Beschluss vom Bundesgerichtshof (1. Strafsenat) - 1 StR 76/15
Tenor
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1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 7. Oktober 2014, soweit dort das Verfahren nicht eingestellt worden ist, mit den Feststellungen aufgehoben.
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2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Landshut zurückverwiesen.
Gründe
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Das Landgericht hat beide Angeklagte wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 501 Fällen, jeweils in Tateinheit mit Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt verurteilt. Gegen den Angeklagten B. hat es eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten und gegen die Angeklagte K. eine solche von zehn Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verhängt. Im Übrigen ist das Verfahren wegen Verjährung eingestellt worden. Ferner hat das Landgericht festgestellt, dass der Anordnung des Verfalls in Höhe von 471.932,98 Euro bei beiden Angeklagten Ansprüche der Geschädigten entgegenstehen.
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Auf die vom Angeklagten B. erhobenen Verfahrensrügen, denen auch Gewicht beizumessen ist, kommt es vorliegend nicht an, da die Revisionen bereits auf die von beiden Angeklagten erhobene Sachrüge hin in vollem Umfang Erfolg haben (§ 349 Abs. 4 StPO).
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1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
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Der Angeklagte B. bat die Angeklagte K. im November 2005, einen Gewerbebetrieb zu eröffnen, da er "Probleme mit Behörden" habe. Die Angeklagte K. meldete sodann unter der Firma "E. " einen Gewerbebetrieb an, dessen Zweck mit Bühnenaufbau angegeben wurde. Unter dieser Firma schloss der Angeklagte B. unter Verwendung seiner aus seiner früheren Einzelfirma resultierenden Datenbank mit Kontakten zu Aufbaufirmen und arbeitswilligen Personen Verträge mit diversen Aufbaufirmen, in denen er sich verpflichtete, die geforderte Anzahl an Arbeitern zur Verfügung zu stellen. Diese Arbeiter verstanden sich selber als Selbständige, hatten einen Gewerbeschein für Bühnenaufbauarbeiten und konnten die Aufträge des Angeklagten B. aus freien Stücken annehmen oder ablehnen. Einige Arbeiter waren regelmäßig, zum Teil auch mehrere Monate oder Jahre - allerdings in sehr unterschiedlichem Umfang - am Stück, für die Firma "E. " tätig, andere nur ganz vereinzelt. Eine Lohnsteuerkarte bzw. Arbeitspapiere gaben die Arbeiter weder bei den Angeklagten noch bei den Aufbaufirmen ab. Alle Arbeiter waren auch für andere Auftraggeber tätig. Der Angeklagte B. teilte den Arbeitern die Einsatzorte und Zeitpunkte von Fall zu Fall entsprechend seiner Verträge mit den Aufbaufirmen mit. Die Arbeiter hatten sich bei Annahme des Auftrags sodann an diese Vorgaben zu halten, konnten insbesondere keine anderen Einsatzzeitpunkte oder -orte auswählen. Grundsätzlich oblag es den Arbeitern, selbständig zum Einsatzort zu kommen, zum Teil bildeten diese Fahrgemeinschaften. In Einzelfällen erhielten sie die Fahrtkosten erstattet oder der Angeklagte B. stellte Übernachtungsmöglichkeiten zur Verfügung und kam für die Verpflegung vor Ort auf. Bei größeren Veranstaltungen kontrollierte der Angeklagte B. oder ein von ihm eingesetzter "Crew-Chief" die Anwesenheit der Arbeiter und teilte diese in verschiedene Arbeitsgruppen ein. Nach dieser Einteilung arbeiteten die Arbeiter auf Weisung der vor Ort verantwortlichen Techniker bzw. Produktionsleiter der Aufbaufirmen. Konkrete Arbeitsanweisungen des Angeklagten B. gab es nicht. Die von den Arbeitern auszuführenden Verrichtungen waren durchweg einfache Helfertätigkeiten wie z.B. das Ent- und Beladen von Lkws und der Auf- und Abbau der Bühnen. Letztverantwortlich hierfür waren die Techniker und Produktionsleiter der Aufbaufirmen. Weder der Angeklagte B. noch die eingesetzten Arbeiter schuldeten einen Erfolg. Die wenigen Werkzeuge, die die Arbeiter vor Ort benötigten, brachten sie in aller Regel zusammen mit gegebenenfalls benötigter Schutzbekleidung selber mit. Der Angeklagte B. gewährte ihnen weder Urlaub noch Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Es existierten keinerlei schriftliche Vereinbarungen über die zu erbringende Tätigkeit zwischen den Arbeitern und der Firma "E. ", insbesondere auch keine Rahmenvereinbarung dahingehend, dass die Arbeiter eine bestimmte Mindeststundenzahl pro Monat erbringen müssten. Die Firma "E. " zahlte ihnen auch kein Mindestentgelt. In einem Fall sorgte der Angeklagte B. dafür, dass seine Haftpflichtversicherung einen von einem von ihm eingesetzten Arbeiter verursachten Schaden an einem Plasma-Bildschirm regulierte.
