Beschluss vom Bundesgerichtshof (2. Strafsenat) - 2 StR 105/14
Tenor
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Das Verfahren wird zuständigkeitshalber an den 4. Strafsenat abgegeben.
Gründe
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I.
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Am 23. Juli 2014 fand in der Sache 2 StR 105/14 auf Antrag des Generalbundesanwalts eine Hauptverhandlung statt, in der lediglich - ohne dass in der Sache verhandelt wurde - die Frage der funktionellen Zuständigkeit des Senats erörtert wurde. Nach einem Hinweis des Vorsitzenden hatten alle Anwesenden Gelegenheit zur Stellungnahme, ob es sich vorliegend um eine Verkehrsstrafsache handeln könnte, die in die ausschließliche Zuständigkeit des 4. Strafsenats fällt. Durch in der Hauptverhandlung verkündeten Beschluss vom 23. Juli 2014 hat der Senat die Sache zuständigkeitshalber an den 4. Strafsenat abgegeben. Auf den Inhalt dieses Beschlusses wird Bezug genommen.
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Durch Beschluss vom 9. September 2014 - 4 ARs 20-2/14 - hat der 4. Strafsenat die Übernahme des Verfahrens abgelehnt, weil die Abgabe verspätet erfolgt sei. Der Abgabebeschluss des 2. Strafsenats sei für den 4. Strafsenat nicht bindend geworden, weil der 4. Strafsenat zu einer möglichen Verfahrensübernahme nicht angehört worden sei. Wegen der Einzelheiten wird auf die Begründung des Beschlusses verwiesen.
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II.
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Das Verfahren war zur Wahrung des Rechts des Angeklagten auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) - erneut - an den 4. Strafsenat abzugeben. Dieser Abgabebeschluss ist - nachdem der 4. Strafsenat jedenfalls im Übernahmeverfahren angehört wurde und Stellung genommen hat - für diesen bindend.
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1. Mit der Garantie des gesetzlichen Richters will Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG der Gefahr vorbeugen, dass die Justiz durch eine Manipulation der rechtsprechenden Organe sachfremden Einflüssen ausgesetzt wird. Es soll vermieden werden, dass durch eine auf den Einzelfall bezogene Auswahl der zur Entscheidung berufenen Richter das Ergebnis der Entscheidung beeinflusst werden kann, gleichgültig, von welcher Seite eine solche Manipulation ausgeht (st. Rspr.; BVerfGE 82, 286, 296). Damit soll die Unabhängigkeit der Rechtsprechung gewahrt und das Vertrauen der Rechtsuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte gesichert werden. Dieses Vertrauen nähme Schaden, müsste der rechtsuchende Bürger befürchten, sich einem Richter gegenüberzusehen, der mit Blick auf seinen Fall und seine Person bestellt worden ist.
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Aus diesem Zweck des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG folgt, dass im Vorhinein im Einzelnen bestimmt werden muss, wer im Sinne dieser Vorschrift "gesetzlicher" Richter ist. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG setzt daher einen Bestand von Rechtssätzen voraus, die für jeden Streitfall den Richter bezeichnen, der für die Entscheidung zuständig ist. Zu diesen das Recht auf den gesetzlichen Richter ausfüllenden Normen gehören auch die Geschäftsverteilungs- und Mitwirkungspläne der einzelnen Gerichte. Sie müssen, wenn sie ihre rechtsstaatliche Funktion erfüllen sollen, hinreichend bestimmt sein. Welche Richter in einem bestimmten Verfahren mitwirken, muss sich daraus möglichst eindeutig ergeben (BVerfGE 95, 322, 329). Geschäftsverteilungs- und Mitwirkungspläne eines Gerichts dürfen mit Rücksicht auf das Gebot des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG keinen vermeidbaren Spielraum bei der Heranziehung der einzelnen Richter zur Entscheidung einer Sache und damit keine unnötige Unbestimmtheit hinsichtlich des gesetzlichen Richters lassen.
