Urteil vom Bundessozialgericht (5. Senat) - B 5 R 46/11 R
Tenor
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Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 7. April 2011 (S 27 R 1802/10) wird zurückgewiesen.
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Außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten über den Beginn der dem Kläger gewährten Regelaltersrente.
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Der am 1931 in D. geborene Kläger ist als Verfolgter des Nationalsozialismus anerkannt. Er besitzt die israelische Staatsangehörigkeit.
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Am 18.12.2002 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Altersrente nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) vom 20.6.2002 (BGBl I 2074). Hierbei machte er geltend, in der Zeit von November 1940 bis September 1942 im Ghetto W. Kanalisierungsarbeiten freiwillig, insbesondere ohne Bewachung und gegen einen kleinen Lohn verrichtet zu haben. Mit Bescheid vom 19.1.2005 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab, da die jetzigen Angaben des Klägers in Widerspruch zu seinen Aussagen im Entschädigungsverfahren stünden. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8.3.2005 zurück. Die hiergegen gerichtete Klage wies das SG Düsseldorf mit Urteil vom 21.7.2006 - S 22 R 178/05 - wegen Widersprüchlichkeit der Angaben im Entschädigungs- und Rentenverfahren sowie wegen fehlender Entgeltlichkeit der durchgeführten Arbeiten ab. Die Berufung des Klägers wies das LSG Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 13.6.2008 - L 13 R 219/06 - zurück. Die gegen die Nichtzulassung der Revision erhobene Beschwerde verwarf der erkennende Senat mit Beschluss vom 30.4.2009 - B 5 R 344/08 B - mangels formgerechter Begründung als unzulässig.
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Am 15.6.2009 beantragte der Kläger unter Hinweis auf die Urteile des BSG vom 2.6. und 3.6.2009 (ua BSGE 103, 190, 201 und 220 = SozR 4-5075 § 1 Nr 7, 5 und 8) eine Überprüfung der ablehnenden Bescheide. Mit Bescheid vom 16.4.2010 gewährte die Beklagte dem Kläger Regelaltersrente ab 1.1.2005. Den Widerspruch des Klägers, mit dem dieser eine Rentengewährung ab 1.7.1997 begehrte, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.6.2010 zurück.
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Die hiergegen gerichtete Klage, mit der der Kläger sein Begehren weiterverfolgt hat, hat das SG Düsseldorf mit Urteil vom 7.4.2011 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Dem Kläger stehe ein Rentenzahlungsanspruch bereits ab 1.7.1997 nicht zu. Nach § 44 Abs 4 SGB X seien Sozialleistungen im Falle der hier vorliegenden Rücknahme eines Verwaltungsakts auf Antrag längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Antragstellung zu erbringen. § 44 Abs 4 SGB X werde durch keine Spezialregelung, insbesondere nicht durch § 3 Abs 1 S 1 ZRBG verdrängt. Gegen die Anwendbarkeit dieser Norm auf einen nach dem 30.6.2003 gestellten Überprüfungsantrag sprächen der eindeutige Wortlaut der Vorschrift, der eine anderslautende Auslegung nicht zulasse, die Gesetzesbegründung und die Entstehungsgeschichte. Auch komme eine verfassungskonforme Auslegung nach Art 3 Abs 1 GG nicht in Betracht. Aus dem vom Kläger erwähnten Urteil des BSG vom 3.5.2005 (BSGE 94, 294 = SozR 4-2600 § 306 Nr 1) ergebe sich nichts anderes. Die Entscheidung lasse sich nicht auf die vorliegende Konstellation übertragen. Anders als im dortigen Fall liege hier keine Ungleichbehandlung iS von Art 3 Abs 1 GG vor und sei keine Gesetzeslücke erkennbar, die Voraussetzung für die vom Kläger geforderte richterliche Rechtsfortbildung sei.
