Urteil vom Bundesgerichtshof (2. Strafsenat) - 2 StR 118/16

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 11. November 2015 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Auflösung der Gesamtgeldstrafe und Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Offenbach vom 17. Mai 2015 sowie unter Aufrechterhaltung der dort angeordneten Maßregel wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit vorsätzlichem unerlaubten Besitz verbotener Waffen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt. Dagegen richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

I.

2

Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3

1. Am 20. September 2013 arbeitete der Angeklagte als Türsteher einer Diskothek in F.           . Gegen 23.00 Uhr begegneten ihm vor der Diskothek der Zeuge S.    und der Geschädigte H.    , woraufhin S.    den ihm bekannten Angeklagten verbal attackierte. Nach kurzem Wortwechsel begaben sich S.    und H.    auf eine mehrstündige Kneipentour durch A.       , bei der sie der Zeuge T.   begleitete. Gegen 4.00 Uhr morgens kam es in einem Club in unmittelbarer Nähe der Diskothek des Angeklagten zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen H.       und T.     einerseits und den Betreibern des Clubs andererseits. Daraufhin bat der Türsteher des Clubs, der Zeuge P.  , den Angeklagten um Hilfe. Gemeinsam gelang es ihnen, H.     und T.   aus dem Club zu befördern und auf die Straße zu setzen. Dort begegneten H.      und T.   wieder dem Zeugen S.   .

4

Auf der Straße vor dem Club trafen H.     und der Angeklagte erneut aufeinander. Nach einem von H.     ausgehenden verbalen Streit kam es zwischen beiden zu einem Gerangel und wechselseitigen Faustschlägen. Zu Gunsten des Angeklagten ist das Landgericht davon ausgegangen, dass H.       den ersten Schlag ausführte. Während der weiteren Auseinandersetzung zog der Angeklagte, ohne dass H.    dies bemerkte, ein Messer und stach bzw. schnitt diesem ohne Vorwarnung mindestens vier Mal in den Bauchbereich, wobei er dessen Tod billigend in Kauf nahm. Zu Herkunft und genauer Beschaffenheit des Messers konnten keine Feststellungen getroffen werden. Der Geschädigte H.     erlitt durch die Tat vier Schnitt- und Stichverletzungen im Bereich des Rumpfes und des Bauchs, die potentiell geeignet waren, einen lebensbedrohlichen Zustand herbeizuführen. Die Zeugen S.    und T.   hatten die Auseinandersetzung zunächst gemeinsam aus „ein paar Metern Entfernung“ beobachtet. Schließlich zog S.     den Geschädigten H.       mit der Aufforderung weg, die Schlägerei zu beenden. Daraufhin äußerte dieser, der Angeklagte habe ihn abgestochen. Auf Nachfrage S.     , der die Messerstiche nicht wahrgenommen hatte, zog H.     sein T-Shirt hoch und zeigte S.   die erlittenen Verletzungen. Als H.      in Richtung des Angeklagten rief: „Warum stichst Du mich ab?“, flüchtete dieser und warf dabei das verwendete Messer an einem unbekannten Ort weg.

5

Der Angeklagte hatte vor seinem Dienstantritt am 20. September 2013 etwa gegen 21.00 Uhr die damals für ihn übliche tägliche Dosis von ca. 2 bis 3 Gramm Kokain konsumiert. Ferner hatte er im Verlaufe des Abends alkoholische Getränke zu sich genommen; die genaue Trinkmenge konnte nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden. Zum Zeitpunkt der Tat war jedoch weder die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten aufgehoben noch seine Steuerungsfähigkeit (erheblich) vermindert.

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2. Der Angeklagte bewahrte am 21. September 2013 im Schlafzimmer seiner Wohnung in R.   ein Springmesser und zwei Schlagringe aus Metall auf. Dabei war ihm bewusst, dass es sich bei den Waffen um verbotene Gegenstände im Sinne des Waffengesetzes handelte.

7

3. Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten als versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit vorsätzlichem unerlaubten Besitz verbotener Waffen gewertet. Es hat angenommen, der Angeklagte sei vom Versuch des Totschlags nicht zurückgetreten, da die Tat infolge des Eingreifens des Zeugen S.   fehlgeschlagen sei. Die Tat sei auch nicht durch Notwehr gerechtfertigt. Zwar habe sich der Angeklagte objektiv in einer Notwehrlage befunden, der mehrfache und ohne vorherige Androhung erfolgte Einsatz des Messers sei in der konkreten Kampfsituation allerdings nicht verhältnismäßig gewesen. Auch intensiver Notwehrexzess habe nicht vorgelegen.

