Urteil vom Bundesgerichtshof (5. Strafsenat) - 5 StR 75/15
Tenor
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1. Auf die Revision der Angeklagten S. wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 11. Juli 2014 mit den Feststellungen aufgehoben. Davon ausgenommen sind diejenigen zum objektiven Tatgeschehen, die bestehen bleiben; insoweit wird die Revision verworfen.
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Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
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2. Die Revision des Angeklagten K. gegen das vorgenannte Urteil wird verworfen.
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Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dadurch den Nebenklägern und dem Adhäsionskläger entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
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3. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das vorgenannte Urteil wird verworfen.
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Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten K. entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
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- Von Rechts wegen -
Gründe
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Das Landgericht hat den Angeklagten K. - unter Freispruch im Übrigen - wegen Mordes durch Unterlassen und Misshandlung von Schutzbefohlenen in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Die Angeklagte S. hat es wegen Mordes durch Unterlassen zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat es Adhäsionsentscheidungen zu Lasten des Angeklagten K. getroffen. Gegen dieses Urteil haben die beiden Angeklagten umfassend Revision eingelegt und diese jeweils auf die Sachrüge gestützt. Die Staatsanwaltschaft hat - ebenfalls gestützt auf die Sachrüge - Revision zu Ungunsten des Angeklagten K. eingelegt und diese in der Revisionshauptverhandlung auf den Strafausspruch wegen Mordes durch Unterlassen sowie den Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe beschränkt. Während die Revisionen des Angeklagten K. und der Staatsanwaltschaft unbegründet sind, hat die Revision der Angeklagten S. teilweise Erfolg.
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I.
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Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
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1. Die zur Tatzeit 25 Jahre alte Angeklagte S. lebte seit Herbst 2010 mit ihren drei Kindern, dem im August 2007 geborenen Sohn L. sowie den im April 2009 geborenen Zwillingen Z. und F. , bei dem zur Tatzeit 24 Jahre alten Angeklagten K. . Sie und ihre Kinder erhielten Familienhilfe, in deren Rahmen die Familie regelmäßig von zwei Mitarbeiterinnen eines vom Jugendamt beauftragten Trägers besucht wurde. Alle drei Kinder wurden von beiden Angeklagten wiederholt misshandelt und wiesen gravierende Entwicklungsverzögerungen auf. "Insbesondere der Angeklagte K. , der in seinem bisherigen Leben überwiegend eine Opferrolle eingenommen hatte und nun in der Familie und gegenüber der ihm intellektuell deutlich unterlegenen Angeklagten S. erstmals etwas zu sagen hatte, führte ein rigides Regiment" (UA S. 8). Es gelang beiden Angeklagten jedoch, auch gegenüber den professionellen Helferinnen das Bild eines harmonischen und gewaltfreien Familienlebens aufrechtzuerhalten.
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Am Nachmittag des 28. Januar 2012, einem Samstag, übernahm es der Angeklagte K. - wie bereits des Öfteren - , die drei Kinder nacheinander in der Badewanne seiner Wohnung abzuduschen, während sich die Angeklagte S. in einem anderen Raum aufhielt. Aus nicht aufklärbaren Gründen geriet er dabei über das Verhalten der knapp drei Jahre alten Z. in Wut. Entweder schlug er dem in der Badewanne stehenden Mädchen mit der Faust kräftig in den Bauch oder er trat es mit dem Fuß in den Bauch. Das Kind wurde durch die Wucht des Schlages oder Trittes mit dem Rücken gegen die Wand der Badewanne oder des Badezimmers gedrückt, die als Widerlager fungierte, so dass durch die Gewalteinwirkung der Dünndarm gequetscht und durch die Lendenwirbelsäule perforiert wurde. Mit dem Schlag oder Tritt wollte der Angeklagte dem Kleinkind aus gefühlloser Gesinnung Schmerzen zufügen. Dabei war für ihn aber nicht vorhersehbar, dass der Schlag oder Tritt eine zum Tode des Kindes führende Verletzung verursachen würde. Auch Z. s Zwillingsbruder F. erregte durch sein Verhalten den Zorn des Angeklagten, der dem Kind mit großer Kraft den Arm verdrehte. F. erlitt dabei einen äußerst schmerzhaften Spiralbruch des rechten Oberarmknochens. Aufgrund dieses Bruches schwoll der Arm an und schmerzte heftig mit der Folge, dass F. eine Schonhaltung einnahm und nur noch den linken Arm benutzte. Demgegenüber ging es Z. in den Stunden nach dem Vorfall im Badezimmer zunächst noch gut. Bereits am Sonntag, den 29. Januar 2012, verschlechterte sich der Zustand des Mädchens aber, und spätestens ab dem Morgen des 30. Januar 2012 begann es, sich zu übergeben.