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Mit seiner hiergegen eingelegten Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 3 Abs 1 ZRBG, § 44 Abs 4 SGB X, § 2 Abs 2 SGB I und Art 3 Abs 1 GG, die er im Wesentlichen wie folgt begründet: Entgegen der Ansicht des SG sei der Wortlaut des § 3 Abs 1 S 1 ZRBG nicht eindeutig. Die Norm spreche von einem "Antrag auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung", ohne im Einzelnen zu differenzieren, ob damit nur der Erstantrag oder auch ein Überprüfungsantrag nach Ablehnung gemeint sei. Ebenso wenig enthielten die Gesetzesmaterialien dazu eine Aussage. Für die Auslegung des § 3 Abs 1 S 1 ZRBG sei deshalb auf Sinn und Zweck des Gesetzes und damit auf teleologische Gesichtspunkte abzustellen. Bei vollständiger Würdigung seines Sinns und Zwecks sei dem ZRBG nach dem Urteil des BSG vom 3.5.2005 (aaO) zu entnehmen, dass möglichst alle Verfolgten, die in einem Ghetto eine Beschäftigung ausgeübt hätten, in den Genuss der Rentenzahlung kommen sollten. Eine Rechtsfortbildung sei unerlässlich, um nicht einen Personenkreis von der Rechtswohltat des ZRBG auszugrenzen, der sich - abgesehen vom Zeitpunkt der Antragstellung - von den übrigen Anspruchsberechtigten des Gesetzes nicht unterscheide. In diesem Zusammenhang habe der 13. Senat des BSG ergänzend darauf hingewiesen, dass das ZRBG das Ziel verfolge, eine letzte Lücke im Wiedergutmachungsrecht zu schließen. Weiterhin sei auf § 2 Abs 2 SGB I zu verweisen, der einen Grundsatz des Sozialrechts ausspreche und festlege, dass bei der Anwendung der sozialen Rechte deren möglichst weitgehende Verwirklichung sicherzustellen sei. Auch der entschädigungsrechtliche Hintergrund sowie die Rechtsprechung des BGH zum Entschädigungsrecht stünden mit der Rechtsauffassung des SG nicht in Einklang. Schließlich gebiete Art 3 Abs 1 GG, der Personengruppe des Klägers ebenfalls Rente ab dem 1.7.1997 zu gewähren. Zwischen Personen, die vor dem 2./3.6.2009 einen bindenden ablehnenden Bescheid erhalten hätten, und Personen, die das Verfahren über diesen Zeitpunkt hätten hinausstrecken können, bestünden keine Unterschiede im Verfolgungsschicksal. Demgegenüber sei unmaßgeblich, ob bestandskräftige Bescheide vorlägen oder nicht. Diese allein aus formalen Gründen, ohne Beachtung materieller Gerechtigkeit konstruierte Unterscheidung beider Personengruppen könne nicht überzeugen. Ob die Antragsteller vor oder nach dem 2./3.6.2009 eine bindende Entscheidung erhalten hätten oder nicht, sei von Zufälligkeiten abhängig gewesen. Hierauf abzustellen, sei willkürlich. Das SG habe überdies zu Unrecht eine richterliche Rechtsfortbildung wegen Nichtbestehens einer Gesetzeslücke verneint.
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Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 7. April 2011 (S 27 R 1802/10) aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 16. April 2010 und den Widerspruchsbescheid vom 22. Juni 2010 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm Regelaltersrente auch für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 31. Dezember 2004 zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Zahlung von Regelaltersrente bereits ab 1.7.1997 nicht zu.
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Dies ergibt sich aus § 44 Abs 4 SGB X.
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Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit auf Antrag zurückgenommen worden, werden gemäß § 44 Abs 4 SGB X Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuchs längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor dem Antrag erbracht, wobei der Zeitpunkt des Antrags von Beginn des Jahres an gerechnet wird, in dem er gestellt worden ist.
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Die Beklagte hat mit Bescheid vom 16.4.2010 den Bescheid vom 19.1.2005 und den Widerspruchsbescheid vom 8.3.2005, die bestandskräftig geworden sind, gemäß § 44 Abs 1 S 1 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Zwar ist dies nicht ausdrücklich erfolgt. Eine Zurücknahme der Verwaltungsakte ist den Verlautbarungen im Bescheid vom 16.4.2010 jedoch gerade noch mit der gebotenen hinreichenden Bestimmtheit (§ 33 Abs 1 SGB X, § 117 SGB VI) zu entnehmen.
