Urteil vom Bundesgerichtshof (5. Strafsenat) - 5 StR 72/18

Tenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 13. Oktober 2017 mit den zugehörigen Feststellungen im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben, soweit die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt und eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

- Von Rechts wegen -

Gründe

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Das Landgericht hat den Angeklagten – unter Freispruch im Übrigen – wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die auf die Sachrüge gestützte – vom Generalbundesanwalt vertretene – Revision der Staatsanwaltschaft, die auf die unterbliebene Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus beschränkt ist, hat Erfolg, führt jedoch auch zur Aufhebung der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung.

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1. Das Landgericht hat im Wesentlichen festgestellt:

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Der 61-jährige, seit seiner Jugend vielfach vorbestrafte Angeklagte leidet seit Anfang der neunziger Jahre an einer paranoid-halluzinatorischen Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie. Zur Linderung der Symptome nahm er Rauschmittel, von denen er abhängig wurde. Die dazu erforderlichen Geldmittel verschaffte er sich zunächst durch Betrugstaten. Aufgrund seines fortschreitenden körperlichen und psychischen Abbaus bekam er allerdings zunehmend Schwierigkeiten, seinen Konsum auf diese Weise zu finanzieren. In dieser Situation beging der Angeklagte im August 2011 einen Raubüberfall auf eine Spielhalle, bei dem er der Spielhallenaufsicht ein Messer an den Hals setzte. Er stand dabei unter dem Einfluss von Benzodiazepinen, litt unter erheblichen Entzugserscheinungen sowie unter seiner schizophrenen Erkrankung und war hierdurch in seiner Steuerungsfähigkeit nicht unerheblich beeinträchtigt. Wegen dieser Tat wurde er zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Seine zugleich angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wurde später mangels Mitarbeit des Angeklagten für erledigt erklärt.

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Nach seiner Haftentlassung im März 2015 lebte er in einer betreuten Wohneinrichtung, in der er sich wohlfühlte und die antipsychotischen Medikamente regelmäßig einnahm. In dieser Zeit wurde er nicht straffällig. Sein Zustand verschlechterte sich aber nach einem Umzug im Spätsommer 2016, weil er seine Medikamente nicht mehr regelmäßig nahm und Drogen konsumierte. Er fühlte sich von den Opfern der zuvor von ihm begangenen Betrugstaten bedroht. Zum eigenen Schutz vor deren Rachehandlungen hatte er ständig ein Küchenmesser bei sich.

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Am Tattag (13. Februar 2017) litt der Angeklagte unter akustischen Halluzinationen. Beeinflusst durch Handlungsanweisungen seiner eingebildeten Stimmen begab er sich in eine Spielhalle, die er zuvor wiederholt betreten und wieder verlassen hatte. Nachdem er der Aufsicht zunächst den Kauf billiger Zigaretten angeboten hatte, verlangte er Geld von ihr. Er sagte „Raubüberfall! Geld her!“ und schob seine rechte Hand unter seine Jacke. So wollte er verdeutlichen, dass sich ein gefährliches Werkzeug oder eine Waffe in seiner Innentasche befinde. Den Aufforderungen seiner Stimmen, der Spielhallenmitarbeiterin das Messer zu zeigen, kam er nicht nach. Als die resolut wirkende Zeugin die Herausgabe des Geldes verweigerte und versuchte, den Alarmknopf zu betätigen, erkannte der Angeklagte, dass er kein Geld erhalten werde und die Polizei bald eintreffen könnte, und verließ die Spielhalle. Später betrat er sie erneut. Dort versah nunmehr eine andere, aber bereits vorgewarnte Aufsicht ihren Dienst. Der Angeklagte forderte sie mit den Worten zur Herausgabe des Geldes auf: „Ihre Kollegin ist ja jetzt weg, dann können Sie mir jetzt das Geld geben.“ Drohungen erfolgten nicht. Als die Zeugin dem Angeklagten ankündigte, dass sie ihm kein Geld geben und die Polizei rufen werde, verließ er die Spielhalle. Er ließ sich in deren unmittelbarer Nähe widerstandslos festnehmen.

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2. Sachverständig beraten hat sich das Landgericht davon überzeugt, dass der Angeklagte während der Tat akut psychotisch war. Bei erhaltener Einsichtsfähigkeit sei seine Steuerungsfähigkeit sicher erheblich vermindert, allerdings nicht vollständig aufgehoben gewesen. Die Voraussetzungen für seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat das Landgericht für nicht gegeben erachtet. Denn es sei nicht davon auszugehen, dass von ihm erhebliche Taten im Sinne des § 63 Satz 1 StGB zu erwarten seien.

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3. Die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

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a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist anzuordnen, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und des von ihm begangenen Anlassdelikts zu entwickeln; sie muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist. Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist das Tatgericht auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 22. August 2017 – 3 StR 249/17 mwN).

