Beschluss vom Bundesgerichtshof (8. Zivilsenat) - VIII ZR 204/16
Tenor
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Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Essen vom 18. August 2016 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
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Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 9.018,60 € festgesetzt.
Gründe
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I.
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Das Amtsgericht hat die auf Räumung einer Mietwohnung und Ersatz vorgerichtlicher Kosten gerichtete Klage abgewiesen.
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Am Schluss der Berufungsverhandlung vom 21. Juli 2016 hat der Vorsitzende der Kammer Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 18. August 2016, 12 Uhr, bestimmt. Zu der anberaumten Zeit fand die Beklagte den am 21. Juli 2016 angekündigten Sitzungssaal verschlossen vor. Es gelang ihr nicht, die Tür zum Sitzungssaal zu öffnen. Die Beklagte begab sich später am gleichen Tag erneut zum Berufungsgericht. Dort informierte sie der Kammervorsitzende über den Erfolg der Berufung des Klägers und erklärte, dass die Tür zum Sitzungssaal in der Annahme, es sei niemand gekommen, nicht geöffnet worden sei.
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Das vom Vorsitzenden unterschriebene Verkündungsprotokoll vom 18. August 2016 weist die Anwesenheit der drei Kammermitglieder und eine Verkündung "des anliegenden Urteils" in öffentlicher Verhandlung aus. Die Zustellung des in den Gerichtsakten unmittelbar nach dem Verkündungsprotokoll abgehefteten Berufungsurteils verfügte die Geschäftsstelle am 25. August 2016; die Urteilszustellung erfolgte ausweislich der bei den Akten befindlichen Empfangsbekenntnisse am 8. September 2016 an den Prozessbevollmächtigten der Beklagten und am 12. September 2016 an den des Klägers.
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In den vom Senat eingeholten dienstlichen Stellungnahmen erklärten die Beisitzer der Berufungskammer, dass sie an der Verkündung - wie bei gesonderten Verkündungsterminen üblich - nicht teilgenommen hätten. Der Vorsitzende der Berufungskammer teilte mit, dass er an die konkrete Verkündung keine Erinnerung habe; üblicherweise werde der Sitzungssaal verschlossen, wenn vor der Verkündung eine längere Pause liege; zur Verkündung werde die Eingangstüre dann von der Kammer geöffnet und die Entscheidung verkündet, was ausweislich des Protokolls auch geschehen sei.
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II.
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Zulassung der Revision ist weder im Hinblick auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) noch zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO).
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Insbesondere ist die Zulassung der Revision nicht deshalb - unter dem Gesichtspunkt der Sicherung der einheitlichen Rechtsprechung - geboten, weil es sich bei dem Berufungsurteil um einen allenfalls den Rechtsschein eines Urteils erzeugenden Entscheidungsentwurf (sogenanntes Schein- oder Nichturteil) handelte. Denn das Berufungsurteil vom 18. August 2016 ist an diesem Tag jedenfalls in der Weise wirksam verkündet worden, dass es als Urteil existent geworden ist.
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Verkündungsmängel stehen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dem wirksamen Erlass eines Urteils nur entgegen, wenn gegen elementare, zum Wesen der Verlautbarung gehörende Formerfordernisse verstoßen wurde, so dass von einer Verlautbarung im Rechtssinne nicht mehr gesprochen werden kann. Sind deren Mindestanforderungen hingegen gewahrt, hindern auch Verstöße gegen zwingende Formerfordernisse das Entstehen eines wirksamen Urteils nicht (BGH, Beschlüsse vom 14. Juni 1954 - GSZ 3/54, BGHZ 14, 39, 44; vom 8. Februar 2012 - XII ZB 165/11, NJW 2012, 1591 Rn. 13; Urteil vom 12. März 2004 - V ZR 37/03, NJW 2004, 2019 unter II 1 b). Zu den Mindestanforderungen gehört, dass die Verlautbarung vom Gericht beabsichtigt war oder von den Parteien derart verstanden werden durfte und die Parteien vom Erlass und Inhalt der Entscheidung förmlich unterrichtet wurden (BGH, Urteile vom 12. März 2004 - V ZB 37/03, aaO; vom 31. Mai 2007 - X ZR 172/04, BGHZ 172, 298 Rn. 12; Beschluss vom 8. Februar 2012 - XII ZB 165/11, aaO). Diese Rechtsprechung beruht auf der Überlegung, dass aus Gründen der Rechtssicherheit nicht jeder Verkündungsmangel dazu führen kann, ein Urteil als bloßes Schein- oder Nichturteil einzuordnen, das als solches nicht in Rechtskraft erwachsen kann und dessen Nichtexistenz somit auch noch nach vielen Jahren unabhängig von Rechtsmittelfristen geltend gemacht werden könnte (BGH, Beschluss vom 14. Juni 1954 - GSZ 3/54, aaO S. 48 ff.).
