Beschluss vom Bundesgerichtshof (12. Zivilsenat) - XII ZB 525/14

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Arnsberg vom 23. September 2014 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 5.000 €

Gründe

I.

1

Das Amtsgericht hat auf der Grundlage eines in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren zur Frage der Schuldfähigkeit bzw. eingeschränkten Schuldfähigkeit eingeholten Sachverständigengutachtens für den Betroffenen eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis "Vertretung bei Behörden und Ämtern" eingerichtet. Hiergegen haben der Betroffene und seine Ehefrau mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 23. August 2014 Beschwerde eingelegt. Die am 23. September 2014 beim Amtsgericht eingegangene Beschwerdebegründung ist am 29. September 2014 zum Landgericht gelangt. Zuvor hatte das Landgericht am 23. September 2014 den Beschluss gefasst, die Beschwerde unter Bezugnahme "auf die zutreffenden Ausführungen in dem Beschluss des Amtsgerichts" zurückzuweisen. Dieser Beschluss wurde am 30. September 2014 der Geschäftsstelle übergeben.

2

Die Beschwerdebegründung ist vom Landgericht als Gegenvorstellung behandelt und mit Beschluss vom 27. Oktober 2014 zurückgewiesen worden.

3

Mit der Rechtsbeschwerde wendet sich der Betroffene gegen den Beschluss vom 23. September 2014, mit dem seine Beschwerde zurückgewiesen worden ist.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

5

Die angefochtene Entscheidung beruht auf einem Verfahrensfehler. Das Beschwerdegericht hat durch die Nichtberücksichtigung der Beschwerdebegründung bei seiner Entscheidung über die Beschwerde in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt.

6

1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Es verstößt gegen diesen Grundsatz, wenn das Gericht einen ordnungsgemäß eingegangenen Schriftsatz nicht berücksichtigt (vgl. BGH Beschluss vom 12. Juli 2012 - IX ZB 270/11 - FamRZ 2012, 1561 Rn. 7 mwN; BVerfG NJW 1983, 2187).

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Im vorliegenden Fall hat das Beschwerdegericht verkannt, dass es die am 29. September 2014 eingegangene Beschwerdebegründung noch bei der Entscheidung über die Beschwerde hätte berücksichtigen müssen.

8

a) Für die Begründung einer (Erst-)Beschwerde in Betreuungssachen sieht das Gesetz eine einzuhaltende Frist nicht vor (vgl. § 65 Abs. 1 FamFG). Macht das Gericht von der Möglichkeit des § 65 Abs. 2 FamFG, eine Frist zur Begründung der Beschwerde zu bestimmen, keinen Gebrauch, kann der Beschwerdeführer die Beschwerdebegründung bis zum Zeitpunkt des Erlasses der Beschwerdeentscheidung nachreichen (Schulte-Bunert/Weinreich/Unger FamFG 4. Aufl. § 65 Rn. 7; vgl. auch BGH Beschluss vom 12. Juli 2012 - IX ZB 270/11 - FamRZ 2012, 1561 Rn. 8). Dies folgt daraus, dass die gerichtliche Entscheidungsfindung erst mit dem Erlass des Beschlusses ihr Ende findet und dieser erst dann als Rechtsprechungsakt existent wird (Keidel/Meyer-Holz FamFG 18. Aufl. § 38 Rn. 88). Bis zum Zeitpunkt des Erlasses befindet sich der Beschluss nur im Entwurfsstadium und kann daher vom Gericht noch abgeändert werden. Nach § 38 Abs. 3 Satz 3 FamFG ist die nicht verkündete Beschwerdeentscheidung mit der Übergabe des von den Mitgliedern des Spruchkörpers unterzeichneten Beschlusses an die Geschäftsstelle erlassen. Daher sind in Betreuungssachen Schriftsätze des Beschwerdeführers, die bis zu diesem Zeitpunkt eingehen, grundsätzlich bei der Beschwerdeentscheidung noch zu berücksichtigen. Dies gilt selbst dann, wenn die Entscheidung im Zeitpunkt des Eingangs der Beschwerdebegründung von allen Mitgliedern des Spruchkörpers bereits unterzeichnet, aber noch nicht an die Geschäftsstelle übergeben worden ist (Prütting/Helms/Abramenko FamFG 3. Aufl. § 65 Rn. 10). Bleibt schriftsätzliches Vorbringen, das vor Erlass der Entscheidung i.S.v. § 38 Abs. 3 Satz 3 FamFG eingegangen ist, unberücksichtigt, wird der Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) auch dann verletzt, wenn dem Beschwerdegericht der Schriftsatz nicht mehr rechtzeitig vorgelegt worden ist (vgl. BayObLG NJW-RR 1999, 1685, 1686).

