Beschluss vom Bundessozialgericht (12. Senat) - B 12 SF 2/12 S

Tenor

Der Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts wird abgelehnt.

Gründe

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I. Die Antragstellerinnen sind die Kinder des bei der Antragsgegnerin (einem Rentenversicherungsträger) Versicherten und dessen Ehefrau. Die Antragstellerin zu 1. hat ihren Wohnsitz im Zuständigkeitsbereich des SG Oldenburg, während die Antragstellerin zu 2. im Zuständigkeitsbereich des SG Münster wohnt. Laut einer Vereinbarung der Antragstellerinnen mit dem Versicherten und dessen Ehefrau vom 30.12.2001 trat der Versicherte zur "Lastenfreistellung" eines Hausgrundstücks und zur "Vermeidung der dinglichen Inanspruchnahme" der Antragstellerinnen ua seine pfändbaren Rentenansprüche an diese ab. Mit am 11.11.2011 beim SG Münster eingegangenem Schreiben haben die Antragstellerinnen beantragt, die Antragsgegnerin anzuweisen, bei der Berechnung der an sie abgetretenen monatlichen Rentenbezüge die Ehefrau des Versicherten als unterhaltsberechtigte Person unberücksichtigt zu lassen.

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Mit Beschluss vom 31.1.2012 hat das SG Münster nach Anhörung der Beteiligten das BSG mit Blick auf die unterschiedlichen Wohnsitze der Antragstellerinnen zur Bestimmung des zuständigen Gerichts angerufen.

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II. Der Antrag, das zuständige Gericht zu bestimmen, ist abzulehnen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.

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Die hier allein in Betracht kommende Vorschrift des § 58 Abs 1 Nr 5 SGG setzt für eine Zuständigkeitsbestimmung durch das BSG voraus, dass eine örtliche Zuständigkeit nicht gegeben ist, dh dass das bereits mit der Sache befasste Gericht weder zuständig ist noch selbst das zuständige Gericht bestimmen kann (vgl BSG Beschluss vom 15.7.2011 - B 12 SF 1/11 S - FamRZ 2011, 1943; BSG SozR 4-1500 § 58 Nr 8 RdNr 4 f). Eine Zuständigkeitsbestimmung kommt daher vor allem dann in Betracht, wenn zwischen mehreren gemeinsam Klagenden eine notwendige Streitgenossenschaft iS von § 74 SGG, § 62 Abs 1 ZPO besteht oder jedenfalls nicht ausgeschlossen werden kann (vgl BSG SozR 4-1500 § 58 Nr 5 RdNr 6 mwN). Nicht ausreichend für eine Zuständigkeitsbestimmung durch das BSG ist dagegen die logische Notwendigkeit übereinstimmender Entscheidungen. Dies gilt auch dann, wenn selbstständige Klagen mehrerer Personen aus Gründen der Zweckmäßigkeit oder des Sachzusammenhangs zusammengefasst werden. Denn die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen oder Gründe der Prozessökonomie rechtfertigen die Bestimmung eines einheitlichen Gerichtsstands nach § 58 Abs 1 Nr 5 SGG nicht (vgl BSG Beschluss vom 15.7.2011 - B 12 SF 1/11 S - FamRZ 2011, 1943; BSG SozR 3-1500 § 58 Nr 1 S 2). Für die Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 58 Abs 1 Nr 5 SGG vorliegen, ist der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Feststellungen des Gerichts ergebende Sach- und Streitstand zu berücksichtigen. Hingegen rechtfertigen weder der Gesetzeswortlaut noch die Gesetzessystematik oder der Grundsatz der Prozessökonomie, dass das nächsthöhere Gericht selbst darüber hinausgehende, weitere Ermittlungen zur Bestimmung der Zuständigkeit anstellt (vgl BGH Beschluss vom 10.8.1994 - X ARZ 689/94 - NJW 1995, 534; BayObLG Beschluss vom 22.12.1987 - AR 3 Z 103/87 - BayObLGZ 1987, 463 mwN, beide zu § 36 Abs 1 Nr 6 ZPO). Danach liegen hier die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung durch das BSG gemäß § 58 Abs 1 Nr 5 SGG nicht vor, weil das SG die für die Anträge der Antragstellerinnen örtlich zuständigen SGe selbst bestimmen kann.

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Die für die von den Antragstellerinnen begehrten Entscheidungen örtlich zuständigen SGe sind gemäß § 57 Abs 1 S 1 SGG zu bestimmen. Es ist nicht ersichtlich, dass eine notwendige Streitgenossenschaft der Antragstellerinnen im Hinblick auf die von ihnen unter Hinweis auf § 850c Abs 4 ZPO als Abtretungsgläubigerinnen gestellten Anträge (vgl zur entsprechenden Anwendung des § 850c ZPO, BSG SozR 3-1200 § 53 Nr 2 S 9 ff) besteht oder jedenfalls nicht ausgeschlossen werden kann, so dass die Bestimmung der Zuständigkeit eines SG erforderlich wäre.

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Eine notwendige Streitgenossenschaft liegt nach § 74 SGG iVm § 62 ZPO vor, wenn das streitige Rechtsverhältnis allen Streitgenossen gegenüber nur einheitlich festgestellt werden kann, sich also die Rechtskraft der Entscheidung auf alle Streitgenossen erstreckt, oder die Streitgenossenschaft aus einem sonstigen Grund notwendig ist, etwa bei Gesamthandsverhältnissen oder Gestaltungsklagen (vgl bereits BSGE 11, 35, 37 = SozR Nr 4 zu § 74 SGG). Dies käme in Betracht, wenn die Antragstellerinnen als Rechtsgemeinschaft, dh als Gesamthandsgläubiger oder als Bruchteilsgemeinschaft, im Prozess aufträten. Denn nur in diesen Fällen würde sich die Rechtskraft einer Entscheidung auf alle Streitgenossen erstrecken (vgl zur Gesamtschuld bereits BSG Beschluss vom 15.7.2011 - B 12 SF 1/11 S - FamRZ 2011, 1943). Bei den übrigen im deutschen Recht existierenden Gläubigermehrheiten, nämlich der Teilgläubigerschaft nach § 420 BGB und der Gesamtgläubigerschaft nach § 428 S 1 BGB, kann hingegen jeder Gläubiger im Außenverhältnis unabhängig vom anderen die ihm zustehende Leistung an sich verlangen (vgl zum Ganzen etwa Medicus, Schuldrecht I, 17. Aufl 2006, RdNr 780 ff; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, 10. Aufl 2006, RdNr 760 ff), so dass keine Notwendigkeit einer einheitlichen Entscheidung besteht.

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Dafür, dass die Antragstellerinnen als eine notwendige Streitgenossenschaft möglicherweise begründende Rechtsgemeinschaft die beantragte Anordnung begehren, bestehen auf der Grundlage des derzeitigen Sach- und Streitstandes keine Anhaltspunkte. Es ist nicht ersichtlich, dass die Antragstellerinnen eine Gesamthandsgemeinschaft in der Form einer ehelichen Gütergemeinschaft oder einer Erbengemeinschaft bilden (vgl hierzu Fikentscher/Heinemann, aaO, RdNr 783; Palandt/Grüneberg, BGB, 71. Aufl 2012, § 432 RdNr 4 ff mwN). Ob die Antragstellerinnen Gesellschafterinnen einer BGB-Gesellschaft sind (vgl zur Zuständigkeitsbestimmung bei fehlendem Sitz einer BGB-Gesellschaft nach § 36 Abs 1 Nr 3 ZPO, OLG Celle Beschluss vom 16.5.2001 - 4 AR 33/01 - OLGR Celle 2001, 198 f), bedarf hier keiner Entscheidung, weil sie nicht als solche auftreten und weil sich weder aus Feststellungen des SG noch aus dem Inhalt der Akten ergibt, dass eine Forderung einer BGB-Gesellschaft geltend gemacht wird und mangels Sitzes der Gesellschaft das örtlich zuständige SG nicht bestimmt werden kann.

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Damit bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit für die Anträge der Antragstellerinnen jeweils nach § 57 Abs 1 SGG. Sind für die Anträge der Antragstellerinnen verschiedene SG örtlich zuständig, kann dem durch Trennung der Verfahren und Verweisung an das zuständige SG Rechnung getragen werden.

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