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Für die ausgehend von seinem Verfügungssatz vorzunehmende Auslegung eines Verwaltungsaktes ist der in § 133 BGB ausgedrückte allgemeine Rechtsgedanke heranzuziehen, dass es nicht auf den Buchstaben, sondern auf den wirklichen Willen der Behörde bzw des Verwaltungsträgers ankommt, soweit er im Bescheid greifbar seinen Niederschlag gefunden hat. Für die Ermittlung des erklärten Willens sind dabei auch die Umstände und Gesichtspunkte heranzuziehen, die zur Aufhellung des Inhalts der Verfügung beitragen können und die dem Beteiligten bekannt sind, wenn der Verwaltungsakt sich erkennbar auf sie bezieht. Maßstab der Auslegung ist insofern der verständige und die Zusammenhänge berücksichtigende Beteiligte (vgl Badura in Erichsen/Ehlers, Allg VerwR, 12. Aufl 2002, § 38 RdNr 17).
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Der Bescheid vom 16.4.2010 nimmt erkennbar auf das bereits bestandskräftig abgeschlossene Verwaltungsverfahren Bezug. Auf dessen Seite 1 wird geregelt, dass der Kläger - auf seinen Antrag vom 15.6.2009 - rückwirkend Regelaltersrente erhält und die Zahlung der Rente am 1.1.2005 beginnt. Bei dem Antrag vom 15.6.2009 handelt es sich um einen Antrag auf "Überprüfung (der) ablehnenden Bescheide". In Übereinstimmung mit § 44 Abs 4 SGB X wird die Rente für einen Zeitraum von vier Jahren vor dem Antrag erbracht, wobei der Zeitpunkt des Antrags von Beginn des Jahres an gerechnet worden ist, in dem der Antrag gestellt wurde. Auf Seite 2 des Bescheides vom 16.4.2010 wird schließlich - wenngleich verkürzt - der Wortlaut des § 44 Abs 4 SGB X angegeben. Unter Berücksichtigung dieser im Bescheid verlautbarten Umstände war erkennbar, dass die früheren, die Regelaltersrente ablehnenden Bescheide, dh der Bescheid vom 19.1.2005 und der Widerspruchsbescheid vom 8.3.2005 gemäß § 44 Abs 1 S 1 SGB X zurückgenommen worden sind.
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Dass § 44 Abs 4 SGB X die rückwirkende Erbringung von Leistungen im Fall der Aufhebung von gesetzeswidrigen, Sozialleistungen zu Unrecht verweigernden Ablehnungsentscheidungen auf einen Zeitraum von längstens vier Jahren beschränkt, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Dem Grundgesetz ist nicht zu entnehmen, dass die vollziehende Gewalt allgemein verpflichtet wäre, rechtswidrig belastende oder auch rechtswidrig begünstigende Verwaltungsakte unbeschadet des Eintritts ihrer formellen Bestandskraft von Amts wegen oder auf Antrag des Adressaten aufzuheben oder abzuändern (vgl BVerfGE 20, 230, 235; 116, 24, 55; 117, 302, 315). Dementsprechend besteht auch keine allgemeine Verpflichtung der vollziehenden Gewalt, die Folgen einer rechtswidrigen Entscheidung im Nachhinein zu beseitigen. Tritt das Prinzip der Rechtssicherheit, aus dem sich die grundsätzliche Rechtsbeständigkeit in Bestandskraft erwachsender Akte der öffentlichen Gewalt ergibt, mit dem Gebot der Gerechtigkeit im Einzelfall in Widerstreit, so hat der Gesetzgeber beide Grundsätze abzuwägen und zu entscheiden, welchem von beiden Prinzipien der Vorrang gegeben werden soll (vgl BVerfGE 15, 313, 319; 35, 41, 47). Dieses Gebot konkretisiert § 44 SGB X dahingehend, dass im Interesse des Betroffenen an der richtigen