9

b) Gemessen hieran hätte das Beschwerdegericht das Vorbringen des Betroffenen im Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 22. September 2014 schon bei der Entscheidung über die Beschwerde berücksichtigen müssen. Zwar hat das Beschwerdegericht, das dem Betroffenen keine Frist zur Begründung des Rechtsmittels bestimmt hat (§ 65 Abs. 2 FamFG), bereits am 23. September 2014 über die Beschwerde des Betroffenen entschieden, während die Beschwerdebegründung vom 22. September 2014 erst am 29. September 2014 beim Landgericht eingegangen ist. Aus den Verfahrensakten ergibt sich jedoch, dass der von den Mitgliedern der Beschwerdekammer unterzeichnete Beschluss erst am 30. September 2014 an die Geschäftsstelle des Landgerichts übergeben worden ist. Da die Beschwerdebegründung somit noch vor Erlass der Beschwerdeentscheidung beim Landgericht eingegangen war, durfte das darin enthaltene Vorbringen bei der Beschwerdeentscheidung nicht unberücksichtigt bleiben.

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2. Diese Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist auch entscheidungserheblich.

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a) Dem steht nicht entgegen, dass das Beschwerdegericht den Schriftsatz des Betroffenen vom 22. September 2014 als Gegenvorstellung behandelt, sich inhaltlich mit dem Beschwerdevorbringen auseinandergesetzt und die Gegenvorstellung schließlich mit Beschluss vom 27. Oktober 2014 zurückgewiesen hat. Die Rechtsbeschwerde weist schon zu Recht darauf hin, dass es einen wesentlichen Unterschied macht, ob ein Beschwerdevorbringen zur Grundlage der Beschwerdeentscheidung gemacht oder nur nach Erlass der Entscheidung im Rahmen eines außerordentlichen Rechtsbehelfs verbeschieden wird. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass das Beschwerdegericht bei Berücksichtigung des Inhalts des Schriftsatzes vom 22. September 2014 über die Beschwerde anders entschieden hätte.

12

b) Entscheidend ist allerdings, dass die Gegenvorstellung von vornherein ein untauglicher Rechtsbehelf war, um die eingetretene Gehörsverletzung zu heilen. Die Gegenvorstellung kommt als außerordentlicher Rechtsbehelf grundsätzlich nur gegen solche formell rechtskräftigen Entscheidungen in Betracht, die nicht in materielle Rechtskraft erwachsen oder diese herbeiführen und die noch nicht unabänderbar sind (zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Gegenvorstellung vgl. BVerfG NJW 2009, 829 Rn. 33). Insbesondere ist eine Gegenvorstellung mangels Rechtsschutzbedürfnisses ausgeschlossen, wenn ein Rechtsmittel oder förmlicher Rechtsbehelf eröffnet ist (Keidel/Meyer-Holz FamFG 18. Aufl. Anhang zu § 58 Rn. 50). Letzteres ist hier der Fall. Da sich der Betroffene gegen die Betreuerbestellung wendet, ist gegen die Beschwerdeentscheidung die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde nach §§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 271 Nr. 1 FamFG statthaft, so dass das Beschwerdegericht schon aus diesem Grund nicht befugt war, die zu diesem Zeitpunkt bereits erlassene Beschwerdeentscheidung im Wege einer Gegenvorstellung abzuändern.

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3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

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4. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben. Eine eigene Entscheidung in der Sache ist dem Senat verwehrt, weil diese noch nicht entscheidungsreif ist, § 74 Abs. 6 Satz 1 und 2 FamFG. Daher ist die Sache an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.

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Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:

16

Das Beschwerdegericht wird zu prüfen haben, ob das Sachverständigengutachten, auf das bisher die Betreuungsbedürftigkeit des Betroffenen gestützt wird, ordnungsgemäß in das Verfahren eingeführt worden ist und es inhaltlich den Anforderungen entspricht, die der Senat für die Verwertung eines gerichtlich oder staatsanwaltschaftlich eingeholten Sachverständigengutachtens aus einem anderen Verfahren aufgestellt hat (vgl. Senatsbeschluss vom 16. November 2011 - XII ZB 6/11 - FamRZ 2012, 293 Rn. 23). Das Landgericht wird sich erneut auch mit der Frage beschäftigen müssen, ob im Hinblick auf die vom Betroffenen vorgelegte Vorsorgevollmacht vom 9. Januar 2012 überhaupt ein Betreuungsbedarf besteht.

Dose     

        

RiBGH Dr. Klinkhammer hat
Urlaub und ist deswegen an
einer Unterschrift gehindert.

        

Günter

                 

Dose   

                 
        

Botur     

        

     Guhling     

        

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