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An diesem Tag erschienen mittags - wie angekündigt - die beiden Familienhelferinnen. Ihnen fiel die Verletzung von F. auf. Außerdem übergab sich Z. in ihrem Beisein wiederholt; im Übrigen lag sie in ihrem Kinderbett und wirkte sehr schwach. Die Familienhelferinnen und die Angeklagten kamen überein, dass die Angeklagten mit F. und Z. den Kinderarzt aufsuchen sollten. Die Familienhelferinnen und die Angeklagten verließen gemeinsam mit den Kindern das Haus. Das Angebot der Familienhelferinnen, sie in der Straßenbahn mitzunehmen, lehnten die Angeklagten ab. "Entweder beabsichtigten sie bereits zu diesem Zeitpunkt, gar keinen Arzt aufzusuchen, und verließen das Haus nur zum Schein oder sie kamen auf dem Weg überein, die Zwillinge nicht dem Kinderarzt vorzustellen“ (UA S. 12). Obwohl ihnen bewusst war, dass die Kinder dringend ärztlicher Hilfe bedurften, unterließen die Angeklagten einen Arztbesuch aus Angst, der Kinderarzt werde bei der Untersuchung Misshandlungsspuren feststellen. Als am Nachmittag der Einzelfallhelfer des Angeklagten K. erschien, lag Z. schwerkrank reglos in ihrem Bett. Dem Einzelfallhelfer gegenüber gaben die Angeklagten an, sie seien mit Z. beim Arzt gewesen, wo sie im überfüllten Wartezimmer sehr lange hätten warten müssen; aus Ärger hierüber seien sie unverrichteter Dinge wieder nach Hause gegangen. Der Wahrheit zuwider behaupteten sie, Z. gehe es aber bereits etwas besser, obwohl ihnen spätestens ab diesem Zeitpunkt bewusst war, dass sich der Zustand des Kindes kontinuierlich gravierend verschlechterte und sich nicht mehr mit einem Magen-Darm-Infekt oder einer Kinderkrankheit erklären ließ. Nachdem die Angeklagte S. abends zu Bett gegangen war, sah der Angeklagte K. zwischen 2:00 und 3:00 Uhr nach Z. , die sich in diesem Zeitpunkt wahrscheinlich bereits in einem Schockzustand befand. Als er gegen 4:00 Uhr noch einmal nach Z. schaute, lag sie regungslos in Erbrochenem und atmete nicht mehr. Der Angeklagte wählte daraufhin den Notruf und versuchte auf telefonische Anweisung hin, Z. wiederzubeleben. Die Rettungssanitäter und die Notärztin bemühten sich, das Kind zu reanimieren. Ihre an den Angeklagten K. gerichtete Frage, ob es Krankheitsanzeichen wie Erbrechen oder Ähnliches gegeben habe, verneinte dieser der Wahrheit zuwider. Nach etwa einer halben Stunde wurden die Reanimationsmaßnahmen abgebrochen; die Notärztin stellte um 4:55 Uhr den Tod des Kindes fest, das zu diesem Zeitpunkt einen deutlich aufgeblähten Bauch aufwies. Todesursächlich war eine fortgeschrittene aktuell schwere Bauchfellentzündung, verursacht durch eine fokale Perforation des oberen Dünndarms mit Austritt von Darminhalt und reichlich freier Luftansammlung im Bauchraum.
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2. Das Landgericht hat nach Vernehmung von drei (gerichts-)medizinischen Sachverständigen beweiswürdigend andere Ursachen als den Schlag oder Tritt in den Bauch des Kindes durch den Angeklagten K. für die Darmverletzung des Mädchens ausgeschlossen. Es ist zu der Überzeugung gelangt, dass für beide Angeklagte spätestens ab den Nachmittagsstunden des 30. Januar 2012 erkennbar war, dass Z. schwer krank war. Dennoch holten beide keine ärztliche Hilfe, weil sie die Feststellung von Misshandlungsspuren befürchteten. Dabei nahmen sie nunmehr auch billigend in Kauf, dass sich der Zustand des Kindes weiter verschlechterte und dass es sterben könnte. Wegen der Misshandlung der Kinder Z. und F. hat die Strafkammer den Angeklagten K. jeweils gemäß § 225 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu Einzelfreiheitsstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das letztlich todesursächliche Unterlassen des Hinzuziehens ärztlicher Hilfe trotz gravierender Verschlechterung des Zustandes von Z. hat das Landgericht unter Annahme von Verdeckungsabsicht als Mord durch Unterlassen gewertet. Bei der Strafzumessung hat es eine Strafrahmenverschiebung nach § 13 Abs. 2 StGB vorgenommen und für den Angeklagten K. eine Einsatzfreiheitsstrafe von zehn Jahren, für die Angeklagte S. eine Freiheitsstrafe von acht Jahren für angemessen erachtet.
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II.
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1. Während die Revision des Angeklagten K. aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet ist, führt die Revision der Angeklagten S. zur Aufhebung des Schuldspruchs und der ihn tragenden Feststellungen, mit Ausnahme derjenigen zum objektiven Tatgeschehen.