Anwendung des Gesetzesrechts die rechtswidrige Entscheidung aufzuheben ist (Abs 1) und rückwirkend Sozialleistungen erbracht werden, wobei die Rückwirkung im Interesse der Rechtssicherheit auf vier Jahre begrenzt wird (Abs 4). Gegen die Begrenzung der rückwirkenden Leistungserbringung auf diese Zeitspanne kann unter dem Gesichtspunkt des Art 3 Abs 1 GG nicht der Vorwurf der Willkür erhoben werden (vgl hierzu allgemein BVerfGE 15, 313, 319 f; 35, 41, 47). Innerhalb eines Zeitraums von vier Jahren verjähren grundsätzlich sowohl Ansprüche auf Sozialleistungen als auch auf Beiträge (vgl § 25 Abs 1 S 1 SGB IV). Damit hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass gleichermaßen zu Lasten wie auch zu Gunsten des Versicherten Rechte und Pflichten aus einem Sozialleistungsverhältnis nach Ablauf dieser Zeitspanne nicht mehr geltend gemacht werden können. Hierbei handelt es sich um eine ausgewogene Gesamtregelung, innerhalb derer sich § 44 Abs 4 SGB X als sachlich begründete Bestimmung darstellt. Unter dem Gesichtspunkt des Art 14 Abs 1 GG ist § 44 Abs 4 SGB X eine verhältnismäßige und damit zulässige Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums iS des Art 14 Abs 1 S 2 GG (vgl BSGE 60, 158, 163).
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Für Fälle der vorliegenden Art enthält § 44 Abs 4 SGB X eine abschließende Regelung. Die Beklagte hat sie bei Vorliegen der Voraussetzungen anzuwenden, ohne dass hiergegen der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung erhoben oder ein Verstoß gegen Treu und Glauben geltend gemacht werden könnte (BSGE 60, 158, 160; 62, 10, 14).
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Dem steht § 3 Abs 1 S 1 ZRBG nicht entgegen.
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Nach dieser Vorschrift gilt ein bis zum 30.6.2003 gestellter Antrag auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung als am 18.6.1997 gestellt, mit der Folge, dass die Rente bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen ab 1.7.1997, dem Tag des Inkrafttretens des ZRBG (Art 3 Abs 2 ZRBG/SGB VI-Änderungsgesetz), zu leisten ist (vgl BSGE 103, 190 = SozR 4-5075 § 1 Nr 7, RdNr 57-58; BT-Drucks 14/8583, S 6). Schon unter Berücksichtigung seines Wortlauts regelt § 3 Abs 1 S 1 ZRBG allein die Wirkung der erstmaligen Antragstellung und hat keinen Bezug zum Verfahrensrecht (anders zB § 307b Abs 2 S 4 SGB VI). Auch ist nicht erkennbar, dass im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens verfahrensrechtliche Probleme erörtert worden wären (vgl BT-Drucks 14/8583, S 1 ff; BT-Drucks 14/8602, S 1 ff).
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Systematische Erwägungen bestätigen dieses Verständnis. Das ZRBG ergänzt die Vorschriften des SGB VI (Senatsurteil vom 12.2.2009 - B 5 R 70/06 R - SozR 4-5075 § 1 Nr 6 RdNr 11). Verwaltungsakte, die unter Berücksichtigung des ZRBG ergehen, richten sich dementsprechend nach demselben Verfahrensrecht, das für Verwaltungsakte maßgeblich ist, deren Regelungsgegenstand ausschließlich dem SGB VI entstammt. Danach ist auch bei Rentenbescheiden mit ZRBG-Bezug das SGB X heranzuziehen, es sei denn, dem ZRBG ließe sich für bestimmte Verfahrensbestimmungen etwas anderes entnehmen. Dies ist indes nicht der Fall.
