Beschluss vom Bundesgerichtshof (6. Zivilsenat) - VI ZR 439/16

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 19. August 2016 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als ein Schadensersatzanspruch der Klägerin wegen eines Fehlers bei der Behandlung vom 16. Januar 2013 verneint worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: bis 25.000 €

Gründe

I.

1

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf materiellen und immateriellen Schadensersatz nach ärztlicher Behandlung in Anspruch.

2

Die Klägerin litt unter einer sog. Hammerzeh-Fehlstellung am linken Fuß. Die Fehlstellung wurde am 16. Januar 2013 im Krankenhaus der Beklagten durch eine Endgelenksarthrodese (Versteifung des Zehs) mittels eines Smart Toe-Implantats operativ versorgt. Da das Implantat in der Folge ausbrach, wurde es am 3. April 2013 im Hause der Beklagten operativ entfernt und stattdessen eine intramedulläre Doppelgewindeschraube eingebracht. Die Schraube musste wegen Überstands im Rahmen einer (weiteren) Revisionsoperation vom 11. Juni 2013 entfernt werden. Die Klägerin machte Behandlungsfehler im Rahmen der Operationen vom 16. Januar und 3. April 2013 sowie im Rahmen der Nachversorgung geltend und führt hierauf ihre Kniebeschwerden zurück.

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Das Landgericht hat die Klage auf der Grundlage eines schriftlichen orthopädisch-unfallchirurgischen Fachgutachtens samt Ergänzungsgutachten abgewiesen. Von einer mündlichen Anhörung des Sachverständigen hat das Landgericht trotz entsprechenden Antrags der Klägerin abgesehen. Die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Eine Anhörung des Sachverständigen sei nicht erforderlich. Anhaltspunkte für eine Verwechslung der bei den Akten befindlichen intraoperativen Röntgenbilder vom 16. Januar 2013 oder für deren unzureichende Aussagekraft wegen Fehlens der zweiten Ebene bestünden entgegen der Auffassung der Klägerin nicht. Im Übrigen fehle es an einer haftungsbegründenden Kausalität, weil die Kniebeschwerden der Klägerin nicht auf die behaupteten Behandlungsfehler, sondern auf eine unabhängig hiervon vorliegende Fehlstellung und auf Verschleiß zurückzuführen seien.

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Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin, die sie der Sache nach auf Ansprüche aus der ärztlichen Behandlung vom 16. Januar 2013 beschränkt hat.

II.

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Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 544 ZPO; § 26 Nr. 8 EGZPO). Sie hat auch in der Sache Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Nichtzulassungsbeschwerde macht zu Recht geltend, dass die Klägerin durch die Zurückweisung ihres Antrags auf mündliche Anhörung des Sachverständigen in ihrem verfassungsrechtlich geschützten Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt wurde.

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1. Für die Frage, ob die Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung des von ihm erstatteten Gutachtens geboten ist, kommt es nicht darauf an, ob das Gericht noch Erläuterungsbedarf sieht oder ob ein solcher von einer Partei nachvollziehbar dargetan worden ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats hat die Partei zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs nach §§ 397, 402 ZPO einen Anspruch darauf, dass sie dem Sachverständigen die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für erforderlich hält, zur mündlichen Beantwortung vorlegen kann (vgl. u.a. Senat, Urteile vom 17. Dezember 1996 - VI ZR 50/96, VersR 1997, 509; vom 7. Oktober 1997 - VI ZR 252/96, VersR 1998, 342, 343; vom 22. Mai 2001 - VI ZR 268/00, VersR 2002, 120, 121 f.; Beschluss vom 21. Februar 2017 - VI ZR 314/15, juris Rn. 3). Dieses Antragsrecht besteht unabhängig von § 411 Abs. 3 ZPO (st. Rspr., vgl. Senatsbeschluss vom 25. September 2007 - VI ZR 157/06, VersR 2007, 1697 Rn. 3 mwN). Hat das Erstgericht einem rechtzeitig gestellten Antrag auf Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens nicht entsprochen, so muss das Berufungsgericht dem im zweiten Rechtszug wiederholten Antrag stattgeben (Senat, Urteil vom 24. Oktober 1995 - VI ZR 13/95, VersR 1996, 211; Beschluss vom 10. Mai 2005 - VI ZR 245/04, VersR 2005, 1555).

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2. Nach dieser Maßgabe reicht die Begründung des Berufungsgerichts, die schriftlichen Ausführungen des Gutachters ließen eine klare Beurteilung zu, für eine Ablehnung des Antrags der Klägerin auf Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen nicht aus. Die Klägerin hat bereits im ersten Rechtszug die Anhörung des Sachverständigen beantragt. Darauf hat sie in ihrer Berufungsbegründung hingewiesen und den Antrag auf Anhörung des Sachverständigen wiederholt. Sie hat dabei und der Sache nach auch in ihrer Stellungnahme auf den Hinweis des Berufungsgerichts nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO konkrete Gegenstände der Anhörung, insbesondere die Möglichkeit einer Verwechslung der intraoperativen Röntgenaufnahmen vom 16. Januar 2013 sowie die Frage von deren Geeignetheit trotz Fehlens einer zweiten Ebene benannt. Unter diesen Umständen hätte das Berufungsgericht den Sachverständigen anhören müssen, um dem Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs zu genügen.

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3. Die Gehörsverletzung ist auch erheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Anhörung zu einer anderen Beurteilung des Falles gekommen wäre.

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a) Zwar mag die von der Klägerin behauptete Verwechslung der intraoperativen Röntgenaufnahmen vom 16. Januar 2013 wenig wahrscheinlich sein. Doch wurde der Sachverständige mit der Frage einer möglichen Verwechslung nicht konfrontiert, so dass er keinen Anlass hatte, in Frage zu stellen, ob es sich bei dem Fuß auf dem ihm vorliegenden Röntgenbild auch wirklich um den Fuß der Klägerin handelt. Unabhängig hiervon hatte die Klägerin Klärungsbedarf angemeldet hinsichtlich der fehlenden Bildgebung in zwei Ebenen.

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b) An der Entscheidungserheblichkeit des Gehörsverstoßes fehlt es auch nicht im Hinblick auf die nach den schriftlichen Ausführungen des Sachverständigen nicht anzunehmende Kausalität zwischen den behaupteten Behandlungsfehlern und den geltend gemachten Kniebeschwerden. Zum einen macht die Klägerin bezüglich der Operation vom 16. Januar 2013 einen groben Behandlungsfehler geltend, wonach hinsichtlich der Kausalität unter bestimmten Voraussetzungen (vgl. Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl., Rn. B 262, 263 mwN) eine Beweislastumkehr in Frage käme. Zum anderen stützt die Klägerin ihren Schmerzensgeldanspruch nicht nur auf die Kniebeschwerden, sondern auch auf die Schmerzen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem ausgebrochenen Implantat. Jedenfalls insoweit lässt sich eine Klageabweisung allein mit der im Hinblick auf die Knieschmerzen fehlenden Kausalität nicht begründen.

Galke     

      

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