Beschluss vom Bundesgerichtshof (3. Strafsenat) - 3 StR 421/16

Tenor

1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 6. Juni 2016 mit den Feststellungen - ausgenommen diejenigen zu den rechtswidrigen Taten, die bestehen bleiben - aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Beschuldigten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Das Landgericht hat festgestellt:

3

a) Im Zeitraum von Juni 2010 bis September 2015 bedrängte der geringfügig wegen Beleidigung und Hausfriedensbruch vorbestrafte Beschuldigte den Nebenkläger mit einer Vielzahl von Telefonaten, um ein persönliches Gespräch über seine vom Nebenkläger weitergeleitete, letztlich aber erfolglose Bewerbung für ein Praktikum zu erzwingen und diesem eine Lektion zu erteilen. Zu diesem Zweck suchte der Beschuldigte wiederholt auch das Wohnhaus der Familie des Nebenklägers auf, beobachtete dieses und bedrängte in einem Fall die Tochter der Ehefrau des Nebenklägers, ihm Einlass zu gewähren. Auch andere Angehörige und Kontaktpersonen des Nebenklägers rief der Beschuldigte an und suchte sie auf, um sein Anliegen vorzubringen oder sie zu "nerven". Er ließ sich weder durch den stationären Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik noch den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz und die Verhängung eines Ordnungsgeldes von weiteren Kontaktaufnahmeversuchen abhalten. Die beharrlichen Handlungen des Beschuldigten veranlassten den Nebenkläger und seine Ehefrau im März 2013, einen ohnehin geplanten Wohnsitzwechsel vorzuziehen. Dem Beschuldigten gelang es zwar trotz intensiver Bemühungen im Umfeld des Nebenklägers nicht, die neue Anschrift herauszufinden; da der Nebenkläger aber auch weiterhin seine Mobilfunknummer nicht wechselte, konnte der Beschuldigte ihn noch bis zum September 2015 telefonisch belästigen.

4

b) Am 4. Dezember 2012 reagierte der Beschuldigte aggressiv auf das Erscheinen der von seinem Betreuer herbeigerufenen Polizeibeamten und versuchte, den Zeugen PK S.     von seiner Wohnungstür wegzustoßen und ihn zu schlagen. Den Zeugen POK G.      beleidigte er und schlug ihm mit der rechten Hand ins Gesicht, sodass dieser eine schmerzhafte Rötung erlitt. Schließlich spuckte er dem Zeugen PK S.     ins Gesicht und wehrte sich gegen das Anlegen von Handfesseln.

5

2. Das Landgericht hat - dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen folgend - festgestellt, dass der Beschuldigte zur Tatzeit aufgrund einer bei ihm bestehenden paranoiden Schizophrenie und der damit einhergehenden Denk- und Wahrnehmungsverzerrungen durchweg nicht in der Lage war, das Unrecht seiner Handlungen einzusehen. Es sei zu erwarten, dass er in Zukunft Taten begehen werde, die denen zum Nachteil der Familie des Nebenklägers ähnlich und von so erheblicher Bedeutung seien, dass der Beschuldigte gefährlich für die Allgemeinheit ist.

6

3. Der Maßregelausspruch hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

7

Der Senat hat § 63 StGB in der seit 1. August 2016 geltenden Neufassung anzuwenden (§ 2 Abs. 6 StGB, § 354a StPO), mit der im Wesentlichen die Konkretisierungen der Anordnungsvoraussetzungen durch das Bundesverfassungsgericht und die höchstrichterliche Rechtsprechung kodifiziert worden sind (vgl. BT-Drucks. 18/7244, S. 42; BGH, Beschluss vom 3. August 2016 - 4 StR 305/16, StV 2017, 35).

8

Zwar hat das Landgericht rechtsfehlerfrei dargelegt, dass der Angeklagte bei Begehung der Anlasstaten aufgrund eines überdauernden psychischen Defekts schuldunfähig war und die Tatbegehungen auf diesem Zustand beruhen. Die Gefährlichkeitsprognose begegnet aber durchgreifenden Bedenken. Der Generalbundesanwalt hat dazu ausgeführt:

