerzlindernd, antiemetisch, antiepileptisch, antiasthmatisch und den Augeninnendruck senkend wirken. Der Angeklagte rauchte diese statt natürlicher Cannabisprodukte, weil sie leichter zu beziehen waren.

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Zwischen November 2012 und dem 13. Februar 2013 übergab er unentgeltlich geringe Mengen dieser Kräutermischungen in sieben Fällen an die 15 Jahre alte Ve. L. , in vier Fällen an die 13jährige L. V. und in sieben Fällen an die 14 Jahre alte S. L. . Dabei war dem Angeklagten bewusst, dass die Mädchen die Kräutermischungen rauchen werden, um sich an der Wirkung der zugesetzten Cannabinoide zu berauschen. In keiner der ihnen überlassenen Kräutermischungen befanden sich solche Cannabinoide, die im Tatzeitraum den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes unterfielen. Die Mädchen rauchten die Kräutermischungen und gerieten jeweils in einen Rauschzustand; bei S. L. kam es in drei Fällen dabei zu Wahnvorstellungen, Halluzinationen oder anderen Beeinträchtigungen ihres körperlichen Wohlbefindens.

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2. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Urteilsfeststellungen tragen den Schuldspruch nicht.

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a) Das Landgericht hat aus der jeweils eingetretenen Rauschwirkung gefolgert, dass alle übergebenen Mischungen synthetische Cannabinoide enthielten. Es ist davon ausgegangen, dass es sich bei den synthetischen Cannabino-iden um Arzneimittel in Form von Funktionsarzneimitteln im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 Arzneimittelgesetz handele. Dies gelte schon deswegen, weil sie geeignet seien, physiologische Funktionen im menschlichen Körper wiederherzustellen, zu korrigieren bzw. positiv zu beeinflussen. Mögliche "positive Wirkungen" der synthetischen Cannabinoide seien z.B. die Herabsenkung der Schmerzempfindlichkeit, Appetit- und Schlafförderung, aber auch die Unterdrückung des Brechreizes. Ob diese Funktionen therapeutisch indiziert gewesen seien, sei unerheblich, da in dem Eintreten dieser Wirkung "stets ein positives Beeinflussen zu sehen" sei.

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b) Diese rechtliche Subsumtion erweist sich als rechtsfehlerhaft. Die Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 Arzneimittelgesetz setzt voraus, dass es sich bei den synthetischen Cannabinoiden um Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 Arzneimittelgesetz handelt. Hierfür wiederum ist entscheidend, wie der dieser Vorschrift zugrundeliegende, nahezu wortgleiche Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG vom 6. November 2001 in der durch die Richtlinie 2004/27/EG geänderten Fassung auszulegen ist. Denn der deutsche Gesetzgeber hat durch das Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17. Juli 2009 (BGBl. I S. 1990) den nationalen Arzneimittelbegriff in § 2 Abs. 1 AMG grundlegend neu gefasst und dabei in Umsetzung der genannten Richtlinien den europarechtlichen Arzneimittelbegriff gemäß Art. 1 Nr. 2 Buchstabe a) und b) der Richtlinie 2001/83/EG in der durch die Richtlinie 2004/27/EG geänderten Fassung in das deutsche Arzneimittelgesetz implementiert (BGH, Beschluss vom 28. Mai 2013 - 3 StR 437/12).

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Dies hat das Landgericht zutreffend erkannt, aber den Begriff des Arzneimittels dabei in einer Weise ausgelegt, wie es mit dem unionsrechtlichen Arzneimittelbegriff nicht vereinbar ist. Die Auslegung des europäischen Rechts, mithin der Frage, wann es sich bei einem Stoff oder Stoffzusammensetzungen, die einem Menschen verabreicht werden können, um entweder eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen, um ein Arzneimittel im Sinne des Art. 1 Nr. 2 Buchstabe b der genannten Richtlinie handelt, obliegt der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union.