II.

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Die Revision des Angeklagten ist unbegründet.

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Die auf die Sachrüge hin gebotene umfassende Prüfung des angegriffenen Urteils lässt keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler erkennen. Im Einzelnen ist auf Folgendes näher einzugehen:

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1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere lässt die Begründung, mit der die Strafkammer die Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung zur Zahl der ihm beim Tatgeschehen gegenüberstehenden Personen als widerlegt erachtet hat, keinen Rechtsfehler erkennen.

11

Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, zum Tatzeitpunkt hätten auf der Straße vier Personen aus dem Lager des Geschädigten H.    auf ihn gewartet, die bereits zuvor an der Auseinandersetzung im Club beteiligt gewesen seien. Demgegenüber ist das Landgericht aufgrund der übereinstimmenden Angaben der Zeugen W.    , H.   , B.    und    G.    davon ausgegangen, dass es sich im Club um eine Auseinandersetzung mit nur zwei Personen – H.    und T.   – gehandelt habe. Der die Einlassung stützenden Angabe des Zeugen P.  , der – abweichend von seiner polizeilichen Vernehmung – in der Hauptverhandlung angab, im Club habe es eine Auseinandersetzung mit drei Personen gegeben, ist das Landgericht mit tragfähiger Begründung nicht gefolgt.

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2. Auch die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine Rechtfertigung des Angeklagten durch Notwehr abgelehnt hat, halten rechtlicher Nachprüfung stand.

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a) Eine in einer Notwehrlage verübte Tat ist gemäß § 32 Abs. 2 StGB gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung steht (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juni 2016 – 5 StR 138/16, NStZ 2016, 593, 594). Ob dies der Fall ist, muss auf der Grundlage einer objektiven Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung beurteilt werden. Wird eine Person rechtswidrig angegriffen, ist sie grundsätzlich berechtigt, dasjenige Abwehrmittel zu wählen, welches eine endgültige Beseitigung der Gefahr gewährleistet. Der Angegriffene muss auf weniger gefährliche Verteidigungsmittel nur zurückgreifen, wenn deren Abwehrwirkung unzweifelhaft ist und ihm genügend Zeit zur Abschätzung der Lage zur Verfügung steht (Senat, Beschluss vom 21. November 2012 – 2 StR 311/12, NStZ-RR 2013, 105, 106). Auch der sofortige, das Leben des Angreifers gefährdende Einsatz eines Messers kann danach durch Notwehr gerechtfertigt sein. Gegenüber einem unbewaffneten Angreifer ist der Gebrauch eines Messers jedoch in der Regel anzudrohen, wenn die Drohung unter den konkreten Umständen eine so hohe Erfolgsaussicht hat, dass dem Angegriffenen das Risiko eines Fehlschlags und der damit verbundenen Verkürzung seiner Verteidigungsmöglichkeiten zugemutet werden kann (BGH, Beschluss vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 140 mwN). Dies ist auf der Grundlage einer objektiven ex-ante-Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung zu beurteilen. Angesichts der geringen Kalkulierbarkeit des Fehlschlagrisikos dürfen an die in einer zugespitzten Situation zu treffende Entscheidung für oder gegen eine weniger gefährliche Verteidigungshandlung keine überhöhten Anforderungen gestellt werden (BGH, Beschluss vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, aaO).

14

b) Nach diesen Maßstäben begegnet die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte hätte in der konkreten Kampfsituation vor dem mehrfachen Einsatz des Messers dessen Gebrauch androhen oder zuwarten müssen, wie der Geschädigte H.     auf den ersten Stich reagieren würde, keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