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b) Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht. Der Senat besorgt bereits, dass das Landgericht das Gewicht der Anlasstat unzutreffend bewertet hat (aa). Jedenfalls erweisen sich die der Gefährlichkeitsprognose zugrundeliegenden Erwägungen als lückenhaft und widersprüchlich (bb).

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aa) Bei der Gewichtung der Anlasstat hat das Landgericht hervorgehoben, dass diese ein sehr geringes Aggressionspotenzial aufgewiesen habe, eine psychische Beeinträchtigung der Zeugin nicht eingetreten sei und eine ernsthafte Gefahr für diese nicht bestanden habe. Dabei hat die Strafkammer nicht erkennbar berücksichtigt, dass sich die Erheblichkeit bereits ohne weiteres aus dem Deliktstypus der Anlasstat ergeben kann und die Erheblichkeitsschwelle deshalb bei – hier vorliegender – Verwirklichung eines Verbrechenstatbestandes regelmäßig überschritten ist (vgl. BGH, Urteil vom 27. November 2008 – 3 StR 450/08, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 30 mwN). In der Rechtsprechung ist zwar anerkannt, dass auch Verbrechen in besonders gelagerten Ausnahmefällen trotz ihres Deliktscharakters die in § 63 Satz 1 StGB vorausgesetzte Erheblichkeitsschwelle unter Umständen nicht erreichen; dies gilt etwa dann, wenn sie aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes von der Allgemeinheit als eher harmlos oder als nur belästigend wahrgenommen werden und überdies nur zu geringfügigen Beeinträchtigungen des Tatopfers geführt haben (vgl. für den Fall einer versuchten räuberischen Erpressung BGH, Urteil vom 27. November 2008 aaO; Beschluss vom 28. Juni 2005 – 4 StR 223/05, NStZ-RR 2005, 303). Bei der Würdigung des Gewichts der Tat hätte die Strafkammer aber in Betracht ziehen müssen, dass der Angeklagte ein Messer bei sich führte und die Tat bereits deshalb die Grenze des Harmlosen oder Gemeinlästigen überschritt.

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bb) Gestützt auf das Sachverständigengutachten, hat die Strafkammer – in nachvollziehbarer Weise – zwar keine Wahrscheinlichkeit höheren Grades festgestellt, dass der Angeklagte schwerere Delikte als die Anlasstat begehen werde. Jedoch geht aus dem Urteil nicht eindeutig hervor, ob sie jedenfalls die Begehung von der Anlasstat vergleichbaren Taten erwartet. Die Ausführungen des Sachverständigen hierzu werden in widersprüchlicher Weise wiedergegeben. Im Anschluss an seine Aussage, der Angeklagte werde „möglicherweise“ wieder Taten wie die vorliegende begehen, wird seine einschränkende Erwägung dargestellt, es sei wegen zunehmender Schwierigkeiten des Angeklagten, folgerichtig und stringent zu handeln, von einer immer geringer werdenden Intensität etwaiger Taten auszugehen. Der zusammenfassende Schluss des Sachverständigen geht allerdings dahin, dass wegen des starken kognitiven Abbaus des Angeklagten „nur Taten wie vorliegend, aber keine gravierenderen Taten zu erwarten“ seien. Auch die eigene Würdigung des Landgerichts lässt nicht zweifelsfrei erkennen, ob es jedenfalls die Begehung gleichgelagerter Taten erwartet und gegebenenfalls mit welcher Wahrscheinlichkeit.

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4. Die Urteilsaufhebung erstreckt sich auf die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung. Im Blick auf den untrennbaren Zusammenhang zwischen der Aussetzungsentscheidung und dem angestrebten Maßregelausspruch ist die Rechtsmittelbeschränkung insoweit unwirksam (vgl. zu § 64 StGB: BGH, Beschluss vom 27. April 1994 – 2 StR 89/94, NStZ 1994, 449; KK-StPO/Gericke, 7. Aufl., § 344 Rn. 12). Sollte das neue Tatgericht nach den oben genannten Maßstäben eine fortdauernde Gefährlichkeit des Angeklagten für die Allgemeinheit feststellen, wird es zu prüfen haben, ob diese durch die begonnene medizinische Behandlung und die bereits eingeleitete Aufnahme des Angeklagten in eine Einrichtung des betreuten Wohnens abgewendet werden kann. In diesem Fall läge es nahe, die Vollstreckung der Unterbringung gemäß § 67b StGB zur Bewährung auszusetzen (vgl. BGH, Urteile vom 20. Februar 2008 – 5 StR 575/07; vom 10. Dezember 2009 – 4 StR 435/09, NStZ-RR 2010, 105, 106).

Sander     

      

Schneider     

      

König 

      

Berger     

      

Köhler     

      

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