Beschluss vom Bundesgerichtshof (1. Zivilsenat) - I ZR 255/16

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg - 6. Zivilsenat - vom 3. November 2016 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 68.451,24 € festgesetzt.

Gründe

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I. Die Klägerin betreibt ein Speditionsunternehmen. Sie führte nach ihrer Behauptung die Verschiffung von elf Containern beladen mit "B.   T. " von Keelung (Taiwan) nach Hamburg im Auftrag der Beklagten durch. Die Beklagte, die ein Handelsunternehmen betreibt, nahm die Container in Hamburg nicht an.

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Die Klägerin behauptet, die Beklagte habe ihr den zugrunde liegenden Auftrag auf der Grundlage eines schriftlich erstellten Angebots telefonisch erteilt.

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Die Klägerin hat die Beklagte auf Zahlung von Seefracht in Höhe von 68.451,24 € nebst Zinsen in Anspruch genommen.

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Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.

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Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin. Mit der zuzulassenden Revision will sie die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen.

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II. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

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1. Das Berufungsgericht hat angenommen, dass die Klägerin gegen die Beklagte keinen Anspruch aus § 627 Abs. 1 HGB aF auf Begleichung der Frachtlohnansprüche erworben hat. Die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass sie den Beförderungsvertrag mit der Beklagten geschlossen habe. Die Aussage des vom Landgericht vernommenen Zeugen P.  genüge nicht zum Nachweis, dass der Auftrag durch eine Mitarbeiterin der Beklagten erteilt worden sei, und diese hierzu bevollmächtigt gewesen sei. Den vorgelegten E-Mails sei zu entnehmen, dass der Auftrag durch eine Mitarbeiterin der T. O. GmbH erteilt worden sei. Dieses Handelsunternehmen sei eine rechtlich selbständige juristische Person. Vor diesem Hintergrund sei auch eine Rechtsscheinhaftung der Beklagten nach den Grundsätzen der Anscheins- oder Duldungsvollmacht nicht begründet. Die von der Klägerin vorgelegten Konnossemente wiesen zwar die Beklagte als Empfängerin aus; sie seien jedoch nicht unterschrieben. Die von der Beklagten vorgelegten Konnossemente über die elf Container mit der Ladung wiesen die H.  F.   S.R.O. als Empfängerin aus.

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2. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg. Das Berufungsgericht hat den erstinstanzlich vernommenen Zeugen P.  nicht erneut vernommen, obwohl es dessen Aussagen anders gewürdigt hat als das Landgericht. Dies verletzt den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG.

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a) Hegt das Berufungsgericht Zweifel an der Richtigkeit der entscheidungserheblichen Tatsachenfeststellungen, die sich auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Wertungen ergeben können, so sind nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO erneute Feststellungen geboten. Im Zuge dieser erneuten Tatsachenfest-stellung muss das Berufungsgericht einen in erster Instanz vernommenen Zeugen gemäß § 398 Abs. 1 ZPO grundsätzlich nochmals vernehmen, wenn es seiner Aussage eine andere Tragweite oder ein anderes Gewicht als das erstinstanzliche Gericht beimessen möchte (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 5. April 2005 - IV ZR 253/05, VersR 2006, 949 Rn. 2; Beschluss vom 14. Juli 2009 - VIII ZR 3/09, NJW-RR 2009, 1291 Rn. 4; Beschluss vom 5. Mai 2015 - XI ZR 326/14, NJW-RR 2015, 1200 Rn. 11; Beschluss vom 11. Juni 2015 - I ZR 217/14, NJW-RR 2016, 175 Rn. 9). Unterlässt es dies, so verletzt es den Anspruch der benachteiligten Partei auf rechtliches Gehör (vgl. BVerfG, NJW 2005, 1487; BGH, NJW-RR 2009, 1291 Rn. 4; BGH, Beschluss vom 21. März 2012 - XII ZR 18/11, NJW-RR 2012, 704 Rn. 6). Die erneute Vernehmung eines Zeugen darf unterbleiben, wenn sich das Berufungsgericht auf Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen, das heißt seine Glaubwürdigkeit, noch die Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit seiner Aussage, das heißt deren Glaubhaftigkeit, betreffen, und es die Zeugenaussage deshalb ohne Verstoß gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung bewerten kann, weil es keines persönlichen Eindrucks von dem Zeugen bedarf (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juni 1991 - VIII ZR 116/90, NJW 1991, 3285, 3286; Urteil vom 10. März 1998 - VI ZR 30/97, NJW 1998, 2222, 2223; BGH, NJW-RR 2009, 1291 Rn. 5; NJW-RR 2012, 704 Rn. 7). Diesen Maßstäben wird das Berufungsurteil nicht gerecht.