15

Das Landgericht hat sich bei seiner Wertung mit allen wesentlichen Umständen auseinandergesetzt. Zur objektiven Kampflage hat es festgestellt, dass der Geschädigte H.    erheblich alkoholisiert war und von dem Zeugen P.  und dem über mehrjährige Erfahrung als Türsteher verfügenden Angeklagten kurz zuvor ohne größere Schwierigkeiten aus dem Club gedrängt worden war. Es hat außerdem festgestellt, dass die Zeugen S.   und T.   im Zeitpunkt der (von ihnen nicht wahrgenommenen) Messerstiche die Auseinandersetzung zwischen dem Geschädigten und dem körperlich überlegenen Angeklagten „aus ein paar Metern Entfernung“ beobachteten, ohne einzugreifen oder diesbezügliche Andeutungen zu machen. Die Strafkammer hat auch gesehen, dass dem Angeklagten die Zugehörigkeit des Zeugen S.   zu einer gewaltbereiten Fangruppierung ebenso bekannt war wie der Umstand, dass der Zeuge T.   an der vorangegangenen Schlägerei im nahen Club beteiligt gewesen war. Im Hinblick auf deren passives Verhalten und angesichts der ersten, deeskalierenden Reaktion des Zeugen S.   nach den Messerstichen ist das Landgericht davon ausgegangen, dass sich der Angeklagte keiner zahlenmäßigen Übermacht gegenüber sah (UA S. 40) und erst im Zeitpunkt seiner Flucht nach Offenbarwerden des Messereinsatzes mit dem Eingreifen von S.     und T.    rechnen musste.

16

Angesichts dieser Umstände konnte das Landgericht rechtsfehlerfrei davon ausgehen, dass der Angeklagte gehalten war, den Messereinsatz gegenüber dem unbewaffneten Geschädigten anzudrohen, ohne dadurch eine Verschlechterung seiner Verteidigungsmöglichkeiten befürchten zu müssen.

17

3. Auch die Erwägungen, mit denen die Strafkammer bei dem Angeklagten eine alkoholbedingt erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB verneint hat, begegnen keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Insbesondere konnte das Landgericht von einer Schätzung der Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit absehen.

18

a) Fehlen zuverlässige Berechnungsgrundlagen für die Bestimmung der Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit, ist der Tatrichter zwar gehalten, sich unter Beachtung des Zweifelssatzes eine Überzeugung davon zu verschaffen, welche Höchstmenge aufgenommenen Alkohols nach der Sachlage in Betracht kommt (BGH, Beschluss vom 18. August 1992 – 4 StR 332/92, StV 1993, 466; Beschluss vom 28. April 2010 – 5 StR 135/10, NStZ-RR 2010, 257, 258). Bei Vorliegen hinreichender tatsächlicher Anhaltspunkte ist eine Schätzung zulässig und geboten (BGH, Beschluss vom 18. August 1992 – 4 StR 332/92; Beschluss vom 28. April 2010 – 5 StR 135/10, jeweils aaO). Der Tatrichter ist aber nicht verpflichtet, Sachverhalte zugunsten des Angeklagten zu unterstellen, für die es keinen begründeten Anhalt gibt (BGH, Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 48/86, BGHSt 34, 29, 34; Beschluss vom 7. Oktober 2014 – 4 StR 397/14, juris Rn. 8). Lassen sich nach Erschöpfung aller Beweismöglichkeiten keine Erkenntnisse darüber gewinnen, dass der Täter erheblich alkoholisiert war, ist daher volle Schuldfähigkeit anzunehmen (BGH, Urteil vom 15. September 1987 – 5 StR 260/87, BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 9).

19

b) Daran gemessen war das Landgericht nicht gehalten, die Trinkmengenangaben des Angeklagten einer Berechnung der Blutalkoholkonzentration zugrunde zu legen. Das Landgericht ist zwar davon ausgegangen, dass der Angeklagte im Verlauf des Tatabends Alkohol zu sich genommen hat. Die Einlassung des Angeklagten, er habe im Verlauf des Abends ca. sechs bis sieben Gläser Whiskey-Cola je 0,5 Liter getrunken, hat das Landgericht aber aufgrund der Angaben des Zeugen We.  als „zu hoch angesetzt“ angesehen (UA S. 33). Konkrete Feststellungen zum Trinkverhalten des Angeklagten am Tattag konnten nicht getroffen werden (UA S. 11, 43). Damit fehlte die für eine Schätzung der Blutalkoholkonzentration erforderliche ungefähre zeitliche und mengenmäßige Eingrenzung des Alkoholgenusses.

RiBGH Dr. Appl ist krankheitsbedingt
an der Unterschrift gehindert.

        

Eschelbach     

        

Zeng   

Eschelbach

                                   
        

     Bartel     

        

Grube     

        

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