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Ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG liegt allerdings nicht schon dann vor, wenn zur Bestimmung des gesetzlichen Richters auslegungsbedürftige Begriffe verwendet werden. Auslegungszweifel in bezug auf die zur Vorausbestimmung des gesetzlichen Richters verwendeten Kriterien sind deshalb unschädlich. Sie eröffnen nicht den Weg zu einer Besetzung der Richterbank von Fall zu Fall, sondern zu einem rechtlich geregelten Verfahren, das der Klärung der Zweifel dient. Jeder Spruchkörper hat bei auftretenden Bedenken die Ordnungsmäßigkeit seiner Besetzung zu prüfen und darüber zu entscheiden (BVerfGE 95, 322, 330).
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Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG enthält über die Notwendigkeit abstraktgenereller Regelungen zur Bestimmung des gesetzlichen Richters weitergehend das Verbot, von Regelungen, die der Bestimmung des gesetzlichen Richters dienen, abzuweichen (vgl. BVerfGE 95, 322, 328).
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2. Gemessen an diesen Maßstäben hält der zur Prüfung seiner eigenen Zuständigkeit berufene 2. Strafsenat die Zuständigkeit des 4. Strafsenats für gegeben und sieht sich trotz Anberaumung einer Revisionshauptverhandlung nicht gehindert, die Sache an diesen abzugeben.
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a) Dabei kann dahinstehen, ob die zwischen den Senaten streitige Auslegung des Geschäftsverteilungsplans für den Bundesgerichtshof für das Jahr 2014 sogar darauf hinweisen könnte, dass die dort zur Frage der Abgabe von Verfahren getroffene Regelung jedenfalls mit Blick auf die Strafsenate den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Bestimmtheit und Klarheit solcher Normen nicht genügt und schon deshalb die vom 4. Strafsenat angenommene Einschränkung der Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis des mit der Sache befassten Senats unwirksam wäre.
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b) Jedenfalls ergibt sich bei einer an Wortlaut sowie Sinn und Zweck orientierten Auslegung der Geschäftsverteilung, dass die Abgabe einer - wie hier -unstreitig zur Spezialzuständigkeit eines anderen Senats gehörenden Sache auch noch nach Durchführung einer Revisionshauptverhandlung möglich ist. Dies hat der 2. Strafsenat bereits mit seinem Abgabebeschluss vom 23. Juli 2014 entschieden; an dieser nach Erörterung in mündlicher Verhandlung gefundenen Rechtsmeinung, an die der 4. Strafsenat - auch wenn er an jene Abgabe selbst nicht gebunden gewesen sein mag (s. dazu unten III.) - gebunden ist, hält der Senat auch unter Berücksichtigung der vom 4. Strafsenat vorgebrachten Bedenken fest.
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Die Begründung der Spezialzuständigkeit eines Senates, wie hier des 4. Strafsenats für Verkehrsstrafsachen, dient in erster Linie der Einheitlichkeit der Rechtsprechung, die gewährleistet werden soll, ohne dass die mitunter aufwändige Einschaltung des Großen Senats notwendig ist. Sie geht regelmäßig davon aus, dass ein Senat mit besonderer Zuständigkeit über Spezialwissen verfügt, der ihn in besonderer Weise befähigt, über die in seine besondere Zuständigkeit fallenden Sachen zu entscheiden. Sie sichert damit zugleich eine gleichmäßige Rechtsanwendung und legt schon in diesem Ausgangspunkt nahe, umfassend möglichst sämtliche beim Bundesgerichtshof eingehenden Sachen, die in den Bereich der Spezialzuständigkeit fallen, zu erfassen. Jede Ausnahme gefährdet das mit der Begründung einer Spezialzuständigkeit verfolgte Ziel; dies spricht ohne Weiteres dafür, mögliche Ausnahmen restriktiv zu handhaben. Dies gilt auch mit Blick auf das Beschleunigungsgebot, dessen Befolgung nicht dazu führen darf, das Recht auf den gesetzlichen Richter auszuhöhlen.
