Urteil vom Bundesgerichtshof (5. Strafsenat) - 5 StR 108/17
Tenor
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Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 10. August 2016 hinsichtlich des Angeklagten G. aufgehoben,
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a) soweit dieser wegen des Geschehens vom 25. September 2015 verurteilt worden ist, wobei die Feststellungen aufrechterhalten bleiben,
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b) mit den zugehörigen Feststellungen im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
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Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
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Die weitergehende Revision wird verworfen.
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- Von Rechts wegen -
Gründe
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und wegen „eines Verstoßes gegen das Waffengesetz“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft hinsichtlich des in den Urteilsgründen geschilderten Geschehens vom 25. September 2015 eine Verurteilung wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG). Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel erweist sich insoweit als unbegründet, führt jedoch zugunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) zur Aufhebung der diesbezüglichen Schuldsprüche sowie des Gesamtstrafausspruchs.
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1. Das Landgericht hat festgestellt:
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a) Am 12. August 2015 verkaufte der Angeklagte im „Café N. “ in Berlin 0,497 g Kokaingemisch gewinnbringend an eine V-Person der Polizei.
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b) Am 25. September 2015 verfügte er über 25 g Kokaingemisch, das zum gewinnbringenden Verkauf bestimmt war. Davon verkaufte er in dem genannten Café 20,93 g mit einem Wirkstoffgehalt von 17,48 g CHC zum Preis von 1.400 € an eine V-Person der Polizei. Um das Kokain abzuwiegen, ging er mit der V-Person in einen Nebenraum, zu dem er einen Schlüssel hatte. Dort befanden sich unter anderem ein Tisch und eine Feinwaage. Neben dem Tisch stand ein etwa hüfthohes Regal, in und auf dem Kartons lagen. In oder auf einem der Kartons bewahrte der Angeklagte wissentlich eine Pistole Kaliber 7,65 mm mit sechs Patronen im Magazin und einer Patrone im Patronenlager auf.
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Ebenfalls am 25. September 2015 verwahrte er im Café 56,609 g Cannabisprodukte mit einem Wirkstoffgehalt von 8,728 g THC und in der Wohnung seiner Eltern 20 g Kokaingemisch mit einem Wirkstoffgehalt von 16,5 g CHC zum gewinnbringenden Verkauf und teilweise zum Eigenkonsum.
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2. Die Strafkammer vermochte sich nicht davon zu überzeugen, dass der Angeklagte die Schusswaffe beim Verkauf des Kokains im Sinne von § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG mit sich führte. Zwar sei dessen Einlassung widerlegt, dass er von der Waffe nichts gewusst habe. Es hätten jedoch keine Feststellungen getroffen werden können, wie die Waffe aufbewahrt worden sei. Deswegen sei nach dem Zweifelssatz davon auszugehen, dass sie nicht „griffbereit“ gelegen habe.
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Das Landgericht hat das Mitführen der 25 g Kokain und das Aufbewahren von Cannabisprodukten im Café sowie den Besitz der weiteren 20 g Kokain in der elterlichen Wohnung als eine Tat im Rechtssinn gewertet und den Angeklagten insoweit wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt (Freiheitsstrafe: zwei Jahre). Den Besitz der Schusswaffe hat es als tatmehrheitlich verwirklichtes Waffendelikt ausgeurteilt (Freiheitsstrafe: ein Jahr).
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3. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf das „Geschehen vom 25. September 2015“ beschränkt, erfasst aber aufgrund untrennbaren Zusammenhangs diesen Vorgang insgesamt. Demgegenüber wird die Verurteilung wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln am 12. August 2015 (Freiheitsstrafe: sechs Monate) von der Beschwerdeführerin nicht angegriffen. Gleiches gilt für die Nichtanordnung einer Unterbringung in der Entziehungsanstalt (§ 64 StGB), die nach den Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten in Betracht gekommen wäre. Die Staatsanwaltschaft hat ausdrücklich die Aufhebung des Gesamtstrafausspruchs beantragt.
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4. Die Erwägungen des Landgerichts, mit denen es eine Verurteilung wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG abgelehnt hat, begegnen auch angesichts des zur Beweiswürdigung eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 12. Januar 2017 – 1 StR 394/16, StraFo 2017, 378 Rn. 6 mwN) keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Demgemäß muss der hiergegen gerichteten Revision der Staatsanwaltschaft der Erfolg versagt bleiben.
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a) Ein Mitsichführen einer Schusswaffe ist gegeben, wenn der Täter diese in irgendeinem Stadium des Tathergangs bewusst gebrauchsbereit so in seiner Nähe hat, dass er sich ihrer jederzeit ohne nennenswerten Zeitaufwand und ohne besondere Schwierigkeiten bedienen kann (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 12. Januar 2017 – 1 StR 394/16, aaO Rn. 7; Beschluss vom 10. Februar 2015 – 5 StR 594/14, NStZ 2015, 349, jeweils mwN). Das Merkmal ist dementsprechend gegeben, wenn sich die Waffe in Griffweite des Täters befindet (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Februar 2015 – 5 StR 594/14, aaO mwN).
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b) Von diesem durch die Rechtsprechung ausgeformten rechtlichen Maßstab ist das Landgericht ausgegangen. Jedoch konnte es aufgrund widersprüchlicher und unklarer Angaben der die Durchsuchung durchführenden Polizeibeamten keine Feststellungen zum exakten Auffindeort der Schusswaffe treffen. So hatte ein Beamter ausgeführt, ein unmittelbarer Zugriff auf die Waffe sei nicht möglich gewesen, weil erst etliche Kartons hätten beiseitegelegt werden müssen, um an die Waffe zu kommen. Auch wenn man um den Aufbewahrungsort gewusst habe, sei sie seiner Einschätzung nach nicht „griffbereit“ gewesen. Später bekundete er, das Auffinden der Waffe nicht selbst beobachtet zu haben. Vielmehr sei sie ihm von einem Kollegen übergeben worden, der sie in einem Kartonstapel gefunden habe. Weitere Polizeibeamte konnten keine oder keine verlässlichen Angaben machen. Eine Videoaufzeichnung stellte nach den Bekundungen der polizeilichen Zeugen nicht die Auffindesituation dar. Vielmehr müsse es sich um eine von der Einsatzhundertschaft nachgestellte Szene handeln.
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Unter diesen Vorzeichen ist die durch das Landgericht vorgenommene Wertung rechtlich nicht zu beanstanden. Zwar ist die notwendige räumliche Nähe in der Regel vorhanden, wenn sich die Waffe in dem Raum befindet, in dem Handel getrieben wird (vgl. Weber, BtMG, 5. Aufl., § 30a Rn. 139 mwN). Auch dann muss jedoch festgestellt werden, welche Maßnahmen und welcher Zeitaufwand im Einzelnen erforderlich ist, damit der Täter auf die Waffe zugreifen kann (vgl. BGH, Urteil vom 12. März 2002 – 3 StR 404/01, StV 2002, 489 [Hochklappen eines Sofas]; Weber, aaO; siehe auch BGH, Beschluss vom 8. Januar 2014 – 5 StR 542/13, NStZ 2014, 466). Diesbezügliche Feststellungen vermochte das Landgericht aber nicht zu treffen.
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Eine Zugriffsnähe im vorbezeichneten Sinn verstand sich nach den auf der Grundlage der Zeugenaussagen im Urteil geschilderten Gegebenheiten (unter Umständen zeitaufwendiges Weglegen von Kartons) auch nicht von selbst. Deswegen durfte das Landgericht nach dem Zweifelssatz vom Nichtvorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen eines Mitsichführens ausgehen. Darin liegt entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts keine fehlerhafte Anwendung des Satzes „in dubio pro reo“ auf einen Rechtsbegriff. Eine Verfahrensrüge hat die Staatsanwaltschaft nicht erhoben.
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5. Die Revision der Staatsanwaltschaft führt gemäß § 301 StPO zur Aufhebung der in Bezug auf das relevante Geschehen ausgeurteilten Schuldsprüche.
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a) Der Schuldspruch wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge wird von den Feststellungen nicht getragen. Der Generalbundesanwalt weist mit Recht darauf hin, dass das Landgericht weder hinsichtlich des Kokains noch in Bezug auf die Cannabisprodukte die zugrunde gelegten Eigenkonsummengen festgestellt hat. Deswegen kann nicht beurteilt werden, ob der Grenzwert der nicht geringen Menge überschritten ist. Damit verfällt auch die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) der Aufhebung (vgl. etwa BGH, Urteil vom 7. Juli 2011 – 5 StR 561/10, BGHSt 56, 277, 286 mwN).
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b) Auch die Verurteilung wegen Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe kann nicht bestehen bleiben. Denn das Landgericht hat – wie der Generalbundesanwalt richtig bemerkt – keine Feststellungen zur fehlenden behördlichen Besitzerlaubnis gemäß § 10 WaffG getroffen.
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6. Mit der Aufhebung der Schuldsprüche entfallen die aufgrund des Geschehens ausgeurteilten Freiheitsstrafen. Zugleich ist dem Gesamtstrafaus-spruch die Grundlage entzogen.
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Die rechtsfehlerfreien Feststellungen zum Tatgeschehen haben hingegen Bestand. Das neue Tatgericht wird allerdings ergänzende Feststellungen zu den Eigenkonsummengen und zur Waffenbesitzerlaubnis zu treffen haben. Insoweit und im Übrigen sind neue Feststellungen möglich, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen.
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Mutzbauer
Sander
Dölp
König
Berger
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Referenzen
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- 5 StR 561/10 1x (nicht zugeordnet)
- 1 StR 394/16 2x (nicht zugeordnet)
- § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG 1x (nicht zugeordnet)
- StGB § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt 1x
- 5 StR 542/13 1x (nicht zugeordnet)
- 3 StR 404/01 1x (nicht zugeordnet)
- § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG 3x (nicht zugeordnet)
- StPO § 301 Wirkung eines Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft 2x
- § 10 WaffG 1x (nicht zugeordnet)