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b) Das Landgericht hat den Mitarbeiter der Klägerin P.  als Zeugen vernommen und dessen Aussage dahingehend gewürdigt, dass eine Mitarbeiterin der Beklagten Anfang und Mitte Mai 2012 die Aufträge für die Verschiffung nach den vorliegenden Rahmenbeförderungsverträgen telefonisch erteilt hat. Der Zeuge sei glaubwürdig gewesen. Er habe ausgeführt, dass Frau V.      auch zuvor alle Aufträge an ihn geschickt, die Abrechnungen bearbeitet sowie die erforderlichen Transportdokumente im Original und Überweisungsbelege für die Beklagte an ihn übersendet habe. Frau V.      habe sich ihm gegenüber telefonisch als neue Mitarbeiterin der Beklagten für das B.   T. Geschäft vorgestellt.

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c) Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Aussage des Zeugen P.  sei nicht ausreichend für die Annahme, dass Frau V.      Mitarbeiterin der Beklagten sei oder in Vollmacht für diese gehandelt habe. Zwar habe der Zeuge ausgesagt, dass die T. O. GmbH und die Beklagte ein Handelsunternehmen seien. Dies sei jedoch unzutreffend, da es sich um selbständige juristische Personen handele. Die Annahme des Landgerichts stehe nicht im Einklang mit dem Inhalt der E-Mail-Korrespondenz zwischen der Klägerin und Frau V.     . Diese sei unter dem Mail-Account der T. O. GmbH aufgetreten. Eine andere Würdigung ergebe sich auch nicht aus den von der Klägerin im Berufungsverfahren vorgelegten E-Mails nebst den damit vorgelegten Anlagen wie Handelsrechnungen des Lieferanten, die Beklagte als Empfängerin ausweisen-de Konnossemente, an die Beklagte gerichtete Versandanzeigen, Abfertigungsvollmachten der Beklagten und Rechnungen, die die Beklagte beglichen habe. Die Anhänge seien nicht aussagekräftig, weil diese vom Zeugen P.  im Zuge der Archivierung zusammengestellt worden seien. Gegen einen Auftrag der Beklagten sprächen auch die vorgelegten Konnossemente, die nicht von der Beklagten unterzeichnet seien.

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d) Damit hat das Berufungsgericht der Aussage des Zeugen P.  ein anderes Gewicht und einen anderen Inhalt als das Landgericht beigemessen. Es hat zwar keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen angenommen. Allerdings lassen seine Ausführungen erkennen, dass es die Widerspruchsfreiheit seiner Aussage in Zweifel zieht. Bei einer solchen Sachlage ist eine Wiederholung der erstinstanzlichen Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen P.  geboten.

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3. Mit Erfolg rügt die Beschwerde zudem, dass das Berufungsgericht den entscheidungserheblichen Vortrag der Klägerin aus dem Schriftsatz vom 11. Februar 2016 nebst dem Anlagenkonvolut K15 übergangenen hat. Mit diesem hat die Klägerin die unterzeichneten Konnossemente vorgelegt. Verfahrensfehlerhaft geht das Berufungsgericht davon aus, dass die vorgelegten Konnossemente nicht unterzeichnet seien, ohne sich mit dem genannten Schriftsatz nebst Anlage auseinandergesetzt zu haben.

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4. Die in der unterlassenen Wiederholung der Beweisaufnahme und in der Nichtberücksichtigung des Vortrags der Klägerin zu den Konnossementen liegende Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Wenn sich bei einer Wiederholung der Beweisaufnahme das vom Landgericht gefundene Beweisergebnis bestätigt, bestünde ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Frachtlohn. In diesem Fall wäre die Berufung der Beklagten gegen das landgerichtliche Urteil zurückzuweisen. Hätte das Berufungsgericht die mit Schriftsatz vom 11. Februar 2016 von der I. In.      F.   L.  ausgestellten und unterzeichneten Konnossemente berücksichtigt, kann ebenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht von einer Auftragserteilung durch die Beklagte ausgegangen wäre.

Büscher     

      

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Marx     

      

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