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c) Dieser hat in einem - nach Erlass des angefochtenen Urteils ergangenen - Urteil vom 10. Juli 2014 (Rechtssachen C-358/13 und C-181/14) Art. 1 Nr. 2 Buchstabe b der Richtlinie 2001/83/EG dahin ausgelegt, dass davon Stoffe wie synthetische Cannabinoide nicht erfasst werden, deren Wirkungen sich auf eine schlichte Beeinflussung der physiologischen Funktionen beschränken, ohne dass sie geeignet wären, der menschlichen Gesundheit unmittelbar oder mittelbar zuträglich zu sein, die nur konsumiert werden, um einen Rauschzustand hervorzurufen, und die dabei gesundheitsschädlich sind (EuGH, aaO, Rn. 50).

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Der EuGH hat zur Begründung ausgeführt, dass die Richtlinie 2001/83/EG zwei verschiedene Definitionen des Begriffs "Arzneimittel" enthalte. Nach Art. 1 Nr. 2 Buchstabe b dieser Richtlinie sind dies alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind. Auch wenn diese Bestimmung von der Definition unter Buchstabe b durch das Wort "oder" getrennt sei, müssten sie in Verbindung miteinander gelesen werden, was voraussetze, dass ihre verschiedenen Kriterien nicht so verstanden werden könnten, dass sie im Gegensatz zueinander stünden (EuGH, aaO, Rn. 29).

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Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie sei - so der EuGH - mit Blick auf das Ziel der Gewährung eines hohen Niveaus des Schutzes der menschlichen Gesundheit zu lesen. Dies bringe keine schlichte Neutralität der Auswirkung auf die menschliche Gesundheit zum Ausdruck, sondern impliziere eine gesundheitsfördernde Wirkung. Aus der Bezugnahme der Definition in Buchstabe a auf die Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten lasse sich eindeutig das Bestehen einer positiven Wirkung für die menschliche Gesundheit ableiten. Auch die Definition in Buchstabe b der Regelung nehme Begriffe in Bezug, die eine gesundheitsfördernde Wirkung implizierten, da am Ende der Bestimmung von einer medizinischen Diagnose die Rede sei und diese der rechtzeitigen Behandlung einer möglicherweise diagnostizierten Krankheit diene (EuGH, aaO, Rn. 32 ff.).

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Nichts anderes könne für die Ausdrücke "wiederherstellen" und "korrigieren" gelten, womit die positive Wirkung für die menschliche Gesundheit, auch ohne dass eine Krankheit vorliege, herausgestellt werden solle. Für das Verständnis des diesen Begriffen folgenden Ausdrucks "beeinflussen" könnten im Hinblick auf die Sicherstellung der Kohärenz und der Verhinderung einer widersprüchlichen Auslegung der verschiedenen Kriterien der beiden Definitionen keine anderen teleologischen Erwägungen gelten. Daher erfasse auch der Ausdruck "beeinflussen" nur solche Stoffe, die geeignet seien, dem Funktionieren des menschlichen Organismus und folglich der menschlichen Gesundheit zuträglich zu sein (EuGH, aaO, Rn. 36 ff.).

12

Danach sei der Begriff des Arzneimittels in Art. 1 Nr. 2 Buchstabe b der Richtlinie 2001/83/EG dahin auszulegen, dass er keine Stoffe erfasse, deren Wirkungen sich auf eine schlichte Beeinflussung der physiologischen Funktionen beschränkten, ohne dass sie geeignet wären, der menschlichen Gesundheit unmittelbar oder mittelbar zuträglich zu sein.