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Vor diesem Hintergrund scheidet die vom 4. Strafsenat dargelegte Auslegung von Ziffer A.VI.1.a der Schlussbestimmungen zum Geschäftsverteilungsplan 2014 aus, wonach mit Blick auf das Beschleunigungsgebot eine Abgabe grundsätzlich nur "vor Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung" möglich sein soll. Denn ein solches Verständnis dieser Regelung ließe das Recht auf den gesetzlichen Richter so weit zurücktreten, dass von seinem Kernbestand nur wenig übrig bliebe.
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Jeder Spruchkörper hat - wie das Bundesverfassungsgericht betont hat - bei auftretenden Bedenken die Ordnungsmäßigkeit seiner Besetzung zu prüfen und darüber zu entscheiden. Ihm muss es deshalb auch möglich sein, nach seiner Einschätzung zu entscheiden und das Recht des Betroffenen auf den gesetzlichen Richter durchzusetzen. Dies würde einem Senat nach dem Verständnis des 4. Strafsenats aber dann verwehrt, wenn er nicht einstimmig, aber mit Mehrheit die Zuständigkeit eines anderen Senats für gegeben hielte. Denn nach dem eindeutigen Wortlaut der Schlussbestimmungen zum Geschäftsverteilungsplan ist in diesem Fall jede Abgabe vor der Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung ausgeschlossen, weil es an der Voraussetzung der Einstimmigkeit fehlt. In einer "mündlichen Verhandlung" aber käme eine nunmehr mit Mehrheit gefasste Abgabe an einen anderen Senat nicht mehr in Betracht, weil sie im Widerspruch zum Beschleunigungsgebot und damit zu spät käme. Eine derartige Beschränkung des Rechts auf den gesetzlichen Richter stünde mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht in Einklang.
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Im Übrigen würde Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG auch eine Regelung verbieten, die es einem Senat erlaubte, eine Sache, für welche ersichtlich keine Zuständigkeit besteht, durch bloße Eröffnung einer Hauptverhandlung endgültig an sich zu ziehen.
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c) Vor allem mit Blick auf den Schutzbereich von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist damit eine Auslegung der genannten Bestimmung geboten, die es (jedenfalls mit Blick auf nicht einstimmige Beurteilungen der Zuständigkeiten) ermöglicht, eine Sache noch in einer mündlichen Revisionshauptverhandlung abzugeben. Diese Auslegung ist ohne Weiteres möglich, wenn man - wie der 2. Strafsenat - Ziffer A.VU.a der Schlussbestimmungen zum Geschäftsverteilungsplan ausschließlich als Vorschrift begreift, die eine Regelung für Abgaben vor einer mündlichen Verhandlung betrifft, ohne spätere Abgaben in oder nach mündlicher Verhandlung auszuschließen.