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Sinn und Zweck des ZRBG erlauben kein anderes Ergebnis. Diese gehen zwar dahin, eine Lücke im Recht der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts zu schließen (vgl Ulrike Mascher, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, BT-StenBer 14. Wahlperiode, 233. Sitzung, 25.4.2002, Plenarprotokoll 14/233 S 23282 zu Punkt B). Selbst dieser Grund legitimiert die Gerichte jedoch nicht dazu, sich im Wege der Auslegung einer Norm über eine indisponible Regelung eines anderen Gesetzes hinwegzusetzen.
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Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 2 Abs 2 Halbs 2 SGB I, nach dem bei der Auslegung dieses Gesetzbuchs sicherzustellen ist, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden. Diese Auslegungsregel enthält keinen Widerspruch zu den anerkannten Prinzipien der Methodenlehre, sondern gebietet eine bürgerfreundliche Gesetzesinterpretation, soweit eine solche unter Zugrundelegung der anerkannten Auslegungsmethoden möglich ist (vgl BSG Urteil vom 10.11.2011 - B 8 SO 12/10 R - RdNr 23 mwN, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; Mrozynski, SGB I, 4. Aufl 2010, § 2 RdNr 16). Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Im Übrigen enthält § 44 SGB X bereits eine Konkretisierung des in § 2 Abs 2 Halbs 2 SGB I enthaltenen Rechtsgedankens (vgl BSGE 63, 214, 218).
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Das hier vertretene Ergebnis verstößt nicht gegen Art 3 Abs 1 GG.
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Der allgemeine Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (BVerfGE 98, 365, 385; 103, 310, 318 jeweils mwN). Art 3 Abs 1 GG ist daher verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfGE 112, 50, 67; 117, 272, 301; stRspr).
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Die Personengruppe, deren Rentenverfahren vor dem 2./3.6.2009 bereits rechtskräftig abgeschlossen war und die auf einen Überprüfungsantrag rückwirkende Rentenzahlungen lediglich für einen Zeitraum von vier Jahren erhält, unterscheidet sich von der Personengruppe mit noch anhängigen Rentenverfahren zu diesem Zeitpunkt und sodann anerkannten Rentenansprüchen ab 1.7.1997 durch das Vorliegen eines bestandskräftigen Verwaltungsakts. Hierbei handelt es sich um einen Unterschied, der eine ungleiche Behandlung beider Gruppen rechtfertigt. Hat das BVerfG die Nichtigkeit einer gesetzlichen Norm mit Gesetzeskraft festgestellt (vgl §§ 78, 82 Abs 1, 95 Abs 3 S 1 und 2 iVm § 31 Abs 2 BVerfGG), bleiben nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift (§ 79 Abs 2 S 1 iVm §§ 82 Abs 1 und 95 Abs 3 S 3 BVerfGG) die aufgrund der nichtigen Norm ergangenen, nicht mehr anfechtbaren gerichtlichen Entscheidungen (mit Ausnahme von Strafurteilen - § 79 Abs 1 BVerfGG) und Verwaltungsakte unberührt. Diese Regelung hat das BVerfG wiederholt im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens für verfassungsmäßig erklärt (BVerfGE 20, 230, 235 mwN). Die Bedeutung der Bestands- bzw Rechtskraft als Ausfluss des verfassungsrechtlich geschützten Prinzips der Rechtssicherheit verbietet es, diese als lediglich "formal" konstruiertes Unterscheidungsmerkmal zu bewerten. Ist aber selbst im Fall der Nichtigkeit einer gesetzlichen Bestimmung eine unterschiedliche Behandlung von rechtskräftig bzw bestandskräftig abgeschlossenen und anhängigen Verfahren verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, obwohl die Betroffenen auf die Verfahrensdauer keinen entscheidenden Einfluss haben, kann im Fall einer geänderten höchstrichterlichen Rechtsprechung nichts anderes gelten. Unter dem Blickwinkel des Art 3 Abs 1 GG erweist sich die rechtskräftige Entscheidung bzw der bestandskräftige Verwaltungsakt vielmehr als sachlich rechtfertigender Grund für eine Ungleichbehandlung. Ob ausnahmsweise etwas anderes gilt, wenn unanfechtbare gerichtliche Entscheidungen oder Verwaltungsakte auf einer sachlich nicht mehr nachvollziehbaren Gesetzesauslegung durch Verwaltungsträger und Gerichte beruhen, bedarf keiner Entscheidung. Anhaltspunkte für ein solches Verhalten sind hier nicht ansatzweise ersichtlich.
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Eine richterliche Rechtsfortbildung zu Gunsten des Klägers scheidet aus.
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Zwar gehört es zu den Aufgaben der Dritten Gewalt, das Recht fortzuentwickeln. Dieser Befugnis sind jedoch mit Rücksicht auf den aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit unverzichtbaren Grundsatz der Gesetzesbindung der Rechtsprechung (Art 20 Abs 3 GG) Grenzen gesetzt. Eine Interpretation, die als richterliche Rechtsfortbildung den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, keinen Widerhall im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder stillschweigend gebilligt wird, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein (BVerfG NJW 2011, 836 Textziff 53 mwN).
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So verhält es sich hier. § 3 Abs 1 ZRBG ist nicht zu entnehmen, dass § 44 Abs 4 SGB X im Zugunstenverfahren keine Anwendung finden soll. Aufgrund der Zugehörigkeit der Norm zum Recht der gesetzlichen Rentenversicherung ist gleichzeitig geklärt, dass für ihre verwaltungsverfahrensrechtliche Umsetzung die Vorschriften des SGB X Anwendung finden (§ 1 Abs 1 S 1 SGB X). Auch enthält das Gesetzgebungsverfahren keinerlei Hinweise auf eine spezialgesetzliche Verdrängung des allgemeinen Verfahrensrechts. Die nachträgliche Anordnung der Nichtanwendbarkeit des § 44 Abs 4 SGB X im hier maßgeblichen Zusammenhang ist daher allein Sache des Gesetzgebers; die Rechtsprechung ist hierzu nicht befugt, auch wenn der Senat dieses Ergebnis für wünschenswert hielte.
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Die Entscheidung des erkennenden Senats steht mit den Urteilen des BSG vom 3.5.2005 (B 13 RJ 34/04 R - BSGE 94, 294 = SozR 4-2600 § 306 Nr 1) und vom 19.4.2011 (B 13 R 20/10 R - zur Veröffentlichung in SozR 4-6480 Art 27 Nr 1 vorgesehen) nicht in Widerspruch. Diesen liegen Sachverhalte zu Grunde, in denen es um die erstmalige Bescheidung eines Rentenantrags unter Berücksichtigung des ZRBG ging, sodass der Anwendungsbereich des § 44 SGB X nicht betroffen war. Eine Divergenz zu sonstigen Entscheidungen des BSG (BSGE 10, 113; 13, 67; Urteil vom 27.7.1972 - RzW 1973, 37) liegt schon deswegen nicht vor, weil sich diese nicht mit der Auslegung des ZRBG beschäftigen und einen Zeitraum betreffen, in dem das SGB X noch nicht in Kraft gesetzt war.
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Es bestand auch kein Anlass, den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes anzurufen. Der erkennende Senat weicht mit seinem Urteil nicht von Entscheidungen des BGH (Urteil vom 22.11.1954, RzW 1955, 55, 57; Urteil vom 5.12.1958, RzW 1959, 215, 216; Urteil vom 1.12.1994 - IX ZR 63/94 - Juris; Urteil vom 22.2.2001 - IX ZR 113/00 - Juris RdNr 14 = BGHReport 2001, 372 = LM BEG 1956 § 35 Nr 37 <5/2001>) ab. Vielmehr ist er mit dem BGH der Auffassung, dass im Wiedergutmachungsrecht derjenigen Auslegung der Vorrang einzuräumen ist, die es erlaubt, das zugefügte Unrecht sobald und soweit wie irgend möglich wiedergutzumachen, falls eine solche Auslegung möglich ist. Diese Voraussetzung liegt hier aus den oben genannten Gründen jedoch nicht vor. Abgesehen davon geht es im hiesigen Verfahren um die Auslegung einer rentenrechtlichen Vorschrift, für die allein die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zuständig sind.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.
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Referenzen
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