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Der Angeklagte B. war nach der Wertung des Landgerichts "faktischer Geschäftsführer", während die Angeklagte K. als reine "Strohfrau" nur Sekretärinnentätigkeiten verrichtete und auf Anweisung des Angeklagten B. die Rechnungen der Arbeiter beglich und Rechnungen an die Auftraggeberfirmen stellte, die lediglich die geleisteten Stunden enthielten, eine Aufschlüsselung nach einzelnen Arbeitern fand nicht statt. Hierfür erhielt die Angeklagte K. ein Gehalt in Höhe von 1.000 Euro monatlich. Die Bankkarte des Firmenkontos stellte sie dem Angeklagten B. zur Verfügung. Eine kaufmännisch ordnungsgemäße Betriebsführung existierte nicht, Rechnungen wurden nicht über den erforderlichen Zeitraum aufgehoben. Lediglich für den letzten Abrechnungszeitraum hatte der Angeklagte B. in seinem Pkw einen Leitzordner mit Rechnungen.
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Der Angeklagte B. war sich nach den Feststellungen des Landgerichts in allen Fällen dessen bewusst, dass es sich bei den von ihm eingesetzten Arbeitern um seine Arbeitnehmer handelte, für die er Sozialversicherungsbeiträge abführen musste.
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Die Angeklagte K. nahm danach zumindest billigend in Kauf, dass die eingesetzten Arbeiter Arbeitnehmer der Firma "E. " waren. Sie kannte insbesondere den Umfang der Arbeitseinsätze und war sich auch der Sozialversicherungspflicht bewusst.
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Es wurden auf diese Weise im Zeitraum von Juni 2006 bis Juli 2011 in 501 Fällen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge zur Arbeitslosen- und Rentenversicherung in Höhe von insgesamt 471.932,98 Euro vorenthalten.
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2. Die Feststellungen tragen den Schuldspruch nicht. Das Landgericht hat bei der Bestimmung der Arbeitgebereigenschaft nicht den von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aufgestellten Maßstab zugrunde gelegt.
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Ob eine Person Arbeitgeber ist, richtet sich nach dem Sozialversicherungsrecht, das wiederum auf das Arbeitsrecht Bezug nimmt. Arbeitgeber ist danach derjenige, dem der Arbeitnehmer nicht selbständige Dienste gegen Entgelt leistet und zu dem er in einem Verhältnis persönlicher Abhängigkeit steht, wobei besondere Bedeutung dem Weisungsrecht sowie der Eingliederung in den Betrieb des Arbeitgebers zukommt. Entscheidend sind hierbei allein die tatsächlichen Gegebenheiten (BGH, Beschluss vom 5. Juni 2013 - 1 StR 626/12, NStZ-RR 2013, 278). Grundsätzlich ist der Wille der Vertragsparteien zwar ausschlaggebend, eine nach den tatsächlichen Verhältnissen bestehende Sozialversicherungspflicht können die Beteiligten jedoch nicht durch abweichende Vertragsgestaltung umgehen. Maßgeblich ist eine abwägende Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände (BGH, Beschluss vom 4. September 2013 - 1 StR 94/13, NStZ 2014, 321, 322). Diese hat das Landgericht rechtsfehlerhaft nicht hinreichend vorgenommen.
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Zwar schuldeten die eingesetzten Arbeiter nach den Feststellungen des Landgerichts keinen Erfolg, sondern nur ihre Dienste und trugen keinerlei unternehmerisches Risiko. Sie stellten selber auch keine weiteren Arbeiter an. Nach Annahme des Auftrags hatten die Arbeiter keinerlei Dispositionsfreiheit mehr und wurden zum Teil vor Ort auf ihre Anwesenheit hin von dem Angeklagten B. kontrolliert. Sie führten einfachste Helfertätigkeiten aus und rechneten nach Stunden ab. Abrechnungen nach Pauschalen erfolgten nur aufgrund der Vereinbarung, dass mindestens sechs Stunden abgerechnet werden durften. Die Rechnungen stellten die Arbeiter an die Firma "E. ", von der sie auch bezahlt wurden. Die Firma "E. " rechnete dann wiederum mit den Auftraggeberfirmen ab, wobei eine bloße Stundenauflistung erfolgte, keine Aufspaltung nach den einzelnen Arbeitern. Deren Namen waren den Auftraggebern nur in den Fällen bekannt, in denen sie sich diese aus Sicherheitsgründen nennen ließen. Auch andersherum kannten die Arbeiter die Auftraggeberfirmen in aller Regel nicht. Vor allem mit diesem Argument schließt das Landgericht eine Arbeitgeberstellung der Auftraggeberfirmen aus.