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3. Dies gilt ungeachtet der Frage, ob Ziffer A.VU.a der Schlussbestimmungen überhaupt für Strafsachen Geltung hat. Dass diese Bestimmung (eher) auf das Verfahren vor den Zivilsenaten zugeschnitten ist, hat der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 23. Juli 2014 dargelegt. Über die dort angeführten Erwägungen hinaus gibt der Senat zu bedenken, dass die dort weiter getroffene Regelung, wonach eine Bindungswirkung des Abgabebeschlusses dann nicht besteht, "wenn zwischen dem Eingang der Rechtsmittelbegründung und dem Übernahmeersuchen nicht mehr als sechs Monate vergangen sind", ersichtlich allein auf die zivilprozessuale Rechtslage in der Revisionsinstanz abgestimmt ist und im strafgerichtlichen Revisionsverfahren sinnlos ist. Anders als in zivilgerichtlichen Revisionsverfahren (vgl. §§ 544 Abs. 1 Satz 2, 549 Abs. 1 Satz 1 ZPO) fehlt es im strafgerichtlichen Revisionsverfahren an einem "Eingang der Rechtsmittelbegründung" beim Revisionsgericht; vielmehr wird die strafrechtliche Revision durch Schriftsatz bei dem Gericht, dessen Entscheidung angefochten ist, begründet (§ 345 Abs. 1 StPO). Dies kann - wie im zugrunde liegenden Fall - nicht selten dazu führen, dass bereits mehr als sechs Monate vergangen sind, bevor die Sache überhaupt beim Bundesgerichtshof eingegangen ist. Verstünde man nun Ziffer A.VI.1.a der Schlussbestimmungen als Vorschrift, die auch für Strafsachen gilt, wäre es in einer Vielzahl von Fällen von vornherein ausgeschlossen, eine Sache noch mit Bindungswirkung an einen anderen Senat abzugeben. Es hinge - was mit dem Regelungsgehalt von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht vereinbar wäre - allein vom Willen des um Übernahme ersuchten Spezialsenats ab, ob er für die Sache zuständig würde.
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III.
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Dieser Abgabebeschluss ist für den 4. Strafsenat bindend. Es mag an dieser Stelle dahinstehen, ob die telefonische Anhörung der Vorsitzenden des 4. Strafsenats vor dem Abgabebeschluss vom 23. Juli 2014 dem im Geschäftsverteilungsplan aufgestellten Erfordernis einer "Anhörung des Senats" genügt, nachdem der 4. Strafsenat im Rahmen seines Beschlusses vom 9. September 2014 in der Sache Stellung genommen hat und jedenfalls insoweit "angehört" worden ist. Dies ermöglicht es dem 2. Strafsenat unter Beibehaltung seiner bereits in seinem Beschluss vom 23. Juli 2014 verbindlich vorgenommenen Auslegung der Geschäftsverteilung des Bundesgerichtshofs für das Jahr 2014, die Sache nunmehr mit Bindungswirkung an den 4. Strafsenat abzugeben (zur Abgabe mit Bindungswirkung vgl. BGH, Beschluss vom 16. September 2014 - 1 StR 382/14). Dies dient der Wahrung der Spezialzuständigkeit des 4. Strafsenats und dem Recht des Angeklagten auf seinen gesetzlichen Richter.
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Die Bindungswirkung entfällt auch nicht ausnahmsweise deshalb, weil der Abgabebeschluss willkürlich wäre. Wie bereits dargelegt, hat jedes Gericht bei auftretenden Bedenken die Ordnungsmäßigkeit seiner Besetzung zu prüfen und darüber selbst zu entscheiden; dies hat der 2. Strafsenat getan und ist unter Auslegung des Geschäftsverteilungsplans des Bundesgerichtshofs zu der Ansicht gelangt, dass auch nach Durchführung einer Hauptverhandlung eine Abgabe an den (unstreitig) zuständigen 4. Strafsenat zulässig (und geboten) ist.
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Eine Entscheidung der Zuständigkeitsfrage durch das Präsidium kam nicht in Betracht. Dieses hat im Geschäftsverteilungsplan für das Jahr 2014 einer Abgabe an den für zuständig gehaltenen Spruchkörper - ersichtlich im Interesse beschleunigter Erledigung negativer Kompetenzkonflikte - im Falle einer jedenfalls jetzt durchgeführten Anhörung bindende Wirkung beigelegt (zu dieser Möglichkeit s. auch Breidling, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 21e GVG, Rn. 22). Auf die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen eine Entscheidungskompetenz des Präsidiums gegeben ist, kommt es deshalb nicht an (vgl. Breidling, aaO). Möglicherweise ist die Rechtsfrage im Wege des § 132 GVG zu entscheiden.
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Fischer Schmitt Krehl
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Eschelbach Zeng
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