Beschluss vom Bundesgerichtshof (12. Zivilsenat) - XII ZB 179/14
Tenor
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Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 25. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 26. März 2014 aufgehoben.
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Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
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Beschwerdewert: 5.000 €
Gründe
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I.
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Der Betroffene begehrt die Aufhebung seiner Betreuung.
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Für den Betroffenen besteht eine Betreuung für die Aufgabenbereiche Besorgung der Rechtsangelegenheiten vor Gerichten, Vertretung vor Behörden (einschließlich der Beantragung von ARGE-Leistungen), Wohnungsangelegenheiten und Eröffnung eines Bankkontos. Für sämtliche Aufgabenkreise ist ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet.
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Das Amtsgericht hat den Antrag des Betroffenen, die Betreuung aufzuheben, zurückgewiesen und die Betreuung zugleich um den Aufgabenkreis Verfügungen über das Bankkonto des Betroffenen bei der Stadtsparkasse (…) erweitert. Das Landgericht hat die Beschwerde des Betroffenen zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich dieser mit seiner Rechtsbeschwerde.
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II.
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Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
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1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Sachverständige habe in seinem Gutachten überzeugend dargelegt, dass der Betroffene an einer paranoiden Psychose leide und in den angeordneten Aufgabenkreisen einer Betreuung bedürfe, die auch gegen den Willen des Betroffenen angeordnet werden könne, da eine Bestimmbarkeit des Willens durch vernünftige Erwägungen bei dem Betroffenen krankheitsbedingt ausgeschlossen sei. Zudem belegten die zahlreichen und überwiegend unverständlichen Eingaben des Betroffenen eindrucksvoll dessen Betreuungsbedürftigkeit.
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Ebenso habe das Amtsgericht zu Recht den Aufgabenkreis erweitert und dem Betreuer die Befugnis eingeräumt, Verfügungen über das Bankkonto des Betroffenen zu treffen.
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2. Die angegriffene Entscheidung hält der Verfahrensrüge der Rechtsbeschwerde nicht stand. Das Landgericht hätte das Gutachten seiner Entscheidung nicht zugrunde legen dürfen, weil der Sachverständige den Betroffenen nicht persönlich untersucht hat.
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a) Für das Aufhebungsverfahren gelten die §§ 278 Abs. 1, 280 FamFG, die die persönliche Anhörung des Betroffenen und die Einholung eines Sachverständigengutachtens vorschreiben, nicht. Es verbleibt insoweit bei den allgemeinen Verfahrensregeln und damit bei den Grundsätzen der Amtsermittlung (Senatsbeschluss vom 2. Februar 2011 - XII ZB 467/10 - FamRZ 2011, 556 Rn. 9 f.).
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Zwar ist danach die Einholung eines Sachverständigengutachtens im Aufhebungsverfahren nicht obligatorisch. Wenn aber ein Sachverständigengutachten - wie hier - eingeholt wird und das Gericht seine Entscheidung darauf stützt, so muss dieses den formalen Anforderungen des § 280 FamFG genügen (Senatsbeschluss vom 9. November 2011 - XII ZB 286/11 - FamRZ 2012, 104 Rn. 15 f.).
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Gemäß § 280 Abs. 2 Satz 1 FamFG hat der Sachverständige den Betroffenen vor der Erstattung des Gutachtens persönlich zu untersuchen oder zu befragen (s. auch BT-Drucks. 16/6308 S. 267). Ein ohne die erforderliche persönliche Untersuchung erstattetes Sachverständigengutachten ist grundsätzlich nicht verwertbar (Keidel/Budde FamFG 18. Aufl. § 280 Rn. 16 mwN).
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Die Weigerung des Betroffenen, einen Kontakt mit dem Sachverständigen zuzulassen, ist kein hinreichender Grund, von einer persönlichen Untersuchung durch den Sachverständigen abzusehen (Keidel/Budde FamFG 18. Aufl. § 280 Rn. 18 mwN). Wirkt der Betroffene an einer Begutachtung nicht mit, so kann das Gericht gemäß § 283 Abs. 1 und Abs. 3 FamFG seine Vorführung anordnen (Senatsbeschluss vom 17. Oktober 2012 - XII ZB 181/12 - FamRZ 2013, 31 Rn. 18; BT-Drucks. 16/6308 S. 268).