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Nach diesen Grundsätzen ist das Berufungsurteil ordnungsgemäß "verlautbart" worden. Denn das vom Vorsitzenden unterzeichnete Protokoll vom 18. August 2016 über die "Verkündung des anliegenden Urteils" sowie das von allen Kammermitgliedern unterschriebene Urteil sind zeitnah zur Geschäftsstelle gelangt und den Parteien zugestellt worden. Die Beklagte war zudem nach ihren Angaben schon am Tag der Verkündung auf ihre Nachfrage vom Kammervorsitzenden über den Prozessausgang informiert worden. Es steht daher nicht in Zweifel, dass die Verlautbarung des Urteils vom Gericht beabsichtigt war und die Parteien vom Erlass der Entscheidung auch förmlich unterrichtet worden sind.
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Dass das Protokoll insoweit unrichtig ist, als nur der Vorsitzende, nicht aber die Beisitzer anwesend waren, ist schon deshalb unschädlich, weil die Verkündung in einem gesonderten Verkündungstermin vom Vorsitzenden in Abwesenheit der anderen Mitglieder des Prozessgerichts vorgenommen werden kann (§ 311 Abs. 4 ZPO) und dies auch der üblichen Praxis entspricht.
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Es kann auch dahinstehen, ob das Sitzungsprotokoll vom 18. August 2016 - wofür nach den vom Senat im Freibeweis festgestellten Umständen vieles spricht - auch insoweit unrichtig ist, als die Verkündung nicht im Sitzungssaal, sondern etwa im Dienstzimmer des Vorsitzenden stattgefunden hat. Denn in diesem Fall läge zwar ein Verstoß gegen die dienstliche richterliche Pflicht zur Verkündung des Urteils in öffentlicher Sitzung (§ 310 Abs. 1 Satz 1 ZPO; § 169 Satz 1 GVG) vor. Gleichwohl handelte es sich bei dem Berufungsurteil auch dann nicht um ein Scheinurteil. Vielmehr läge - ebenso wie bei einer Verkündung nicht in dem anberaumten Verkündungstermin, sondern in einem anderen, den Parteien nicht bekannt gegebenen Termin (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juni 1954 - GSZ 3/54, aaO) oder im Falle der fehlerhaften Ersetzung der Verkündung des Urteils durch dessen Zustellung (BGH, Urteil vom 12. März 2004 - V ZR 37/03 aaO; vgl. ferner BGH, Urteil vom 2. April 1955 - IV ZR 261/54, BGHZ 17, 118, 122) - auch (nur) ein solcher Verkündungsmangel vor, der die Mindestanforderungen an das Existentwerden eines Urteils nicht in Frage stellt. Dass das Berufungsurteil bei der Verkündung bereits vorlag (zur Notwendigkeit des Vorliegens zumindest der schriftlich niedergelegten Urteilsformel im Zeitpunkt der Verkündung vgl. nur BGH, Beschluss vom 21. April 2015 - VI ZR 132/13, NJW 2015, 2342 Rn. 10 mwN) ist durch das Sitzungsprotokoll bewiesen und wird auch durch die von der Beschwerde vorgetragenen Umstände nicht in Frage gestellt.
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2. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbs. ZPO abgesehen.
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Dr. Milger
Dr. Hessel
Dr. Achilles
Dr. Schneider
Dr. Bünger
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Referenzen
- V ZR 37/03 2x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 543 Zulassungsrevision 2x
- IV ZR 261/54 1x (nicht zugeordnet)
- V ZB 37/03 1x (nicht zugeordnet)
- X ZR 172/04 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 310 Termin der Urteilsverkündung 1x
- ZPO § 311 Form der Urteilsverkündung 1x
- GVG § 169 1x
- XII ZB 165/11 2x (nicht zugeordnet)
- VI ZR 132/13 1x (nicht zugeordnet)