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Allerdings war es nach den Feststellungen des Landgerichts der Wille der Arbeiter, nicht als Arbeitnehmer, sondern als Selbständige tätig zu werden. Die Arbeiter waren ferner absolut frei darin, die Aufträge vom Angeklagten B. anzunehmen oder abzulehnen. Dementsprechend wurden sie auch in sehr unterschiedlichem Umfang - selbst bei den länger Beschäftigten ohne erkennbare Regelmäßigkeit im Ausmaß - für die Firma "E. " tätig. Ferner erfüllten sie alle formalen Kriterien der Selbständigkeit, hatten insbesondere einen Gewerbeschein und zum Teil auch eigene Betriebs- und Steuernummern, und schlossen auch Verträge mit anderen Auftraggebern. Weisungen im Einzelfall vor Ort wurden von dem Angeklagten B. nicht erteilt. Auch beanstandete weder das Gewerbeamt noch das Finanzamt das Geschäftsmodell.
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Das Landgericht hat sich rechtsfehlerhaft nicht damit auseinandergesetzt, welchen Umfang die von den Arbeitern bei anderen Auftraggebern verrichteten Tätigkeiten hatten. Dies wäre jedoch in Anbetracht der aufgezeigten anderweitigen, widersprüchlichen Kriterien erforderlich gewesen, um abschließend beurteilen zu können, ob die Arbeiter als Arbeitnehmer der Firma "E. " oder als Selbständige tätig waren.
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Vor diesem Hintergrund bestehen nach den bisher getroffenen Feststellungen Bedenken, dass es sich bei den Arbeitern tatsächlich um "Scheinselbständige" handelte, deren Arbeitgeber die Angeklagten waren. Die Arbeitnehmerstellung zeichnet sich gemeinhin vor allem dadurch aus, dass der Arbeiter weisungsabhängig und in den Betrieb des Arbeitgebers eingebunden ist (vgl. vor allem Wortlaut des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV, aber auch die strafrechtliche Rechtsprechung wie z.B. BGH, Urteil vom 16. April 2014 - 1 StR 638/13, NStZ-RR 2014, 246, 247 f.; Beschluss vom 11. August 2011 - 1 StR 295/11, NJW 2011, 3047). Hier fehlt es völlig an einer Einbindung in den Betrieb. Vielmehr bestand die Firma "E. " quasi nur aus einer im Pkw des Angeklagten B. aufbewahrten Datenbank mit Adressen von möglicherweise arbeitswilligen Personen und möglichen Auftraggeberfirmen. Deshalb wird auch der "Sonderfall M. " von dem Rechtsfehler erfasst, der von den Angeklagten selbst als Arbeitnehmer gemeldet war (UA S. 61).
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Der Schuldspruch, der ohnehin nicht der Rechtsprechung des Senats entspricht, wonach bei gleichzeitigem Vorenthalten von Arbeitgeberbeiträgen nach § 266a Abs. 1 StGB und Arbeitnehmerbeiträgen nach § 266a Abs. 2 Nr. 2 StGB keine Tateinheit, sondern eine einheitliche Tat vorliegt, bei der die zusätzliche Verwirklichung von § 266a Abs. 2 Nr. 2 StGB lediglich im Rahmen des Schuldumfangs Berücksichtigung findet (BGH, Beschluss vom 18. Mai 2010 - 1 StR 111/10, wistra 2010, 408; so auch MüKoStGB/Radtke, 2. Aufl., § 266a Rn. 99), war daher insgesamt aufzuheben.
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Danach hat auch die Feststellung nach § 111i Abs. 2 StPO keinen Bestand.
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Die jeweils zugrundeliegenden Feststellungen waren ebenfalls aufzuheben, da diese vom Landgericht unter Zugrundelegung eines rechtsfehlerhaften Maßstabes getroffen wurden und die Gefahr widersprüchlicher Feststellungen vermieden werden muss.
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Da der Senat nicht ausschließen kann, dass ein neuer Tatrichter Feststellungen treffen kann, die erneut zu einer Verurteilung führen, war die Sache im Umfang der Aufhebung zurückzuverweisen.
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3. Der Senat weist darauf hin, dass - sollte das Landgericht bei Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung erneut zur Arbeitgebereigenschaft der Angeklagten gelangen - zur Beurteilung der Frage, ob es sich möglicherweise bei einzelnen Arbeitern um nur geringfügig oder unständig Beschäftigte mit entsprechend geringeren Sozialversicherungspflichten (vgl. auch BGH, Urteil vom 11. August 2010 - 1 StR 199/10, NStZ-RR 2010, 376) gehandelt hat, auch die Tätigkeiten und Verdienste bei anderen Auftraggebern von Bedeutung sein können.
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4. Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 StPO). Hierbei ist die Zurückverweisung an eine Wirtschaftsstrafkammer angezeigt, da zur Beurteilung des Falles besondere Kenntnisse des Wirtschaftslebens erforderlich sind (vgl. BGH, Urteile vom 13. April 2010 - 5 StR 428/09, wistra 2010, 268, 270; und vom 26. August 2014 - 5 StR 185/14, wistra 2015, 18, 20; Franke in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 355 Rn. 2).
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Raum Rothfuß Graf
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Cirener Radtke
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