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b) Diesen Anforderungen wird die Entscheidung des Landgerichts nicht gerecht.
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Wie das Amtsgericht im Einzelnen dargelegt hat, hat der Sachverständige den Betroffenen nicht persönlich untersucht. Zwar führt das Amtsgericht aus, nach den Darlegungen des Sachverständigen böten die Vielzahl der zur Akte gelangten Schreiben des Betroffenen eine ausreichende Basis für die Diagnose und zur Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens. Dies vermag gleichwohl die persönliche Untersuchung des Betroffenen nicht zu ersetzen. Das Amtsgericht hätte deswegen erwägen müssen, den Betroffenen zur gutachterlichen Untersuchung vorführen zu lassen. Dabei hängt die Erstattung des Gutachtens im Ergebnis nicht davon ab, dass ein verbaler Kontakt zwischen dem Betroffenen und dem Sachverständigen hergestellt werden kann. Der Sachverständige ist nicht gehindert, im Fall einer durch den Betroffenen verweigerten Kommunikation aus dessen Gesamtverhalten in Verbindung mit anderen Erkenntnissen Schlüsse auf ein bestimmtes Krankheitsbild zu ziehen (Keidel/Budde FamFG 18. Aufl. § 280 Rn. 19).
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c) Soweit es die vom Amtsgericht vorgenommene und vom Landgericht bestätigte Erweiterung der Betreuung gemäß § 293 FamFG anbelangt, kann diese schon deshalb keinen Bestand haben, weil die Instanzgerichte den Antrag des Betroffenen auf Aufhebung der Betreuung auf verfahrensfehlerhafte Weise zurückgewiesen haben und damit noch nicht abschließend darüber befunden ist, ob die Betreuung dem Grunde nach überhaupt bestehen bleiben kann. Unbeschadet der Fragen, ob es sich um eine wesentliche Erweiterung des Aufgabenkreises des Betreuers im Sinne von § 293 FamFG handelt und ob deshalb die Einholung eines Sachverständigengutachtens gemäß § 293 Abs. 1 FamFG obligatorisch ist, hat das Beschwerdegericht seine Entscheidung hinsichtlich der Betreuungserweiterung überdies ersichtlich auch auf das - verfahrensfehlerhaft zustande gekommene - Sachverständigengutachten gestützt, weshalb sie auch deshalb keinen Bestand haben kann.
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3. Der Senat kann nicht abschließend in der Sache entscheiden, weil noch weitere Ermittlungen anzustellen sind. Deshalb ist der Beschluss aufzuheben und die Sache zur weiteren Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG.
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Nach Zurückverweisung und der gebotenen Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens wird das Beschwerdegericht auch unter Berücksichtigung des Zeitablaufs die Notwendigkeit einer persönlichen Anhörung des Betroffenen zu überprüfen haben. Sollte der Betroffene nicht zu einem anberaumten Anhörungstermin erscheinen, kann das Beschwerdegericht dessen Vorführung anordnen, vorausgesetzt sie steht nicht außer Verhältnis zum Verfahrensgegenstand (Senatsbeschluss vom 2. Juli 2014 - XII ZB 120/14 - juris Rn. 15 f.).
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Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
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Klinkhammer Schilling Nedden-Boeger
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Botur Guhling
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Referenzen
- Beschluss vom Bundesgerichtshof (12. Zivilsenat) - XII ZB 120/14 1x
- FamFG § 278 Anhörung des Betroffenen 1x
- XII ZB 286/11 1x (nicht zugeordnet)
- FamFG § 280 Einholung eines Gutachtens 3x
- FamFG § 74 Entscheidung über die Rechtsbeschwerde 2x
- FamFG § 293 Erweiterung der Betreuung oder des Einwilligungsvorbehalts 3x
- XII ZB 181/12 1x (nicht zugeordnet)
- XII ZB 467/10 1x (nicht zugeordnet)
- FamFG § 283 Vorführung zur Untersuchung 1x