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Das Landgericht hat den bedingten Tötungsvorsatz der beiden einen solchen bestreitenden Angeklagten ersichtlich aus den objektiven Tatumständen gefolgert, insbesondere aus dem von allen Sachverständigen geschilderten schwerwiegenden und für Laien erkennbaren länger dauernden Leidenszustand des Kindes, der offenkundig nach ärztlicher Hilfe verlangte. Diese vom Landgericht nicht weiter begründete Annahme hält im Falle des Angeklagten K. , der die Ursache für den desolaten Zustand des Kindes gesetzt und trotz weiterer von ihm erkannter Verschlechterung in der Nacht zum 31. Januar 2012 die Feuerwehr erst angerufen hatte, als das Kind reglos in Erbrochenem lag und nicht mehr atmete, der revisionsgerichtlichen Überprüfung stand. Hinsichtlich der Angeklagten S. hätte sich das Landgericht - abgesehen davon, dass die Billigung der Verursachung des Todes des eigenen Kindes naturgemäß die Überschreitung höchster Hemmschwellen voraussetzt - mit vorsatzkritischen Umständen auseinandersetzen müssen. So ist nicht festgestellt, dass auch die Angeklagte S. von dem Faustschlag oder Tritt des Angeklagten K. in den Bauch des Kindes wusste. Die Angeklagte hatte demnach nicht die Gefährlichkeit einer Gewalthandlung, sondern einen sich über einen längeren Zeitraum erstreckenden Krankheitsprozess zu beurteilen und sein mögliches Ende geistig vorwegzunehmen und zu billigen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Dezember 1997 - 3 StR 569/97, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 50). Angesichts dessen hätte das Landgericht insbesondere mit Blick auf die Persönlichkeitsbesonderheiten der Angeklagten (UA S. 54 f.) prüfen müssen, ob sie begründet darauf hoffte, der von ihr erkannte Leidenszustand Z. s werde nicht zu ihrem Tode führen.
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2. Die Revision der Staatsanwaltschaft zulasten des Angeklagten K. bleibt ohne Erfolg.
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a) Die Strafrahmenverschiebung nach § 13 Abs. 2 StGB ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.
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Die Frage, ob eine Strafmilderung nach § 13 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB geboten ist, muss das Tatgericht in einer wertenden Gesamtwürdigung der wesentlichen, also nicht nur unterlassungsbezogenen Gesichtspunkte prüfen (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 - 1 StR 311/98, NJW 1998, 3068). Einzubeziehen sind daher auch die konkreten Tatumstände und alle in subjektiver Hinsicht für die Bewertung des Unrechtsgehalts der Unterlassung maßgebenden Umstände (vgl. BGH, Urteil vom 3. November 1981 - 1 StR 501/81, NJW 1982, 393).
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Gemessen hieran ist die Strafrahmenwahl des Landgerichts nicht zu beanstanden. Es hat einerseits den besonders bedeutsamen Gesichtspunkt (vgl. BGH, Beschluss vom 1. April 1987 - 2 StR 94/87, BGHR StGB § 13 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 1) gewürdigt, "dass die gebotene Handlung in einem einzigen Anruf der Notrufnummer bestand" (UA S. 57), und daher von dem Angeklagten K. nicht mehr verlangt hätte als den normalen Einsatz rechtstreuen Willens. Andererseits hat es das junge Alter des bislang unbestraften und mit der häuslichen Situation überforderten Angeklagten berücksichtigt sowie den Umstand, dass er nicht völlig untätig blieb, sondern durch verschiedene - wenn auch untaugliche - Maßnahmen versuchte, den Zustand des Kindes zu verbessern. Von der Staatsanwaltschaft in den Mittelpunkt ihrer Erwägungen gestelltes "Vertuschungsverhalten" des Angeklagten dergestalt, dass er lediglich zum Schein auf den Vorschlag der beiden Familienhelferinnen eingegangen sei, einen Arzt aufzusuchen (RB S. 4), hat das Landgericht nicht feststellen können. Vielmehr hat es die Möglichkeit offen gelassen, dass die Angeklagten erst auf dem Weg zum Kinderarzt dahin übereinkamen, die Zwillinge dort nicht vorzustellen (vgl. UA S. 12). Gegenüber seinem Einzelfallhelfer hat der Angeklagte K. - insoweit wahrheitsgemäß - angegeben, dass sie das Kind nicht dem Arzt vorgestellt hätten, auch wenn er über den Grund dafür getäuscht hat. Es ist lediglich festgestellt, dass die Angeklagten dem Zeugen gegenüber "der Wahrheit zuwider" behaupteten, dem Kind ginge es schon wieder "etwas" besser. Dass sie mit dieser Lüge den Zeugen, der das Kind reglos in seinem Bettchen hatte liegen sehen, von Rettungshandlungen abgehalten hätten oder ihn davon hätten abhalten wollen, ist nicht festgestellt.
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b) Die strafmildernde Berücksichtigung der Untersuchungshaft im Rahmen der konkreten Strafzumessung nimmt der Senat hin. Das Landgericht hat insoweit auf besonders belastende Umstände, nämlich deren lange Dauer bei dem unbestraften Angeklagten, abgestellt.
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Sander Schneider Dölp
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Bellay Feilcke
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- 2 StR 94/87 1x (nicht zugeordnet)
- StGB § 49 Besondere gesetzliche Milderungsgründe 1x