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d) In diesem Sinne legt der Senat die Art. 1 Nr. 2 Buchstabe b der Richtlinie 2001/83/EG fast wortgenau entsprechende Regelung des nationalen Rechts zum Arzneimittelbegriff in § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a aus. Danach fehlt in den vorliegenden Fällen den synthetischen Cannabinoiden die Arzneimittel-eigenschaft. Denn sie sind zwar geeignet, die physiologischen Funktionen zu beeinflussen, sie sind aber dem Funktionieren des menschlichen Organismus und damit der Gesundheit nicht zuträglich. Sie sind vielmehr nur ihrer Rauschwirkung wegen konsumiert worden. Die vom Landgericht als positiv umschriebenen möglichen Wirkungen stellen im Wesentlichen eine Herabsetzung der körperlichen Abwehrsysteme, wie z.B. Schmerzen, Brechreiz, dar und sind Bestandteil der Rauschwirkung. Über das schlichte Beeinflussen der physiologischen Funktionen hinaus, kommt ihnen keine gesundheitsfördernde Wirkung zu.

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3. Wenngleich danach eine Strafbarkeit nach dem Arzneimittel- oder Betäubungsmittelgesetz in keinem der 18 Fälle gegeben ist, war der Angeklagte nur in 15 Fällen aus rechtlichen Gründen freizusprechen, § 354 Abs. 1 StPO. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 467 Abs. 1 StPO.

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In den übrigen drei Fällen (betreffend S. L. ) war das Urteil zwar aufzuheben, ein Freispruch durch den Senat kam aber nicht in Betracht. Die dies verfolgende weitergehende Revision war daher zu verwerfen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich in einer neuen Hauptverhandlung für den angeklagten Lebenssachverhalt insoweit eine Strafbarkeit wegen Körperverletzungsdelikten ergeben könnte. Durch die erfolgte Beschränkung ist kein Strafklageverbrauch eingetreten; der vorläufig ausgeschiedene Teil bleibt bis zur Rechtskraft der gerichtlichen Sachentscheidung rechtshängig (BGH, Urteil vom 15. September 1983 - 4 StR 535/83, BGHSt 32, 84). Um eine umfassende Nachprüfung zu ermöglichen, war der ausgeschiedene Tatteil gemäß § 154a Abs. 3 Satz 1 StPO durch den Senat wiedereinzubeziehen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 15. November 2012 - 2 StR 190/12; Urteil vom 23. März 1995 - 4 StR 641/94, BGHR StPO § 154a Beschränkung 3). Einer Aufhebung der Feststellungen bedurfte es insoweit nicht, da der Aufhebung des Schuldspruchs allein ein Subsumtionsfehler zugrunde liegt. Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen insbesondere zu der subjektiven Tatseite treffen, die zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.

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4. Für eine Entschädigungsentscheidung war kein Raum, da das Verfahren auch nach der Revisionsentscheidung vom heutigen Tage noch nicht endgültig abgeschlossen ist, wie dies § 8 Abs. 1 Satz 1 StrEG voraussetzt.

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5. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass eine Strafbarkeit des Angeklagten davon abhängt, ob sich die damals 14 Jahre alte S. L. eigen- bzw. freiverantwortlich zum Konsum der "Kräutermischung" entschloss. Nur wenn es daran fehlt, kann sich der Angeklagte als Täter eines fahrlässigen oder vorsätzlichen Körperverletzungsdelikts strafbar machen. An der Eigenverantwortlichkeit des sich selbst gefährdenden oder verletzenden Rechtsgutsinhabers kann es fehlen und deshalb eine zur Täterschaft des sich Beteiligenden führende - normativ zu bestimmende - Handlungsherrschaft gegeben sein, wenn der sich beteiligende Dritte kraft überlegenen Fachwissens das Risiko besser erfasst als der sich selbst Gefährdende oder Verletzende (vgl. grundlegend zu den Maßstäben BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 - 1 StR 494/13). Hierbei wird auch in den Blick zu nehmen sein, ob die Zumischung der synthetischen Cannabinoide ungleichmäßig erfolgte und der Angeklagte hierum und um die damit verbundene Gefahr der Überdosierung wusste.

Raum                                  Rothfuß                                  Jäger

                    Cirener                                     Radtke

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