"Die Urteilsgründe belegen nicht, dass die Anlasstat der Nachstellung, die die Strafkammer als Grundlage für die Annahme der Gefährlichkeitsprognose herangezogen hat, als erheblich im Sinne des § 63 StGB n.F. einzustufen ist. Eine Straftat von erheblicher Bedeutung liegt nach den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen, die die Gesetzesbegründung der Neufassung des § 63 StGB übernommen hat, vor, wenn sie mindestens der mittleren Kriminalität zuzurechnen ist, den Rechtsfrieden empfindlich stört und geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. BVerfG Beschluss vom 24. Juli 2013 - 2 BvR 298/12; BGH NJW 2013; 3383; BGH NStZ-RR 2016, 41; Fischer [StGB, 64. Aufl.,] § 63 Rn. 16; BT-Drs. 18/7244, S. 18). Straftaten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind, sind dabei nicht mehr 'ohne weiteres' dem Bereich der Straftaten von erheblicher Bedeutung zuzurechnen (BVerfG aaO; BGH aaO; BT-Drs. aaO). Das Landgericht stellt insofern tragend auf die Nachstellung zum Nachteil der Familie T.   ab (UA S. 21). Diese ist für sich gesehen jedoch nicht als erhebliche Straftat anzusehen, da sie - im Höchstmaß mit drei Jahren Freiheitsstrafe bedroht - nicht der mittleren Kriminalität zuzurechnen ist. Auch gingen die gegenständlichen Nachstellungshandlungen nicht mit derart aggressiven Übergriffen einher, dass dies eine andere Beurteilung zulässt (BGH, Beschluss vom 18. März 2008 - 4 StR 6/08). Während des gesamten Tatzeitraums belästigte der Beschuldigte die Familie T.    im Wesentlichen telefonisch und durch Beobachtung des Anwesens. Das bloße körperliche Nahekommen bei dem Vorfall mit dem Zeugen Dr.   T.    im Sommer 2012 (UA S. 8) stellt keinen aggressiven Übergriff dar. Auch bei dem nicht näher beschriebenen Bedrängen der    B.    an der Haustür (UA S. 7, 23) wurde keine Gewalthandlung festgestellt. Überdies wurden die Opfer durch die Nachstellung weder seelisch noch körperlich erheblich im Sinne des § 63 S. 1 StGB n.F. geschädigt. (...)

Zwar kommt auch bei der Begehung von nicht erheblichen Anlasstaten die Anordnung einer Unterbringung gemäß § 63 StGB n.F. in Betracht. Dies setzt nach § 63 S. 2 StGB n.F. aber voraus, dass besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes erhebliche Straftaten im Sinne des § 63 S. 1 StGB n.F. begehen wird. (...) Es fehlen jedoch Feststellungen, aufgrund derer tragfähig begründet wird, dass von dem Beschuldigten nicht nur gleichwertige Taten wie die Anlasstat zu erwarten sind, sondern mit erheblichen aggressiven Übergriffen zu rechnen ist, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder gefährdet werden, wie es bei der Anlasstat ausweislich der Urteilsgründe (UA S. 17) nicht der Fall war. Die bloße Verwirklichung des Tatbestandes des § 238 Abs. 1 StGB, der bereits als Taterfolg eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung voraussetzt, ist nicht ausreichend. Die Strafkammer hat zwar - sachverständig beraten - festgestellt, dass der Beschuldigte zu der Gruppe psychisch kranker Menschen gehört, die andere Menschen auch anfassen und bei dieser Gruppe das Risiko für Gewalttaten deutlich höher [ist] als in der Normalbevölkerung oder [bei] den psychisch Kranken, die Dritte nicht anfassen (UA S. 23), doch mangelt es insofern an der Darstellung der besonderen Umstände, aufgrund derer gerade vom Beschuldigten in Zukunft erhebliche Taten im Sinne des § 63 S. 1 StGB n.F., d.h. solche durch die das Opfer körperlich oder seelisch erheblich geschädigt oder gefährdet wird, zu erwarten sind. Insofern hätte sich das Landgericht auch mit den naheliegenden gegen eine Gefährlichkeit sprechenden Umständen auseinandersetzen müssen (BGH, Beschluss vom 10. September 2008 - 2 StR 291/08), wie damit, dass die Nachstellungshandlungen des Beschuldigten über den längeren Zeitraum gerade nicht zu einer erheblichen körperlichen oder seelischen Schädigung der Tatopfer geführt haben."

9

Dem schließt sich der Senat an.

10

4. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Maßregelausspruchs. Die Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten sind von dem Rechtsfehler nicht berührt und können daher aufrechterhalten bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO); ergänzende Feststellungen sind möglich, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen.

Becker     

       

Gericke     

       

Tiemann

       

Berg     

       

Hoch     

       

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen