Beschluss vom Bundesgerichtshof (1. Strafsenat) - 1 StR 287/18

Tenor

Auf die Revision der Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 6. März 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

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Das Landgericht hat die Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet. Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Beschuldigten hat Erfolg.

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1. Nach den Feststellungen des Landgerichts beging die Beschuldigte, die spätestens seit dem Jahr 2001 unter einer paranoiden Schizophrenie leidet, im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB), nicht ausschließbar der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB), eine Körperverletzung und eine versuchte gefährliche Körperverletzung. Die Körperverletzung lag darin, dass die Beschuldigte am 10. März 2017 der 14-jährigen Geschädigten G.    mit dem Fuß gegen deren Bein trat und am linken Knöchel traf, so dass die Geschädigte Schmerzen erlitt. Die versuchte gefährliche Körperverletzung bestand darin, dass die Beschuldigte am 11. März 2017 mit einer spitz zulaufenden 10 cm langen Schere in der Hand mehrfach Stichbewegungen in Richtung des Unterleibs des Zeugen H.       ausführte. Diesem Geschehen vorausgegangen war, dass der Zeuge H.      mehrfach eine Papiertüte, die die Beschuldigte hatte zu Boden fallen lassen, wieder aufgehoben und der Beschuldigten zurückgegeben und schließlich in einen von ihr mitgeführten Korb gelegt hatte, was diese als Provokation empfand.

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2. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für die Begehung weiterer erheblicher Straftaten durch die Beschuldigte angenommen hat, halten revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.

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a) Zwar hat das Landgericht - im rechtlichen Ausgangspunkt nicht zu beanstanden - angenommen, eine Unterbringung gemäß § 63 StGB dürfe nur erfolgen, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird, also solche, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 21. Februar 2017 - 1 StR 618/16, juris Rn. 9 mwN). Die zur Beurteilung dieser Voraussetzung erforderliche Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (BGH, Beschlüsse vom 16. Januar 2013 - 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141, 142; vom 1. Oktober 2013 - 3 StR 311/13, StV 2015, 216 und vom 2. September 2015 - 2 StR 239/15, juris Rn. 9; Urteil vom 21. Februar 2017 - 1 StR 618/16, juris Rn. 10) und hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche Taten von dem Beschuldigten infolge seines Zustands drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt (BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 - 2 BvR 298/12, R&P 2014, 31, 32; BGH, Beschluss vom 7. Juni 2016 - 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306; Urteil vom 21. Februar 2017 - 1 StR 618/16, juris Rn. 10). Dabei hat der Tatrichter die für die Entscheidung über die Unterbringung maßgeblichen Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzulegen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 21. Dezember 2016 - 1 StR 594/16, NStZ-RR 2017, 76 und vom 12. Oktober 2016 - 4 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 74, 75, jeweils mwN).

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b) Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht. Das Landgericht hat sachverständig beraten im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose - neben anderen Gesichtspunkten wie eine erhebliche Chronifizierung der bestehenden paranoiden Schizophrenie mit zunehmendem Residuum, fehlende Krankheitseinsicht und mangelhafte Compliance - darauf abgestellt, dass eine Progredienz der von der Beschuldigten begangenen Straftaten zu beobachten sei (UA S. 21 f.). Diese Progredienz hat die Strafkammer vorrangig in den verfahrensgegenständlichen Anlasstaten gesehen, aber auch in Bezug auf die „Vortaten“ angenommen. Das Landgericht hat hinsichtlich der „Vortaten“ festgestellt, dass - ausweislich des Bundeszentralregisterauszugs - in den Jahren 2001 bis 2016 sieben Strafverfahren gegen die Beschuldigte unter anderem wegen Sachbeschädigung und Körperverletzung wegen Schuldunfähigkeit eingestellt wurden (UA S. 4, 22); weitere Feststellungen hat die Strafkammer insoweit nicht getroffen.

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Dies genügt den Darlegungsanforderungen nicht. Die von dem Landgericht angenommene Progredienz ist zum einen bezogen auf die Anlasstaten nicht nachvollziehbar, da zu berücksichtigen ist, dass beide Taten an zwei aufeinander folgenden Tagen begangen wurden und damit kaum von einem relevanten Verlaufszeitraum gesprochen werden kann. Überdies ist hinsichtlich der versuchten gefährlichen Körperverletzung das Ausmaß der Gefährdung des Zeugen H.     nicht festgestellt, was für die Qualifizierung als progrediente Entwicklung ebenfalls von Bedeutung wäre. Zum anderen kann hinsichtlich der „Vortaten“ mangels näherer Darlegungen der Strafkammer zu deren Gegenstand und Hintergründen keine Steigerung im Unrechtsgehalt angenommen werden. Nicht näher begründet und nachvollziehbar ist überdies die Berücksichtigung eines „niedrigen sozioökonomischen Status“ der Beschuldigten bei der Gefährlichkeitsprognose (UA S. 22).

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3. Auf dem aufgezeigten Darlegungsmangel beruht das angefochtene Urteil. Der Senat hebt die getroffenen Feststellungen insgesamt auf (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem neuen Tatgericht zu sämtlichen prognoserelevanten Aspekten umfassende und in sich widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.

Jäger     

        

Bellay     

        

Fischer

        

Bär     

        

Hohoff     

        

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